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JAMES DEAN Die große Totenschau

aus DER SPIEGEL 44/1956

Genau ein Jahr nachdem der Hollywood-Schauspieler James Dean zur letzten Ruhe gebettet wurde, brachte der Filmkonzern Warner Brothers in New York den Monstre-Film »The Giant« (Der Gigant) heraus, der mit James Dean in der Hauptrolle kurz vor dem Tode des 24jährigen zu Ende gedreht worden war. Über ein Jahr lang hatte die Gesellschaft den Film zurückgehalten, um die Früchte einer kostenlosen Publicity reifen zu lassen und die Legende zu vertiefen, die sich sogleich nach dem Autotod des nahezu genialen Schauspielers gebildet hatte.

Diese Legende entstand aus einer seltsamen, fast makabren Verzückung und Verehrung, die Amerikas weibliche Teenager plötzlich für »Jimmy« empfanden, obwohl sie den Schauspieler - der als jüngerer, dynamischerer Marlon Brando galt - bis zu seinem Tode nur in zwei Filmen ("Jenseits von Eden«, »... denn sie wissen nicht, was sie tun") hatten bewundern können.

Der James-Dean-Kult läßt sich nur mit der schaurigen Massenorgie vergleichen, die 1926 nach dem Tode Rudolfo Valentinos ausbrach. Aber während es damals vor allem reifere Frauen waren, die tränenäugig zum Mausoleum des toten Stummfilm-Lieblings wallten, grassiert der Totenkult für James Dean, den Liebling der farbigen Cinemascope-Breitwand, vornehmlich unter der Jugend.

Die Backfische veranstalteten eine gespenstische Szene am Grabe des toten Helden, als am 30. September, dem ersten Todestage James Deans, auf dem Friedhof zu Fairmount (Indiana) eine Gedenkfeier abgehalten wurde. Zwei Pastoren gedachten des toten Film-Idols in gefühlvollen Ansprachen, während Fernsehkameras das Schluchzen der jugendlichen Dean-Gemeinde in die fernsten Winkel des Landes übertrugen. Die Szene war kaum beendet, als Rudel heulender Backfische das Grab buchstäblich stürmten, Kränze in Werte von tausend Dollar zerrissen und Erde, Gras und Blumen als »Reliquien« davonschleppten.

Zur gleichen Stunde mußte in Kalifornien die Kreuzung der Autostraßen 466 und 41 polizeilich gesperrt werden, weil Hunderte von motorisierten Teenagern zu

einer stillen Gedenkminute am Unfallort anrollten und den Verkehr blockierten. Starke Polizeikräfte ließen die Steilküsten Kaliforniens nicht aus den Augen: Einige Jugendliche hatten telephonisch die Absicht kundgetan, sich zu »Jimmys« Ehren in seiner Todesstunde mit dem Auto ins Meer zu stürzen. Allerdings unternahm keiner den Versuch.

Auch kommerziell erreichte der Dean-Kult in den letzten Wochen einen Höhepunkt. Eine Gipsbüstenfabrik steigerte ihre Tagesproduktion an »lebensechten James -Dean-Köpfen« auf 300 und hatte trotz des hohen Stückpreises von 30 Dollar (126 Mark) keine Absatzsorgen. Der Bildhauer Kenneth Randall, der kurz vor Deans Tod eine Büste des Schauspielers fertiggestellt hatte, wurde mit Bestellungen auf Gipsabgüsse zu 150 Dollar (630 Mark) je Exemplar überschwemmt, seit er das Original öffentlich der Universität Princeton vermachte.

Nachdem Nicholas Ray, der Regisseur von »..denn sie wissen nicht, was sie tun« erklärte, er werde ein Buch über seine denkwürdige Zusammenarbeit mit James Dean schreiben, kündigte jetzt auch Vater Dean eine offizielle Biographie seines Sohnes an. Ein unabhängiger Filmproduzent ließ sich vorsorglich den Titel »Die James-Dean-Story« schützen.

»Das gleiche Gerede über Hitler«

»Dieser Dean-Kult ist ein gefährliches Zeichen«, schrieb der deutsche Publizist Manfred George aus New York. »Dean war in seiner Schlaksigkeit, seinem Sich nicht-zurechtfinden-Können in der Welt, seinem Zerriebenwerden zwischen Sehnsucht und Norm, zwischen Begehren, Gefühl und der harten Wirklichkeit der sogenannten Erwachsenen das frappante Spiegelbild eines großen Teils der jungen Menschen von heute. In ihm klingt offenbar für viele Zehntausende von Halbwüchsigen das Echo ihrer eigenen Nöte auf...«.

Während seiner kurzen Hollywood-Karriere galt James B. Dean, geboren am 8. Februar 1931, als der begabteste und faszinierendste Nachwuchsdarsteller der Filmstadt. Schon für seine zweite Rolle in einem Broadway-Theaterstück hatte der Sohn eines Dentisten aus dem Weizenstaat Indiana einen Nachwuchspreis erhalten. Filmregisseur Elia Kazan ("Endstation Sehnsucht") holte ihn daraufhin nach Hollywood, und dort benahm sich der Dreiundzwanzigjährige, der wegen seiner Kurzsichtigkeit eine dicke Hornbrille trug, nicht viel anders als Marlon Brando zu Beginn seiner Hollywood-Laufbahn. Er kleidete sich betont salopp, knatterte auf schweren Motorrädern über die Boulevards und war bei dem gesetzten Teil des Filmvolks als ungehobelt, unbeherrscht und exzentrisch verrufen.

Ein seltsamer Lebenshunger schien sich in dem schmächtigen Jungen auszutoben, dem dennoch immer wieder seine Schüchternheit zu schaffen machte. Er war abwechselnd zutraulich und schroff, ausgelassen und deprimiert, halbstark und seelenvoll. James Deans fleißige Biographen suchen den Grund für das unbalancierte Wesen in Erlebnissen der Jugendjahre. Bei bäuerlichen Verwandten war Dean praktisch elternlos aufgewachsen und in lebensfremdem puritanischem Geist erzogen worden.

Als er unter der Regie Elia Kazans in der Verfilmung des John-Steinbeck-Romans »Jenseits von Eden« gewissermaßen sich selbst spielte - einen jungen Menschen, der ohne mütterliche Liebe aufgewachsen und dabei gleichsam zum Gefangenen seiner unerwiderten Zärtlichkeit

geworden war -, wurde der sonderbare Junge Mann für Hollywood zu einer Offenbarung, die selbst die Begeisterung für Marlon Brando überdeckte.

In den darauffolgenden Monaten verfolgten die professionellen Klatschtanten der Filmmetropole liebevoll die keusche Romanze, die sich zwischen Dean und der seelenvollen Italienerin Pier Angeli entspann. Mit ungewöhnlichem Wohlwollen ernannten sie die beiden zum anmutigsten Liebespaar des Jahres«.

Aber bald schon meldeten die Journale, Pier Angelis Mutter sei mit dem ungebärdigen jungen Mann nicht einverstanden, der weder katholisch noch italienischer Herkunft sei und außerdem nicht immer mit einem sauberen Hemd umherlaufe. Vier Monate später heiratete Pier Angeli den in Italien geborenen, katholischen und imner adrett angezogenen Schlagersänger Vic Damone, eine Tatsache, die wochenlang die zahllosen Film-Magazine Hollywoods bewegte.

Dean entwickelte sich in den darauffolgenden Monaten zu einem kalifornischen Casanova. Die Studiochefs registrierten seine Ausschweifungen zuerst ohne Anteilnahme, später aber befremdet. Als er sich für 7000 Dollar einen Porsche-Spyder -Rennsportwagen kaufte und an Autorennen teilnahm, wurden sie schließlich unruhig und wiesen auf ihren Vertrag hin, der

dem Schauspieler das Ausüben lebensgefährlicher Sportarten untersagte. Dean war ein wertvolles Besitztum der Warner Brothers geworden: Mit dem Halbstarkenfilm »Rebel without a Cause« (Rebell ohne Ziel), der in Deutschland unter dem Titel »... denn sie wissen nicht, was sie tun« gezeigt wurde, hatte sich sein Filmruhm inzwischen weiter gefestigt.

Auf dem Wege zu einem Autorennen in Salinas raste der von Dean gesteuerte Porsche am 30. September 1955 um 17.59 Uhr auf der Kreuzung der Autostraßen 466 und 41 bei Paso Robles in einen von rechts einbiegenden Chevrolet. Bei dem Zusammenstoß blieb die Tachometernadel des Porsche bei 86 Meilen (138,4 km/st) stehen.

Eine Ambulanz fegte mit Dean und seinem Beifahrer Rolf Weutherich, einem 28jährigen Mechaniker und früheren deutschen Luftwaffensoldaten, ins nächste Krankenhaus. Dean aber starb noch unterwegs an seinen schweren inneren Verletzungen. Seine letzten Worte: »Nun sind meine lustigen Tage vorüber.« Das Leben des Mechanikers konnten die Ärzte retten.

Schon in den darauffolgenden 48 Stunden kündigte sich der monströse James -Dean-Kult an. Unbekannte Täter brachen in der Nacht zum 2. Oktober 1955 in das Warner-Brothers-Studio ein und plünderten James Deans Garderobe bis auf den letzten Kleiderfetzen aus. Außer sämtlichen persönlichen Besitztümern nahmen sie auch ein Tonbandgerät mit, das Dean beim Rollenstudium benutzte.

Die Einbrecher hatten ein kleines Vermögen erbeutet: In den nächsten Monaten erzielten Stoffstücke, die angeblich von Deans Anzügen und Hemden stammten, Liebhaberpreise bis zu einem Dollar je zehn Quadratzentimeter. Von seinem letzten Tonband tauchten zwei Platten-Umschnitte auf, die in Zehntausenden von Exemplaren abgesetzt wurden.

Hollywood-Damen, die - von Pier Angeli bis Elizabeth Taylor - jemals mit James Dean in Verbindung gebracht worden waren, bekamen Tausende von Briefen mit der Bitte um Berichte über Begegnungen mit dem Verstorbenen.

In den Studiokantinen kursierten Zeitungsausschnitte mit dem Brief einer jungen Frau, die ernsthaft behauptete, sie sei in aller Stille mit James Dean getraut worden und habe in den letzten fünf Monaten »in einem kleinen weißen Haus« mit ihm zusammen gelebt. Außerdem erwarte sie ein Kind von ihm. Die Filmleute, die James Deans Lebenswandel besser kannten, hatten Grund zum Schmunzeln.

Als freilich die Aufregung weiter anhielt und Dean im Dezember 1955 von fünfzehn Millionen Kinogängern zum »besten Schauspieler des Jahres« erklärt wurde, stieg die Film-Industrie kurzentschlossen in den Rummel ein und machte ihn zur größten Totenschau der Welt.

Reporter stöberten auch den abseitigsten Freund aus Deans College-Tagen und die flüchtigste Braut des Verstorbenen auf und nahmen ihre wehleidigen Erinnerungen treulich zu Protokoll. Immer wieder erschien Deans mürrisches Jungengesicht mit den melancholisch verschleierten Augen auf den Titelseiten. Kupferne »James-Dean-Plaketten« zu 25 Cent - am Armband oder um den Hals zu tragen - gingen ebenso reißend weg wie dicke Bilderalben, die das Idol vom Strampelhöschen-Alter bis zur letzten Filmrolle zeigen.

Aber so sehr die Filmjournale sich auch mühten - sie konnten die merkwürdige Faszination, die James Dean auf Amerikas Jugend ausübte, nicht recht erklären.

»Er war ein Phänomen - elementar, wild, maßlos«, war alles, was Regisseur Nicholas Ray zu sagen wußte. Die nüchterne Erklärung, daß Deans Leben - schnelle Autos, schöne Mädchen, souveräne Rücksichtslosigkeit, unverdienter Liebeskummer, geniales Schauspielertum, kometenhafter Filmruhm

das verschwommene Wunschdenken

vieler Millionen junger Menschen widerspiegelte, schien das Phänomen noch am ehesten zu begründen.

Einem ersten Höhepunkt strebte der Dean-Kult zu, als der Todes-Porsche in verschiedenen Städten für 25 Cent zu besichtigen war und die Teenager geduldig Schlange standen. Für ein Aufgeld von weiteren 25 Cent verschaffte sich manches halbwüchsige Mädchen den seltsamen Genuß, für, eine Minute hinter dem Steuerrad zu sitzen, das James Dean umklammert hielt, als der Tod kam.

Den bald darauf einsetzenden Handel mit »Original«-Porscheteilen aus dem Unglückswagen machte die Zeitschrift »Newsweek« mit der schadenfrohen Meldung zunichte, ein Dr. William S. Eschrich aus Burbank habe das gesamte Wrack für 1000 Dollar erworben, weil er den Motor noch brauchen konnte.

Während des ganzen Jahres hielt Hollywood die Dean-Hysterie sorgsam am Brodeln. In vielen Städten gab es inzwischen »James-Dean-Gedächtnis-Clubs«, und in vielen Jungmädchenzimmern gab es James -Dean-Altar-Ecken mit umflorten Hochglanzphotos. Je näher der erste Todestag heranrückte, desto mehr erhitzte sich die Seelentemperatur der Halbwüchsigen.

Bei Warner Brothers kommen monatlich 8000 Briefe für »James Dean, Hollywood« an, darunter Tausende, in denen etwa steht: »Lieber Jimmy - ich weiß, daß du noch lebst. Bitte schreibe mir, daß du nicht tot bist. Ich verrate dich auch nicht, sondern bewahre dein Geheimnis.« Die auf die Dean-Spur angesetzten Reporter, in der Branche bereits spöttisch »Deanologen« genannt, waren auf der Suche nach neuem Lesestoff darauf verfallen, die Todesumstände genau zu untersuchen. Sie erinnerten daran, daß seltsamerweise Rolf Weutherich, der Mann, der neben James Dean auf dem »Todessitz« gesessen hatte, den Zusammenstoß überlebte. Mit halben Anspielungen und angeblich ungeklärten Merkwürdigkeiten bereicherten sie die Dean-Legende alsbald um eine neue Nuance: Für Tausende von jungen Amerikanern steht heute fest, daß Dean ebenso wie Weutherich den Zusammenstoß überlebt hat, aber so verstümmelt ist, daß er sich in der Öffentlichkeit nicht mehr zeigen kann oder will.

Die Meinungen dieser Dean-Fans gehen nur darüber auseinander, ob er aus unlauteren Gründen gegen seinen Willen in einer Heilanstalt festgehalten wird oder aber aus der Pflegeanstalt nicht herauskommt, weil die Verunstaltung seine Hemmungen und seine Menschenscheu bis an den Rand des Wahnsinns gesteigert hat. »Dieses Gerücht wird vermutlich so dauerhaft sein«, kommentierte die Zeitschrift »Newsweek«, »wie das gleiche Gerede über Hitler.«

Mit der Uraufführung von »The Giant« am Jahrestag der Beerdigung des Hauptdarstellers ist die Fortdauer des Dean-Kults für mindestens ein weiteres halbes Jahr gesichert. Nach der Premiere des Superfilms (Laufzeit: 3 Stunden 17 Minuten) schrieb sogar der gefürchtete Kritiker der »New York Times«, Bosley Crowther: »Seine Leistung in 'Giant' ist ein beklemmender Gipfelpunkt in der kurzen Karriere des Mr. Dean.«

Bei Warner Brothers ist man überzeugt, daß die Filmakademie nicht umhin kann, diesen Film und seinen Hauptdarsteller im März nächsten Jahres mit dem »Oscar« auszuzeichnen. Angeblich soll die Akademie schon eine Änderung der Satzungen vorbereiten, die es ihr ermöglicht, die Auszeichnung - zum ersten Male in der Filmgeschichte - einem Toten zu verleihen.

Schauspieler Dean

Legende nach dem Auto-Tod

Dean mit Freundin*: »Lieber Jimmy - ich weiß, daß du noch lebst«

Kendalls Dean-Büste

Gipsabgüsse zu 150 Dollar

* Starlett Ursula Andress.

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