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WETTBEWERB Die Finger lecken

Der Pharma-Konzern Hoffmann-La Roche klagte vordem Bundesgerichtshof gegen das Kartellamt. Streitpunkt: die Preise der Beruhigungsmittel Valium und Librium.
aus DER SPIEGEL 48/1976

Über den Streitwert des Verfahrens waren sich die hochkarätigen Juristen rasch einig: Beiläufig 60 Millionen Mark hielten der Bundesgerichtshof (BGH) und die Parteien -- Bundeskartellamt und Hoffmann-La Roche -- für durchaus angemessen.

Auf 60 Millionen nämlich wird der Gewinnausfall geschätzt, den Hoffmann-La Roche im Fall einer Preissenkung seiner Beruhigungsmittel Valium und Librium in zwei Jahren hinnehmen müßte. Das Berliner Kammergericht hatte in erster Instanz auf Antrag des Kartellamts den größten Pharmakonzern der Welt zu einem Preisabschlag verurteilt. Begründung: Die Firma »mißbraucht ihre marktbeherrschende Stellung«.

Die Gewinneinbußen des Pillenmultis interessieren die Juristen in der Revisionsinstanz kaum -- ihnen ging es um andere Fragen: Wie weit reicht die sogenannte Mißbrauchsaufsicht des Bundeskartellamtes, wann besitzt ein Unternehmen eine beherrschende oder überragende Marktstellung« und wann nutzt es diese Position »mißbräuchlich« aus?

Seit der Kartellnovelle von 1973 nämlich wollen es die Berliner Wettbewerbsbeamten genau wissen: »Das Einschreiten gegen sogenannte Preismißbräuche« wurde nach Meinung des Tübinger Rechtsprofessors Wernhard Möschel zum »Schwerpunkt« der Kartellamts-Arbeit. Zwei betroffene Pharma-Firmen klagten sich durch alle Instanzen bis zum BGH: Merck und Hoffmann-La Roche.

Interpretationsschwierigkeiten bereitete in beiden Fällen der neugefaßte Paragraph 22 des Kartellgesetzes. Danach soll ein Unternehmen im Hinblick auf eine bestimmte Art von Waren als »marktbeherrschend« gelten, wenn es »keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist« oder wenn es »eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat«. Marktbeherrschung wird auch unterstellt, wenn die Firma »einen Marktanteil von mindestens einem Drittel hat«.

Zum Beweis für die marktbeherrschende Stellung von Hoffmann-La Roche hatte das Bundeskartellamt vorgetragen, der Konzern habe mit Valium und Librium auf dem für die Beurteilung »maßgeblichen« Beruhigungsmittel-Markt »einen Anteil von 53,3 Prozent beim Absatz über öffentliche Apotheken und von 85 Prozent im Krankenhausbereich erzielt«.

Und diese Stellung sei von den Konzernmanagern mißbraucht worden. Ein Gewinnvergleich mit anderen Pharma-Unternehmen ergebe, daß die Hoffmann-La-Roche-Preise »mindestens in Höhe von 40 Prozent beziehungsweise 35 Prozent« als »ausbeuterisch anzusehen« seien.

Die Interpretation des »maßgeblichen Marktes« wurde von den Juristen des Pillenmultis angefochten. Während das Kartellamt den Markt auf sieben Präparate eingrenzte, präsentierte der betroffene Konzern nicht weniger als 154 Vergleichsmedikamente -- inklusive Baldrian-Dispert.

Vom Preismißbrauch wollten die Firmenvertreter schon gar nichts wissen. Roche-Anwalt Oliver Brändel (Karlsruhe) rühmte, sein Auftraggeber habe seit 15 Jahren die Preise von Valium und Librium nicht mehr erhöht: »Nach soviel Preisstabilität würde sich der Wirtschaftsminister in anderen Bereichen alle zehn Finger lecken.«

Die Preisdisziplin kann nicht schwergefallen sein. Nach den Ermittlungen des Kartellamtes liegt »der Gewinnsatz bei Valium und Librium dreimal so hoch wie die mit anderen Medikamenten bei Roche erreichten Ergebnisse«. Die Umsatzrendite beider Präparate, rechnete der Kartellamtsdirektor Fritz Lanzensberger vor, betrage stolze 49 Prozent -- »ohne Abzug der Forschungskosten« sogar »60 Prozent«.

In dem bereits entschiedenen Merck-Prozeß hatten Kartellamt und Kammergericht dem Darmstädter Unternehmen vorgehalten, seine Preise für das Vitamin-B-1 2-Präparat Cytobion seien mißbräuchlich hoch -- obwohl zwei billigere Konkurrenzfirmen mit 33,8 Prozent und 22,4 Prozent Marktanteil Merck längst auf den dritten Platz verwiesen hatten.

Das Berliner Kammergericht hatte in erster Instanz sich mit einer schlichten Rechnung begnügt: Obwohl »mengenmäßig« Marktdritter, liege Mercks »wertmäßiger Anteil« am Gesamtumsatz (mit 1,28 Millionen Mark) immer noch »um mehr als die Hälfte über dem Marktanteil« des ersten (mit 839 000 Mark).

Diese Argumentation hatte die BGH-Richter im Juli nicht überzeugen können: Angesichts der tatsächlichen Markteinbußen könne von einer »überragenden Marktstellung« nicht mehr gesprochen werden. Merck blieb die verordnete Preissenkung erspart.

Bei den Beruhigungsmitteln ziehen derlei Einreden nicht. Nirgendwo werden die Roche-Preise unterboten. Im Gegenteil: Nach den Feststellungen des Kammergerichts sind die Vergleichspräparate »zumindest ungefähr gleichpreisig, überwiegend jedoch teurer«.

Der Marktführer argumentiert denn auch, der Wettbewerb werde zwar nicht über die Preise, wohl aber über die unterschiedliche Qualität der Produkte ausgetragen. Beweis: Ursprünglich habe es zwei Anwendungsgebiete gegeben, heute seien es achtzehn.

BGH-Präsident Robert Fischer mochte das nicht schlucken. Er bezweifelte, daß Qualitätsverbesserungen dieser Art dem Verbraucher nützen: ·.Was hat einer, der unter Angstzuständen leidet, davon, daß Valium nun auch bei Alkoholismus und Rheuma wirkt?«

Darauf ließen sich die Hoffmann-Anwälte nicht genauer ein. Sie bestanden darauf. daß weder die von der Kartellbehörde festgesetzten Preisabstriche von 40 Prozent bei Valium und 35 Prozent bei Librium berechtigt seien noch der Einheitssatz von 28 Prozent, den das Kammergericht verkündet hatte.

Tatsächlich lassen sich bei fehlendem Wettbewerb Wucherpreise nur schwer errechnen und nachweisen. Denn das Kartellamt ist auf die sogenannte »Als-ob«-Theorie angewiesen, die sich kaum in unanfechtbare Urteile umsetzen läßt: Die Beamten versuchen zu belegen, daß die Preise »erheblich von dem Stand abweichen, der bei wirksamer Konkurrenz bestehen würde«. Die realen Preise werden mit fiktiven ("Als-ob") Wettbewerbspreisen verglichen, die Spanne zwischen beiden gilt dann als Folge des Machtmißbrauchs.

Als Beleg für die illegalen Preisforderungen des Pharma-Produzenten gilt den Kartellbeamten die Tatsache, daß die Hoffmann-Laßoche-Beruhigungspillen zwei- bis dreimal so teuer sind wie vergleichbare holländische oder englische Medikamente.

Es sei »völlig ausgeschlossen«, hatte das Kammergericht moniert, daß zum Beispiel bestimmte Kraftwagen oder Haushaltsgegenstände »in Deutschland mehr als zweieinhalbmal soviel kosten« wie im Ausland.

Der Pillenmarkt, das wissen auch die Karlsruher Bundesrichter, ist allerdings aus einer Reihe von Gründen mit normalen Märkten kaum vergleichbar.

Schon im Merck-Urteil hatte der BGH darauf hingewiesen, daß sich die »Besonderheiten« nur so häufen: »Weil der verschreibende Arzt die Medikamente nicht selbst bezahlt und weil die Kosten im allgemeinen auch nicht den Patienten belasten, sondern von Dritten, nämlich von den Krankenkassen, ausgeglichen oder von Versicherungen erstattet werden.«

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