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RUDOLF AUGSTEIN Die Grünen genügen sich selbst

Von Rudolf Augstein
aus DER SPIEGEL 6/1987

Man kann sich ja an dem Personal festkrallen. Man kann Willy Brandt, Johannes Rau, Peter Glotz man kann auch etliche andere Sozialdemokraten für das verantwortlich machen, was sie im letzten halben Jahr geschwatzt, respektive für Wahlkampf ausgegeben haben.

Der einzige, der nicht geschwatzt hat, Hans-Jochen Vogel, hat den entscheidenden Fehler mit-, wenn nicht hauptsächlich verursacht: Er selbst hat den Rau in eine Position gehievt, in die er nach allem nun nicht gehört. Er hat das nicht getan, um sich selbst zu entlasten, er hat vermutlich gar nicht an sich gedacht. Rau würde, so meinte er, der erfolgreichere Kanzlerkandidat sein (er hingegen der bessere Kanzler).

Die Rechnung, wie man sieht, ist nicht aufgegangen. Womöglich hätte der Oppositionsführer, Hans-Jochen Vogel, ein bis eineinhalb Prozent mehr Stimmen eingefangen als sein Kandidat, um mehr geht es ja selten.

Während bei der CDU/CSU die Schuldzuweisungen leicht sind, macht es wenig Sinn, sie bei der Volkspartei SPD zu suchen. Sie hätte etwas mehr gewinnen können, und etwas mehr ist ja schon viel, aber sie konnte nicht gewinnen.

Woran liegt das wohl? Der erste Grund ist klar. Was auch die CDU/ CSU 1957 nur unter extremen Umständen (Ungarn-Aufstand, Renten) geschafft hat, die absolute Mehrheit von 50,2 Prozent der Stimmen, kann einer Partei wie der SPD niemals gelingen. Die gesamte Stahlhelm-Fraktion der Union, die immer noch auf Revision der Grenzen spekuliert, würde das verhindern.

Sogar Willy Brandt hat 1972 den größten Sieg der SPD seit ihrem Bestehen nicht nur allein mit seiner Ostpolitik errungen, sondern auch mit dem Motto: »Deutsche, wir können stolz sein auf unser Land.«

Es war aber nicht so sehr die Außenpolitik, die Deutschlandpolitik, die Schmidt und Genscher 1982 auseinandergebracht hat. Mittlerweile darf man wohl hinnehmen, daß die SPD von der FDP nicht »verraten« worden ist. Kaum jemand konnte glauben, die Koalitionsverhandlungen von 1980 hätten das »Alibi« nicht schon durchschimmern lassen.

Es ist eben schlicht falsch, daß die Wende der FDP »ein Fehler« (Helmut Schmidt) war. Wenn sie, wie Schmidt meint, »lediglich« die Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik betraf: So war dies eben die Notwendigkeit zur Wende. Es irrt sich also jeder, der, wie der Ex-Kanzler Schmidt, nicht anerkennen will, daß die FDP entweder untergehen oder die Koalition verlassen mußte.

Nein, die SPD ist nicht aus Gründen unzulänglichen Personals (obwohl sie uns da bis heute reichlich viel zumutet), sondern aus objektiven, von ihr nicht zu vertretenden Umständen »in die Gacke« geraten (so »Titanic« 1983 über Genscher).

Es ging in diesen Wahlen auch um die Außenpolitik und darum, sich den Franz Josef Strauß vom Halse zu halten - »ein altes Lied, vom Ahn' vertraut«. Kennzeichnend ist aber, daß wir in Deutschland keine Mehrheit haben, um mit den neuen und wichtigeren Problemen auf parlamentarische Weise fertig zu werden.

Wer gegen Tschernobyl und »Pershing 2«, gegen die Verschmutzung des Rheins und alle anderen Umweltschäden, und wer auch gegen die tödlichsten Waffenexporte nichts anderes ins Feld zu führen weiß als »Arbeitsplätze, Arbeitsplätze": der wird weder in der Mitte noch links zulegen.

Die SPD hat nicht nur keinen Partner, sie ist in sich kein Partner. Die FDP wurde, wie wir inzwischen sehen, reichlich zugunsten der Wirtschaft und der Industrie korrumpiert. Sie kann ohnehin nicht immerzu wechseln.

Die Grünen aber sind einstweilen noch eine Nicht-Partei. Ob es gelingt, sie irgendwann zu einer rationalen Position zu bewegen, muß man wohl abwarten. Sie leben davon, eine unberechenbare Nicht-Partei zu bleiben, eine nicht - oder doch? - korrumpierbare.

Es muß sie geben, weil wir sonst überhaupt keine parlamentarische Fraktion gegen die Umweltschäden und gegen die allgemeine Korruption des öffentlichen Lebens hätten. Aber wie mit ihnen umgehen, wenn sie bleiben wollen wie sie sind? Wem ist das zuzumuten?

Glauben die Grünen selbst, was sie sagen, so muß man entweder mit ihnen koalieren, was schon Strafe genug ist, oder darauf hoffen, daß sie sich selbst erledigen. Es gibt keine lösbaren Probleme, die von den Grünen allein gelöst werden könnten, wenn sie die Mehrheit hätten.

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