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KRIEGSVERBRECHEN Die gespaltene Stadt

In Nürnberg soll der Großindustrielle Karl Diehl die ihm verliehene Ehrenbürgerwürde wieder zurückgeben. Zeitzeugen legen dem Waffenproduzenten zur Last, er habe Zwangsarbeiter im Dritten Reich »wie Sklaven« gehalten. Von Hans-Joachim Noack
Von Hans-Joachim Noack
aus DER SPIEGEL 52/1997

Welchen Zeitraum umfaßt bei einem Menschen, den seine Stadt zum Ehrenbürger erkoren hat, das für diese bedeutende Auszeichnung maßgebliche Lebenswerk? Muß zweifelsfrei sichergestellt sein, daß er über die gesamte Wegstrecke seines Wirkens Vorbildliches schuf - oder reicht dazu, wie im Falle des in Nürnberg dekorierten Diplom-Ingenieurs Karl Diehl, 90, ein halbes Jahrhundert?

Daß der Großindustrielle, der noch heute als Verwaltungsratsvorsitzender einen potenten Technik- und Rüstungskonzern steuert, in der Frankenmetropole seit Ende des Zweiten Weltkrieges zu den herausragenden Persönlichkeiten gehört, bestreitet dort kaum jemand. Ohne seine umfänglichen Spenden wäre allem voran die zerbombte historische Altstadt nicht so perfekt saniert worden.

Karl Diehl, der generöse und kunstsinnige Mäzen, dem es zu danken ist, daß etwa die in Bronze gegossenen Türflügel am Hauptportal der prächtigen Lorenzkirche wieder instandgesetzt wurden, darf sich aber auch darüber hinaus eines erstaunlichen Leumunds rühmen. Die Mehrheit der in seinem straff organisierten Familienimperium ordentlich versorgten überschlägig 13 000 Belegschaftsmitglieder schwört auf den Patriarchen.

Da konnte kaum ausbleiben, daß der Unternehmer, der im Geschäftsjahr 1996 rund 2,7 Milliarden Mark Umsatz erarbeitete, jede Menge Lorbeer erntete. Das »personifizierte Wirtschaftswunder«, wie ihn die »Frankfurter Allgemeine« umschmeichelt, trägt das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik. Er ist Ehrenbürger von Röthenbach an der Pegnitz und Nonnweiler im Saarland - zwei Gemeinden, in denen er Haushaltsgeräte oder Panzerketten produziert.

So mochte auch das CSU-geführte Nürnberg nicht länger zurückstehen. Im Juli dieses Jahres ließ die Stadt dem Sohn eines Kunstgießermeisters die höchste Würde zuteil werden, die die Ratsherren verleihen dürfen. Aber spätestens damit endet das leichter erzählbare Kapitel einer auf schmerzliche Weise deutschen Geschichte.

Denn hinter der Fassade schwelte ja immer noch was. Schon im Frühling störten die im Parlament opponierenden Bündnisgrünen die schöne Harmonie, indem sie bohrende Fragen zu stellen wagten. Schließlich ist die 1938 zur Waffenschmiede umgebaute Diehl GmbH & Co. jenen Betrieben zuzurechnen, die im Nazi-Reich mit dem Einsatz von Zwangsarbeitern saftige Profite erwirtschafteten.

Genaueres erfuhr die Öffentlichkeit erst im November, als sich ehemalige Häftlinge zu Wort meldeten, die im niederschlesischen Peterswaldau für die Diehlschen Werke Zeitzünder fertigten. Man habe sie dort in einem Außenlager des KZ Groß-Rosen »wie Sklaven gehalten«, berichtet ein knappes Dutzend jüdischer Frauen vor den laufenden Kameras zweier Nürnberger Dokumentarfilmer, Jim Tobias und Bernd Siegler. Wer entkräftet sein Plansoll verfehlte, sei nach Auschwitz deportiert worden.

Seit zum Beispiel die in Israel lebende Hela Wolfowicz, 64, ihre von Hammerschlägen gezeichneten Hände ins Bild hielt, ist es in der Stadt des bekannten Christkindlesmarktes um das sorgsam gepäppelte Vorweihnachtsflair erst mal geschehen. Der bereits vor Kriegsbeginn zum Firmenchef aufgestiegene Menschenfreund erscheint nun unvermittelt in eher trübem Licht.

An dessen Reichtum klebe »Blut« - der »Waffen-Tycoon« müsse enteignet werden, fordert auf seiner Demo etwa der Stoßtrupp einer »Antifa Kritik & Kampf«. Nur mit Mühe gelingt es dem eigens eingesetzten Bayerischen Unterstützer-Sonderkommando (USK), die gefürchteten Autonomen von der im feinen Wohnviertel Erlenstegen gelegenen Villa Diehls fernzuhalten.

In den Leserbriefspalten der einheimischen Tagespresse bekunden Gegner wie Anhänger des Unternehmers Wut und Trauer, während sich der betroffene Greis sozusagen aus dem Off an der heiklen Debatte beteiligt. Per mehrfach geschalteter Zeitungsanzeige klärt er darüber auf, was »Geschichte zu schreiben heißt«.

Wer der Historie halbwegs gerecht werden möchte, streut der an den hohen Ton gewöhnte Diehl, habe die »Gegebenheiten der Zeit in ihren Wirkungszusammenhang hineinzustellen«. Selbstredend ist für ihn der Einsatz von Zwangsarbeitern »in der Kriegssituation unvermeidbar« gewesen. »Übergriffe« will er in dem Maße geahndet haben, wie es seine von der Gestapo »eingeschränkten Verfügungsbefugnisse« möglich machten.

»Soweit Menschen, gleich welcher Herkunft« in seinen Betrieben »Leid widerfahren« sei, bedauert das der noch immer rüstige Herr natürlich. Sohn Werner, 51, wird nach Wochen eines peinlichen Hickhacks sogar nach Israel geschickt, um den Überlebenden unter den vormaligen Mitarbeiterinnen wie der 76jährigen Ruth Kass »im Namen des Vaters« Zuwendungen anzudienen. »Ohne Rechtsanspruch« allerdings.

Die Reflexe des alten Mäzens, wonach sich mit Geld in der Welt einiges arrangieren läßt, stimmen noch - zugleich nistet aber auch ein groteskes und offenbar unausrottbares Mißverständnis in ihm: Diehl junior, tönt für den Seniorchef der Firmensprecher Dirk-Michael Zahn, habe den gequälten Frauen »die Hand gereicht«. Man wolle nun Zug um Zug einen »Dialog der Versöhnung« aufnehmen.

Der mutmaßliche Täter bietet seinen Opfern, anstatt sich schlicht zu schämen und um Verzeihung zu bitten, eine gemeinsame Vergangenheitsbewältigung an. In der gebrandmarkten und noch immer unter ihrem Nazi-Image leidenden »Stadt der Reichsparteitage« ist das kein ganz neuer Gedanke. Eine ähnliche Idee hatte schon vor Jahren den einflußreichen IG-Metall-Bevollmächtigen Gerd Lobboda umgetrieben.

Gab es da nicht den von allen geschätzten Arbeiterführer, seinen Vor-Vorgänger Otto Kraus, heute 89, der von den Schergen Hitlers nach Dachau verschleppt worden war? Den mit dem Spezi des Franz Josef Strauß, Karl Diehl, zu verbandeln, um sie beide zu Ehrenbürgern zu ernennen, hätte nach dem Geschmack des Gewerkschafters dem skeptischen Ausland ein gewandeltes, »das geläuterte Nürnberg« vor Augen geführt.

Aus der Ende der Achtziger eingefädelten PR-Aktion wurde aber nichts. Irgendwie kam der legendäre Kraus bei den seinerzeit regierenden Sozis unter die Räder - freilich, zu einem Kuhhandel zeigt sich die Partei auch später noch bereit. Als der Waffenproduzent Anfang des Jahres auf dem CSU-Ticket erscheint, sperrt sich der SPD-Fraktionschef Jürgen Fischer allein aus machtpolitischem Kalkül: Die Christsozialen hatten den im Gegengeschäft nominierten einstigen Kulturreferenten Hermann Glaser verschmäht.

Darf es da verwundern, daß die gefesselten Genossen selbst dann noch zögern, als der im Regional-TV ausgestrahlte Film für Furore sorgt? Insbesondere die in den engsten Führungszirkel ihrer Bundes-SPD eingerückte Nürnbergerin Renate Schmidt läßt sich nicht beirren und rät dem Konzernherrn, auf die Opfer zuzugehen.

Nur, für einen derart »wohlmeinenden Vermittlungsversuch« liegen die örtlichen Parteien schon allzu scharf miteinander in Fehde. Wie soll ein Ehrenbürger beurteilt werden, lautet die Kernfrage, der zwar allerhand Gutes getan hat, aber keineswegs ein »ganzheitlich vom Humanismus geprägtes Leben« belegen kann? So zumindest argumentiert die Fraktionschefin der Grünen, Christine Stahl, die danach beantragt, dem »verstrickten« Rüstungsfabrikanten die verliehene Würde wieder abzusprechen.

Dazu rafft sich schließlich auch die lange desorientierte SPD auf - doch die Kräfteverhältnisse in der einstmals linken Hochburg erlauben nun keine Zäsur mehr. In einer Kampfabstimmung weist die CSU des erzkonservativen Oberbürgermeisters Ludwig Scholz das grün-rote Ansinnen am vorvergangenen Mittwoch energisch zurück. Die Freien Wähler, die FDP und die Republikaner helfen ihr.

Ein Versuch ist damit gescheitert, den der bayerische Innenminister Günther Beckstein anderntags nicht nur als für die Stadt »schädlich«, sondern darüber hinaus auch »menschlich schäbig« attackiert und der jetzt unbedenklich von dem Schlüsselsatz seines Nürnberger Parteifreunds Klemens Gsell erstickt wird: Diehls Verdienste, kommt es dem flott über die Lippen, »überwiegen bei weitem alle Schatten, die aus den vorhergehenden Lebensabschnitten auf das Werk dieses Mannes gefallen sind«.

So wäre denn alles wieder einigermaßen im Lot, aber natürlich ist nichts im Lot. Die Vita eines letztlich dickfelligen Würdenträgers, dessen Adlaten die Peterswaldau-Recherche geschmeidig als »unredliche Gedankenführung« abqualifizieren, spaltet die Stadt.

Eilfertige Bemühungen, die Diehlschen »Schatten« so weit aufzuhellen, daß sie kaum noch sichtbar scheinen, mißraten zusehends zum altbekannten Lehrstück. Der in Zeiten grassierender Arbeitslosigkeit besonders geschätzte Investor und Brötchengeber soll sich nicht zu sehr grämen müssen. Seine mehr als er verunsicherten Mitarbeiter sammeln, um dem Seniorchef ihr Beileid zu bekunden, 27oo Unterschriften.

Aber auf der anderen Seite wächst auch die Kritik an der verbohrten Art, in der der schwer unter Druck geratene Hierarch über eine schwierige Hürde gehoben wird. Die »Augen zu und durch«-Methode der CSU, mahnen vor allem die ihrer antifaschistischen Tradition verhafteten »Nürnberger Nachrichten«, habe »einen Scherbenhaufen« hinterlassen.

Vergebens hatte noch vor der Entscheidung deren Verleger Bruno Schnell den Unternehmer zu bewegen versucht ("Setzen Sie ein Zeichen"), die ihm ausgehändigte Urkunde von sich aus zurückzugeben. Doch das möchte der nach Nizza abgereiste Diehl bis auf weiteres nicht. Statt dessen soll zunächst einmal der von ihm bestellte Berliner Antisemitismus-Forscher Wolfgang Benz die erhobenen Vorwürfe prüfen.

An sich ist diese ja schon andernorts geübte Praxis, Vergangenheit mittels Historiker-Expertisen aufarbeiten zu wollen, kein schlechter Einfall - doch in Nürnberg dient er zielgerichtet der Verschleppung. Ein betagter Mann, dem keine Partei unmittelbare Täterschaft zur Last legt, sondern dessen Ehrenbürgerwürden nur für ziemlich skandalös gehalten werden, setzt mit seinem Prüfauftrag unverblümt auf Zeitgewinn.

Denn daß die Ermittlungen dauern können, hat der Wissenschaftler bereits durchblicken lassen. Die Anregung des FDP-Parlamentariers Utz Ulrich, er möge in etwa einem Jahr einen Zwischenbericht präsentieren, findet der allseits geachtete Benz »einigermaßen seltsam«. Er will sich keineswegs »irgendwelchen Pressionen« beugen.

In Wahrheit offenbart der Vorschlag des fixen Liberalen, wie sehr die Verfechter einer harten Linie in Sachen Diehl mit dem Rücken zur Wand stehen. Um endlich ihre nationalsozialistische Erblast vergessen zu machen, waren von der Stadt erhebliche Anstrengungen unternommen worden, die sie jetzt als gefährdet ansehen muß. Ins Gerede gekommen ist in der letzten Woche vor allem die Absicht, den bei der Uno geplanten Ständigen Strafgerichtshof in ihre Mauern zu holen.

Ein paar Tage lang hatte sich der Oberbürgermeister Scholz in die Tasche gelogen, die von den jüdischen Frauen erstatteten »Erlebnisberichte« würden den hochfliegenden Plänen sicher nicht entgegenstehen - doch der Krach ist da.

Seit Jahren erfreut sich das auf Entlastung fixierte Nürnberg an einer »Straße der Menschenrechte« und vergibt dazu ergänzend einen international angesehenen Preis. Der israelische Künstler Dani Karavan, der in der Fußgängerzone diesen von Säulen umstandenen Ort der Hoffnung geschaffen hat, erwägt nun ebenso die Jury zu verlassen wie sein Kollege, der Franzose Daniel Jacoby.

Für den inzwischen zum harten Oppositionellen gereiften SPD-Fraktionschef Jürgen Fischer wäre das »schlichtweg eine Katastrophe«, und auch im Rathaus zeigt man sich deutlich kleinlauter. Daß sich dort zum Beispiel die »Washington Post« und die »New York Times« gemeldet haben, gibt dem Presse- und Informationsamt durchaus zu denken.

Nur, wie läßt sich da jetzt noch die Kurve kriegen? Der Nürnberger Selbstentehrungsprozeß scheint schon zu weit fortgeschritten zu sein, als daß er von anderen Kräften als dem Hause Diehl gestoppt werden könnte. Dem Vernehmen nach setzt neuerdings sogar das herrische Stadtoberhaupt auf ein »erlösendes Signal«.

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