RUDOLF AUGSTEIN Die edle Korruption
Jedes politische System trägt den Keim seines Untergangs, den man auch »Korruption« nennen kann, in sich. Das gilt für das Römische wie für das Britische Weltreich. Das gilt sogar für den Kirchenstaat, der erst 1870 unterging, nachdem er mehr als sechshundert Jahre vor sich hin vegetiert hatte.
So würde eines Tages auch die Bundesrepublik untergehen, wie das Bismarck-Reich, wie die Weimarer Republik, wie der Staat Preußen. Aber so schnell, oder noch schneller? Dafür war bisher kein Grund zu sehen.
Neuerdings lohnt es, darüber nachzudenken. Zwar, der Graf ist weg, politisch auf immer belastet, strafrechtlich unschuldig, es sei denn, in letzter Instanz schuldig gesprochen, was an die drei, vier Jahre dauern mag.
Aber der Graf ist ja kein Verbrecher. Bislang hat niemand ihm privateigennützige Verwendung von Geldern nachgewiesen, obwohl die persönliche Nutzung politischer Gelder schon ein Skandal war, als Otto Graf Lambsdorff in der Politik noch gar nicht Platz genommen hatte. Die Gerichte stellten sich über Jahrzehnte taub, schließlich waren die Parteien tabu, ihre »Stiftungen« gemeinnützig und tabu.
Wenn denn, wie im Fall des damaligen Adenauer-Ministers Strauß, von der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft ganz offiziell »Bewegungsgelder« von monatlich fünftausend D-Mark netto und steuerfrei nicht an eine Parteikasse, sondern per Kuvert an den Minister gingen: Wie sollte das Finanzgebaren der Parteien überhaupt noch justitiabel sein. Das Wort »Korruption« wurde zu einem weichen Brötchen.
Die Korruption ist ein weites Feld. Aber das Spenden-Unwesen hat von der Bundesrepublik gleich zu Anfang Besitz ergriffen, mit dem Ergebnis, daß sich außer den Grünen alle Parteien verschuldet haben, obwohl doch pro Wähler in keinem westlichen Land soviel Geld - staatlich, steuerabzugsfähig, privat, heimlich - an eben diese Parteien fließt.
Nun wird die Bundesrepublik nicht gleich zugrunde gehen, aber sie könnte ihr Wesen aufgrund der ihr innewohnenden Korruption verändern, und das wäre denn schon kein Schritt zur Selbstreinigung, sondern einer in Richtung Untergang.
Der Graf, wie gesagt, ist kein Wirtschaftskrimineller, vermutlich hat er auch noch ein gutes Gewissen. Leute seines Kalibers gibt es sehr wenige. Aber sollte die FDP aus dem Bundestag verschwinden, und sollten die Grünen sich dort nicht halten können, so trüge die Korruption des ganzen Systems das Gasthausschild »Zum Grafen Lambsdorff«. Denn so wenig wir heute behaupten können, daß die FDP im nächsten Bundestag nicht vertreten sein werde, so sicher wäre, daß die FDP, wenn aus dem Bundestag herausgefallen, an der Korruption nicht nur ihres, sondern des ganzen Spendensystems gescheitert sein würde, das die Großen schützt, die Kleinen aber säbelt.
Es war dann nicht der korrupte Minister, es war nicht einmal die korrupte Partei. Schon an der Wiege der Bundesrepublik stand als böse Fee die Spenden-Korruption.
Der Fehler der Genscher-FDP bestand ja nicht etwa darin, daß sie im üblichen Sinne, nach den von allen Bundestagsparteien seit 1950 geübten Regeln, korrupt gewesen wäre; vielmehr, sie hat zweimal versucht, der dritten Gewalt mittels einer Amnestie in den Arm zu fallen, das, und nur das, hat die Leute aufgescheucht. Da lag der Schluß denn nahe, was müssen die alles pekziert haben, daß sie derart verrückt spielen, und welche Hochgeborenen wollen sie schützen?
Es gibt ja die Großindustriellen nicht, die wir wegen ihrer Parteispenden und Bestechungsversuche im Gefängnis sehen werden. Wir werden auch keinen Bundesminister a. D. dort vorfinden. Was passieren wird, ist ein quälender Prozeß über Jahre, notwendig gleichwohl, wo nur ganz wenigen gefängnisreifes Unrechtsbewußtsein nachgewiesen werden kann.
In Sachen Amnestie ist Genscher der Alleinschuldige, wenn man die Bundestagsfraktion der FDP für einen Kindergarten hält. Graf Lambsdorff hingegen hat gegen zwei eherne Gesetze der Bundesrepublik verstoßen: Erst wurde er Landesschatzmeister, dann spekulierte er auf den Bundesminister, sein erster Fehler; und zweitens wurde er Bundesminister, ohne den Schatzmeister in sich zu vergessen. Wir wissen jetzt, daß beides zusammen nicht geht, und so fiel er zu Recht wie zu Unrecht durch den Rost.
Es galt, den Grafen und sich vom Grafen rechtzeitig abzuseilen - einen anderen wichtigen FDP-Mann gibt es in diesem Spektakel ja gar nicht mehr - , oder den Minister die Prozesse durchsitzen zu lassen, über Monate, über Jahre. Keine ernsthafte Alternative.
Genscher aber wollte ein Drittes, er wollte den Genscherschen goldenen Mittelweg beschreiten, der in der allerhöchsten Not auch den Tod bringen kann. Denn die Wähler sind nicht so sehr an der Korruption der Regierenden interessiert, die sie nahezu für selbstverständlich und jedenfalls für menschlich halten. Vielmehr, sie wollten nicht, per Selbstamnestie der Regierenden, regelrecht verarscht werden, zumal nicht die Klientel der FDP.
Es war doch immer klar, daß die Parteien den Satz im Artikel 21 des Grundgesetzes _____« Sie (die Parteien) müssen über die Herkunft ihrer » _____« Mittel öffentlich Rechenschaft geben »
umgangen haben, umgehen wollten und umgehen würden. Sie werden ihn weiter, gestützt auf höchstrichterliche Sprüche, des Bundesfinanzhofs, des Bundesgerichtshofs, des Bundesverfassungsgerichts, umgehen. Die SPD, angeblich doch von der Großindustrie benachteiligt, hat mitgemacht und wird, wie sie erst kürzlich durch Verabschiedung des neuen Parteiengesetzes klargestellt hat, weiter mitmachen. Grund, simpel und einleuchtend: »Wir brauchen Geld.«
Den einen Sinn hatten die Europa-Wahlen ja immerhin, daß die Parteien Staatsgelder in ihre Kassen schaufeln konnten, weil es ja wirklich nichts zu wählen und nichts zu deklarieren gab.
Das Grundgesetz schließt ein Zwei-Parteien-System nicht aus, aber es wurde auf ein Mehr-Parteien-System zugeschnitten. Fiele die FDP im Bundestag weg und verweigerten die Grünen, getreu ihren Existenzregeln, die Mitarbeit in jedweder Regierung: Wir hätten ein recht und schlecht funktionierendes System aus dem Schlecht und Recht ins Ungewisse ausgehebelt; nur durch Parteien- und Spenden-Korruption.
Merke: Wer silberne Löffel stiehlt, ist ein Dieb. Wer goldene Löffel stiehlt, dient dem Staat.