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»Die Grenzen der Demokratie markieren«

Protest und Verweigerung gegen rechtsextremistische Wahlwerbung
aus DER SPIEGEL 23/1989

Republikaner-Chef Franz Schönhuber, 66, saß in einer rot-grün gestreiften Sitzecke, redete gegen »Scheinasylanten und Wirtschaftsasylanten« an und beklagte das »Hereinströmen von Verbrechensorganisationen wie Mafia und Camorra«. Vollmundig wie immer ("Wir sind die Partei von Law and order") präsentierte sich der gelernte Fernsehmann, am Dienstag voriger Woche im ZDF, mit seinem ersten Werbespot zur Europa-Wahl.

Zwei Tage später war die ARD dran. Doch viele Mitarbeiter des Westdeutschen Rundfunks (WDR), bei dem die Wahlspots im Ersten Programm eingespielt werden, wollten den »Mißbrauch des Mediums durch eine nationalistische und ausländerfeindliche Politik« nicht unterstützen. In einer Resolution kündigten über 1000 Unterzeichner bei Intendant Friedrich Nowottny an, sie würden die Mitarbeit an der Verbreitung rechtsextremistischer Hörfunk- und TV-Spots verweigern.

Der Aufforderung seiner Leute, »die Ausstrahlung solcher Sendungen abzulehnen«, hätte Nowottny allerdings nicht nachkommen können. Die Rechtsprechung bis hin zum Bundesverfassungsgericht, das der WDR schon früher gegen einen Extremisten-Spot angerufen hatte, bindet dem parteilosen Senderchef die Hände.

Zuletzt war auch der Sender Freies Berlin vor Gericht aufgelaufen, der im Januar einen bereits gesendeten Rep-Spot zur Berliner Parlamentswahl nicht wiederholen wollte. Das Berliner Verwaltungsgericht sah in dem Film, der zur Melodie »Spiel mir das Lied vom Tod« Bilder von ausländischen Kindern, Rauschgiftsüchtigen und Autonomen zeigte, keinen offenkundigen Verstoß gegen Strafgesetze.

WDR-Chef Nowottny kann nur, wie er vor dem Kölner Rundfunkrat ankündigte, jeden Wahlspot auf einen »offenkundigen und schwerwiegenden Verstoß gegen die allgemeinen Gesetze« (Ablehnungsgrund laut WDR-Gesetz) prüfen lassen. Nowottny: »Wir werden auch einen Prozeß nicht scheuen.«

Doch den WDR-Paragraphen kennen auch die gewieften Anwälte der Reps und ihrer rechtsextremistischen Konkurrenten von der Deutschen Volksunion - Liste D (DVU). Deren Chef und Spitzenkandidat Gerhard Frey, 56, hat langjährige Übung darin, die Schutzbestimmungen für Rechtsstaat und Demokratie mit juristischen Finessen zu unterlaufen: Immer wieder obsiegte seine grobschlächtige »Deutsche National-Zeitung« in Prozessen wegen Volksverhetzung oder Verbreitung neonazistischer Propaganda.

Auch beim WDR konnte die Rechts-Propaganda nicht gestoppt werden. Er akzeptiere die Gründe der Protestler, räumte ein Diensthabender der Kölner TV-Sendeleitung ein, doch entstehende Personallücken würden »durch Tausch im Dienstplan wieder glattgebügelt«. Je zweimal kommen DVU und Reps bei der ARD zum Zuge. Widerwillen beim WDR-Personal gab es nicht nur gegen die Rechts-Reklame, sondern auch gegen antidemokratische Tiraden des Trotzkisten-Grüppchens »Bund Sozialistischer Arbeiter« für eine »sozialistische Weltrepublik«.

Mit der Resolution gegen rechts wollen die Funk- und Fernsehleute, wie Beteiligte sagen, vor allem ein »politisches Zeichen setzen«, um über eine »Fehlentwicklung nicht den Mantel des Schweigens zu breiten«. Ähnliche Gründe bringen auch Bedienstete der Bundespost vor, die sich gegen die Zustellung von 27 Millionen Postwurfsendungen der DVU wehrten - vergebens.

Das Bundespostministerium beruft sich auf die Postordnung, nach der Sendungen nur angehalten werden dürfen, wenn ihr »einsehbarer Inhalt erkennbar gegen das öffentliche Wohl oder die Sittlichkeit verstößt«. Ein Vorstoß der Deutschen Postgewerkschaft (DPG), auch das Verfassungsgebot der Völkerverständigung in der Postklausel zu verankern, blieb in Bonn erfolglos.

Mit »pauschalen Schlagworten wie ,Asylschwindler' und ,kriminelle Ausländer'«, protestiert die DPG gegen den DVU-Rundbrief, würden »Haß und Feindschaft gesät«. Die Postler, darunter auch Ausländer, müßten »gegen ihren Willen rassistische und ausländerfeindliche Sendungen zustellen«, so DPG-Sprecher Rudi Vetter, dies sei ein »glatter Verfassungsbruch«.

Dagegen befand der Kölner Anwalt Klaus Mathy als Gutachter des Postministeriums, daß die DVU-Wurfsendung »hart an die Grenze des rechtlich Zulässigen heranreicht, diese jedoch nicht überschreitet«. Daß die rechtsextremistische Organisation durch ein beigefügtes Umfrage- und Anmeldeformular womöglich weiter gestärkt wird, blieb bei der Prüfung auf Verträglichkeit mit dem »öffentlichen Wohl« unberücksichtigt.

Mit der flächendeckenden Wurfaktion gab sich DVU-Frey diesmal nicht zufrieden. Gezielt schickte er Bundesbürgern der Jahrgänge 1900 bis 1930 adressierte Anschreiben ins Haus. Tenor: Ohne die derzeitigen Ausgaben für die Integration von Ausländern, für »Scheinasylanten« und ohne öffentliche »Fehlplanung und Korruption« gäbe es für alle Rentner »eine Altersversorgung in angemessener und anständiger Höhe«.

Die Adressen erhielt die DVU, wie zuvor auch andere Parteien, aus den Melderegistern. Doch der Aachener Oberstadtdirektor Heiner Berger, der die Angaben unter Hinweis auf Bürgerproteste und informationelle Selbstbestimmung zurückhielt, setzte sich vor dem Oberverwaltungsgericht Münster gegen einen DVU-Antrag durch.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund forderte alle Bürger zur Gegenwehr auf: Die Annahme der DVU-Sendungen solle massenhaft verweigert werden, wenn schon die Postboten »gegen ihr Gewissen« zur Zustellung »gezwungen« würden. Schon von einer DVU-Wurfsendung im Januar landeten rund 120 000 zurückgewiesene Briefe in Freys Zustellpostamt München-Pasing, obwohl solche Sendungen laut Dienstvorschrift vor Ort zu beseitigen sind. Die Rücksendung war ein stiller Massenprotest der Postler.

In mehreren Orten, so in Bocholt, Tübingen oder Hamm, distanzierten sich Postzusteller in Anschreiben an die Empfänger von der »menschenverachtenden Propaganda« der DVU. Die Briefträger, schrieb einer von ihnen in München, fühlten sich »mißbraucht« und bäten die Postkunden um »schriftliche Beschwerde« bei der Bundespost oder Rückgabe der Sendung mit dem Vermerk »Annahme verweigert«.

Eine bayrische Zustellerin wandte sich an die »lieben Bürgerinnen und Bürger« in einem maschinegeschriebenen und vervielfältigten Brief:

In den nächsten Tagen wird von der Post eine Wurfsendung der rechtsradikalen DVU verteilt werden. Als Briefträgerin bin ich leider dazu gezwungen, diese Sendung zuzustellen. Die DVU steht nach eigenen Angaben der NPD sehr nahe. Ich möchte mich von den in dem Text aufgeführten pauschalen und unrichtigen Behauptungen, mit denen gegen Ausländer/innen gehetzt wird, distanzieren.

Mit Texten wie diesem versuchen sich Postboten, die bei der Januar-Aktion der DVU noch als »Nazischweine« beschimpft worden waren, gegen neue Attacken zu schützen.

Der Paderborner Professor und Rechtsextremismusforscher Arno Klönne, 58, bestärkte die Postbeamten in solchen »Gegenaktionen«. Durch öffentliche Aktivitäten, so Klönne, müßten »die Grenzen des demokratischen Spektrums markiert werden, weil sich die Argumente sonst immer weiter nach extrem rechts verschieben«.

Der Einwand, jede Gegenaktion verschaffe den Rechtsextremisten Aufmerksamkeit, sei nicht mehr stichhaltig - dafür sei es zu spät. Klönne: »Die bloße Aktion reicht aber nicht aus, sondern die Argumente dafür müssen erklärt werden.« Deshalb riet der Soziologe den Briefträgern zu ihren Gegen-Postwurfsendungen.

Aus Niedersachsen erfuhr Klönne von erfolgreichen Gegenoffensiven auch in der Privatwirtschaft. So wurden bei einem Flughafenbetrieb in Hannover zwei Mitarbeiter wegen neonazistischer und Anti-Ausländer-Hetze gefeuert. Aufkommender Unmut gegen die Kündigungen wurde in einer Betriebsversammlung unter dem Beifall der Belegschaft ausgeräumt.

Bei Volkswagen in Wolfsburg wurden wie bei einer Metallfirma in Hannover die Gefahren des Rechtsextremismus in Betriebsversammlungen angesprochen. Der stellvertretende VW-Vorstandschef Horst Münzinger kündigte die sofortige Entlassung von Extremisten an, die den Betriebsfrieden störten. Die gleiche Warnung hing im Bleiwerk Goslar am schwarzen Brett.

Der Erfolg spreche dafür, das Thema »offensiv anzugehen«, sagt Bezirkssekretär Hasso Düvel, 44, von der IG Metall in Hannover: »Wenn es von der schweigenden Mehrheit übergangen wird, können ein paar Verrückte viel Unheil anrichten.«

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