»Die CDU muß sich erneuern«
Für die CDU/CSU ist dieses Wahlergebnis mehr als ein Denkzettel, es ist eine ziemliche Katastrophe. »Zweite Wahlen« waren bisher immer »Durchsetzungswahlen« (Heiner Geißler), sie begründen eine Epoche - oder auch nicht. Konrad Adenauer 1953: Mehrheit der Mandate; Willy Brandt 1972: das beste Ergebnis, das die SPD je hatte; CDU/CSU 1987: das schlechteste Ergebnis seit 1949. Noch unter den negativen Rekordmarken von Barzel (1972) und Strauß (1980), deren Ergebnisse man damals als den eisernen Bestand der Union interpretiert hatte, jetzt weiß man's besser.
In einer Lage, in der die äußeren Bedingungen (Wirtschaftsentwicklung) günstig waren, in der kaum jemand die SPD in der Regierung sah oder sie dort haben wollte, angesichts der Tatsache, daß die Deutschen ihre Regierung nur in langen Perioden abwählen, dazu ein technisch-brillanter Wahlkampf aus der Regierung heraus: In einer solchen Situation müssen eher 50-Prozent-Chancen winken als sich die Falltür zu 40 Prozent öffnen.
Was ist geschehen, wo liegen die Ursachen, was sind die Konsequenzen?
Die politische Rhetorik wichtiger Unionspolitiker war in den vergangenen Wochen offensichtlich bestimmt durch den Versuch, die Mehrheit nicht in der Mitte, sondern am rechten Rand zu gewinnen. Dieser Versuch ist gescheitert.
Es ist die politische Mitte, in der die CDU/CSU ihre strukturelle Mehrheitsfähigkeit behauptet - oder verspielt.
Die Äußerungen zum Thema »Vergangenheitsbewältigung« haben, zum Glück möchte man sagen, nicht verfangen, sie dürften mehr Wähler abgeschreckt als angezogen haben. Auch hier ist eine Diskussionslage entstanden, die nicht nur ziemlich schief, sondern auch völlig unnötig war.
Wenn man bedenkt, daß Bundespräsident Richard von Weizsäcker in einer großen Rede zum 8. Mai die Gefühle der Mehrheit der Deutschen getroffen hat, wenn man sich fragt, wie es geschehen konnte, daß die Unionsparteien, statt sich in diese Zustimmung einzufügen, durch wichtige Repräsentanten eher eine Gegenposition haben formulieren lassen, dann kann man nur noch zum schwarzen Humor Zuflucht nehmen: difficile est, satiram non scribere.
Die CDU hat einen ziemlich konsequenten Wirtschaftswahlkampf geführt. Mit Ausnahme der Familienpolitik hat die CDU soziale Themen allenfalls am Rande angesprochen. Von ihrem Charakter als soziale Volkspartei war nichts oder nur wenig zu spüren. Bei vielen ist der Eindruck entstanden, daß die Unionsparteien die über zwei Millionen Arbeitslosen, dazu noch die 2,8 Millionen Sozialhilfeempfänger kalt abschreiben.
Auch hier hat die CDU vergessen, was sie in ihren Programmen längst beschlossen hatte: daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eine mehrdimensionale Strategie voraussetzt (Wirtschaftswachstum, Arbeitszeitverkürzung, flexiblere Gestaltung des Arbeitslebens).
Für die Union stellt sich, auch nach diesem Wahldebakel, nicht die Kanzlerfrage. Helmut Kohl ist nach wie vor von seinem Naturell her ein Mann der politischen Mitte, ein Politiker, der trotz gegenteiliger Rhetorik offener ist für soziale Entwicklungen und für die neuen Bedürfnisse der Menschen als denkbare personelle Alternativen; ein Politiker auch, der - wenn er diese Chancen nur begriffe und von seiner Umgebung besser beraten wäre - eine im guten Sinne »deutsche Normalität« ebenso repräsentieren könnte wie Offenheit für nicht nur technische Modernisierung, sondern vor allem auch für soziale und menschliche Weiterentwicklung unserer Gesellschaft.
Es gibt deshalb zu Helmut Kohl keine Alternative, wohl aber gibt es für Helmut Kohl Alternativen: der Wertkonservative, der er ist, zu bleiben und gerade deshalb manchen Strukturkonservativismus zu überwinden; eine geistige Idee seiner Politik (die ja immer noch eine Epoche werden kann: schlechte Wahlergebnisse lassen sich durch überzeugende Politik widerlegen) konturenscharf zu formulieren und zu repräsentieren, die ihre Leitformeln nicht aus den 50er Jahren borgt, sondern auf der Grundlage einer sozialen Wirtschafts- und Finanzpolitik durchaus auch visionäre Züge tragen darf.
Die CDU braucht, vergleichbar den 70er Jahren, eine Phase der Erneuerung.
Wie damals kann die Erneuerung nur gelingen durch eine aktive politische Führung und durch Mobilisierung der Basis und ihrer Vereinigungen.
Die CDU steht vor der Aufgabe, die Mehrheit die Mitte und das Moderne analytisch neu zu definieren und politisch neu zu formulieren will sie ihre strukturelle Mehrheitsfähigkeit wiedergewinnen.
Die Wahl am 25. Januar 1987 war eine Richtungswahl. Während die SPD vor einer fast unlösbaren Aufgabe steht, hat die CDU die Möglichkeit, die Chance der Krise zu nutzen und aus dieser Niederlage zu lernen. Insofern ist es gut, daß die Wahlniederlage deutlich ausgefallen ist und keinen Platz für Ausreden läßt.
Verspielt die CDU diese Chance, verkennt sie die Lektion, die die Wähler ihr erteilt haben, dann mag sie sich damit trösten, daß es immer noch für einige Zeit in der Regierung reicht: mit einer erstarkenden FDP - oder gemeinsam mit der SPD in einer dann nicht mehr so »Großen Koalition« von zwei Parteien, die sich dann wieder näherkommen - auf niedrigerem Niveau.