NIEDERLANDE / STAATSKRISE Die Gesundbeterin
Was in der kleinen, unscheinbaren aber behaglich eingerichteten Baracke im Hintergarten einer der Wohlstand ausströmenden Villen des niederländischen Städtchens Baarn geschieht, das war bis heute sorgsam gehütetes Staatsgeheimnis. Vermag es doch einen der letzten europäischen Königsthrone zu erschüttern: Königin Juliana der Niederlande ist dort, keine zehn Minuten Fußweg von ihrem Schloß Soestdijk entfernt, unter den Einfluß einer angeblich in göttlichem Auftrag tätigen Wunderdoktorin geraten.
Der amerikanische Geheimdienst in Den Haag, der im Auftrag seines Chefs Allen Dulles den Fall beobachtet, steht wieder einmal vor einem europäischen Rätsel: Eine Affäre, die einem obskuren Wunderglauben zu entstammen scheint, bedroht im Atomzeitalter die innenpolitische Stabilität eines Nato-Staates.
Wie einst der legendäre Mönch Rasputin am Hof des russischen Zaren*, so nutzte. im Palast von Soestdijk die 61jährige Greet Hofmans die Krankheit eines Königskindes, um Einfluß auf die Herrscherin in politischen und personellen Angelegenheiten zu gewinnen.
Und wie einst der Name Rasputin im zaristischen Rußland, so ist auch die Rolle der Spinster dem holländischen Volk und sogar hohen Staatsbeamten völlig unbekannt, während sich die wenigen Eingeweihten am Hof und im Kabinett in zwei feindlichen Lagern gegenüberstehen und einander so erbittert befehden, daß selbst die Gefahr einer Staatskrise keine völlige Diskretion mehr verbürgt.
Im Königshaus jedoch ist der Konflikt schon offen ausgebrochen. Die glücklichen Tage der im Januar 1937 geschlossenen Ehe zwischen Juliana Prinzessin von Oranien-Nassau, 47, und ihrem zwei Jahre jüngeren deutschen Prinzgemahl Bernhard zur Lippe-Biesterfeld gehören der Vergangenheit an: Während die Königin die mysteriöse Gesundbeterin protegiert und selbst die »Pro-Hofmans-Gruppe« am Hof von Holland anführt, steht der Prinzgemahl, unterstützt von der Regierung des Sozialisten-Premiers Drees, an der Spitze der »Anti-Hofmans-Gruppe«.
Es ist daher eine ironische Arabeske dieser niederländischen Tragikomödie, daß es Prinz Bernhard selbst war, der die Wunderdoktorin nach Schloß Soestdijk brachte. Auf der Jagdpartie eines holländischen Aristokraten hatte er 1948 zum erstenmal von Greet Hofmans gehört. Ein niederländischer General erzählte ihm damals, daß seine sechsjährige Tochter nach einer Behandlung durch die Heilpraktikerin von einer schweren Tuberkulose genesen sei.
Die Mitteilung von der gelungenen Heilung erregte den Prinzen zutiefst. Denn auch die jüngste Tochter des holländischen Herrscherpaares ist seit ihrer Geburt mit einem anscheinend unheilbaren Leiden belastet.
1946, während ihrer letzten Sehwangerschaft, war Juliana an Röteln erkrankt. Obgleich diese Krankheit oft schwere gesundheitliche Folgen für das ungeborene Kind mit sich bringt, lehnten die Ärzte einen chirurgischen Eingriff ab. Eine Erklärung dafür ist in dem heißen Wunsch der Niederlande nach einem männlichen Thronerben zu suchen. Seit 1890 wird das Land - wenn auch glückhaft - von Frauen regiert. Auch Juliana und Bernhard hatten zu jener Zeit nur Töchter, die Prinzessinnen Beatrix, heute 18, Irene, 16, und Margriet, 13.
Als dann am 18. Februar 1947 die Böller von Soestdijk morgens um 7 Uhr 51 Schuß abfeuerten und die Kirchenglocken läuteten, da wußten die aus dem Schlaf gerissenen Bürger von Baarn, daß den drei Prinzessinnen wieder eine Schwester geschenkt worden war; für einen männlichen Thronerben schreibt die Tradition 101 Salut-Salven vor. Was die holländischen Untertanen jedoch nicht wissen konnten, war dies: Die neugeborene Prinzessin Maria Christina, genannt Marijke, hatte das Licht der Welt durch Augen erblicken müssen, die von einem tückischen Star getrübt waren.
Die Sehschärfe des Kindes verringerte sich bald zusehends. Eine Operation, die der Spezialist Dr. Weve ausführte, rettete die Teilsicht für ein Auge. Auf dem anderen ist Marijke heute blind. Für immer, sagen die Ärzte. In dieser ausweglos erscheinenden Situation stieß der unglückliche Vater Prinz Bernhard 1948 auf die Spur der Wunderdoktorin.
Bis dahin hatte das Leben der Greet Hofmans fast ausschließlich aus Armut und Bitterkeit bestanden. Schon als zwölfjähriges Kind mußte sie aus wirtschaftlicher Not in einer Textilfabrik arbeiten und abends, in der Freizeit, ihre kranke Mutter pflegen und versorgen. Langsam diente sie sich an ihrem Arbeitsplatz empor und wurde schließlich in dem Werk eine Art Aufseherin und Wohlfahrtsbeauftragte.
Mit 51 Jahren vernahm sie - nach ihren eigenen Angaben - 1946 erstmalig den Ruf Gottes. Er hielt »direkte Zwiesprache« mit ihr. Das meist nicht sehr sorgsam gekleidete, kleine ältere Fräulein mit den müden Augen sagt, der Allmächtige habe sie ausersehen. Krankheiten des Körpers und der Seele zu heilen: »Er fragte mich, ob ich bereit sein würde, mich ausschließlich seinem Dienst zum Wohl meiner Mitmenschen zu widmen. Er werde mir Macht geben, ihnen zu ihm zu helfen. Aber er stellte eine Bedingung. Ich müßte allen weltlichen Ansprüchen entsagen. Nun, natürlich nahm ich an.«
Nach ihrer ersten Unterhaltung mit Gott begab sich Greet Hofmans zunächst in ein kleines nordholländisches Dorf, bis sie wie sie erklärt - einen zweiten Auftrag des lieben Gottes erhielt: nach Hattem überzusiedeln. Dort nun wurde bereits augenscheinlich, mit welchem Bedacht eine Vorsehung die Schritte der Jungfer lenkte, die »allen weltlichen Ansprüchen entsagt« hatte.
Bei Hattem hat das angesehene Adels-Geschlecht van Heeckeren seinen Landsitz Molecaten. Und die Familie van Heeckeren, deren Beziehungen für die spätere Karriere der Greet Hofmans nicht ohne Bedeutung sein sollten, ist wiederum eng in einen mystischen Zirkel verstrickt, zu dem auch ein gewisser J. W. Kaiser gehört, der angeblich schon im Krieg flüchtigen Kontakt zu Greet Hofmans unterhielt, heute die Stellung eines Managers der Wunderdoktorin innehat und gleichzeitig -- wie auch verschiedene Heeckerens - zur Prominenz einer halb religiösen, halb wissenschaftlich-politischen Organisation zählt, die unter der Devise »Frieden durch Christus« ihre Tagungen in einem Flügel des alten Jagdschlosses Het Oude Loo abhält, dem Alterssitz der abgedankten Königinmutter Wilhelmina bei Apeldoorn.
Unter den Fittichen so gearteter Gesellschaftskreise machte die Laufbahn der Greet Hofmans als Gesundbeterin rasche Fortschritte. Heute hat sie in Amsterdam ein Konsultationszimmer in den Räumen einer Tanzschule; ein kleines Café nebenan dient als Wartezimmer. Mehr als 8000 Menschen, so sagt sie, kommen monatlich zu ihr oder bitten brieflich um ihre Hilfe.
In den Niederlanden ist wie bei zahlreichen nordischen Küstenvölkern - so auch bei den deutschen Ost- und Nordfriesen - der Hang zum Okkultismus und zur Mystik, der Glaube an das »zweite Gesicht«, tief verwurzelt. Der »fliegende Holländer«, der Kapitän, der wegen seiner Vermessenheit Gott gegenüber dazu verurteilt wurde, für ewig auf seinem Geisterschiff auf den Meeren zu kreuzen, ist weltweites Symbol dieser National-Eigenschaft.
Als echte Landesmutter ist die tiefreligiöse Königin Juliana nicht frei von solchen Neigungen. Als einziges Kind verwöhnt und vereinsamt aufgewachsen, kam sie auf der Universität Leiden, eben dem Backfischalter entwachsen, zum ersten Male mit einer normalen Umwelt in Berührung und fühlte sich dort sofort von religiösspiritistischen Kreisen angezogen. Auch nachdem sie zum Doktor der Philosophie promoviert hatte, vermochte sie sich von den Erlebnissen jener Jahre nicht zu lösen. Hinter der modernen Königin, deren Töchter Äpfel stibitzten und per Anhalter in die Schule fuhren, hinter der gütigen Landesmutter, deren selbstloser Einsatz während der Überschwemmungskatastrophe 1953 eine ganze Nation mit Trost und Stolz erfüllte, hinter der selbstsicheren Monarchin, die bei einem Staatsbesuch am Kamin des Präsidenten der Französischen Republik, Vincent Auriol, ihr Handarbeitszeug hervorzog, weil »Stricken beruhigend für Männer« sei, hinter alledem verbirgt sich eine weiche weibliche Seele, die sich überirdischen Eindrücken nur zu gerne öffnet. Die Geburt der kranken Marijke steigerte diese Bereitschaft naturgemäß noch.
An jenem Tag vor acht Jahren, da ihr Prinzgemahl Bernhard 1948 von seinem Jagdausflug zurückkehrte, auf dem er von der Existenz der Wunderdoktorin erfahren hatte, und einen Heilungsversuch bei Prinzessin Marijke mit Greet Hofmans vorschlug, willigte die verzweifelte Mutter daher schnell ein.
Das Debüt der Greet Hofmans bei ihrer Begegnung mit der kleinen Prinzessin Marijke ist von einem Augenzeugen überliefert. Eine Zeitlang fixierte das Fräulein das Kind, schloß dann die Augen zum Gebet, öffnete sie wieder und sprach: »Marijke wird sehen. Gott wird ihr volles Augenlicht geben - innerhalb von zwei Jahren.«
Das war eine wunderbare Hoffnung für Juliana. Greet Hofmans erhielt ein kleines Gemach im Schloß Soestdijk.
Zwei Jahre, angefüllt mit Bangen und Versprechungen, brachen an. Greet Hofmans wußte die Frist, die sie sich selbst gesetzt hatte, zu nutzen. Sie verlor keine Zeit. Im Herbst jenes Jahres, da sich die Wege der Wunderdoktorin und der Prinzessin von Oranien-Nassau erstmalig kreuzten, dankte die greise Königin Wilhelmina im Alter von 68 Jahren ab. Ihre Tochter Juliana bestieg den Thron. Die Krone der Niederlande lastete schwer auf ihrem Haupt. Es schien, als sei ihr Nacken kaum stark genug, sie ungebeugt zu tragen. »Wer bin ich, daß ich diese Last tragen muß?« fragte Juliana bei ihrer Inthronisierung.
Heimgesucht von Zweifeln an der eigenen Kraft, von Skrupeln und Gewissensnöten, die zu allen Zeiten junge Herrscher dieser Erde angefallen haben, wurde der Königin Juliana in diesen schweren Monaten plötzlich unerwartet Zuspruch zuteil. Jene Frau, die von sich behauptet, Zwiesprache mit Gott zu führen und von dem Allmächtigen die Kraft erhalten zu haben, die kranke Marijke zu heilen, vertraute jetzt der Königin Juliana an: »Gott hat mir eröffnet, daß Sie die größte Königin werden können, die Holland je gehabt hat. Sie müssen sich ganz Christus zueignen. Nehmen Sie in zweifellosem Glauben und ohne zu fragen die Befehle entgegen, die er Ihnen geben wird. Dann werden Sie Gottes Instrument sein und seinen Willen zum Besten Ihres Landes und der Menschheit erfüllen.«
Das war Balsam für Julianas seelische Wunden, auch wenn sie die Befehle Gottes, die er der Königin der Niederlande zu erteilen wünschte, einstweilen nur durch den Mund seiner auserwählten Gesprächspartnerin Greet Hofmans empfangen konnte. So wuchs der Einfluß der Wunderdoktorin am Hof von Soestdijk von Monat zu Monat.
Für die Außenwelt zeichnete sich diese Entwicklung nur durch einen kaum merklich verstärkten religiösen Akzent in der Politik der Königin ab. Die unmittelbare Umgebung der Königin bekam unverhüllter und mit aller Deutlichkeit zu spüren, wie weit die Gesundbeterin bereits Macht über die Monarchin gewonnen hatte: 1950, als die Frist abgelaufen war, innerhalb derer Greet Hofmans Heilung für Marijke versprochen hatte, war der Zustand der kleinen Prinzessin unverändert.
Dieses offensichtliche Versagen der Wunderdoktorin jedoch vermochte nach dem zweijährigen intensiven Kontakt mit Greet Hofmans das Vertrauen der Königin zu ihr nicht mehr zu erschüttern. Selbst als Prinzgemahl Bernhard sich immer deutlicher von der Gesundbeterin distanzierte, hielt Juliana ihr gläubig die Treue. Die Krise begann.
Die wesensmäßige Gegensätzlichkeit der Königin und des Prinzgemahls, deren Vorhandensein bisher ein entscheidendes Element im glücklichen Zusammenleben des Herrscherpaares war, gewann in dieser Krise ganz neue Bedeutung. Der Prinzgemahl war alles andere als für übersinnliche Erscheinungen empfänglich.
Bernhard Leopold Friedrich Eberhard Julius Kurt Karl Gottfried Peter, Prinz der Niederlande, Prinz zur Lippe-Biesterfeld, Generalinspekteur, General und Admiral der Königlich Niederländischen Armee und Marine, wurde als Sohn des preußischen Majors a.D. Bernhard Prinz zur Lippe und seiner Frau Prinzessin Armgard, geborener v. Cramm, 1911 in Jena geboren.
Als Angestellter der IG-Farben-Niederlassung in Amsterdam lernte er Juliana kennen. Ihre 1937 in Den Haag stattfindende Hochzeit versuchte die Reichsregierung politisch auszunutzen; trotz seiner Mitgliedschaft in einer Parteigliederung verstand es Bernhard, dies geschickt zu verhindern. Einen Tag vor der Besetzung Hollands durch deutsche Truppen floh er mit seiner Familie nach England; während Frau und Kinder nach Amerika weiterreisten, diente Bernhard als Kommodore in der Royal Air Force.
Nach der Rückkehr in die Niederlande setzte das vom Volk geliebte Thronfolgerpaar sein vorbildliches Familienleben fort. Bernhard verriet später, als seine Frau schon lange das Zepter von ihrer Mutter übernommen hatte, einem amerikanischen Reporter einmal das Rezept der Harmonie: »Das Land wird von meiner Frau regiert; in unseren vier Wänden bestimme ich.«
Anders als Juliana, die eher wie eine patente Hausfrau wirkt, ist dem Prinzen Bernhard der Habitus des weltgewandten Aristokraten eigen. Seine betont elegante Kleidung bezieht er aus London; auf Flugreisen steuert er seine Maschine stets selbst, was ihm in Diplomatenkreisen den Spitznamen »fliegender Holländer« eintrug. Goodwill-Tournees nach Südamerika und Afrika bewiesen sein finanzielles Geschick; er brachte lohnende Aufträge für die niederländische Industrie heim. In diesem Jahr wurde er mit einem Bratspieß zum Ehrenritter der 1248 in Frankreich gegründeten Lukullus-Gilde geschlagen. In seiner Freizeit vervollkommnet er sich als passionierter Skiläufer und Turnierreiter.
Diese kleine Schwäche des Prinzen, sein bekannter Ehrgeiz auf dem Pferderücken, war es kurioserweise denn auch, die zum endgültigen Bruch zwischen dem Prinzgemahl und der Wunderdoktorin führte, deren Schatten immer dunkler über Hollands Thron und Bernhards Ehe fiel.
Der Mißerfolg der Gesundbeterin, der ungebesserte Krankheitszustand seines Kindes, die Entfremdung seiner Gattin hatten Bernhard bereits 1950 auf Wiedereinführung normaler medizinischer Behandlung für Marijke dringen lassen. Offensichtlich, um seine Gunst zurückzugewinnen, machte Greet Hofmans dem Prinzgemahl bald darauf einen Vorschlag besonderer Art: Sie wußte von seinem leidenschaftlichen Wunsch, mit seinem Pferd »No No, Nanette« im niederländischen Olympia-Team mitzureiten, und bot ihm für die Prüfungen, die der Aufnahme ins Olympia-Team vorausgehen, Gottes Hilfe an.
Greet Hofmans erinnert sich, daß es nicht ihr erstes Angebot an den Prinzen gewesen sei, obgleich »seine stark selbstbezogene Persönlichkeit« wenig Aussichten für einen Erfolg eröffne. Alle Offerten waren jedoch von dem skeptischen Bernhard abgelehnt worden. Diesmal bat die Wunderdoktorin nun um drei Schwanzhaare von »No No, Nanette«. Denn: »Ich sagte ihm, ich würde sie in die Hand nehmen und um Gottes Hilfe bitten. Ich wußte, daß Gott mich dann lenken würde, wie das Pferd trainiert und gefüttert werden müsse.«
Das für die Schwanzhaare vorgesehene Prinzip ist in der Praxis der Greet Hofmans nichts Ungewohntes. Mit Briefen von Kranken und Bittstellern verfährt sie ebenso. Sie nimmt sie in die Hand und behauptet dann, ohne die Schreiben zu lesen, Auskunft geben zu können, was dem Absender mitgeteilt werden muß. Auch der Prinz, so meint sie, hätte »Gottes Anordnungen nur mit Geduld, Liebe und Unterwürfigkeit zu erfüllen brauchen«, um auf dem Rücken von »Nanette« Olympia -Sieger zu werden.
Prinz Bernhard lehnte das vielversprechende Anerbieten dankend ab. Und mehr als das: Den lieben Gott in seine sportlichen Ambitionen zu verwickeln, empfand er als ein Übermaß von Blasphemie. Seine Geduld war zu Ende. Er setzte durch, daß Greet Hofmans ihr Zimmer im Palast von Soestdijk räumen mußte. Der offene Bruch war da.
Doch die ältliche Beraterin war inzwischen ihrer Position am Ohr der Königin so sicher, daß sie nicht daran zu denken brauchte, das Spiel aufzugeben. Sie nahm den Fehdehandschuh auf, bezog die ihr von Freunden überlassene Baracke im benachbarten Baarn und begann mit List zurückzuzahlen, was Bernhard ihr angetan: Sie trieb den Keil zwischen Königin und Prinzgemahl tiefer.
Greet Hofmans erklärte, um ein kleines Kind zu heilen, bedürfe sie des absoluten Vertrauens der beiden Eltern. Besonders der Vater müsse sich vollkommen Christus verschreiben. Denn nur dann könne das noch minderjährige Kind die Kraft erhalten, die zur Heilung nötig sei.
Damit war dem skeptischen Bernhard die Schuld an der anhaltenden Krankheit der Marijke und an dem Mißlingen des Heilungsversuchs zugeschoben. Welche Auswirkungen dieser Vorwurf auf die gläubige Königin und Mutter hatte, wurde alsbald allen engen Vertrauten des Herrscherpaares deutlich: Eine tiefe Kluft ist seitdem zwischen Monarchin und Prinzgemahl aufgerissen. Heute ist das Verhältnis zwischen dem einst glücklichsten europäischen Herrscherpaar so gespannt, daß Hofbeamte beauftragt worden sind, einen Plan für die Trennung der beiden Sekretariate von Königin und Prinzgemahl auszuarbeiten, die bisher gemeinsam im Schloß Soestdijk arbeiteten. Die am Hof einflußreichen Anhänger der Greet Hofmans begannen darüber inaus Maßnahmen einzufädeln, um die in der Nähe des Palastes lebenden deutschen Verwandten Bernhards zu schikanieren. Eine Belastung des deutsch-holländischen Verhältnisses bahnt sich an.
Damit hatte der Familienzwist im Haus Oranien einen Grad erreicht, der die niederländische Regierung in Den Haag veranlaßte, die Affäre mit steigender Unruhe zu beobachten. Das Kabinett des Sozialisten Willem Drees steht heute geschlossen auf Bernhards Seite. Genau wie beim Prinzgemahl ist es die Sorge um die von den Ministern ebenso wie vom Volk tief verehrte Landesmutter, die in Den Haag zur Frontstellung gegen Greet Hofmans geführt hat.
Die Befürchtungen der Regierung verdichteten sich zu Gegenmaßnahmen, als endlich sogar greifbar wurde, daß eine Greet Hofmans nahestehende Clique den Einfluß der Wunderdoktorin am Hof benutzt, um selbst Machtpositionen in Staatsgeschäften zu erhalten. So sind die Schlüsselstellungen am Hof zu Soestdijk rund um die Königin heute bereits von
Hofmans-Anhängern besetzt. Am 15. Januar 1950 wurde der Baron W. J. van Heeckeren van Molecaten Sekretär der Königin; er und seine mit Juliana befreundete Frau Rita Penning, damals Erzieherin am Königshof, zählten schon seit Greet Hofmans Übersiedlung nach Hattem zum engeren Zirkel der Gesundbeterin.
1954 erzielte der Hofmans-Clan einen weiteren Erfolg. Die Mutter des Sekretärs der Königin, die Baronin A.A. van Heeckeren van Molecaten, wurde - als Nachfolgerin der alten Baronin F. W. van Tuyll van Serooskerken - Grootmeesteres, die ranghöchste Hofdame in den Niederlanden.
Darüber hinaus unternahm der Hof in den letzten Monaten drei Aktionen, die die Politik der Regierung betrafen und die nach Ansicht von Kabinettsmitgliedern auf das Betreiben der Hofmans-Clique zurückgehen. So beauftragte die Königin kürzlich überraschend die Minister, ihr Rechenschaft darüber zu geben, wieweit sie ihre während der Wahlkampagne gegebenen
Versprechungen eingelöst haben. Einzeln interviewte Juliana ihre Minister, stellte die, wie ein Regierungsmitglied es ausdrückte, »augenscheinlich von Gott inspirierten Fragen« und machte sich sorgfältig Notizen. Nachdem bereits mehrere Minister ausgesagt hatten, wurden die Vernehmungen durch eine Intervention des Gesamtkabinetts unter Hinweis auf die Verfassung gestoppt.
Damit war die Angelegenheit endgültig aus der Sphäre eines reinen Hof-Skandals auf ein politisches Gleis geschoben. Inzwischen sind weitere Beweise für das politische Wirken der Gesundbeterin hinzugekommen. Ministerpräsident Willem Drees selbst und mindestens zwei seiner Minister wurden durch Vermittlung der Königin Juliana der Greet Hofmans vorgestellt.
Ohne sich lange mit religiösen Vorreden aufzuhalten, begann die Wunderdoktorin bei diesen Gelegenheiten - in Staatsaffären wohlunterrichtet -, den Kabinettsmitgliedern wirtschaftliche und politische Ratschläge zu erteilen. Machen Sie sich dabei denn keine Aufzeichnungen?« fragte die Jungfer in einer solchen Unterhaltung indigniert ein führendes Kabinettsmitglied. »Nein«, antwortete der Minister höflich, »ich habe ein gut geschultes Gedächtnis.«
Obgleich Königin Juliana im offiziellen Verkehr mit ihrer Regierung geflissentlich die Erwähnung des Namens und der Existenz der Greet Hofmans vermeidet, glauben mehrere Minister angesichts dieser Zuspitzung Anlaß zu der Vermutung zu haben, daß die bei Hof bereits fest im Sattel sitzende Hofmans-Clique die Gelegenheit der Regierungsbildung nach den am Mittwoch dieser Woche stattfindenden Parlamentswahlen zu einem Versuch zu benutzen gedenkt, auch auf politischem Terrain entscheidende Positionen zu besetzen.
Die Königin, deren politische Macht durch die demokratische Verfassung der Niederlande weitgehend eingeschränkt ist, hat nämlich, falls bei einer Regierungsbildung Schwierigkeiten auftreten, ein entscheidendes Wort mitzureden. In einem solchen Fall kann die Herrscherin die Zusammensetzung des neuen Kabinetts schon dadurch entscheidend beeinflussen, daß sie den einen Ministerkandidaten für einen Mann ihres Vertrauens erklärt, den anderen für weniger genehm.
Falls also Gott durch den Mund Greet Hofmans Wünsche für die bevorstehende Kabinettsbildung in den Niederlanden anmelden sollte, wären Möglichkeiten für einen Machtzuwachs des Hofmans-Clans nicht zu übersehen.
Eingeweihte am Hof zu Soestdijk wollen wissen, daß sich bei den Feierlichkeiten anläßlich des 45. Geburtstags Prinz Bernhards am 29. Juni zeigen wird, ob der Konflikt im Königshaus nach den Parlamentswahlen überhaupt noch beizulegen ist oder einer Explosion entgegensteuert. Bisher gab der Prinzgemahl jährlich an seinem Geburtstag eine fashionable Garten-Party. Ob sie auch diesmal stattfinden und wer dazu geladen wird, ist noch völlig offen.
Einstweilen, so haben die Vertrauensleute von Allen Dulles chiffriert über den Atlantik gekabelt, sei bei den Hintermännern und Anhängern der Wunderdoktorin nicht viel mehr politische Substanz sichtbar als der Wunsch nach mehr Einfluß und Macht. Gerade diese Motive aber könnten ein Element der Unsicherheit in die niederländische Politik tragen, das für alle drei Benelux-Staaten, und damit für einen Teil des Nato-Paktes, schwerwiegende Folgen haben würde.
In den letzten Tagen wurden die bevorstehenden Schwierigkeiten bereits sichtbar. Mehrere Kabinettsmitglieder erklärten, daß sie nach den Kammerwahlen am Mittwoch dieser Woche nicht mehr in die Regierung zurückkehren wollen. Die holländische Zeitung »Het Vaderland« bezeichnete solche Pläne als »höchst ungehörig und politisch falsch«. Ohne auf die Hintergründe der Rücktrittsabsichten jener Kabinettsmitglieder einzugehen, warnte das Blatt eindringlich:
»Der König ernennt und entläßt nach seinem Ermessen, sagt die Verfassung. Das will durchaus nicht besagen, daß jeder, den der mit der Regierungsbildung Beauftragte zum Eintritt in die Regierung ersucht, ja sagen muß. Aber das bedeutet wohl, daß Abwarten geboten ist; denn niemand weiß im voraus, wie die Karten liegen, und es dürfte nur wenige Menschen geben, die nein sagen, wenn ihre Teilnahme an den Regierungsgeschäften im Interesse der Niederlande geboten ist.«
* Der russische Mönch Grigorij Rasputin, der sich als Wundertäter ausgab, kam 1907 an den Petersburger Hof und versprach der Zarin Alexandra, den an Bluterkrankheit leidenden Thronfolger Alexej zu heilen. Er mischte sich in unheilvoller Weise in die Staatsgeschäfte ein, wurde von Zar Nikolaus, trotz Intervention angesehener Politiker, protegiert und schließlich am 16. Dezember 1916 von Fürst Jussupow u.a. ermordet.