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»Die ganze Welt ist Sache der Nato«

Interview mit US-Außenminister Alexander Haig Copyright by Arnaud de Borchgrave and Michael Ledeen.
aus DER SPIEGEL 6/1981

FRAGE: Welche wichtigsten außenpolitischen Prioritäten haben die USA?

HAIG: Ich würde drei fundamentale Ziele nennen: Konsequenz, Zuverlässigkeit und Gleichgewicht. Priorität gebe ich auch dem Bestreben, die atlantische Gemeinschaft zu stärken und wirksamer zu integrieren, um eine konzertierte Politik zu entwickeln. Wir müssen über die traditionellen, routinemäßigen Konsultationen hinausgelangen.

FRAGE: Mit der Geschwindigkeit des langsamsten Schiffs im atlantischen Konvoi?

HAIG: Nein, natürlich nicht. Die Gangart muß durch einen wesentlichen Konsensus, nicht aber unbedingt durch Einstimmigkeit festgelegt werden.

FRAGE: Einige Beobachter Ihres Auftritts vor dem Außenpolitischen Senatsausschuß meinen, daß die Regierung Reagan keine durchgreifenden Neuerungen in der Außenpolitik anstreben werde, sondern das angeschlagene Image der amerikanischen Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit aufpolieren will. Ist dieser Eindruck richtig?

HAIG: Das ist eine zu große Vereinfachung. Das Bemühen um Konsequenz, Zuverlässigkeit und Gleichgewicht wird in einigen Fällen entscheidende Neuerungen notwendig machen. Wir streben aber keine Veränderung um der Veränderung willen an.

Ich behaupte, daß alle freien Nationen heute die Explosion des internationalen Terrorismus sowie der illegalen Interventionen und Kriege zur sogenannten nationalen Befreiung durch die Sowjet-Union und ihre Stellvertreter mit größter Sorge verfolgen. Dieser Frage will ich mehr Gewicht geben.

FRAGE: Unmittelbar vor der eigenen Haustür haben die USA es mit einem anderen Problem zu tun: Alfonso Robelo, ein ehemaliges Mitglied der sandinistischen Junta, hat seine Kollegen kritisiert, Nicaragua zum Satelliten eines Satelliten der Sowjet-Union -nämlich Kubas -- werden zu lassen. Ein anderer Überläufer aus den Reihen der Guerillas in El Salvador behauptet, etwa 200 kubanische Militärberater versuchten in Zusammenarbeit mit den marxistischen Rebellen die Junta in El Salvador zu stürzen.

Können Sie diese Information bestätigen? Sind die USA bereit, in El Salvador ein zweites Nicaragua hinzunehmen?

HAIG: An einem starken Engagement Kubas in El Salvador besteht kein Zweifel, und auch für ein Engagement Nicaraguas finden wir immer mehr Beweise.

FRAGE: Sind die USA Ihrer Meinung nach der zunehmenden kubanischen Unterwanderung der westlichen Hemisphäre vor allem in Mittelamerika und der Karibik wirksam entgegengetreten?

HAIG: Meine Antwort ist ein kategorisches »Nein«. Die ganze Situation wird jetzt überprüft.

FRAGE: In den Hearings anläßlich Ihrer Bestätigung als künftiger Außenminister haben Sie die Notwendigkeit betont, zur russischen Militärmacht ein Gleichgewicht zu schaffen. Ist das angesichts der gegenwärtigen Haltung einiger Nato-Verbündeter möglich?

HAIG: Ich habe es vermieden, unsere Nato-Partner öffentlich zu kritisieren, weil ich aufgrund meiner eigenen Beobachtungen während eines längeren Zeitraums den Eindruck gewonnen habe, daß wir alle mehr tun müssen und sich der Beitrag unserer europäischen Verbündeten in einigen Fällen ermutigend gebessert hat. Bei dem gegenwärtigen starken Konjunkturrückgang in Europa und Amerika ist ein Fortschritt natürlich etwas schwieriger.

Überdies sind unsere eigenen amerikanischen Verteidigungsanstrengungen bis S.105 zum letzten Jahr ständig zurückgegangen. Wir können von unseren Verbündeten daher schwerlich erwarten, daß sie nun von einem Tag auf den anderen von dieser Entwicklung abrücken. Wir müssen davon ausgehen, daß wir alle mehr tun müssen. Und das müssen wir unseren europäischen Verbündeten ebenso wie unseren eigenen Volksvertretern verständlich machen.

FRAGE: Könnten die USA im Persischen Golf derzeit einen Krieg führen und gewinnen?

HAIG: Die Antwort auf diese Frage hängt entscheidend von der Art des Konflikts ab. Ich bin mit unseren derzeitigen Möglichkeiten, einen Konflikt in dieser Region erfolgreich zu bewältigen, nicht zufrieden. Ich teile vielmehr die Ansicht von Verteidigungsminister Caspar Weinberger, daß wir nicht hinreichend für alle Eventualitäten gerüstet sind.

FRAGE: Könnten Sie den Golf ohne ständige amerikanische Militärpräsenz am Boden in dieser Region hinreichend verteidigen? Oder könnten die USA, wie die Saudis es vorziehen, das Gebiet aus dem Arabischen Meer und dem Indischen Ozean verteidigen?

HAIG: Ich war nie ein Verfechter der horizontübergreifenden Lösung jener potentiellen Gefahren, die der Nahe Osten heute birgt. Wir prüfen gegenwärtig mögliche Standorte für eine verstärkte amerikanische Präsenz.

FRAGE: Zu Lande?

HAIG: Zu Lande und in der Luft. Doch wir dürfen bei diesen Überprüfungen keine Umstände schaffen, die die Gefahren für die Interessen des Westens verstärken würden. Wenn wir kein Fingerspitzengefühl beweisen, werden wir die Beziehungen zu Ländern wie Saudi-Arabien womöglich gefährden und die prowestlichen Strömungen in einem Land wie dem Irak gar ins Gegenteil verkehren.

FRAGE: Wenn die USA und ihre Verbündeten das Militärpotential aber so drastisch verstärken müssen, warum ließ die Reagan-Administration dann als eines der ersten Signale durchblicken, daß die USA bereit seien, auf die angestrebte Erhöhung der realen Verteidigungsausgaben aller Nato-Mitglieder um drei Prozent zu verzichten? So zumindest wurden die Aussagen des Verteidigungsministers Weinberger in den Bestätigungs-Hearings und die Bemerkungen interpretiert, mit denen Sie seine Erklärungen in Ihren eigenen Hearings unterstützten.

HAIG: Ich glaube nicht, daß Verteidigungsminister Weinberger sagen wollte, wir verzichteten auf die geplante Aufstockung der Verteidigungsausgaben. Ganz im Gegenteil.

FRAGE: Eine Senkung der Verteidigungsausgaben steht also nicht zur Debatte?

HAIG: Keineswegs. Ich sagte, die geplante Erhöhung um drei Prozent sei nicht ausreichend. Ich halte nichts von statistischen Zielsetzungen, sie sind lediglich ein Hilfsmittel der Verwaltung. Es ist viel besser, innerhalb der Nato-Streitkräfte globale Verbesserungen anzustreben. Wir sollten uns daher nicht auf abstrakte quantitative Ziele festlegen. Ich war damals gegen die Drei-Prozent-Lösung, ich war für eine Erhöhung um fünf bis sieben Prozent. Aber es gibt noch andere, nichtquantitative Faktoren, die von großer Bedeutung sind: bessere Disziplin, bessere Koordination, Modernisierung und dergleichen.

FRAGE: Ist für die Nato und Japan jetzt der Zeitpunkt gekommen, zur Verteidigung der westlichen Interessen außerhalb des Nato-Raums mit anderen prowestlichen Staaten zusammenzuarbeiten? Sollte der Persische Golf nicht zu einem wichtigen westlichen Interessengebiet erklärt werden und nicht nur zum amerikanischen Verantwortungsbereich?

HAIG: Ob die Nato als Organisation nun beschließt, sich mit diesen Problemen außerhalb ihres eigenen geographischen Raums zu befassen oder nicht, Tatsache ist, daß sie von diesen Problemen betroffen wird.

FRAGE: Wollen Sie damit sagen, daß die ganze Welt Sache der Nato sein sollte?

HAIG: Die ganze Welt ist in der Tat Sache der Nato.

FRAGE: Die Entspannung wurde zuweilen als eine Methode dargestellt, die Sowjet-Union durch Einweben in ein Netz gegenseitiger Interessen mit dem Westen von einer weiteren Expansion abzuschrecken. Ist jetzt der Zeitpunkt für eine kritische Überprüfung dieses Konzepts gekommen?

HAIG: Die gegenwärtige amerikanische Regierung wird auf dem Junktim als fundamentaler Basis der Ost-West-Beziehungen beharren.

FRAGE: Der Präsident hat in der Tat oft von seiner Absicht gesprochen, die Politik des »linkage« neu zu beleben. Gilt dieses auch für das derzeitige Vorgehen der Sowjets in Afghanistan, im Südjemen und womöglich in Mittelamerika wie auch für die Operationen ihrer kubanischen, libyschen und DDR-Stellvertreter? Oder gilt es nur für künftige Aktionen wie eine eventuelle Invasion Polens?

HAIG: Das Junktim gilt für den gesamten Bereich der Ost-West-Beziehungen, wie sie sich heute darstellen und wie sie sich vielleicht morgen herausschälen.

FRAGE: Kronprinz Fahd von Saudi-Arabien hat soeben wiederholt, daß ein Dschihad, ein Heiliger Krieg, jetzt die einzige Möglichkeit sei, den arabisch-israelischen Konflikt zu lösen. Er behauptet, Frieden mit dem israelischen Feind sei ein Mythos. Ist das Camp-David-Abkommen unter diesen Umständen noch ein praktikabler Ausgangspunkt?

HAIG: Ich bin überzeugt, daß Saudi-Arabien weiterhin eine ebenso konstruktive Rolle spielen wird wie bisher. Die Vereinigten Staaten ihrerseits werden den Friedensprozeß weiterhin unterstützen. Wenn wir einmal die derzeitige Situation mit dem Stand vor zehn Jahren vergleichen, haben wir trotz aller gegenwärtigen Besorgnisse beträchtliche Fortschritte erzielt. Die Verhandlungen von Camp David lassen nach meiner Einschätzung immer noch auf eine Fortführung dieses Fortschritts hoffen.

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