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ZEITGESCHICHTE Die Gier der Generäle

Der Elite der Wehrmacht schenkte Hitler Geld und Güter, um sie gefügig zu machen. Besondere Wünsche meldete Feldmarschall Erich von Manstein an.
aus DER SPIEGEL 42/1999

Wenn Hitlers Adjutant Rudolf Schmundt zu den Generälen an die Front fuhr, um ihnen die Belohnungen vom Führer zu überreichen, war er um Diskretion bemüht. Die Schecks steckten in Briefumschlägen, auf denen »Geheime Reichssache« stand. Nur wenige Vertraute durften wissen, dass Hitler seinen höchsten Offizieren kleine Vermögen zukommen ließ, natürlich steuerfrei.

Die Generäle des Dritten Reichs planten und führten Angriffskriege, sie trugen zum Völkermord bei und feilschten wie Erich von Manstein mit der SS um die Uhren der ermordeten Juden »für dienstliche Zwecke der Armee«. Nach dem Krieg führten die Männer mit dem Eichenlaubkranz an den Schirmmützen unabweisbare Gründe für ihre Treue zum Diktator an, die Millionen Menschen das Leben kostete: den Soldaten-Eid, die Führer-Manie der Deutschen, den drohenden Einmarsch der Roten Armee. Nur an Hitlers milde Gaben mochte sich kein General mehr erinnern.

Sie hatten es ja auch leicht, denn das meiste Schriftliche war verbrannt oder in den Kriegswirren verloren gegangen. Wer nicht als Kriegsverbrecher verurteilt wurde, durfte deshalb Gut und Geld behalten;

* Erhard Milch, Hugo Sperrle und Albert Kesselring nach Überreichen der Marschallstäbe am 4. September 1940, mit Reichsmarschall Hermann Göring (2. v. r.). ** Gerd R. Ueberschär, Winfried Vogel: »Dienen und Verdienen«. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main; 302 Seiten; 38 Mark.

allein Generalfeldmarschall Wilhelm Ritter von Leeb musste für die Zuwendungen des Führers - insgesamt 880 000 Reichsmark - Steuern nachzahlen.

Erst jetzt haben Gerd R. Ueberschär vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt und der ehemalige Bundeswehrgeneral Winfried Vogel die noch vorhandenen Unterlagen systematisch ausgewertet. Sie zeichnen ein kräftiges Bild von gierigen Generälen, die sich vom Führer mästen und prämieren ließen**.

Aus dem Reichshaushalt verteilte Hitler bis zu 20 Millionen Reichsmark im Jahr unter seine Günstlinge. Er versorgte alte Freunde und verdiente Parteigenossen. Er bezahlte die Schulden des deutschen Botschafters in Moskau, Friedrich Werner Graf von der Schulenburg, und schenkte Ministern wie Hans Heinrich Lammers, dem Leiter der Reichskanzlei, Jagdhäuser, Bargeld oder kostbare Gemälde.

Mitunter übte er verblüffende Milde gegen ausgewählte Gegner, etwa gegen den ehemaligen Reichstagspräsidenten Paul Löbe (SPD), dessen Pension er aufstockte. Es gehe nicht, »dass einer verhungern muss, nur weil er mein Gegner war«, rechtfertigte er die seltsame Großmut.

Hitler gab weit weniger systematisch als SS-Chef Heinrich Himmler, der über seine gesamten Präsente eine exakte Datei führte. Die Summen setzte er nach Lust und Laune fest, der Anlass - meist ein Geburtstag - blieb ihm gleichgültig. Das Geld sollte Ergebene belohnen und Zweifler überzeugen. Die beiden Autoren Vogel und Ueberschär nennen diese Methode »gezielte Korruption von oben«.

Dass Hitler seine Offiziere gefügig machen wollte, sprach er in allem Freimut aus. Einem General werde blinder Gehorsam leichter fallen, »wenn er entsprechende Ehrungen durch den Staatsführer erhalten hat und sich diesem dadurch verpflichtet fühlen muss«, erklärte er seinem Adjutanten Gerhard Engel nach dem Frankreichfeldzug 1940.

Da hatte er gerade beschlossen, gleich zwölf Generäle zu Generalfeldmarschällen zu befördern. Jeder von ihnen bekam 4000 Reichsmark im Monat extra und dazu noch Dienstaufwandsentschädigungen. Generaloberste erhielten 2000 Reichsmark, mehr als ein gutes Ministergehalt. Die letzten Überweisungen erfolgten im April 1945.

Hitler ließ die Morgengaben vertraulich behandeln. Minister Lammers unterrichtete die Beschenkten persönlich in der Berliner Reichskanzlei, was sie »bis auf weiteres« aus den »Verfügungsmitteln des Führers« erwarten durften. Wer nur schriftlich zu erreichen war, musste die Mitteilung umgehend nach Berlin zurücksenden.

Hitler philosophierte gern über das Prinzip, Günstlinge mit Schenkungen zu bestechen. Er hielt das für »eine ganz kluge Sache«. Je mehr man eine »Heldentat und Leistung honoriert, um so mehr verpflichtet man sich den Betreffenden«.

Es gab sogar den einen oder anderen Offizier, der sich dieser Art der Verpflichtung entzog. Als Hitler seinen Adjutanten eine monatliche »Beihilfe« in Höhe eines Facharbeiterlohns schenkte, verkündete Oberst Friedrich Hoßbach, es sei gegen seine Überzeugung, vom Führer Geld anzunehmen; Offiziere müssten sich ihre Unabhängigkeit erhalten. Hauptmann Nicolaus von Below teilte die Ehrpusseligkeit nicht. Er traue sich zu, trotz der Zulage »meine Unabhängigkeit zu bewahren«; außerdem müsse er für seine Garderobe »hohe Beträge aufwenden«.

Ein Jahr nach Kriegsbeginn, 1940, lockte Hitler seine Offiziere, dass er nach dem Endsieg bei der Verteilung von Land und Latifundien »nicht kleinlich« sein werde. Der Sieg blieb zwar aus, die Generäle gingen dennoch nicht leer aus.

General Hans Hube bekam 50 000 Mark (heutiger Wert: das Zehnfache), die Feldmarschälle Gerd von Rundstedt, Erhard Milch, Wilhelm Keitel und Hans Günther von Kluge ebenso wie Großadmiral Erich Raeder 250 000 Mark, Generaloberst Ewald von Kleist durfte 480 000 Mark einlösen.

Besondere Gier legte Panzergeneral Heinz Guderian (Devise: »Nicht kleckern, sondern klotzen") an den Tag, dem Hitler erlaubt hatte, sich »etwas Passendes auszusuchen«. Er ließ sich immer neue Höfe und Güter zeigen; am Ende wählte er das Gut Deipenhof nordöstlich von Posen. Der Wert betrug über 1,2 Millionen Mark.

Über die polnischen Besitzer machte sich der General wenig Gedanken. »Als ich das Gut übernahm, waren sie nicht mehr dort«, vertraute er Manstein an, der wissen wollte, wie Guderian an ein so schönes Besitztum gelangt sei. »Ihr Verbleib entzieht sich meiner Kenntnis.«

Manstein träumte von einem Gut in Schlesien und wandte sich an den Führer. Doch da die Front näher rückte, mochte er nur noch »westlich der Oder« Besitz nehmen. Gerade höhere Offiziere sollten möglichst in den Ostgebieten sesshaft werden, spottete ein Beamter aus dem zuständigen Ernährungsministerium - »oder sollte Generalfeldmarschall von Manstein dies bei den augenblicklichen Verhältnissen für zu unsicher halten?«

Erkaufte sich Hitler mit den Dotationen die Loyalität der Wehrmacht? Die beiden Autoren Ueberschär und Vogel haben sämtliche Fälle untersucht, in denen sich hohe Dotationen nachweisen lassen. Von den über 3000 Generälen des Dritten Reiches finden sich nur knapp zwei Dutzend in den - unvollständigen - Unterlagen. Sie saßen allerdings in Schlüsselstellungen, fast jeder zweite Feldmarschall oder Großadmiral gehörte zu den Beschenkten.

Doch die Elite der Wehrmacht und Marine musste nicht korrumpiert werden - sie war es ja schon. Die Generäle und Admiräle führten Hitlers Mordbefehle im Osten aus. Ein Mann wie Manstein, der sich noch 1934 gegen die Entlassung jüdischer Offiziere aus der Wehrmacht gewandt hatte, befahl 1941 das »Ausrotten« des »jüdisch-bolschewistischen Systems«. Hitler und seine Generäle band zusammen, was zusammengehörte.

Claus Graf Stauffenberg und die Verschwörer des 20. Juli versuchten vergebens, einige der Generäle zum Attentat auf Hitler zu überreden. Manstein versicherte den Verschwörern lediglich, er werde nach einem Staatsstreich »stets der legalen Staatsführung loyal zur Verfügung stehen«. Dann denunzierte er einen der Ihren, Henning von Tresckow, bei Hitlers Entourage.

Mehr Gehör fanden die Verschwörer bei Feldmarschall Kluge, obwohl der zu den Führer-Günstlingen gehörte. Sein Ordonnanzoffizier Philipp von Boeselager will sich noch heute an ein Telefongespräch zwischen Hitler und Kluge im Oktober 1942 erinnern. Er hörte ordnungsgemäß im Nebenraum mit, als Hitler dem Feldmarschall zu dessen 60. Geburtstag 250 000 Reichsmark und Bezugscheine für den Bau eines Kuhstalls auf dem Gut seiner Frau versprach.

Kluge fragte den jungen Offizier, was er vom Geburtagsgeschenk des Führers halte. Boeselager antwortete: »Ich wüsste nicht, dass ein General während eines Krieges eine Dotation bekommen hätte.« Nach dem Krieg wäre die Schenkung in Ordnung gewesen.

Boeselager hält die Annahme der Geldgeschenke heute noch »für eine Schweinerei ersten Ranges«. Das habe an Kluges Haltung gegenüber Hitler allerdings nichts geändert. Einige Monate nach der Zuwendung entschloss sich der ewig schwankende Feldmarschall, die Verschwörer - vorübergehend - zu unterstützen. Als das Attentat scheiterte, nahm er sich das Leben.

Über Kluges Verwicklung in den 20. Juli habe sich Hitler »besonders empört« gezeigt, notierte Propagandaminister Joseph Goebbels in seinem Tagebuch. Der Feldmarschall habe dem Führer seine Großzügigkeit »denkbar schlecht gelohnt«. KLAUS WIEGREFE

* Erhard Milch, Hugo Sperrle und Albert Kesselring nachÜberreichen der Marschallstäbe am 4. September 1940, mitReichsmarschall Hermann Göring (2. v. r.). ** Gerd R. Ueberschär,Winfried Vogel: »Dienen und Verdienen«. S. Fischer Verlag,Frankfurt am Main; 302 Seiten; 38 Mark.

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