STAATSSEKRETÄRIN Die Dame im Amt
Mit warmherzigem Beifall ist die Staatssekretärin im Bundesministerium für
Familien- und Jugendfragen, Dr. Gabriele Wülker, 46, publizistisch in ihr Amt, das es als Planstelle noch gar nicht gibt und das sie daher erst kommissarisch verwaltet, hineinkomplimentiert worden.
Die blonde, akademisch gebildete Kriegerwitwe, Pfarrerstochter evangelischer Konfession, die für sich und ihre drei Kinder »das Schifflein der vaterlosen Familie wacker durch die Wogen der Kriegs - und Nachkriegszeit« steuerte, ist für die wehrhaften Matronen, die der gleichberechtigten, berufstätigen deutschen Frau und Mutter eine Repräsentation mit Kabinettsrang schaffen wollten, sozusagen nach Maß gemacht
Damit ist eine scheinbar harmonische Lösung gefunden worden für ein Problem, das in der Wahlkampfzeit aktuell geworden war. Immer wieder hatte Bundeskanzler Konrad Adenauer seinen christdemokratischen Suffragetten versichert, wie sehr er in einem dritten Kabinett die Mitarbeit einer Frau zu schätzen wissen würde. Zweiflern hatte er geantwortet, »Wenn es nach mir ginge, würde ich den Frauen am liebsten zwei Ministerien geben.« Nur die Parlamentsveteranin und CDU-Abgeordnete Helene Weber, die ihren patriarchalisch gesinnten Parteifreund Konrad Adenauer noch aus gemeinsamen Zentrums-Zeiten kennt, unkte: »Warten Sie nur ab, bis die Wahlen vorbei sind; ich bin sicher, keine Frau bekommt ein Ministerium.«
Es kam so, wie Helene Weber prophezeit hatte. Dem Bundeskanzler fiel es nicht schwer, seinen getreuen Knappen Wuermeling zu halten, der sich ausreichend mit katholischen und evangelischen Befürwortern versorgt hatte.
Die vollreifen weiblichen Funktionäre der Frauenverbände aber schnaubten Zorn: »Wir sehen darin (in der Nichternennung eines weiblichen Bundesministers) eine Nichtachtung des staatsbürgerlichen Bemühens und des Einsatzes der Frauen aus allen Kreisen der Bevölkerung, sowie eine starke Gefährdung der Bereitschaft zur weiteren staatsbürgerlichen Betätigung.«
Raffiniert zog sich Konrad Adenauer aus der Affäre. Er habe sich zwar wohlwollend über eine eventuelle Mitarbeit von Frauen im Kabinett geäußert, aber er habe niemals konkrete Versprechungen gemacht. Dennoch zeigte er sich schnell bereit, die politisch bewährten Damen zu entschädigen. Er versprach ihnen,
- den stellvertretenden Fraktionsvorsitz
der CDU/CSU und
- das Staatssekretariat im Familienministerium,
in weibliche Hände zu legen.
Es war verhältnismäßig einfach, die erste Zusage zu halten. Mit großer Mehrheit wurde die evangelische Oberkirchenrätin Elisabeth Schwarzhaupt, 56, zur Stellvertreterin Heinrich Krones gewählt. Das entsprach ganz dem Streitruf der CDU-Amazonen: »Wir wollen keinen Beamtenposten, sondern mitten hinein in die Politik.«
Nicht so einfach war es freilich, für den Beamtenposten (Staatssekretär) eine geeignete Persönlichkeit zu finden. Eine Ministerialbeamtin kam ohnehin nicht in Frage, weil es in der Bundesverwaltung keine Frau gibt, die einen höheren Rang hat als den einer Ministerialrätin. So ist denn auch die Wahl, die schließlich getroffen wurde, mehr das Produkt eines Zufalls und günstiger Beziehungen als das Ergebnis einer Eignungs- und Qualitätsauslese, wie sie bei der Ernennung eines Staatssekretärs normalerweise üblich ist.
Als Manager der parteilosen Gabriele Wülker betätigten sich die beiden CDU -Abgeordneten Emmi Welter, 70, und Elisabeth Schwarzhaupt; Emmi Weiter hatte bei ihrem Protektionsunternehmen noch die Diskussionsbeiträge, die Frau Wülker vor wenigen Wochen beim Landeskirchentag in Essen zum Thema »Kinder ohne Kindheit« beisteuerte, als ausgezeichnete Leistung frisch in Erinnerung.
So kam es, daß Frau Wülker an ihrem Schreibtisch im Frankfurter Büro des »Deutschen Landesausschusses der Internationalen Konferenz für Sozialarbeit« fernmündlich mit der unverdächtigen Frage überrascht wurde, ob sie jemanden wisse, der geeignet sei, das Staatssekretariat im Familienministerium zu übernehmen. Noch während sie überlegte, wurde ihr in neckischer Form mitgeteilt,
sie selbst sei dem Bundeskanzler für diesen Posten vorgeschlagen worden. Weiß die »Süddeutsche Zeitung« zu berichten: »Adenauer hatte sich bereits informiert, und er war fest entschlossen, Frau Wülker zu berufen.«
Der Bundeskanzler brauchte sich beim Sammeln der Informationen keineswegs nur auf die »Entdeckung« beim Essener Landeskirchentag zu stützen. Denn Frau Dr. Gabriele Wülker gehört seit einigen Jahren zu jenem verläßlichen Teilnehmerkontingent der Akademie-Tagungen, Begegnungen, Konferenzen und Debattier-Zirkel aller Art, deren Mitglieder sich einander mit mehr oder weniger einträglichen, wissenschaftlich aber nicht immer sehr ergiebigen Forschungsaufträgen versehen.
Frau Dr. Wülker, die ihre Einsichten in der These zusammenfaßt, es sei kaum zu
ermessen, welche entscheidende Bedeutung Kindheit und Jugend für das ganze Leben des einzelnen, aber auch für die Gesellschaft und für ein Volk haben, entfernte sich allerdings im Laufe der Jahre recht weit von den wirtschaftswissenschaftlichen und kunstgeschichtlichen Studien, die sie 1938 mit der Promotion beendete. Das Thema ihrer Dissertation waren die »Wirtschaftswandlungen am Rand der Großstadt Hannover im 19. und 20. Jahrhundert«.
Während der Nachkriegsjahre kam ihr die Kenntnis der englischen Sprache gut zustatten bei dem erfolgreichen Bemühen, zu amtlichen oder halbamtlichen Stellen Kontakt zu halten. Bei einigen der Nürnberger Prozesse arbeitete sie als Assistentin für die deutsche Verteidigung. Dann wirkte sie bei der amerikanischen Oberkommission in der Abteilung für Bevölkerungs- und Flüchtlingsfragen. Dort fertigte sie ein jetzt stark gerühmtes Gutachten über die Eingliederung der ausländischen Flüchtlinge in Westdeutschland an. Den Nutzen einer gesicherten wirtschaftlichen Existenz aber zog sie schließlich aus der großzügig finanzierten Leidenschaft der Amerikaner für die Soziologie.
In dem mit amerikanischen Geldern abgestützten und anfangs von dem ehemaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Theodor Steltzer geleiteten Frankfurter »Institut für öffentliche Angelegenheiten« erschien sie als Referentin für Sozialfragen. Von da wechselte sie in den »Deutschen Landesausschuß der Internationalen Konferenz für Sozialarbeit« über, der ausschließlich aus Bundesmitteln gespeist wird. Dort betreute sie redaktionell die »Ausländischen Sozialprobleme«, eine Zeitschrift, die selbst den generösen Geldgebern so unnötig und unrentabel erschien, daß sie mit Beginn des Jahres 1957 ihre Zahlungen einstellten.
Frau Dr. Gabriele Wülker, deren Tätigkeit als Soziologin kaum im engsten Kreis der Spezialisten bekannt war, brauchte jedoch dank ihrer Mitgliedschaft in zahllosen Organisationen nach dem sanften Tod der Zeitschrift die Hände keineswegs in den Schoß zu legen.
Ohne Konzeption
Als eine ihrer letzten Arbeiten vor der Ernennung zur Staatssekretärin wird ein Vortrag gerühmt, den sie im Sommer dieses Jahres in Rom vor der Vereinigung der Internationalen Familienverbände hielt, und der die wirtschaftliche Sicherung der vaterlosen Familie zum Thema hatte. Der Text dieses Vortrages zirkulierte denn auch auf Veranlassung von Emmi Welter bei den CDU-Damen, die sich mit den Qualitäten der Staatssekretärs-Kandidatin vertraut machen sollten, und wurde entsprechend beifällig aufgenommen.
Die in Verwaltungs- oder gar Ministerialangelegenheiten unerfahrene Gabriele Wülker ist bescheiden genug zuzugeben daß sie ihr Amt »ohne vorgefaßte Konzeption« antritt. Dennoch sieht sie sich gleich bei ihrem Dienstantritt natürlichen Gegnern gegenüber: dem Stuttgarter Oberkirchenrat Dr. Manfred Müller, der in der Jugendkammer der Evangelischen Kirche in Deutschland den Vorsitz führt, und dem Pastor Dannenmann, Reichssekretär des Reichsverbandes der Evangelischen Jungmännerbünde Deutschlands.
Dannenmann, der zur Zeit auch Spitzenfunktionär im Bundesjugendring ist, hatte vor der Bundestagswahl selbst auf den Posten des Staatssekretärs im Familienministerium reflektiert und sich zum fröhlichen Erstaunen der christkatholischen Kreise in Bonn erfolgreich bemüht, die Abteilung für Jugendfragen aus der Zuständigkeit des evangelischen Bundesinnenministers Schröder in die des katholischen Familienministers Wuermeling überzuführen. Als Dannenmann mit seinen personalpolitischen Wünschen in eigener Sache scheiterte, versuchte der Direktor der Evangelischen Akademie Bad Boll, Eberhard Müller, seinen Bruder Manfred ins Geschäft zu bringen. Doch auch er hatte kein Glück.
Nun ist Frau Dr. Gabriele Wülker die Platzhalterin des Konfessionsprestiges evangelischen Typs geworden. Doch sie ist zweifach gut abgeschirmt. Außer dem Minister ist auch der Ministerialdirigent und Leiter der Abteilung für Jugendfragen, Rudolf von Schönfeld, katholischer Konfession. Diese Abteilung stellt mit den 70 Millionen Mark des Bundesjugendplanes den weitaus größten Teil des Ministeretats; die evangelische Staatssekretärin aber hat nichts zu vergeben.
Staatssekretärin Wülker
Wem gibt Gott ein Amt?