KIRCHE Die Geheimdiener Gottes
Der neue Mann ist sichtlich gut gelaunt. Lustig macht er sich über all das, was über jene Organisation geschrieben wird, der auch er angehört. In einem Café, gleich unterhalb des Kölner Doms, sitzt Stephan Georg Schmidt, frischgekürter Chef der »Stabsabteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit« von Kardinal Joachim Meisner.
Doch Schmidt, 44, ist nicht nur kirchlicher Pressemann, nicht nur einfaches Mitglied der katholischen Kirche. Er ist Mitglied bei Opus Dei, jenem konservativen Geheimbund, den der heilige Josemaría Escrivá de Balaguer 1928 gründete, angeblich »auf Eingebung Gottes«. Schmidt ist »Supernumerarier« - eine Art Dienstgrad für verheiratete Mitglieder.
Natürlich kennt der katholische Öffentlichkeitsarbeiter den Thriller »Sakrileg«, jenen Hollywood-Streifen, in dem Mitglieder von Opus Dei vorgeführt werden, als wäre das Mittelalter noch nicht vergangen. Schmidt trinkt einen Cappuccino, dann winkt er verächtlich ab - es sei ein schrecklicher Film. Das Opus Dei, beruhigt er, morde seine Gegner nicht.
Für zwei Herren, die dem Erzbistum Köln lange Zeit treu gedient haben, ist das ein schwacher Trost. Natürlich reden sie nicht von Mord. Und dennoch fühlen sie sich in diesen Tagen so, als sei die grausame Zeit doch noch nicht ganz vorbei. Manfred Becker-Huberti, Sprecher des Erzbistums, und Erich Läufer, Chef der Bistumszeitung, wurden von Kardinal Meisner quasi über Nacht ausgebootet. Anfangs waren ihnen die Hintergründe unklar. Denn ihr Nachfolger Schmidt hatte bis dahin strikt nach den Gepflogenheiten bei Opus Dei gelebt. Denen zufolge sind die Mitglieder angehalten, ihre Zugehörigkeit zur Organisation »nicht unbedarft zur Schau« zu tragen. Erst nach Schmidts Ernennung erfuhren die Kölner Katholiken, dass er Supernumerarier ist.
Seitdem wissen auch Becker-Huberti und Läufer, dass es bei ihrer Abberufung um mehr geht als eine gewöhnliche Personalrochade. Der Wechsel hat hohe Symbolkraft: Denn überdeutlich wird damit der Machtzuwachs der Erzkonservativen in der katholischen Kirche, vor dem Opus-Dei-Kritiker wie der Publizist Peter Hertel immer gewarnt haben. Der Bund, lautet die Mahnung des engagierten Katholiken, wolle »Schaltstellen nicht nur in der Kirche besetzen«. Viele Indizien belegen inzwischen Hertels These von der gezielten Kaderarbeit der Geheimdiener Gottes. Weltweit haben sie 86 000 Mitglieder und Aktivisten. Ganze Einrichtungen - Vereine und Heime - geraten auch in Deutschland unter den Einfluss des erzkonservativen Zirkels. Selbst liberale Kräfte wie Kardinal Karl Lehmann geben seinem Drängen mitunter nach.
Dabei ist Opus Dei nach eigenem Verständnis natürlich kein Geheimbund, son-
dern ein vom Papst anerkanntes »Werk Gottes«, Internet-Auftritt inklusive. Doch die Glasnost-Show ist wenig glaubwürdig. Nach wie vor sind die Spender des Werkes so geheim wie die Mitgliederlisten. Nach wie vor müssen Mitglieder »übernatürlich« berufen sein, sie sind an die dem Vatikan direkt unterstehende Personalprälatur »vertraglich« gebunden.
In Deutschland hat diese Kirche in der Kirche mehr als tausend überaus eifrige Aktivisten, die ihre extrem konservativen Positionen in Fragen von Glaube, Erziehung, Familie und Sexualität propagieren. Besonders fortgeschritten ist ihr Marsch durch die Institutionen in Köln. Denn:
* Kardinal Meisner selbst ist eng vertraut mit dem deutschen Opus-Dei-Chef Christoph Bockamp und fördert großzügig dessen Arbeit. Im August erst weihten sie gemeinsam zu Ehren des Gründervaters Escrivá einen neuen Altar in einer Kölner Kirche ein;
* auch Generalvikar Dominik Schwaderlapp schwärmt von der Institution: »Ich bin froh, dass es Opus Dei gibt, dass es im Erzbistum wirkt und zur Vielfalt beiträgt«;
* der Direktor des erzbischöflichen Priesterkollegs, Markus Hofmann, engagiert sich für die Ziele Escrivás. Die einst liberal-katholische Nachwuchsstätte ist heute unter Einfluss des elitären Zirkels;
* unter Kölner Kirchenjuristen, im Priesterrat und in einer Reihe von Gemeindeinstitutionen sind weitere Opus-Dei-Mitglieder. Insgesamt zählen im Erzbistum etwa 300 Anhänger dazu.
Der abservierte Kirchenpublizist Läufer beklagte sich indirekt über den Vormarsch: »Auch unter Kirchenleuten wird es Strippenzieher geben und Heckenschützen«, schrieb er in einem Leitartikel, »wobei besonders erbärmlich die Zuträger sind und die Denunzianten.« Diese »Arroganz der Macht« sei es, die »dem Gottesvolk die Luft zum Atmen nimmt«.
Letzteres ist ganz offenkundig der Fall. Denn oppositionelle Stimmen sind inzwischen die Ausnahme im Bistum. »Sehr bedauerlich« findet der Kölner Pfarrer Winfried Hamelbeck, »dass sich der Trend zum Konservativen fortsetzt«. Und Gerhard Herkenrath, Amtsbruder aus der Gemeinde St. Alban, beklagt, dass sich der Kardinal »überwiegend mit sehr anpassungsfähigen jungen Leuten« umgebe. Disziplinierend wirken zudem angekündigte Sparmaßnahmen. Widerspruch gilt da als unbotmäßig, viele fürchten Versetzung oder Kündigung.
Und sie sehen, wie das Netzwerk funktioniert: Empfohlen wurde Schmidt bei Kardinal Meisner und Generalvikar Schwaderlapp von der Personalberaterin Mechthild Löhr, Bundesvorsitzende der »Christdemokraten für das Leben«. Die Lebensschützerin »schätzt das Opus Dei sehr«. Schmidt, zuletzt Redakteur der »Wirtschaftswoche«, nennt sie einen »exzellenten Journalisten«. Der schwärmte nach dem ersten Papstbesuch vom »Wertebewusstsein« in Deutschland, in der »Tagespost« zog er gegen die Abtreibungspille zu Felde.
Schmidts Ehefrau Maria wiederum gehört zur konservativen »Apostolatsbewegung Regnum Christi«, die mit den »Legionären Christi« verbunden ist. Kardinal Meisner persönlich hatte sie zur Mitarbeit ermuntert. Zudem arbeitete sie im Förderverein des vom Kölner Opus-Dei-Netzwerk unterstützten Mädchengymnasiums Jülich. Im Juni organisierte Maria Schmidt für 1600 Teilnehmer die Kinderbetreuung des »Forums Deutscher Katholiken« in Fulda, ihr Mann agierte als Moderator. Das »Forum« ist ein alljährliches Treffen fundamentalistischer Gruppierungen, mit dabei der deutsche Opus-Dei-Chef Bockamp.
Schien das Gotteswerk lange Zeit ein Club älterer Herrschaften zu sein, ein Auslaufmodell, allein aus Altersgründen ohne Zukunft, haben die Vorleute nun offenbar mit Erfolg Nachwuchsarbeit betrieben. Inzwischen versteht es das »Werk Gottes« bestens, junge Katholiken zu locken, um ihre Karriere im weltlichen Beruf oder als Kirchenfunktionär zu fördern. Die rund 30 Opus-nahen Studentenheime, Treff- und Tagungshäuser in 26 deutschen Städten sind meist gediegene, mitunter luxuriöse Immobilien in bester Lage, teils ausgestattet mit Swimmingpool oder Squashhalle.
Selbst Aussteiger wie Michael Lehner, 30, bis vor wenigen Jahren noch auf dem besten Weg zum zölibatären Opus-Numerarier, schwärmen von der Rundumversorgung in den heiligen Hallen, mit Speisen, Getränken, Festen, Stipendien und Reisen. Fromme, fleißige Frauen bedienten voller Eifer - meist ausgebildet in den Opus-nahen Hauswirtschaftsschulen und Tagungszentren in Köln, Ettal, Solingen, Jülich oder Euskirchen.
Als Student war Lehner fasziniert davon, wie der Kontakt zwischen Männern und Frauen in Opus-Dei-Heimen organisiert war. Über das Haustelefon rief der Heimleiter die »hauswirtschaftliche Verwaltung« an. Der Priester sagte »Pax« (Frieden), die Frau am anderen Ende antwortete »in aeternum« (in Ewigkeit), dann folgte die Essensbestellung. Erst auf ein Glockenzeichen hin wurde aufgetafelt. Ansprechen oder Blickkontakt sollten wegen der »verführerischen Kraft der Frauen« möglichst vermieden werden.
Finanziert wird dieses eigenwillige Verwöhnprogramm hauptsächlich durch Spenden. Viele Mitglieder legen ihr Vermögen komplett offen, führen große Summen ab, mitunter sogar das gesamte Monatseinkommen. Dazu kommen Spenden von Unternehmern und vom Hochadel.
Doch wie das global agierende Gotteswerk mit Hauptsitz in Rom genau funktioniert, liegt im Dunkeln. Nur manchmal werden die Geldflüsse sichtbar. Opus-nahe deutsche Einrichtungen erhielten - so geschehen in Köln, Essen oder Aachen - für
Baumaßnahmen Millionenzuschüsse. Viele »Vereine«, »Kulturgemeinschaften« oder »Stiftungen« mit wohlklingenden Namen sind rechtlich eigenständig. Geführt oder begleitet werden sie freilich von Opus-Dei-Mitgliedern.
Als Kaderschmiede des Bundes gelten das Kölner »Bildungszentrum Maarhof« und das »Studentenheim Schweidt«, in dem auch der neue Meisner-Sprecher Schmidt »ab und zu verkehrte«.
Dort erlebte Aussteiger Lehner einen fast militärischen Alltag: Zum normalen Takt der Opus-Aspiranten gehören das Wecken um 5.50 Uhr, das wöchentliche »sleeping« auf dem Fußboden. Im Sommer sollen sich Numerarier nicht an Stränden aufhalten, um die »heilige Reinheit« nicht zu gefährden. Streng ist ebenfalls das Gebetsritual: Der Tag beginnt mit dem morgendlichen Kuss des Fußbodens und dem Ausruf »Serviam!« (Ich werde dienen), es folgen Messe und Beichte, spätabendlich wird der Rosenkranz gebetet, in den hauseigenen Kapellen werden in Gold gefasste Fetzen der Soutane des Gründervaters als Reliquie verehrt. Besinnungstage, Jahreskurse, »Aussprachen« und »Gewissenserforschungen« mit dem geistigen Leiter lassen kaum noch Zeit für eigene Spielräume. Obendrein sorgen »brüderliche Zurechtweisungen« beim Verletzen selbst kleinlichster Regeln und Verbote für Dauerstress. Bußgürtel und Geißel kommen zum Einsatz - mit einem eigenartigen Ziel: Am Ende des Lebens sollten die Mitglieder, nach einem Wort des Gründers, »ausgepresst sein wie eine Zitrone«.
Verlangt wird ein bis in die Haarspitzen gehender Missionseifer, das »Apostolat": Jeder soll weitere Kandidaten, möglichst Intellektuelle oder Multiplikatoren, in seinem Umfeld gewinnen. Die Namen der
aussichtsreichen Aspiranten werden jedes Jahr am 18. März, dem Vorabend zum Hochfest des heiligen Josef, in eine »Josefsliste« eingetragen und dem Heiligen im Gebet anvertraut. Ein streng vertraulicher Vorgang, von dem die Betroffenen meist nichts wissen.
Eine besondere Rolle in dem Netzwerk spielt die Pfarrei St. Pantaleon, eine der ältesten Kölner Innenstadtkirchen, die seit langem fest in der Hand des Opus Dei ist. In der riesigen Kirche sammeln sich täglich Anhänger des Werkes zu Beichte, Rosenkranz und Abendmesse. Ein Hauch Sakrileg-Atmosphäre weht dem Besucher bereits im spärlich erleuchteten Klostergelände rund um die Kirche entgegen, erst recht im Inneren des romanischen Baus, der auf den Fundamenten einer römischen Villa steht. Kerzen flackern, tiefe Schatten verbergen die Seitenkapellen und Altäre, das Chorgestühl des Hochaltars.
Hier führt der bekennende Opus-Dei-Pfarrer Peter von Steinitz sein Regiment. Gern predigt er von Schuld und Sünden, von Verdammnis und den angeblich nötigen Opfern. Mitte November wetterte er gegen den Koran, der die Gewalt legitimiere - im Gegensatz zur Bibel. Dann berichtete er von einem jungen einsichtigen Türken, der sich »im Opus-Dei-Studentenheim« dieser Tage taufen ließ.
Die flammenden Reden des gestrengen Pfarrers haben die Gemeinde zerrüttet, seit 1990 hat sich die Mitgliederzahl von 3952 auf nur noch 2471 reduziert. Doch trotz des Verlusts - und der damit eigentlich einhergehenden Finanznot - standen Gelder für Anschaffungen im Geiste des Opus Dei stets bereit, etwa für eine eigene Seitenkapelle zur Verehrung des Gründers Escrivá.
Mehr als die angestammte Gemeinde interessierte Gottes Geheimdiener die Nutzung des repräsentativen Kirchengebäu-
des für allmonatliche Einkehrtage des Bundes und für Sponsorentreffen eines »Freundeskreises St. Pantaleon«. Bei speziellen Veranstaltungen strömt diese Opus-Zielgruppe zusammen, aus Köln, Bonn und Düsseldorf. Auf dem ehemaligen Klostergelände parken dann dunkle Limousinen, teils mit Chauffeur. »Sie machen eben Randgruppenarbeit«, spottet ein früheres Gemeindemitglied. »In der Randgruppe der Reichen eben.«
Nur eine kleine Schar Franziskanerinnen, seit Jahrzehnten auf dem Gelände sesshaft, leistet stillen Widerstand gegen das neue Treiben. Zornesröte steigt den sonst so friedlichen Schwestern ins Gesicht, wenn sie an den Imageschaden für die Kirche durch das Opus Dei denken. Sie betreiben ein liberales »Haus der Bildung und Begegnung« im Pantaleonskloster und mussten erleben, wie die Männer des Werkes versuchten, auch sie freundlich zu übernehmen.
Was die Schwestern besonders empört: Bei seinem Streben nach Macht kann sich das Gotteswerk zunehmend auf deutsche Bischöfe stützen und eben nicht nur auf Meisner. Anlässlich der Heiligsprechung von Opus-Gründer Escrivá würdigte sogar Kardinal Karl Lehmann auf einer Kundgebung im Berliner Martin-Gropius-Bau den Erfinder des Geheimbundes. Der sonst auf seinen liberalen Ruf bedachte Lehmann warb nun für ein »vorurteilsfreies Bild« von Opus Dei, wandte sich gegen falsche Verdächtigungen und wünschte sich mehr Beschäftigung mit dem »grundlegenden Charisma« des Initiators.
Selbst für die Geheimhaltung der Mitglieder äußerte Lehmann Verständnis, nachdem ihn ein Numerarier darüber belehrt hatte. »Endlich«, freute sich einer der Teilnehmer anschließend, »hat das Werk auch in Deutschland den richtigen Auftrieb!«
Schmidts Aufstieg in Köln, die Feier im Gropius-Bau - aus Sicht der Opus-Dei-Kritiker sind die beiden Vorgänge Teil einer Strategie. Und der nächste Coup ist schon in Vorbereitung: Im brandenburgischen Bildungsministerium wurde in diesem Herbst ein neuer Antrag für ein Jungengymnasium eingereicht, das schon im kommenden Schuljahr in Potsdam öffnen könnte. Antragsteller ist natürlich nicht das Opus Dei direkt, sondern eine »Fördergemeinschaft für Schulen in freier Trägerschaft«, in der seine Anhänger mitwirken. Mehr als hundert Schulen beeinflussen das Gotteswerk und seine befreundeten Vereine schon in aller Welt. Die interne Führungszeitschrift »Crónica« lobt, dass der größte Teil der Opus-Dei-Mitglieder aus diesem »Werk der frühen Formung« stamme. Die »Besten« an den Schulen und Studentenheimen würden herausgefischt.
Solche wie Journalist Schmidt etwa. Schon als Student hatte er Kontakt zu Opus Dei. PETER WENSIERSKI
* Mit Kardinal Joachim Meisner (2. v. r.) im Kölner Dom am 19. Januar 2002. * In der San-Eugenio-Basilika in Rom.