»DIE DEUTSCHEN VERRATEN EUROPA«
Ende November 1958 wendet sich de Gaulle schüchtern an den Präsidenten der Republik, René Coty: »Was meinen Sie? Es geht um folgendes Problem ... Ich frage mich ... Soll ich Ihrer Meinung nach für das Amt des Präsidenten kandidieren?«
Coty, der alte, sehr höfliche Herr, zögert nicht eine Sekunde mit seiner Antwort: »Mon Général, der Erfolg Ihrer Freunde bei den allgemeinen Wahlen ist Ihr eigener Erfolg. Die Öffentlichkeit erwartet, daß Sie in den Elysee-Palast einziehen.«
Und nach einer Weile: »Wenn man mich davon überzeugen würde, daß es im nationalen Interesse ist, zu bleiben, würde ich nicht gehen. Das ist nicht der Fall. Also gehe ich.« De Gaulle läßt sich überzeugen:« Ich danke Ihnen, Herr Präsident. Die Achtung und der Dank der Nation sind Ihnen gewiß.«
An einem klaren Tag im Januar 1959 begeben sich die beiden Präsidenten gemeinsam in einem Wagen, eskortiert von der berittenen Garde, zum Triumphbogen. Entlang den mit Flaggen geschmückten Champs-Elys&s salutieren die Truppen. Die Prachtstraße ist mit Fähnchen übersät.
Am Triumphbogen, unter dem eine überdimensionale Trikolore weht, fachen General de Gaulle und René Coty die Ewige Flamme an. Die Marseillaise beschließt die Zeremonie. Die beiden Männer verabschieden sich. »Auf Wiedersehen, Herr Coty«, sagt General de Gaulle.
Das Gedränge nimmt zu. René Coty geht zu seinem Wagen, um direkt in seine Heimatstadt Le Havre zu fahren. In der Avenue Foch rufen viele Franzosen: »Es lebe Coty! Wir danken Ihnen, René Coty!« Die eskortierenden Polizisten fürchten, daß der Wagen umgestürzt wird.
Diese begeisterten Demonstrationen heilen eine Wunde, die in der Stille blutet. Den scheidenden Präsidenten hat die protokollarische Trockenheit der Abschiedszene am Triumphbogen geschmerzt. Es war vorgesehen und vereinbart worden, daß de Gaulle, der (laut de Gaulle) »berühmteste Franzose«, seinen Vorgänger zum Wagen geleiten sollte. War es Vergeßlichkeit? Die Aufregung des Tages? Jedenfalls ging Coty, ohne daß diese Vereinbarung eingehalten wurde.
De Gaulle mißtraute damals (1958) dem Friedenswillen der Sowjets: »So lange im Osten eine Gefahr besteht, müssen wir wachsam bleiben. Diese Gefahr ist aber noch nicht verschwunden.«
Es war kurz nachdem Chruschtschow behauptet hatte, die UdSSR bereite sich darauf vor, »das Krebsgeschwür« Berlin wegzuoperieren. De Gaulle: »Das Gefährlichste« was wir jetzt tun könnten, wäre« in der Berlin-Frage dem Osten gegenüber Konzessionen zu machen. Wenn Moskau wegen Berlin einen »casus belli' herbeiführen will, ist es zwecklos, eine Schlüsselposition aufzugeben. Der Konflikt würde anderswo ausbrechen.«
»Wenn wir aber annehmen, daß die Sowjets einen Erpressungsversuch unternehmen, würden wir einen großen Fehler begehen, wenn wir uns fügen. Sie werden sehen, der Krieg findet nicht statt. Man muß Chruschtschow sagen: »Wenn es Krieg gibt, werden wir alle sterben. Chruschtschow will nicht sterben.«
Dann erklärt der General: »Heute verteidigen wir uns über Entfernungen von 4000 bis 6000 Kilometer. Morgen werden sich die Streitkräfte bei einer Entfernung von 12 000 Kilometer gegenüberstehen. Dann werden die Amerikaner den Kontinent räumen.
»Die Amerikaner sind in Europa« um ihr eigenes Land zu verteidigen. Morgen werden sie Europa nicht mehr brauchen und nach Hause zurückkehren. Europa muß seine Verteidigung selbst in die Hand nehmen.«
In Kabinettssitzungen dürfen die Minister niemals ihre Kompetenzen überschreiten. Dagegen akzeptiert de Gaulle es, wenn man ihm im persönlichen Gespräch eine andere Meinung vorträgt. Dennoch wiederholt er gern: »Wer meine Politik angreift, greift meine Person an
Die zerknirschten Minister sagen hinter vorgehaltener Hand, das Kabinett sei eine Registrier-Versammlung. Obwohl es keineswegs verboten ist, sich zu äußern, wird doch Schweigen zur Gewohnheit.
Bernard Cornut-Gentille« der bald aus dem Kabinett austrat, stellte lakonisch fest: »Die Sitzungen des Ministerrats sind Totenwachen. Mit einem Unterschied: Der Tote spricht.«
Finanzminister Antoine Pinay hatte im Ministerrat etwas vorzubringen: »Herr Präsident, wie vereinbaren Sie die Notwendigkeit einer gemeinsamen
* Bei der Verabschiedung Cotys vor dem Pariser Triumphbogen am 8. Januar 1959.
Verteidigungskonzeption der Europäer mit der Rede, die Sie vor der Militärakademie gehalten haben. Die nationale Verteidigung müsse französisch sein, haben Sie gesagt. Wenn ich richtig verstehe, haben Sie sogar die Nato verurteilt.«
De Gaulle: »Der Herr Finanzminister interessiert sich für die Probleme der Außenpolitik?«
Pinay: »Ja, ich interessiere mich für die Probleme der Außenpolitik. Am 3. November erklärten Sie in der Militärakademie: »Die Verteidigung Frankreichs muß französisch sein ... Wenn ein Land wie Frankreich Krieg führen muß, dann muß es sein eigener Krieg sein. Das Land muß ausgestattet werden mit einer Streitmacht, die in der Lage ist, auf unsere Verantwortung zu handeln, und die dementsprechend Force de frappe genannt wird.« Pinay bringt Leben in die Debatte. Nachdem er die wichtigsten Auszüge aus der Rede des Präsidenten vorgelesen bat, stellt er die Frage der Fragen: »Unsere Alliierten sind über Ihre Rede bestürzt. Glauben Sie, daß wir in finanzieller, technischer und militärischer Hinsicht über genügend Mittel verfügen, um uns zu verteidigen? Ich meinerseits antworte sofort mit nein, was die Wirtschaft und die Finanzen betrifft. Wir haben nicht die Mittel, um uns allein zu verteidigen.
»Im Zeitalter der Interkontinentalen Raketen ist es unsinnig, isoliert handeln zu wollen. Wir haben gar keine echte Möglichkeit, eine Force de frappe zu schaffen und wir müssen um jeden Preis den Abzug der Amerikaner verhindern.«
Der Staatschef behauptet seinen Standpunkt und bestätigt, daß er jedes System der Integration von Generalstäben oder Einheiten ablehne: »Es versteht sich von selbst, daß unsere Verteidigung mit der anderer Länder kombiniert werden muß. Es ist sehr wahrscheinlich, daß wir auf den Schlachtfeldern an der Seite unserer Alliierten stehen werden. Aber jeder muß seine eigene Rolle spielen.«
Nach diesem Schlagabtausch geht der Ministerrat zu den weiteren Punkten der Tagesordnung über. Plötzlich unterbricht de Gaulle die Sitzung: »Ich möchte auf das zurückkommen, was der Finanzminister eben gesagt hat. Der Herr Finanzminister saß in dieser Regierung, als ich am 7. März dieses Jahres im ständigen Rat der Atlantik-Organisation die Absicht Frankreichs bekanntgab, seine Seestreitkräfte im Mittelmeer, die im Kriegsfall dem Nato-Befehlshaber gehorchen, unter nationale Befehlsgewalt zu stellen.
»Der Herr Finanzminister war Minister in meiner eigenen Regierung, als ich im September 1958 an Präsident Eisenhower und Premierminister Macmillan in einer persönlichen Botschaft den Text eines Memorandums über die Verteidigungsorganisation der freien Welt schickte. Der Herr Minister hat keinen Einspruch erhoben.«
Mit der ihm eigenen ausgesuchten Höflichkeit protestiert Antoine Pinay: »Entschuldigen Sie bitte, Herr Präsident, ich habe erst in der Zeitung gelesen, daß Sie einen Teil der französischen Mittelmeerflotte der Nato entziehen werden!
»Was das Memorandum an Präsident Eisenhower und Premierminister Macmillian angeht, so trifft es zu, daß Sie im Ministerrat diesen Text erwähnt haben. Vielleicht haben Sie sogar einige Worte darüber gesagt, aber Sie haben nicht den Inhalt enthüllt und Ihre Entscheidung hatten Sie auf jeden Fall bereits getroffen.
»Herr Präsident, suchen Sie keinen Vorwand. Sie haben mich die Gesetze der ministeriellen Solidarität gelehrt. Die Minister, die bei einer Frage in der Minderheit sind, haben sich zu fügen oder zurückzutreten. Deshalb müssen die Beschlüsse vorher beraten, diskutiert und dann gemeinsam gefaßt werden. Uns aber werden bereits die Entscheidungen vorgelegt.
»Ich bin nicht Mitwisser Ihrer Gedanken. Ich stelle Ihnen darum eine einfache, klare und präzise Frage. Vor der Militärakademie haben Sie erklärt: »Das System der Integration hat existiert. Was bedeutet das?«
De Gaulle erhebt sich: »Vielen Dank, Herr Pinay. Meine Herren, die Sitzung ist beendet.«
Wenig später empfängt der Präsident der Republik den Finanzminister zum Vortrag. »Ich werfe Ihnen nicht vor, daß Sie sagen, was Sie denken«, beginnt de Gaulle, »ich mache Ihnen zum Vorwurf, daß Sie es vor dem Ministerrat sagen.«
Pinay empört sich: »Es ist sogar meine Pflicht, es vor dem Ministerrat zu sagen, Herr Präsident. Beschlüsse werden gemeinsam erarbei-
* Mirage-Iv-Bomber über dem Obelisk auf der Pariser »Place de Ia Concorde«.
tet und gemeinsam gefaßt. Das nenne ich ministerielle Solidarität.
»Ich bin damit einverstanden, voll und ganz die Verantwortung mit Ihnen zu teilen, selbst wenn ich dafür eines Tages vor dem Hohen Gericht erscheinen müßte. Jedoch unter einer Bedingung: daß die Beschlüsse diskutiert, beraten und gemeinsam gefaßt werden. Ich werde mich niemals damit einverstanden erklären, nur ein Vollzugsagent zu sein.«
De Gaulle beendet die Unterhaltung: »Ich allein mache die Politik, sie vollzieht sich einzig und allein unter meiner Verantwortung. Ich allein habe die Entscheidungsgewalt.«
Und nach einem kurzen Augenblick: »Sie glauben an das Parlament, an die politischen Parteien? Sie sind vergiftet von der Vierten Republik!« »Und darüber hinaus auch noch von der Dritten, Herr Präsident!« erwidert Antoine Pinay.
Die beiden Männer sind zur Trennung verurteilt. De Gaulle wünscht dennoch, den früheren Ministerpräsidenten als Staatsminister an seiner Seite zu behalten. Er schmeichelt ihm: »Sie sind nicht ein Politiker. Sie sind ein Staatsmann. Sie sind ein Freund von Bundeskanzler Adenauer. Sie kennen Chruschtschow, Fanfani, Macmillan und Spaak. Sie haben, weltweite Beziehungen. Sie könnten mir nützlich sein.« Pinay schlägt das Angebot aus.
De Gaulle: »Die Minister kommen und gehen ... Sie müssen wissen, ich haben große Achtung vor Ihnen. Ich werde nie vergessen, daß Sie mich im Mai 1958 als erster in Colombey-les Deux-Eglises aufsuchten.«
Pinay: »Ich hoffe, daß ich das nie bedauern muß, Herr Präsident.«
De Gaulle: »Ihre Unterstützung wird mir vielleicht noch nützlich sein. Auf jeden Fall werde ich immer Ihre Ratschläge brauchen.«
Pinay beendet die Unterhaltung mit den Worten: »Ich halte mich zur Verfügung.« Dann verhält er eine Sekunde und fügt hinzu: für das Vaterland.«
Im Laufe des Jahres 1962 unterrichtet de Gaulle, den Sozialistenführer Guy Mollet davon, daß Georges Pompidou bald Michel Debré als Premierminister ablösen wird.
An diesem Tag kam es zum Bruch zwischen General de Gaulle und dem Generalsekretär der Sozialisten. Niemals wieder sollte sich Guy Mollet in den Elysée-Palast begeben.
DE GAULLE: Ich habe Sie gebeten, zu mir zu kommen. Nicht etwa, weil ich Ihnen viel zu erzählen oder gar etwas vorzuschlagen habe. Vielmehr glaube ich, es sei gut, Ihnen nach dem Referendum* mitzuteilen, welche Konsequenzen ich daraus gezogen habe.
Die Angelegenheit Algerien ist jetzt geregelt. Natürlich wird sie noch einige Folgen haben, aber die Nation
* Volksabstimmung über die Verträge von Evian, in denen Frankreich Algerien die Unabhängigkeit garantiert.
hat geurteilt, sie hat sich entschieden. Es gibt kein Zurück mehr.
Also, wir sind jetzt an einem Wendepunkt. Wir müssen zur nächsten Etappe übergehen, und deshalb habe ich in Übereinstimmung mit Debré beschlossen, eine neue Regierung zu bilden. Verstehen Sie, Debré ist verbraucht. Er hat gut gearbeitet, aber er kann nicht mehr. Macht nutzt ab.
MOLLET: Seien Sie nicht zu undankbar und zu ungerecht! Sie werden niemals wieder jemanden finden, der Ihnen so treu ergeben sein wird wie Debré. Er hat seine eigene Überzeugung geopfert, um Ihrer Sache zu dienen**.
DE GAULLE: Ich habe beschlossen, Pompidou zu berufen. Verstehen Sie, Pompidou ist politisch nicht vorbelastet. Er hat niemals einer Partei angehört. Er hat immer zu mir gehalten. Natürlich, er war bei der Rothschild-Bank, aber ich glaube, daß er in der Lage sein wird, gute Beziehungen mit den Parlamentariern herzustellen, besonders wenn ihm fähige Leute helfen werden. Sie könnten einer von ihnen sein, aber ich werde Sie nicht darum bitten, nicht wahr, ich glaube, das lohnt sich nicht.
MOLLET: Was mich anbelangt, so haben Sie recht, mir diese Frage gar nicht erst zu stellen. Außerdem muß ich Ihnen sagen, daß Sie sich diese Frage auch niemals selbst gestellt haben, denn das Kabinett ist ja bereits gebildet.
Was Pompidou anbelangt, so wissen Sie, daß ich ihn sehr schätze. Viel wichtiger aber ist, daß Sie mit diesem Entschluß aufgehört haben« die Schiedsrichter-Rolle zu spielen, die Ihnen die Verfassung vorschreibt***. Sie rufen den Premierminister ab und verletzen damit die Verpflichtung, die Sie vor dem Verfassungsausschuß eingegangen sind.
DE GAULLE: Ich wiederhole, daß es eine Übereinkunft mit Debré ist.
MOLLET: Jedenfalls konstituieren Sie eine Regierung de Gaulle. Das ist jene persönliche Herrschaft, die Sie selbst verurteilt haben, als wir die Verfassung vorbereiteten.
DE GAULLE: Wissen Sie, ich würde überhaupt gar keine Schwierigkeiten sehen, wenn Sie, Mollet, nach den Wahlen in die Regierung eintreten würden, unter meiner Präsidentschaft.
MOLLET: Sie verstehen mich nicht. Sie haben niemals verstanden, was eine politische Partei ist, insbesondere nicht, was die sozialistische Partei ist. Für uns spielen drei, vier, fünf Jahre keine Rolle in der Weltgeschichte. Sie werden schon lange tot sein, und es wird immer noch eine Sozialistische Partei geben. Aber das steht nicht zur Debatte. Wichtig sind zwei Probleme: die Außenpolitik und das Funktionieren der Institutionen.
DE GAULLE: Was heißt denn, das Funktionieren der Institutionen? Haben wir nicht eine Republik? Und im Grunde genommen: die Republik, das bin ich (la République, cest moi)!
MOLLET: Nein, mon Général, die Republik, das sind nicht Sie. Die Republik existierte vor Ihnen und sie wird nach Ihnen existieren.
DE GAULLE: Natürlich, aber es wird nicht dieselbe sein.
MOLLET: Ich hoffe, doch.
DE GAULLE: Warum? Was werfen Sie ihr vor?
MOLLET: Ihnen werfe ich vor, daß Sie etwas errichten, was Sie nicht über-
** Michel Debré war einer der entschiedensten Befürworter einer »Algérie francaise, eines Algerien im Verband mit dem Mutterland. Erst als de Gaulle die Selbstbestimmung Algeriens durchsetzte, schwenkte Debré auf de Gaulles Linie ein.
*** Mollet spielt auf den Verfassungs-Artikel 5 Absatz 1 an: »Der Präsident der Republik wacht über die Einhaltung der Verfassung; mit seinem Schiedsspruch gewährleistet er das ordnungsgemäße Funktionieren der öffentlichen Gewalten sowie die Kontinuität des Staates.
leben kann. Als wir zusammen den Text der Verfassung entworfen haben -- die Sie jeden Tag verletzen -, waren Sie es, der gesagt hat: »Es handelt sich nicht darum, mir einen Maßanzug zu schneidern, sondern einen Anzug, den auch mein Nachfolger tragen kann.
DE GAULLE: Wollen Sie zurück zur Vierten Republik?
MOLLET: Es ist immer das gleiche. Als ob es nur die Wahl zwischen der Vierten und der Fünften Republik gäbe. Und übrigens sind Sie ungerecht gegenüber der Vierten Republik.
DE GAULLE: Sie persönlich habe ich nie in Zweifel gezogen.
MOLLET: Doch, Sie verspotten immer wieder die Parteien.
DE GAULLE: Ich? Auf Sie habe ich es nie abgesehen. Ich ziele nie auf jemanden.
MOLLET: Ich habe einst davon geträumt, daß Sie -- wenn die algerische Frage einmal gelöst worden ist -- zu Ihrer Rolle als Schiedsrichter zurückkehren würden.
DE GAULLE: Schiedsrichter! Ein Schiedsrichter ist auf einem Sportplatz aktiv.
MOLLET: Genau das. Er sorgt dafür, daß die Spielregeln auf beiden Seiten befolgt werden. Sie tun das nicht.
DE GAULLE: So muß es nun mal sein. Das ist das Schicksal der Welt. Wäre ich nie geboren, oder schon früher gestorben, wäre ein anderer, vielleicht Sie selbst, dazu verurteilt gewesen, das zu tun, was ich jetzt tue.
MOLLET: Einen Dienst allerdings erweisen Sie uns: Sie retten den Parlamentarismus, ohne es zu wollen. Die Leute haben dieses Regime, das Sie uns aufzwingen, satt. Und der Parlamentarismus wird langsam rehabilitiert.
DE GAULLE: Sie sehen, ich bin zu etwas nutze. Eines Tages wird man die Geschichte dieser Epoche schreiben. Niemand anderem als mir wird man die Gerechtigkeit widerfahren lassen, für die Selbstbestimmung (Algeriens) eingetreten zu sein.
MOLLET: Da Sie gerade von dem Urteil der Geschichte sprechen, erlauben Sie mir zu sagen, daß die Geschichte vermutlich zwei gute Kapitel über Sie schreiben wird: das von 1940 bis 1945 und das der Entkolonialisierung. Das dritte Kapitel hängt von dem ab, was nach Ihnen bleiben wird. Ich versichere Ihnen, ich bin tief beunruhigt.
Der General begleitet den Generalsekretär der Sozialisten zur Tür seines Arbeitszimmers und entläßt ihn mit seiner Ironie: »Das gefällt mir. Die Menschen müssen sich beunruhigen. Danke, mein lieber Guy Mollet.«
Zu seinem Generalstabschef, General Petit, sagt de Gaulle 1940 in London: »Man muß seine eigenen Hintergedanken immer billigen. Larvatus prodeo. Ich bewege mich maskiert.«
Auf die Äußerung von Antoine Pinay, in der Politik müsse man loyal sein, antwortet der Staatschef in der Fünften Republik: »In der Tat! Sie wissen aber sehr wohl, daß die List das beste Instrument der Politik ist.
»Ein Staatsmann darf das Volk niemals belügen. Andererseits muß er sehr darauf bedacht sein, was er sagt und welche Art von Wahrheit er vorträgt, wann und wie er sie vorträgt.«
Diese Worte scheinen an ein Zitat von Paul Valéry zu erinnern: »Ich werde das sagen, was Du verstehen kannst. Du kannst das Wahre nicht verstehen. Ich kann nicht einmal versuchen, es Dir zu erklären. Ich werde Dir also das Falsche sagen. Das ist also die Lüge desjenigen, der am Geist des anderen verzweifelt.«
Sagt der General die Wahrheit? Nein, rufen seine Gegner um die Wette. Ja, behauptet de Gaulle in seinem inneren Dialog: De Gaulle versteht sich immer, selbst wenn die anderen ihn überhaupt nicht begreifen.
De Gaulle äußert seine Gedanken brockenweise. Er liebt es nicht, daß ihn das Fußvolk versteht. Seine Taktik ist die Verheimlichung des Endzwecks. Und dennoch ist der General unter vier Augen häufig von einer verblüffenden Offenheit.
Die Generalstabschefs baten ihn einmal: »Erklären Sie Ihre Politik, Herr General. Wenn Sie öffentlich darlegen, was Sie uns erklären, würde die Aufregung (in Algerien) nachlassen.« De Gaulle läßt sich nicht erweichen: »Nein. Es muß noch eine Überraschung geben. Ich möchte nicht alles sagen.«
Ein Minister bedauert: »Wenn Sie uns im Ministerrat erklären würden. worauf Sie hinaus wollen, könnte ich anschließend Ihre Politik erklären und die Gegner entwaffnen.«
De Gaulle unterbricht ihn kurz: »Ah ja: Wenn ich alles im Ministerrat enthüllte, würden es die Minister noch am selben Abend in ihren Ministerien erzählen. Auf den Diners in der Stadt würde man damit hausieren gehen.« Der Präsident der Republik ist überzeugt, daß ein Wort über Napoleon eine ewige Wahrheit enthält: »Sein Abstieg begann in dem Augenblick, als er aufhörte, die Leute irrezuführen.«
In Algerien wird die Tragödie von Tag zu Tag blutiger. Der sowjetische Botschafter Winogradow begibt sich in den Elysée-Palast und schlägt dem Präsidenten eine Art sowjetische Vermittlertätigkeit bei der FLN vor.
De Gaulle antwortet: »Ich danke Ihnen. Bei der Verhandlung mit Franzosen brauche ich nicht die Intervention eines fremden Landes.«
Auf seinen Reisen nach Algerien trifft der Präsident oft mohammedanische Kriegs-Veteranen. Sie haben sich mit ihrer Fahne in Reih und Glied aufgestellt und ihre Orden angelegt. De Gaulle brummt vor sich hin: »Die Armee macht ihre Sache gut.«
In Tizi-Ouzou aber wird er französischen Offizieren gegenüber ärgerlich: »Hören Sie auf, mir mit diesem subversiven Krieg, den es gar nicht gibt, in den Ohren zu liegen. Die Zeit der großen Worte ist vorbei. Sie stehen nicht in einem subversiven Krieg. Sie haben es mit einem kabylischen Aufstand zu tun, wie der, den Marschall Randon 1857 mit 100 000 Mann niederschlug. Machen Sie es ebenso.«
De Gaulle kommt immer mehr zu der Gewißheit, daß Frankreich sich angesichts seiner bevorstehenden großen Bedeutung für die Welt nicht durch den Algerien-Krieg ablenken lassen darf.
Privat legt der Staatschef die Karten auf den Tisch: »A priori bin ich natürlich gegen die Unabhängigkeit Algeriens. Aber die Integration und die Französisierung waren vielleicht vor 35 Jahren möglich. Man hat diese Chance vorübergehen lassen. Die Unterstützung der Integration ist heute nicht realistisch, und was nicht realistisch ist, ist nicht gaullistisch.«
Aus seiner Feder stammt: »Frankreich wird alles gewinnen, wenn es die Gaullisten behält. Frankreich wird alles verlieren, wenn es die Gaullisten aufgibt.«
Vor Léon Delbecque, einem Gaullisten der ersten Stunde und Verfechter eines französischen Algerien, verbirgt de Gaulle nichts:« Sie glauben, daß dieser Krieg noch lange dauern kann? Die Welt zeigt mit dem Finger auf uns. Delbecque, Sie wissen sehr wohl, wenn ich es könnte, wenn wir es könnten, dann würden wir ein französisches Algerien machen. All das ist vorbei. Man darf sich nicht davor scheuen, auszusprechen: Algerien muß unabhängig sein.
»Und dann Delbecque, könnten Sie sich vorstellen, daß wir uns mit den Mohammedanern vermischen? Diese Menschen sind anders als wir. Können Sie sich vorstellen, daß unsere Töchter Mohammedaner heiraten?«
Gegenüber Louis Jacquinot erklärt de Gaulle: »Man muß vorangehen, man muß marschieren oder sterben. Ich entscheide mich für das Marschieren, aber man kann auch sterben.«
Vor dem Ministerrat legt er dar, daß die Zeit der Entkolonisierung gekommen sei, und daß er überall diese Aufgabe erfolgreich durchführen müsse: »Das ist in meinem Alter und bei meinem Werdegang nicht zum Lachen, aber ich habe es in meinem Herzen beschlossen. Wir werden einen schweren Kampf führen, bei dem es für mich nichts Erfreuliches gibt.«
Als de Gaulle den ungehorsamen General Massu absetzt, kommt es in Algier zum Barrikaden-Aufstand der Algerien-Franzosen gegen die Pariser Regierung.
De Gaulle wendet sich an die Bevölkerung von Algier: »Der Aufstand ist ein harter Schlag gegen Frankreich innerhalb Frankreichs.«
Am darauffolgenden Tage, dem 25. Januar 1960, tagt der Ministerrat: »Die Stimmung ist gespannt«, notiert Jacques Soustelle. Das Gesicht des Präsidenten ist kreidebleich und hinterläßt bei allen Ministern einen starken Eindruck.
Der General hält seinen Zorn zurück, aber er warnt die Anwesenden: »Hüten mögen sich diejenigen, die nicht seetüchtig sind. Sie sollten das Schiff schon vor dem Sturm verlassen. Niemand ist gezwungen, in der Regierung zu bleiben.«
Die Berichte, die aus Algier nach Paris gelangen, lassen nur wenig Zweifel über die Stimmung in der Armee. Doch de Gaulle sagt nur: »Das Militär muß spuren.« Seiner Meinung nach wird sich die Armee nicht regen: »Man revoltiert nicht gegen de Gaulle!«
In dieser Zeit ruft der Staatschef so manches Mal angesichts der Ereignisse: »Es ist unglaublich!«
Im Elysée-Palast trägt André Malraux seine Meinung vor. Er fragt: »Wo ist Frankreich, in der Verwirrung? Frankreich ist nicht dem Schicksal Algeriens unterworfen. Unsere Aktion in Algerien muß dem Schicksal Frankreichs folgen. Was bedeuten diese lächerlichen Barrikaden? Man kann doch wohl niemandem weismachen, daß wir in Algerien keine 4000 Mann und nicht genügend Panzer auftreiben, um das Universitätsviertel zu unterwerfen? Die Barrikaden zu beseitigen, ist ein Kinderspiel.«
»Setzen wir doch die verdächtigen Offiziere hinter Schloß und Riegel«, schlägt ein Minister vor. Heeresminister Guillaumat unterstreicht seine Antwort mit erhobenem Zeigefinger: »Von wem wollen Sie sie verhaften lassen, lieber Freund? Von den Straßenbauingenieuren?«
Informationsminister Jacques Soustelle hat viel zu sagen. Er ist gegen die Politik des Staatschefs. Mit einem Sarkasmus, der dem Staatschef nur wenig behagt, fragt er: »Warum sollten, wir unsere Atombombe, die ja fertig ist, nicht lieber in Algier als in Reggane zur Explosion bringen? Das würde die Frage schnell regeln.«
Dann ereignet sich ein Zwischenfall. De Gaulle hatte erklärt, man müsse bei den Franzosen Algeriens auf alles gefaßt sein: »Nachdem sie bei meinem ersten Besuch in Algier 1958 geschrien hatten »Es lebe Pétain !« riefen sie später jedesmal, wenn ich erschien: »Es lebe Soustelle!,«
Der Informationsminister antwortet: »Das war nicht gegen Sie gerichtet, General, und auf jeden Fall geschah es nicht mit meiner Zustimmung. Die Franzosen Algeriens schrien auch: »Es lebe de Gaulle!"«
Soustelle klagt: »Alles, was für die »Französisierung« Algeriens günstig war, ist bekämpft, zensiert oder lächerlich gemacht worden, während die Feinde des französischen Algerien lautstark triumphierten.«
Der Präsident der Republik bleibt eiskalt.
Soustelle: »Ist es daher verwunderlich, daß die Europäer sich verlassen fühlen? Es ist entsetzlich, von Gewaltmaßnahmen gegen Franzosen zu sprechen, die französisch bleiben wollen. Ich stimme dieser Politik auf keinen Fall zu. Nehmen wir mit den Führern der Bewegung von Algier Kontakt auf!«
Malraux: »Sie wollen mit den Aufständischen verhandeln.«
Soustelle: »Man verhandelt auch mit der FLN.«
General de Gaulle ergreift als letzter das Wort. Er brandmarkt die Aufständischen von Algier als »dumm und kriminell«.
»Die Militärs«, sagte er, »wollen die Algerienpolitik des Generals de Gaulle nicht. Daher kommt die Nachlässigkeit in der Führung; daher ist die Autorität an Ort und Stelle nur sehr wenig oder überhaupt nicht manifest.« Der Präsident spricht nicht lauter als sonst, aber mit Schärfe: »Die Armee hat keine Entscheidung zu fällen, sie darf nicht einschätzen, ob es Schärfen geben soll oder nicht. Sie darf nicht beschließen, ob Blut fließen wird, ob etwas mehr oder etwas weniger Blut fließen wird. Die augenblicklichen Ereignisse erfordern nicht mehr Opfer als die Autounfälle eines Tages.
»Diejenigen, die die Waffen gegen den Staat erhoben haben, können nicht freigesprochen werden. Die Militärs wollen kein Blutvergießen? Als ob sie. nicht dafür da wären! Die Armee darf sich schließlich nicht vor Blut fürchten. Die Armee ist zum Gehorchen da.
»Es geht übrigens um etwas anderes. Diejenigen, die immer von vornherein behaupten: »Wir wollen kein Blutvergießen«, erschweren die Ereignisse und bringen es schließlich so weit, daß Ströme von Blut fließen.
»Der Staat wird nicht nachgeben, und die festgelegte Politik wird sich nicht ändern. Kontakte mit den Aufständischen? Um keinen Preis!
»Wenn Challe (zu dieser Zeit Oberbefehlshaber in Algerien) keine Entscheidung trifft, wird man ihn absetzen. Der Aufstand wird niedergeschlagen werden.
»Ich werde mich der mir übertragenen höchsten Verantwortung nicht entziehen. 1946 bin ich gegangen, weil ich glaubte, Frankreich könne mich entbehren. Jetzt habe ich eine Mission zu erfüllen.«
Am 22. Januar tagen die Stabschefs, die wichtigsten Minister und die algerischen Präfekten im Elysée. Paul Delouvrier, Generalgouverneur von Algerien, ergreift das Wort: »General, ich bin mit der Strategie Ihrer Politik voll und ganz einverstanden, aber nicht unbedingt mit der Taktik und den Mitteln. Ich habe die Pflicht, Ihnen zu sagen, daß eine Explosionsgefahr besteht. Ich bin nach wie vor bereit, meine Verantwortung wahrzunehmen, aber ich mußte Sie warnen.«
Der Präsident greift die Generale an: »Sie verstehen nichts davon. Sie sind nicht in der Lage, sich Gehorsam zu verschaffen. Alles läuft deshalb schief, weil meine Befehle nicht ausgeführt werden.
»Ich formuliere die Politik der Regierung. Das ist die Selbstbestimmung Algeriens. Das ist die Politik ganz Frankreichs. Jeder muß in dieser Sache gehorchen, welche unmittelbaren oder entfernten Unannehmlichkeiten damit auch verbunden sein mögen.
»Nichts ist vollkommen. Ich fälle die Entscheidungen. Vielleicht sind sie nicht vollkommen. Aber es ist besser, die unvollkommenen Entscheidungen durchzuführen, als unablässig nach vollkommenen Entscheidungen zu suchen, die niemals ausgeführt werden.
»Und jetzt, meine Herren, sage ich Ihnen auf Wiedersehen. Möge jeder seine Pflicht erfüllen.«
An der Türschwelle seines Büros fragt de Gaulle den Chef des Generalstabs der Luftwaffe Jouhaud: »Habe ich nicht recht?« Dessen Gesicht ist rot und verschlossen: »Nein, Herr General, Sie haben nicht recht
Marschall Jun verlangt, von de Gaulle empfangen zu werden: »Du darfst den Schießbefehl nicht erteilen«, verlangt er. »Du weißt nicht, was in Algier los ist. In der Stadt wimmelt es von Provokateuren. Diese Provokateure werden schießen. Massaker werden auf Massaker folgen. Warte lieber ein bißchen ... sie werden Anisette trinken, wie üblich ...«
Dafür hat der Präsident der Republik kein Ohr: »Ich verteidige den Staat«, sagt er. »Ich habe immer behauptet, daß Algerien selbst seine Zukunft bestimmen solle. Ich kann diesen Aufstand nicht zulassen, ich werde ihn niederschlagen. Man muß sie wieder zur Vernunft bringen.«
Die Stimmen der beiden werden lauter, Die Auseinandersetzung dringt durch die Wände der Präsidialkanzlei.
JUIN: Du wirst nicht schießen lassen. Das ist absurd, selbst vom militärischen Standpunkt.
DE GAULLE: Das Gesetz darf nicht verletzt werden. Das sind Rebellen gegen den Staat.
JUIN: Wenn du den Schießbefehl erteilst, werde ich öffentlich gegen dich Stellung nehmen.
Der Präsident der Republik ruft den höchsten Würdenträger der französischen Armee zur Ordnung. Juin kontert im Truppenjargon. »Du kannst dir deinen Marschallstab an den Hut stecken. Ich habe schließlich Schlachten gewonnen.«
Von Gefühlen überwältigt, schüttelt de Gaulle seinem alten Kameraden von der Kriegsschule Saint-Cyr sein Herz aus: »Du weißt, ich habe gerade meinen Bruder Pierre verloren ... Von einer Minute zur anderen kann uns alle dasselbe Schicksal treffen. Ich stehe mit einem Fuß im Grabe.«
Am 29. Januar erscheint de Gaulle in Generalsuniform im Fernsehen: »... Franzosen Algeriens, wie könnt ihr daran zweifeln, daß eines Tages die Moslems frei entscheiden, daß das Algerien von morgen eng mit Frankreich verbunden sein muß. Nichts würde dem Vaterland und de Gaulle mehr Freude bereiten als zu sehen. daß man sich für die Lösung entscheidet, die am französischsten ist.
»Die Rebellen behaupten, sie würden nicht eher das Feuer einstellen, bevor ich mit ihnen über das politische Schicksal Algeriens gesprochen hätte. Ich werde das nicht tun. Der Staat soll die ihm zugefügten Beleidigungen nicht hinnehmen. Mit einem Schlag wäre Frankreich dann nur noch ein willfähriges Spielzeug auf dem Ozean der Abenteuer.« De Gaulle gibt den Befehl, die Barrikaden der Aufständischen anzugreifen.
Am 31. Januar ruft General Crépin aus Algier in Paris an. Er ist in einer verzweifelten Lage und warnt den Präsidenten: »Sie legen einen erstaunlichen Optimismus an den Tag. Ich weiß nicht, ob Sie die Situation wirklich kennen. Deutsche Fremdenlegionäre vorzuschicken, bedeutet, das Feuer zu eröffnen, Flammenwerfer einzusetzen, Panzerabwehrgeschütze in Feuerstellung zu bringen, um die Barrikaden im Universitätsviertel zu beseitigen*. Dort wohnen viele Menschen. Mehrere hundert Zivilisten werden zugrunde gehen, davon die Hälfte Frauen und Kinder.«
Premier Debré im Hôtel Matignon erfährt von dem Schießbefehl, der ohne sein Wissen weitergegeben wurde. »Das ist ein Verbrechen«, ruft Debré aus.
Der Generalbeauftragte in Algier, Paul Delouvrier. beschwört de Gaulle: »Es wäre furchtbar für Frankreich. wenn wir auf eine Menge schießen lassen, die die Trikolore schwingt. Man wird uns das nie in der Geschichte verzeihen.
Der Präsident der Republik: »Man muß damit Schluß machen. Ich verteidige den Staat.«
DELOUVRIER: Ja, man muß damit Schluß machen, aber bitte, wählen Sie den richtigen Augenblick. Beginnen Sie nicht mit dem Angriff, wenn eine Menschenmenge sich versammelt. Es geht nicht um ein kleines Fort, das einsam in der Wüste liegt. Es handelt sich um eine Häusermasse, in der Frauen und Kinder wohnen.
DE GAULLE: Sie werden mich nicht veranlassen zu gehen. Ich handele für das Wohl und die Größe Frankreichs.
DELOUVRIER: Denken Sie daran, daß Monclar sieh 1941 in Syrien weigerte, die freien Franzosen auf die Vichy-Truppen schießen zu lassen. Sie werden niemanden finden, der das Feuer eröffnet.
DE GAULLE: Man braucht die Truppen nur richtig auszuwählen. Nehmen wir Legionäre! Sie machen sich gar nichts daraus! Es kommt der Augenblick, wo man das Geschwür wegoperieren muß. Beseitigen wir diese Angelegenheit, beseitigen wir diese Leute!
DELOUVRIER: Sie rennen in die Katastrophe. Herr General.
DE GAULLE: Das denken Sie! Nach meinen Informationen wird nichts passieren. Sie werden nicht bis zum Ende gehen.
In Petit-Clamart entkam de Gaulle mit knapper Not den Schüssen des Attentäters Bastien-Thiry. 15 Monate später fällt Kennedy in Dallas unter den Schüssen des Attentäters Oswald. De Gaulle meditiert: »Kennedys Geschichte ist auch meine Geschichte. Ich bin dem Schicksal, das Kennedy getroffen hat, gerade noch entgangen. Die Ermordung des Präsidenten der Vereinigten Staaten in Dallas ist die Ermordung, die den französischen Staatschef 1960, 1961, 1962 in Algier oder auch hier hätte treffen können.
»Das erinnert an eine Geschichte der Cowboys. aber es ist nur eine Geschichte der OAS. Die Polizei steckt mit den Ultras unter einer Decke. Die Ultras sind der Ku-Klux-Klan, die John Birch Society und alle Geheimbünde der extremen Rechten. Diese Geschichte wäre uns auch passiert. wenn man Algerien nicht die Unabhängigkeit gegeben hätte. Es ist die Geschichte der Rassen, die sich nicht vertragen können.
»Die Polizei hat die Tat (von Dallas) ausgeführt oder sie hat den Befehl dazu gegeben oder aber sie hat es tun lassen. Auf jeden Fall ist sie mit im Spiel. So etwas passiert jeden Tag in einem Lande in dem der Rassenhaß
* Crépin sprach von deutschen Legionären, weil er offenbar befürchtete, die spanischen und italienischen Einheiten der Fremdenlegion könnten sich mit den aufständischen Algerien-Franzosen verbünden.
regiert, in dem es Unterdrücker und Unterdrückte gibt, in dem die Unterdrücker noch mehr Furcht haben als die Unterdrückten, in dem die Polizei oder zumindest einige ihrer Elemente mit den Unterdrückern eins sind.
Der General kommt auf den Fall des vermeintlichen Mörders Oswald zu sprechen, der, so behauptet de Gaulle, »ein Strohmann« war.
De Gaulle führt die Untersuchung: »Sie haben sich auf diesen Kommunisten gestürzt, der nicht daran beteiligt war, obwohl er mitgemacht hatte. Er war ein wenig intelligenter Kopf, ein Schwärmer. Solch einen Mann brauchten sie. Er war ein herrlicher Angeklagter. Man sollte dem Märchen glauben, dieser Typ habe aus Begeisterung und aus Liebe zum Kommunismus gehandelt. Damit hätte man die Hexenjagd auf die Kommunisten entfachen und die Aufmerksamkeit ablenken können.
»Ihr habt gesehen, wie sie ihn Gefangennahmen. Der Kerl war geflüchtet, weil er sich vorsehen mußte. Sie wollten ihn auf der Stelle erschlagen, ohne daß die Justiz hätte eingreifen können.
»Leider ist es nicht so verlaufen, wie sie es vorausgesehen hatten. Der Kerl verteidigte sich. Ein Polizist wurde getötet. Es gibt Zeugen. Folglich war man gezwungen, einen Prozeß einzuleiten.
»Ein Prozeß. Das wäre schrecklich gewesen. Die ganze Welt hätte davon gesprochen. So suchte sich die Polizei einen Spitzel, der ihr willfährig sein mußte und den sie völlig in der Hand hatte. Dieser Kerl opferte sich, den falschen Mörder zu töten, unter dem Vorwand, die Erinnerung an Kennedy zu verteidigen.«
De Gaulle geht zu einer grundsätzlichen politischen Betrachtung über: »Die Amerikaner werden sich entschließen müssen, den Negern die Gleichheit zu geben und nötigenfalls sogar die Unabhängigkeit, andernfalls werden sie in einen Wirbel von Ereig-
* In Petit-Clamart bei Paris feuerten OAS-Extremisten am 22. August 1962 auf de Gaulles Citroen. Ihr Chef, Oberstleutnant Bastien-Thiry wurde abgeurteilt und erschossen.
nissen geraten, deren Anfang sie jetzt erst erleben.
»Die Ermordung Kennedys beruht auf dem Konflikt zwischen Schwarz und Weiß, sei es direkt oder indirekt. Denn in einem Klima der Gewalt und des Hasses gehorchen die Menschen nicht mehr den Gesetzen und Regeln einer zivilisierten Gesellschaft.«
Die düsteren Perspektiven des Generals gehen sehr weit: »Ein neuer Sezessionskrieg kann die Folge dieser Angelegenheit sein. Das erinnert sehr stark an einen Western. Das ganze ist überhaupt ein Western. Aber auch die natürliche Neigung des amerikanischen Volkes zur Hexenjagd spielt mit. Bald werden die Kommunisten und bald die Schwarzen verfolgt.
»Glauben Sie mir, die Schwierigkeiten für die Amerikaner beginnen erst. Der Mord an Kennedy wird die verschiedensten Folgen haben. Blut ruft nach Blut. Und dann wird die Person an der Spitze ausgewechselt. Man kann nie wissen. Amerika ist schon längst nicht mehr ein stabiles Land, auf das man zählen kann. Es kehrt zu seinen Dämonen von früher zurück.«
Niemand entgeht dem Gesetz des Lebens. Im Herbst seines Lebens macht de Gaulle unmerklich eine Wandlung durch. Der alte Soldat ist blind, weil die Leidenschaft die Blindheit in sich trägt. Er hegt die eifersüchtige, letzte Liebe des Patriarchen zu dem Kind mit einer schwachen Gesundheit, eine Liebe, die sich dauernd ängstlich und ausschließlich zeigt, die gierig und unersättlich, rührend und ungerecht ist.
»Was kann ich noch tun? Ich habe versucht, Frankreich aus dem Sumpf zu ziehen. Es wird in seine Irrtümer und alten Sünden zurückfallen. Ich kann die Franzosen nicht daran hindern, französisch zu sein. Man kann seinem Schicksal nicht entgehen. Die Franzosen sind nicht zu regieren. Sollte ich das Meer gepflügt haben?«
Ein halbes Jahrhundert nationales Glück und Unglück übermannt den General: »Ja, natürlich, man ist da. Man darf nicht zurücktreten. Dennoch, lieber Freund, ich bin es müde, immer noch unterwegs zu sein.«
Mehrmals denkt de Gaulle an den Rücktritt, vor allem am Tage nach den mittelmäßigen Ergebnissen der Volksbefragung von 1962; nach der Präsidentenwahl 1965; schließlich nach den Parlamentswahlen 1967, die der General mit den Worten kommentiert: »Die Franzosen sind Kälber. Napoleon sagte: »Sie verdienen nicht, was ich für sie getan habe.«
Wer im Elysee-Palast horcht, hört einen Mann in seinem Büro »oder seiner Wohnung auf und ab gehen. Der Präsident der Republik schreitet hin und her. Er kommt und geht. Er geht hundert Schritte hin und hundert Schritte zurück. Seine finsteren Überlegungen sind seine einzigen Gefährten.
Der Palast wirkt äußerlich ruhiger denn je. Im Inneren wird das Schweigen für einige drückend. Von Gewissenskonflikten gequält, stellt sich de Gaulle die schwerwiegendste Frage seit dem Ende des Algerienkrieges: Tat er recht oder unrecht, ein zweites Mal für sieben Jahre zu kandidieren? Er bedauert seine Entscheidung. Er besinnt sich eines Besseren: Die Schlacht wird bis zu Ende ausgefochten.
Vor den Wahlen 1965 gesteht Madame de Gaulle: »Die wahren Freunde des Generals hätten ihm raten müssen, sich nicht noch einmal zu stellen.«
Mit lauter Stimme scheint de Gaulle sein Testament abzufassen: »Frankreich ist ein Verbündeter, ein unabhängiger Verbündeter. Es richtet seine Politik nach seinen Bedürfnissen aus. Frankreich ist fest entschlossen, keinem Diktat zu gehorchen und keinem Druck nachzugeben. Es hat gegenüber seinen Verbündeten die gleichen Rechte und Pflichten wie diese gegenüber Frankreich. Wir sind keine Schafe.
Bündnisse haben vorübergehenden Charakter. Es gibt keinen einzigen Grund, sich mit anderen in die Sklaverei zu begeben.
»Laßt uns den Kopf hoch tragen. Die Rolle Frankreichs ist schwierig in der Welt. Frankreich darf sich nicht immer entschuldigen. Es muß den Kopf oben behalten und die anderen nicht um Erlaubnis fragen. Natürlich haben wir nicht mehr so viele Freunde. Die kleinen Nationen, die sich beugen, haben viele Freunde!«
Nach einem langen Wege durch die Finsternis des Zweiten Weltkrieges überfallen ihn die Trugbilder der Konferenz von Jalta: »Die Amerikaner denken nur an ihren Wohlstand und an ihre Größe. Sie machen sich nichts aus Europa. Auf der Konferenz von Jalta hat man einen Teil der Welt den Sowjets überlassen und einen Teil der Welt den Amerikanern.
»Das Interesse der Amerikaner ist nicht das Interesse der Europäer. Die Politik ist keine Angelegenheit für Chorknaben. Denken Sie daran, daß sie immer ein Zusammentreffen von Konkurrenten sein wird.
»Man kann keine Politik treiben, ohne den Leuten weh zu tun. Die Vierte Republik hat niemals jemandem weh getan.
Ja, die Amerikaner sind auf dem besten Wege, sich hinter dem Rücken Deutschlands mit den Russen zu verständigen. Europa wird den Preis für diese Vereinigung zahlen, ebenso wie Europa den Preis für Jalta gezahlt hat.
»Derselbe Prozeß beginnt von vorn. Die beiden Kolosse verständigen sich untereinander. Und England spielt den ehrlichen Makler. Es ist glücklich, wenn es sich an den Tisch setzen darf.
»In Jalta haben die Amerikaner die Hälfte Europas den Russen geopfert. Seitdem haben die Vereinigten Staaten immer die Tendenz, mit der UdSSR einen Pakt zu schließen, selbst auf die Gefahr hin, Berlin und den Status Deutschlands zu opfern. Amerika muß aber verstehen, daß der Verrat an uns zu nichts führt.«
Patriotischer Überschwang erfaßt Charles de Gaulle: »Es gibt drei Realitäten in der Welt, den sowjetischen Koloß, den amerikanischen Riesen und dann Frankreich -- das viel kleinere Frankreich, das weiß, was es will, das weiß, wohin es geht; Frankreich, dem eine ungeheuer große Rolle zukommt, weil es eine universelle Berufung hat, in einem Maße, wie man es in keinem anderen Lande wiederfindet.
»Frankreich spielt eine hervorragende Rolle. Frankreich ist das Licht der Welt. Frankreich hat die Fähigkeit, das Universum zu erleuchten.
»Gewiß, ich höre die Kanonen und die Divisionen ... Es gibt Raketen, aber es gibt auch Ideen. Das Richteramt Frankreichs ist moralisch. In Afrika, in Asien und in Südamerika ist unser Land das Symbol der Rassengleichheit und der Freiheit der Völker.
»Natürlich sind wir nicht mehr das große Tier, wir verfügen nicht mehr über die Macht von einst. Aber Frankreich muß seinen Platz wieder einnehmen, nachdem es ein Jahrhundert lang im Abstieg begriffen war.«
Diesen Hymnen auf die Größe am Himmel des Ruhms folgen Litaneien des Schiffbrüchigen in einem Meer von Trümmern: »Wir erleben den Rückgang des nationalen Willens. Vielleicht machen wir eine Zeit der Dekadenz durch.
»Sie kennen die Verfechter, die ewig den Rücktritt Frankreichs predigen, die sich nach Washington sehnen, und die Diener Moskaus. Der Geist des Verzichts quält sie. Seit Jahrhunderten pflanzt sich bei uns die Partei des Auslands fort. Der Geist der Bequemlichkeit beherrscht sie.
»Ich aber werde nie den Rücktritt Frankreichs befürworten. Ich werde als letzter für seine Wiedergeburt eintreten, als letzter Chef des französischen Staates. Ich weiß, daß es das nach mir nicht mehr geben wird. Ich werde nie kapitulieren.«
Die Vorstellung, daß ein vereinigtes Deutschland mit 76 Millionen Einwohnern im Herzen des Kontinents entstehen könnte, versetzt de Gaulle ebenfalls in Schrecken. Er fürchtet die Wiederauferstehung der germanischen Dämonen.
Er glaubt, daß Bundeskanzler Erhard die Versprechungen von Adenauer nicht erfüllt hat. In erbitterten Worten tadelt er die Haltung der deutschen Politik in der Vietnam-Frage und gegenüber der (inzwischen gescheiterten) multilateralen Atom-Streitmacht der Nato: »Die Deutschen verraten Europa. Wir werden ihnen das heimzahlen. Die Engländer sind Taschendiebe, die Deutschen sind ... Schweine!
»Die Deutschen sind seit jeher gefährlich. Sie können für uns gefährlich sein. Auf jeden Fall sind sie für ihre Nachbarn im Osten gefährlich, und sie tragen zur internationalen Spannung bei, was durchaus unangenehm ist.
»Wir werden uns in dem Maße den Russen nähern, in dem sich die Deutschen von uns entfernen. Warum haben wir uns nach dem Kriege von den Russen entfernt? Ich hatte Stalin vorgeschlagen, sich mit uns über das Schicksal Deutschlands zu verständigen. Er wollte es nicht. Er hatte in Jalta voreilig gehandelt. Er dachte, er könnte ohne Frankreich über Deutschland verfügen. Er hat sich mit Roosevelt arrangiert.
»Als er mit dieser Politik begann, die für uns gefährlich war, richteten wir unsere Politik darauf aus, die Deutschen zu gewinnen. Folglich hat man ihnen große Zugeständnisse gemacht. Man hat ihnen die Kohle und das Eisen wiedergegeben. Man hat das Saargebiet geräumt. Man hat ihnen gestattet, wieder eine Armee aufzubauen.
»Wenn ich nicht dagewesen wäre, hätte man außerdem die EWG einzig und allein zu ihrem Vorteil aufgebaut, zum Vorteil ihrer Industrie, indem man unsere Landwirtschaft vor die Tür gesetzt hätte.
»Wenn sie nun aber statt brav zu sein -- mit anderen Worten: statt den deutsch-französischen Vertrag zu erfüllen -- nach Washington laufen,
* Stalin, Roosevelt und Churchill beim letzten Mittagessen in Jalta am 11. Februar 1945.
werden sie die Boys der Amerikaner. Von diesem Augenblick an werde ich sie nicht mehr ansehen.
»Mit ihrer Wiedervereinigung wird es zu Ende sein. Wir werden die Deutschen verleugnen. Wir werden uns nicht für ihre Wiedervereinigung schlagen. Da die Wiedervereinigung, die von einem Vertrag abhängt, nicht ohne unsere Zustimmung erfolgen kann, da die Russen sie andererseits nicht wollen -- nun, wenn wir dann nicht dafür sind, kommt sie nicht zustande.«
Das sind die Parolen eines Tages, die Träume einer Sommernacht. In Wirklichkeit übt Deutschland auf de Gaulle eine Art Faszinierung aus; Bewunderung und Furcht machen sich den Rang streitig. Eine Gewißheit zeichnet sich ah: Die Aufgabe der Einheit Deutschlands würde zur Aufgabe der Einheit Europas führen.« Man darf die Deutschen nicht zur Verzweiflung bringen.«
Friede an den Grenzen, Unabhängigkeit des Königreichs ... Ist das Schicksal (de Gaulles) erfüllt?
Er sagt: »Was ich erreicht habe, muß, ganz gleich, was auch kommt, im Erfolg oder Mißerfolg weiterleben, bis zu meinem Tode und noch nach meinem Tode. Wenn mich der Tod überrascht, wird immer noch etwas bleiben. Dieses Andenken muß wegweisend bleiben.
»Man hat mir Beweise der Treue gegeben. Ich muß jetzt dafür sorgen. daß meine endgültige Mission meine Person überlebt, damit das begonnene Werk vollendet wird.
»Das, was ich getan habe, darf in den Augen der Franzosen nicht verdunkelt werden.
»Das Wesentliche ist: Das französische Volk neigt seiner Natur nach weiter zur Spaltung, zum Diskutieren und zur Ohnmacht. Ich habe versucht, es da herauszuziehen. Wenn es mir gelungen ist, um so besser. Wenn ich gescheitert bin, kann ich nichts dafür. So ist es nun einmal. Das liegt in der Natur der Sache.
»Wenn ich gescheitert bin, heißt das wahrscheinlich, daß niemand Erfolg haben kann. Wenn ich gescheitert bin, dann heißt es, daß die Selbstzerstörung in der Natur des französischen Volkes liegt.
»Sehen Sie, ich habe eine Wahl getroffen. Vielleicht hatte ich unrecht. Ich bin nicht Diktator geworden. 1945 habe ich die Versuchung gespürt. Ich sah, daß dieselben Kräfte, die den Niedergang Frankreichs, die Niederlage von 1940 verschuldet hatten, wieder ihren Platz einnahmen, als sei nichts geschehen. Ich sah auch, daß mir nichts im Wege stand, das mir hätte verbieten können, mehr Macht zu verlangen. Wenn ich absolut hätte herrschen wollen, hätte ich es tun können, und das Volk wäre mir gefolgt.
»Ich habe freiwillig entschieden, nicht eine Diktatur zu errichten. Ich glaube, daß das für Frankreich besser ist.
»Ich habe es erneut 1958 ausgeschlagen. Auch damals verfügte ich über die Mittel, das zu tun, was ich wollte. Niemand stand mir gegenüber. Die Auflösung war vollkommen. Ich habe die Diktatur verworfen. Ich habe versucht, ein stabiles Regime zu errichten, das keine Diktatur wurde.
»Vielleicht könnte ich sogar noch heute die Diktatur errichten. Vielleicht wäre das für die Interessen Frankreichs besser. Ich werde es nicht tun.
»Wenn das französische Volk nicht sieht, wo seine wahren Interessen liegen, um so schlimmer. Man muß schließlich wissen, ob die Franzosen Kälber oder Menschen sind.
»In zehn oder 15 Jahren wird ein schwacher Staat eine Katastrophe und ein Unglück sein. Dann werden die Franzosen wiederum einen starken Staat fordern. Es wird aber zu spät sein.
Schon raunen die Kampfgefährten: »Der General hätte schon vor zwei oder drei Jahren den Elysée-Palast räumen sollen, um noch zu Lebzeiten seinen Nachfolger einzuführen. Es wird damit enden, daß de Gaulle den Gaullisten zur Last wird.«
Abtreten? »Jawohl, ich muß mich mit Würde zurückziehen«, sagt de Gaulle. »Ich muß ein makelloses Beispiel bleiben. Das wird für die Geschichte gebraucht. Die Franzosen werden das Regime haben, das sie wollen. Es wird von ihnen abhängen, ob sie wollen, daß die Wirren wieder beginnen sollen. Ich werde mich keinen Tag sträuben, ich werde meinen Abtritt wählen. Aber ich werde gehen.«
Auf dem Balkon des Weißen Hauses nach dem Weihnachtsbankett IHS.
** Auf dem Bonner Marktplatz am 5. September 1962.