»Die Deutschen sind keine Konsummuffel«
SPIEGEL: Herr Dr. Deuss, Karstadt hat vor zwei Jahren die Macht bei dem Frankfurter Versandhaus Neckermann übernommen. Hat sich dieses Geschäft für Sie gelohnt?
DEUSS: Zunächst -- wir besitzen seit Ende 1977 gut 51 Prozent des Neckermann-Kapitals, wir haben Neckermann nicht ganz ...
SPIEGEL: Aber Sie haben das Sagen.
DEUSS: Ja, das haben wir, das ist wohl richtig. Die Frage, inwieweit sich die Beteiligung für uns gelohnt hat, läßt sich mit letzter Sicherheit erst in zwei oder drei Jahren beantworten; wir versprechen uns aber für Karstadt einen Erfolg dieses Engagements, sonst wären wir es nicht eingegangen.
SPIEGEL: Das wären fünf Jahre nach der Machtübernahme.
DEUSS: ... kaum länger als heute ein neuerrichtetes Warenhaus bis zum ersten Gewinn braucht.
SPIEGEL: Karstadt ist dafür bekannt, peinlich auf Rendite zu achten und sofort zu reagieren, wenn die Zahlen nicht stimmen. Wieso kalkulieren Sie in diesem Fall so lange Zeiträume ein?
DEUSS: Der Zeitraum mag Ihnen lang vorkommen. Aber bedenken Sie bitte, daß die Lösung der Aufgaben in Frankfurt umfangreich ist ...
SPIEGEL: ... wenn die Aufgaben so schwierig sind, warum haben Sie die Firma dann übernommen?
DEUSS: Im Grunde genommen sind es drei Dinge, die für uns ausschlaggebend waren. Es ist erstens die Diversifizierung zu einer etwas anderen Vertriebsform, nämlich zum Versand. Zweitens hat uns natürlich interessiert die Reisefirma N-u-R, denn sie operiert in einem ganz klaren Wachstumsmarkt. Und wir haben auch das Neckermannsche Fertighaus-Geschäft gesehen, das ebenfalls in einem Bereich operiert, der Zukunftsaussichten hat.
SPIEGEL: Sie haben also Diversifizierung und Wachstum gekauft, ohne beides aus eigener Kraft zu entwickeln. Gehört es eigentlich zu den Denkkategorien eines Konzerns, sich erst anzusehen, wie sich Neues am Markt entwickelt, und sich dann darauf zu verlassen, das von anderen Entwickelte später durch bloße Kapitalkraft zu vereinnahmen?
DEUSS: Wir haben nicht so gedacht, obwohl man so denken kann im Sinne einer Art Expansion mit gebremsten Entwicklungskosten, doch führt dies häufig zu einer Milchmädchenrechnung. Meistens sind nämlich Unternehmen auf dem Markt. die sich in einer kritischen Entwicklung befinden; gute Unternehmen haben einen hohen Preis, mit dem man die Entwicklungskosten mitbezahlt.
SPIEGEL: Aber mit dieser Milchmädchenrechnung sind Karstadt/Neckermann zu einem Gebilde von elf Milliarden Mark Umsatz geworden -- weit vor allen anderen in der Branche. Haben Sie Neckermann so schnell übernommen, weil das Kartellamt nach Ihnen keinem anderen mehr eine solche Mammut-Fusion erlauben würde -- Sie also einen Vorsprung für lange Zeit gewinnen?
DEUSS: Dies ist eine Überlegung, die wir erst in zweiter Linie angestellt haben.
SPIEGEL: Mit anderen Worten: Sie fahren durch Zukauf aus der gegenwärtigen Warenhauskrise heraus?
DEUSS: Zunächst ist das mal »ne Behauptung, daß die Warenhäuser in einer Krise steckten. Wir müßten den Begriff Krise jetzt interpretieren.
SPIEGEL: Gehen wir aus von der Umsatzkrise.
DEUSS: Was heißt denn Umsatzkrise? Hier müssen wir zunächst feststellen, daß wir Warenhäuser in den Nachkriegsjahren, auch noch bis Anfang der siebziger Jahre, eine ausgezeichnete Umsatzentwicklung hatten, die erheblich über die Entwicklung der anderen Vertriebsformen des Einzelhandels hinausging; wir kämpfen also gegen einen rechnerischen Basiseffekt. Aber eines ist klar: Die gesamte Szenerie im Einzelhandel hat sich strukturell verändert.
SPIEGEL: Zugunsten der Versender und der Verbrauchermärkte ...
DEUSS: Richtig ist, daß sich die Verbrauchermärkte im Bereich des kurzfristigen, das heißt täglichen Bedarfs tummeln. Und das ist ja genau eine Bedarfsgruppe, die die Warenhäuser auch anbieten, und zwar in erheblichem Umfang. Hier kommen wir also in Konkurrenzsituationen mit den Verbrauchermärkten, die Vorteil daraus ziehen, daß sie am Stadtrand liegen und über viele Parkplätze verfügen. Es hat sich offensichtlich eingebürgert, daß ein Teil der motorisierten Konsumenten den kurzfristigen Bedarf dort in Wocheneinkäufen erledigt. Insofern wird ein Segment des Kuchens neu aufgeteilt.
SPIEGEL: Warum hat denn das Warenhausmanagement das neue Vertriebssystem Verbrauchermärkte nicht selbst entwickelt?
DEUSS: Dies ist eine Frage, die man retrospektiv relativ leicht beantworten kann. Wenn man aus der Kirche kommt und eine Predigt gehört hat, ist man viel weiser als vorher. Deswegen geht man ja auch in die Kirche.
SPIEGEL: Haben Sie"s vor dem Kirchgang verschlafen, oder.
DEUSS: Nein, wir haben es in keiner Weise verschlafen. Die ersten Verbrauchermärkte sind, soweit ich mich erinnere, etwa 1965 erschienen. Wir standen damals in folgender Entscheidungssituation: Auf der einen Seite hatten wir, gerade in den Jahren nach 1965, noch erhebliche Umsatzzuwachsraten, die deutlich über zehn Prozent lagen. Wir hatten demnach eigentlich gar keinen Grund zu der Annahme, daß wir durch diese Verbrauchermärkte einmal in eine kritischere Situation kommen würden. Andererseits gebe ich zu: Wir haben damals nicht mit voller Schärfe gesehen, daß sich eine Art Marktaufspaltung ergeben würde, also die teilweise Verlagerung des Einkaufs für den täglichen Bedarf -- ich simplifiziere jetzt einmal -- an den Stadtrand und das Verbleiben des höherwertigen, des Niveau-Marktes in der Innenstadt.
SPIEGEL: Und was war der zweite Gesichtspunkt?
DEUSS: Zweitens dürfen Sie nicht vergessen, daß in dieser Zeit die Mittelstandsbewegung sehr stark war. Denken Sie an das sogenannte Stillhalteabkommen, das der damalige Wirtschaftsminister Kurt Schmücker mit den Warenhauskonzernen abgeschlossen hatte. Wir fühlten uns verpflichtet, alles zu unterlassen, was die mittelständischen Betriebe in besondere Schwierigkeiten bringen würde.
SPIEGEL: Zurück zu Punkt eins: Die Verbrauchermärkte bieten, wie Sie sagen, die Waren des täglichen Bedarfs an, und sie tun das billig. Wieso können nicht auch Sie billiger sein?
DEUSS: Wir verstehen uns als eine preiswerte Einkaufsstätte. Im übrigen ist das eine Standortfrage. Ein Warenhaus muß sich in gewachsene Innenstädte einpassen, der Verbrauchermarkt draußen braucht auf keine Umgebung Rücksicht zu nehmen. Dies führt dazu, daß er mit wesentlich geringeren Investitionskosten auskommt. Und dann gibt es natürlich den einen oder anderen Verbrauchermarkt, der es verstanden hat, seine Lieferanten zu Leistungen zu bewegen, die über die einfache Lieferung der Ware hinausgehen.
SPIEGEL: Zum Beispiel?
DEUSS: Beispielsweise die berühmten Fälle wie Eintrittspreise für Lieferanten bei Neueröffnungen, willkürliche Verlängerung der Zahlungsziele, die Regalmiete oder die Verpflichtung der Fabrikanten, das Regal auch immer nachzusortieren.
SPIEGEL: Fühlen Sie sich zu fein dazu, oder ist das Warenhausmanagement zu schlecht dazu, ähnliche Methoden, etwa Verlängerung der Zahlungsziele, von den Fabrikanten anzufordern?
DEUSS: Wir müssen beiden Seiten, dem Konsumenten und dem Fabrikanten, gerecht werden. Wir würden diese volkswirtschaftliche Rolle, die wir übernommen haben, falsch verstehen, wenn wir dem Fabrikanten zuviel zumuten würden.
SPIEGEL: Trotzdem haben die Verbrauchermärkte preisdämpfende Funktionen gehabt. Ohne diese Konkurrenz wären die Kaufhäuser heute vielleicht teurer.
DEUSS: Wir haben einen tragenden Grundsatz unserer Firmenpolitik, der darauf hinausläuft, daß wir es uns nicht erlauben, teurer zu sein bei vergleichbaren Artikeln als unsere maßgebliche Konkurrenz. Wir machen von diesem unserem geschäftspolitischen Grundsatz auch Gebrauch, wenn wir irgendwo einen Verbrauchermarkt als unsere maßgebliche Konkurrenz betrachten müssen.
SPIEGEL: Ist ein Konzern Ihrer Größe da nicht viel zu schwerfällig?
DEUSS: Wenn ein Einzelhändler schwerfällig ist, begeht er eine der Hauptsünden, die er begehen kann, und solche Fehler pflegen wir zu vermeiden. Wenn die Einzelhändler nicht flexibel sind, werden sie das irgendwann in ihren Zahlen verspüren.
SPIEGEL: Das haben die Kaufhauskonzerne ja auch. Ihr Wachstum hat stark nachgelassen, offenbar unter dem Einfluß der neuen Vertriebsformen. Dennoch haben Sie jetzt keinen Supermarkt übernommen, sondern einen Versandkonzern. Warum?
DEUSS: Aber ich sagte ja schon: Das Versandgeschäft und natürlich auch das Reise- und Fertighausgeschäft betrachten wir als langfristig attraktiv.
SPIEGEL: Nun haben Sie starke Konkurrenten im Versand. Wo würden Sie denn ungefähr die Umsatzgröße sehen, von der an ein Versandhandel in dem Rahmen, wie Sie ihn betreiben wollen, rentabel ist?
DEUSS: Wir sind ganz sicher, daß die Umsatzgröße von gut 1,4 Milliarden. die Neckermann heute im Versand aufweist, dazu ausreicht. Es gibt eine ganze Reihe Versender, die weniger umsetzen und rentabel arbeiten. Es ist eine Frage auch der Sortimente, die angeboten und vertrieben werden.
SPIEGEL: Werden Sie bei Neckermann das Sortiment, wie es im Branchendeutsch heißt, »bereinigen«?
DEUSS: Inzwischen pfeifen es die Spatzen ja vom Dach. daß die Konsumenten hinsichtlich der Qualität anspruchsvoller geworden sind. Dieser Entwicklung muß man auch im Versandbereich folgen.
SPIEGEL: Meinen Sie, man könnte kurz- oder mittelfristig das Billiger-Jakob-Image Neckermanns durch Floskeln, wie »Die Mode kommt von Neckermann«, umfunktionieren. Wie lange braucht überhaupt der Konsument, bis er ein solch neues Image aufnimmt?
DEUSS: Das ist eine der schwierigsten Fragen. Imagemodellierungen jeglicher Art sind in der Regel sehr langfristige Abläufe. Man kann nicht von heute auf morgen ein Image ändern; hier muß man behutsam und mit Geduld ans Werk gehen.
SPIEGEL: Sie sagten eben, daß die Spatzen das mittlerweile alles vom Dach pfeifen, also den neueren Konsumententrend hin zur besseren Qualität, zu besserem Service, zu besserer Bedienung. Andererseits stehen die billig anbietenden Supermärkte auf der grünen Wiese, und die Großversender machen große Umsatzsprünge. Schließlich wird auch von einer Renaissance des Fachhandels gesprochen, und außerdem wohnt in den Innenstädten, wo Ihre Kaufhäuser stehen, niemand mehr. Ist das Tante-Emma-Kaufhaus in der City damit tot?
DEUSS: Wir sind kein Tante-Emma-Kauf haus! Im übrigen gehen Sie etwas an der Funktion der Innenstadt vorbei, die ja nicht nur Einkaufsbereich ist, sondern eigentlich der ideale Standort für solche Dienstleistungen, die von der Region in Anspruch genommen werden sollen. So plaziert in der Mitte, daß jeder, der diese Dienstleistung sucht, einen möglichst geringen Weg dorthin hat. Außerdem werden Sie in der Innenstadt immer einen erheblichen Besatz an Arbeitskräften finden. Wir haben gerade eine sehr lange Untersuchung angestellt, wie wir die Lebensmittelabteilung in unserem großen Haus in der Hamburger Mönekebergstraße gestalten sollen. Dabei konnten wir feststellen, daß ein ganz erheblicher Prozentsatz unserer Kundschaft in dieser Lebensmittelabteilung aus den umliegenden Büros kommt.
SPIEGEL: Aber nicht alle Leute arbeiten in City-Büros. Der eigentliche Träger von Dynamik können die City-Kaufhäuser nicht mehr sein. Wo sehen Sie noch dynamische Märkte?
DEUSS: Ich glaube, daß die Innenstadt sich profiliert hat als der Einkaufsbereich, in dem man niveauvolle Ware einkauft, die Ware, die mehr Lebensqualität verspricht. Bei seinem Kauf will der Kunde auch Vergleiche ziehen können. Hier wandert er von Geschäft zu Geschäft. Insofern ist der Innenstadt-Standort sehr wohl ein dynamischer Standort; natürlich nicht in bezug auf das Verkaufen völlig problemloser Artikel.
SPIEGEL: Daraus erklären Sie sich vermutlich auch die Renaissance der Fachgeschäfte, die im Grunde viel mehr und in einem Direktdialog mit dem Kunden stehen als das Management eines Warenhauses.
DEUSS: Das muß man etwas differenzierter sehen. Ich glaube, daß das Fachgeschäft einem grundsätzlichen Trend entgegenkommt. Heute will man sich individualisieren. Es gibt kaum noch allgemeingültige Leitmotive oder Stilrichtungen, an denen man sich, wie früher, orientieren kann. In der politischen Landschaft ist ebenso zu spüren, daß große, über alle Zweifel erhabene Ideale fehlen. In einer richtungslosen Menge zu verweilen, ist unbefriedigend, und daher besteht heute ein ausgeprägteres Bedürfnis nach individuellem Profil. Auch der Verbraucher will seine eigene Individualität zeigen ...
SPIEGEL: ... kann er sich diesen Anspruch wirklich im City-Kaufhaus erfüllen, wo uninteressierte Verkäuferinnen herumstehen und sich große Menschenmengen durchwälzen?
DEUSS: Sie überzeichnen! Wenn Sie in ein Geschäft gehen und kaufen Bleistifte, wissen Sie, welche Härte Sie haben wollen. Auch für einen Schreibblock oder einen Notizblock brauchen Sie keine Beratung. Solche Artikel können Sie völlig anonym einkaufen. Aber wir haben die anderen Bereiche, etwa die modischen Abteilungen oder den Bereich Elektro-Großgeräte und Radio/Fernsehen. Hier bemühen wir uns sehr, den Kunden mit der erforderlichen Beratung auszustatten, und selbstverständlich gelingt uns das auch. Vor allem in den beratungsintensiven Sortimentssparten wollen wir ja gerade nicht anonym sein.
SPIEGEL: Wenn wir das mal unterbrechen dürfen: Bei welchen Warengruppen gibt es bereits Sättigungsgrenzen. Wir könnten uns vorstellen, daß zum Beispiel im gesamten Bereich der Fernseher, der Kühlschränke oder Radiogeräte nur noch Ersatzbedarf befriedigt wird.
DEUSS: Ja und nein. Der Verbraucher deckt natürlich in großem Umfang Ersatzbedarf, wobei aber Geräte mit größerer Kapazität oder Leistung die kleineren ersetzen.
SPIEGEL: Im Grunde aber doch nur eine andere Form der Sättigung ...
DEUSS: ... bei den einfachen Haushaltsmaschinen gibt es das, obwohl die Mechanisierung des Haushaltes weiter fortschreiten wird, schon deswegen, weil diese Geräte in der Lage sind, Freizeit zu schaffen. Denken Sie an den Geschirrspülautomaten. Den gibt"s noch nicht in so furchtbar vielen Haushalten. Hier sagt sich die Hausfrau beispielsweise, dieses verdammte Abspülen, was für eine lästige und unschöne Aufgabe, die übertrage ich dem Automaten und habe im Gegenzug Freizeit gewonnen.
SPIEGEL: Bei Geschirrspülautomaten sagen die Verbrauchsforscher aber, daß kleine Haushalte sich dafür kaum interessieren.
DEUSS: Alles, was an maschineller Ausstattung des Haushaltes dazu beiträgt, daß mehr Freizeit zur Verfügung steht, wird vermehrt gekauft werden. Umgekehrt ist ein Staubsauger heute kaum mehr weiterzuentwickeln, und jeder Haushalt besitzt einen. Hier wird nur noch Ersatzbedarf gedeckt, wobei die schrumpfende Größe, aber steigende Zahl der Haushalte den Absatz fördert -- denken Sie an die zahlreicher werdenden Zweitwohnungen.
SPIEGEL: Sie haben gesagt, Freizeit -- das sei ein Wachstumsmarkt. Gleichzeitig ist das für ein konventionelles Warenhaus wohl auch ein schwer faßbarer Markt. Man wird ganz neue Kombinationen anbieten müssen. Welche Überlegungen gibt es bei Ihnen da im Hause?
DEUSS: Wir bearbeiten den Freizeitmarkt ja beispielsweise sehr intensiv über das Reisegeschäft. Das, was die N-U-R produziert und wir veräußern, ist im Grunde Freizeitgestaltung par excellence. Und jeder Zielort, den wir neu erschließen, jedes Hotel, das wir neu in das Programm nehmen, jede Reise, die neu gestaltet wird, ist eine Art Innovation auf diesem Markt.
SPIEGEL: Das hatten wir aber vorher auch schon, das haben Sie nur übernommen. Was machen Sie nun selber?
DEUSS: Wir fangen an, teilweise unsere Sportabteilungen auszugliedern. Hierzu gibt uns die Umstrukturierung unseres Konzerns im Rahmen der Übernahme der Kepa-Filialen in eigene Regie willkommene Gelegenheit. Einige dieser Filialen sind schon umgestaltet worden zu Sporthäusern. Diesen Weg werden wir weitergehen. Man kann im übrigen darüber nachdenken. neben Sportartikeln auch sportbezogene Dienstleistungen anzubieten. Es gibt Beispiele, die nachweisen, daß eine solche Kombination Erfolg hat und der Nachfrage entspricht.
SPIEGEL: Der Möbelbereich im weiten Sinne gehört auch zur Lebensqualität Freizeit. Haben Sie auch da vor, sich mehr zu spezialisieren?
DEUSS: Das haben wir bereits getan. Die beiden ersten großen Möbelhäuser, die wir gebaut haben, nämlich die Einrichtungshäuser in München, An der Theresienhöhe, und in Mülheim-Heißen, funktionieren sehr gut. Auch das übernommene Neckermann-Haus in Hamburg, Hamburger Straße, haben wir umfunktioniert in ein Möbelhaus, mit gutem Erfolg. Wir werden ähnliches in Hannover und Dortmund vollziehen, wo wir ja heute schon allerdings kleinere Möbelhäuser betreiben.
SPIEGEL: Herr Dr. Deuss, wir glauben eine Änderung des Verbraucherverhaltens oder sagen wir der Verbrauchermentalität zu beobachten. Früher ist es so gewesen, daß die Leute aus Prestigedenken unbesehen kauften, was neu am Markt war. Heute warten sie, bis ihre Geräte kaputt sind.
DEUSS: Sicher, das Prestigedenken war früher stärker ausgeprägt, zum Beispiel bei den Automobilen, wobei es sich dort manchmal recht primitiv darstellte. Mit zusätzlichen Chromleisten konnte man bereits Modellpolitik betreiben. Das traf ähnlich auf viele andere technische Geräte zu. Inzwischen ist daraus ein sublimiertes Prestige geworden. Die Leute kaufen heute ein technisch intelligentes Automobil und beweisen damit, daß sie eben unabhängig sind von Äußerlichkeiten. Sie verdeutlichen gern, daß sie clever und kühl genug sind, sich einen technisch perfekten Apparat anzuschaffen. Solche Verhaltensweisen können Sie auch im Haushaltsbereich beobachten.
SPIEGEL: Die Kundschaft ist demnach rationaler geworden.
DEUSS: Ist rationaler geworden. Sie läßt sich nicht düpieren durch irgendwelche Stylingdinge, sondern sie legt Wert auf Funktionales: Schauen Sie sich mal heute Styling in dem Bereich der Radiogeräte an, wie zurückhaltend und betont technisch die Tuner für Stereoanlagen beispielsweise aussehen im Gegensatz zu früher, als man diese Chippendale-Truhen mit geflochtenen Bespannungen anbot und kaufte. Hier zeigt sich also die Wandlung ...
SPIEGEL: ... und das gestiegene Selbstbewußtsein des Konsumenten.
DEUSS: Selbstverständlich. Die Konsumenten sind doch heute mit allem Lebensnotwendigen bestens versorgt. Was nun an finanzieller Bewegungsfreiheit vorhanden ist, wird nicht so sehr für das Lebensnotwendige ausgegeben, sondern eben für mehr. Und das gibt eine ganz andere Käufermentalität.
SPIEGEL: Wieviel Wachstum ist bei einer so gesättigten Gesellschaft denn noch drin?
DEUSS: Das hängt weitgehend von der Bevölkerungsentwicklung ab; und die ist im Augenblick rückläufig. Dieser Schwund wird in etwa aufgewogen durch zusätzliche Kaufkraft, die in den Einzelhaushalten anwächst.
SPIEGEL: In Prozent?
DEUSS: Unter nominalen Gesichtspunkten, also inklusive der Preissteigerungen, können die Einzelhandelszuwachsraten etwa um die sechs Prozent schwanken. Dies mag mal weniger, mag mal mehr sein. Wenn man eine vorsichtige Preissteigerungsrate von etwa drei Prozent abzieht, dürften realiter so um die drei Prozent Wachstum möglich sein; nicht eben furchtbar viel.
SPIEGEL: Die Bundesregierung muß 4,5 bis 5,0 Prozent Zuwachs beim Bruttosozialprodukt erreichen, um die Arbeitslosen wegzubekommen. Das liegt weit über Ihren Prognosen. Was würden Sie tun, Herr Dr. Deuss, wenn Sie Bundeskanzler wären?
DEUSS: Gott sei Dank bin ich"s nicht.
SPIEGEL: Würden Sie, wie zu Erhards Zeiten und wie jetzt auf dem Bonner Wirtschaftsgipfel angekündigt, die Konjunktur über den Konsum ankurbeln?
DEUSS: Ich weiß nicht, ob das heute noch der richtige Ansatzpunkt wäre. Ich glaube, daß es vielmehr angebracht ist, sich mit dem, was erreicht worden ist, in etwa zu bescheiden. Ich würde also konjunkturpolitisch gar nicht so sehr darauf drängen, den Konsum anzukurbeln, sondern eher versuchen, die Preissteigerungsrate gering zu halten, den Export zu fördern und die Investitionstätigkeit der Unternehmer zu verbessern -- wobei man sofort bei steuerlichen Überlegungen landet.
SPIEGEL: Was versprechen Sie sich davon?
DEUSS: Man kommt auf diese Weise zu einer stabileren und nachhaltigeren Entwicklung des Volkseinkommens. Rund 7 Prozent nominaler Zuwachs im Konsum, wie im vergangenen Jahr, bei einer geringen Preissteigerungsrate ist konjunkturell doch recht befriedigend. Im übrigen wäre es falsch zu glauben, daß wir in der Bundesrepublik lauter Konsummuffel hätten. Es wird doch konsumiert, nur eben etwas anders als früher.
SPIEGEL: Herr Dr. Deuss, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.