SPIEGEL Gespräch »Die Grünen müssen bündnisfähig sein«
SPIEGEL: Herr Fischer, wollen die Grünen demnächst auf Ministersesseln Platz nehmen?
FISCHER: Nein.
SPIEGEL: Es sieht aber fast so aus. Schließlich haben Sie den Sozialdemokraten in Hessen jetzt ein Verhandlungsangebot gemacht, das sich liest wie ein linkes SPD-Programm. Wollen Sie Juniorpartner der SPD werden?
FISCHER: Also, mit dem Begriff des Juniorpartners hab'' ich so meine Probleme. Die SPD ist doch inhaltlich mehr ein älterer Pflegefall. Was wir in Hessen gemacht haben, ist eigentlich kein konkretes Angebot, sondern es war erst mal ein parteiinterner Klärungsprozeß, der äußerst notwendig war, der eigentlich seit einem Jahr anstand.
SPIEGEL: Aber Sie haben damit die Richtung vorgegeben.
FISCHER: Es ist ein neuer Schritt, den wir bei der hessischen Landesversammlung gemacht haben: ohne jede Vorbedingung zu versuchen, inhaltlich abzuklären, ob was geht und, wenn ja, was geht. Dies wollen wir dann auf einer neuen Mitgliederversammlung entweder mit einer Mehrheit versehen und es dann auch so machen - und zwar nicht nur punktuell, sondern über vier Jahre hinweg; oder wir werden es lassen, aber begründet lassen. Auf keinen Fall aber werden wir wieder dieses Hin und Her, wie im letzten Jahr, vorführen.
SPIEGEL: Eben dieses Hin und Her deutet sich wieder an. Ihr hessischer Parteifreund Manfred Zieran hat die Entscheidung als »Verrat« kritisiert.
FISCHER: Für mich besteht das Problem nicht darin, daß jetzt Manfred Zieran eine andere Position hat als die 80 Prozent der Versammlung, die da mit Ja entschieden haben. Unsere Partei ist eine Partei auch mit einer Spannbreite zwischen verschiedenen Flügeln. Und es ist ja keine Kleinigkeit, von der Protestbewegung zu einer politischen Partei zu werden, die über Mehrheits-, das heißt auch über parlamentarische Machtverhältnisse mitzuentscheiden hat. Das ist meines Erachtens ein sehr reibungsvoller, schmerzhafter Übergangsprozeß, der auch mit großen Risiken behaftet ist.
Der Verratsvorwurf ist Quark. Die gegensätzlichen Positionen sind seit langem bekannt, und kein grüner Realpolitiker hat im umgekehrten Falle jemals Verrat geschrien. Der Zieran soll sich einkriegen und nicht weiter auf fundamentalen Kinderschreck machen. Seine triefende Doppelmoral nimmt ihm doch niemand mehr ab. Aber so sind sie halt, unsere Frankfurter Säulenheiligen in Grün. Das Böse siegt, wenn die ''ne Abstimmung verlieren.
SPIEGEL: Der Frankfurter Heilige ist aber nicht allein. Es gibt doch viele andere sogenannte Fundamentalisten, die gegen jegliche Kompromisse sind.
FISCHER: Ich sage nicht, daß jetzt den Grünen eine schöne Zukunft bevorsteht. Ich sage vielmehr: Es ist eine Notwendigkeit, die sich aus der hessischen Situation wie aus der Tatsache, daß die Grünen Parlamentspartei sind, ergibt.
SPIEGEL: Aber die Grünen könnten sich damit den Vorwurf mancher Sympathisanten einfangen, sie wollten bei jeder Gelegenheit umfallen, um an den Machttrog zu kommen.
FISCHER: Was heißt das, wir wollten bei jeder Gelegenheit umfallen?
SPIEGEL: In Ihrem Verhandlungsangebot an die SPD haben Sie doch wichtige Positionen - auch in sogenannten Überlebensfragen - revidiert. Da ist nun nicht mehr vom sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie die Rede, sondern nur noch unbestimmt vom Ausstieg. Von der Startbahn West steht nichts mehr drin.
FISCHER: Also, am Beispiel Kernenergie oder besser Atomenergie ...
SPIEGEL: ... was ist denn da der Unterschied?
FISCHER: Das ist wieder eine jener Verbal-Differenzen. Atomenergie ist weniger verschleiernd als Kernenergie. Also, am Beispiel Atomenergie kann man es sehr gut illustrieren. Nun sind wir im Parlament. Haben wir denn für eine Abschaltung auch nur eines Brennstabes irgend etwas erreicht? Haben wir mehr Leute auf unsere Seite rübergezogen? Haben wir mehr Bewußtsein gegen die Atomenergie gebildet durch unsere Verweigerungshaltung? Haben wir die Bewegung gegen die Atomkraftwerke gestärkt, haben wir die Wählerbewegung zugunsten der Grünen gestärkt?
SPIEGEL: Nach dem Wahlergebnis zu urteilen offensichtlich nicht.
FISCHER: Das einzige, was ich feststellen kann, ist, daß ein Moratorium erzielt wurde durch die vielen Leute, die damals an den Bauzäunen gerüttelt haben. Die heftige Debatte, ob sofort abgeschaltet wird oder in drei, in fünf oder in zehn Jahren oder niemals, halte ich für eine reine Scheindebatte.
Politische Aufgabe der Grünen ist es zu sagen: Wir sehen in der Atomenergie eine lebensgefährliche Sackgasse für diese Gesellschaft. Wir müssen diese Sackgasse endgültig sperren. Das heißt: Wenn wir es erreichen, daß diese Generation von Atomkraftwerken die letzte _(Mit Redakteurinnen Marion Schreiber und ) _(Marie-Luise Hauch-Fleck im Bonner ) _(SPIEGEL-Büro. )
ist, daß damit das Ende der Atomindustrie hier besiegelt ist, dann würde ich das als eine historische Großtat der Grünen ansehen.
SPIEGEL: Und die wollen Sie Seite an Seite mit den Sozialdemokraten vollbringen. Mit einem Ministerpräsidenten Holger Börner ist das doch wohl kaum zu erreichen.
FISCHER: Da bin ich auch skeptisch. Nur, politisch bin ich dazu verpflichtet, es zu versuchen, um, wenn es dann nicht geht, begründet sagen zu können, warum es nicht geht.
SPIEGEL: Und Sie sehen sich von Ihren Wählern dazu legitimiert?
FISCHER: Weshalb sollte nicht vermittelbar sein, daß wir diese programmatischen Punkte für diese neuen sozialen Bewegungen auch real gesellschaftlich durchsetzen wollen? Daß das nicht ohne Kompromisse geht für eine Fünf-Prozent-Partei, das muß wohl jedem klar sein.
SPIEGEL: Was macht Sie so sicher?
FISCHER: Der Verlust von zwei Prozent Wählern in Hessen zeigt das. Offensichtlich ist nicht vermittelbar, wenn sich die Grünen nur verweigern. Ich bin sicher: Wenn wir das Angebot vor der Wahl auf unserem Parteitag in Weiskirchen beschlossen hätten, dann hätten wir nicht so viel verloren.
SPIEGEL: Sie glauben doch nicht ernsthaft, daß Sie den Tanker SPD bewegen können.
FISCHER: Man muß es - und das ist unser Hauptinteresse in Hessen - versuchen. Wir müssen zeigen: Wo sind die Bruchlinien, wo sind Gemeinsamkeiten? Und dann sollen wir entscheiden: Wollen wir diesen Kompromiß, wollen wir das Positive und nehmen dafür das Negative in Kauf? Wir dürfen nicht wieder in diese Espenlaub-Situation geraten wie vor der Wahl, wo alle - fundamental bis real - das große Zittern und Kniewackeln hatten, ob wir reinkommen.
SPIEGEL: Eine ähnliche Situation wie jetzt in Hessen gab es schon mal in Hamburg. Da hatte die Grün-Alternative Liste mit der SPD verhandelt. Die Folge: Die Grün-Alternative Liste verlor Stimmen, die SPD errang die absolute Mehrheit.
FISCHER: Hessen zeigt doch, daß, anders als in Hamburg, Börner auch bei dem zweiten Versuch keine absolute Mehrheit hat. Ich glaube, die Wahl hat klar gezeigt, daß der Zwang, Kompromisse zu versuchen, die zu wirklichen Veränderungen in Richtung mehr Ökologie, mehr Frieden führen, jetzt gegeben ist. Und zwar für vier Jahre. So schnell wird in Hessen nicht mehr gewählt.
SPIEGEL: Machen Sie Ihre schöne Rechnung nicht ohne die anderen Parteien?
FISCHER: Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Das interessiert mich beim aktuellen Stand erst mal nicht. Was mich interessiert und was ich wichtig finde, ist, daß wir uns von diesem fundamentalen Würgegriff der Politikverhinderung freigemacht haben. Daß die Grünen Hessens so weit sind zu sagen: Wir wollen jetzt mal verhandeln darüber, was geht und was nicht. Und dann erst werden wir sehen, was mit den Sozialdemokraten wirklich ist.
SPIEGEL: Sie wollen also eine verkappte Form von Koalition versuchen, nur ohne grüne Minister.
FISCHER: Ich würde es nicht als verkappte Form der Koalition ansehen. Wir haben aus den hessischen Erfahrungen mit einer punktuellen Zusammenarbeit in Sachfragen im letzten Jahr gelernt. Es stellt sich die Frage nach Strukturveränderungen, wo man dann bei der Frage der Haushalte, der Eckdaten, der mittelfristigen Planungen und und und ansetzen muß. Das kann man nicht über eine punktuelle Zusammenarbeit erreichen ...
SPIEGEL: ... sondern über Koalitionsvereinbarungen.
FISCHER: Nein, über eine längere Zusammenarbeit. Es ist doch ein Lernprozeß, den die Grünen zu machen haben. Und wenn man diesem Lernprozeß nicht Zeit gibt und wenn man den nicht koppelt auch an soziale Veränderungen, dann droht uns das Schicksal einer grünen FDP.
SPIEGEL: Proben Sie in Hessen einen Ernstfall Bonn, eine Zusammenarbeit mit der SPD?
FISCHER: Natürlich hat jetzt Hessen eine entscheidende Rolle für die weitere Entwicklung der Grünen. Das war ja auch schon aus der Erklärung des Bundesvorstands zu entnehmen, der uns zum besonders verantwortlichen Umgang mit den hessischen Verhältnissen aufgefordert hat. Und jeder, der die Grünen-Interna
kennt, weiß, was in dieser Forderung steckte, nämlich nicht wieder in diese fundamentale Verweigerungshaltung zurückzuverfallen, andererseits uns aber auch über die Risiken einer realpolitischen Annäherung im klaren zu sein.
Für den Bund heißt das: Wenn Hessen gutgeht, dann wird es Konsequenzen für andere Bundesländer - für Baden-Württemberg 1984 und Nordrhein-Westfalen 1985 - haben. Aber natürlich auch für Bonn, wenn 1987 hessische Verhältnisse im Bund existieren sollten.
SPIEGEL: Was muß in Hessen passieren, damit es - so Ihr Wort - gutgeht?
FISCHER: Wenn es uns nicht gelingt, im Öko-Bereich, im Friedensbereich, in der Frage alternativer Wirtschaftsformen, auch in der immer wichtiger werdenden Frage der Bürgerrechte und der Abwehr staatlicher Repressionspolitik, die vor allen Dingen auch hier von Bonn ausgeht, wenn es uns da nicht gelingt, Erfolge zu erzielen, dann werden wir als Partei nicht überleben. Dann wird es einen Abstoßungsprozeß geben, dann werden die Grünen eine Sekte von ewiggestrigen Radikalfunktionären, die es auch schon früher gab.
SPIEGEL: Und wie wollen Sie sich dann in Zukunft von der SPD abgrenzen, wenn Sie alles mit ihrer Hilfe durchsetzen? Da kann man dann doch gleich eine linke SPD wählen.
FISCHER: Ich kann schwer nachvollziehen, weshalb Leute die SPD wählen. Für mich als libertär gesonnenen Angehörigen der alternativen Subkultur bleibt die Partei SPD immer eingebunden in den großen deutschen Mehrheitskonsens, der im wesentlichen auf staatlich organisiertem Interessenausgleich beruht. Das hat man an den Reaktionen auf die Aktion Schwalba-Hoths klar gesehen.
Viele - ich eingeschlossen - fanden diese Aktion, einen US-General mit Blut zu bewerfen, falsch, unsinnig, läppisch. Aber diese Suaden, die von der anderen Seite losgelassen wurden, das war wieder alter deutscher Mehrheitskonsens, der vor Uniformen kuscht, der sich im wesentlichen am starken Staat orientiert. In diesem Fall sind es die starken USA. Sobald die SPD alleine wieder eine Machtperspektive hat, gibt sie stets die fortschrittlichen Inhalte auf. Wie war es denn damals mit dem Integrationsversuch der Jugendrevolte und den darauf folgenden Berufsverboten?
SPIEGEL: Die libertäre Untergrund- oder Alternativbewegung bringt nicht sechs oder sieben Prozent Wähler auf die Beine. Es gibt viele enttäuschte SPD-Wähler, die Grün gewählt haben und die, wenn die SPD in der Opposition grüne Themen aufnimmt, zu den Sozialdemokraten zurückkehren.
FISCHER: Das ist richtig. Aber es erinnert mich ein bißchen an die Grünen-Parteitage. Da wird ja immer von dem eigenen großen Profil geredet, und dann wird furchtbar auf die SPD geschimpft. Ich glaube, ein Teil der Kultur, der politischen Vorstellungen von Leuten auch von ihrer sozialen Herkunft her, die originär zu uns gehören, sind bei der SPD-Wählerschaft.
Es gibt mittlerweile über die Friedensbewegung dieses Potential auch in der christlichen Linken, bei der CDU. Und das gibt es auch bei den Liberalen. Worum es mir geht, ist, ob es eine Perspektive gibt für so etwas wie einen ökologischen Block jenseits des deutschen Mehrheitskonsensus. Der muß natürlich, wenn er auf die politische Entwicklung dieses Landes Einfluß nehmen will, bündnisfähig sein.
SPIEGEL: Und - gibt es Ihren Block? Ist er mit der SPD zu realisieren?
FISCHER: Wir dürfen uns doch über eines keine Illusionen machen: Die Grünen sind entstanden in 13 Jahren sozialliberaler Regierung und vor allen Dingen gegen diese sozialliberale Regierung. Selbst wenn Sozialdemokratie und Grüne zu Bündnissen verdonnert sind, wird das ein schweigender oder manchmal auch lärmender Kampf werden. Man könnte fast, dramatisch zugespitzt, sagen: auf Leben und Tod. Natürlich werden die uns unter fünf Prozent bringen wollen. Sie werden es noch lange müssen, weil wir sie die Machtfähigkeit kosten. Das ist der entscheidende Punkt.
SPIEGEL: Und irgendwann sind Sie dann überflüssig?
FISCHER: Wir werden natürlich alles versuchen müssen, diesen grünen Teil der Sozialdemokratie - auch der Liberalen, auch der Christdemokraten - für uns zu gewinnen. Das merkt man hier in Bonn in der Oppositionsrolle ganz genau, daß natürlich über die Vorbande Kohl, Geißler und wie sie alle heißen, diese ganze Schreckenskamarilla, daß da ein Ringen zwischen Sozialdemokraten und Grünen stattfindet auf teilweise inhaltlich identischen Linien um die Führungsrolle der Opposition.
SPIEGEL: Ein Ringen, das zu Ihren Lasten geht. Sie sind fixiert auf die SPD, Ihnen fehlt eine eigenständige grüne Strategie.
FISCHER: Wenn die SPD jetzt in der Friedenspolitik Positionen bezieht, die genau dem entgegengesetzt sind, was Alt-Kanzler Schmidt vertritt, dann wird man uns doch nicht SPD-Fixierung vorwerfen
können, wenn wir an diesen Positionen festhalten. Daß es dabei natürlich zu Überschneidungen kommt, daß allein das Gewicht der Sozialdemokratie, das Gewicht des Apparats, das Gewicht der Masse dann zu ganz anderen Eindrücken führt, das ist zweifellos richtig.
Etwas ganz anderes ist die Frage unserer Strategie. Das hat aber mit der SPD nichts zu tun, sondern das ist das Problem unserer eigenen Schwäche oder Stärke, auch intellektuell.
SPIEGEL: Vielleicht liegt das daran, daß Sie und Ihre Partei sich übernommen haben?
FISCHER: Es stellt sich für uns das Problem einer personellen Öffnung. Viele von denen, die uns wählen, viele kompetente Leute, politisch sehr erfahrene Leute, beruflich sehr erfahrene Leute, die bleiben außen vor. Gleichzeitig haben wir ja die sehr richtige Einrichtung des Verbots von Mandat und Parteiamt oder von Doppelmandat. Das heißt: Nahezu jeder in der grünen Partei oder jeder Ältere ist in irgendeiner Funktion oder einem Parteiamt. Es ist ungeheuer schwer, noch Leute zu finden, die zusätzlich etwas übernehmen.
SPIEGEL: Das geht der FDP nicht anders.
FISCHER: Ich weiß nicht, wie es der FDP geht. Ich weiß nur: Wenn wir dieses Problem nicht lösen, dann werden wir personell scheitern. Weil die Leute dann zusammenbrechen. Das ist gar nicht durchzuhalten.
SPIEGEL: Sie beklagen den Verschleiß. Den muß es nun gerade bei Grünen nicht geben: Schließlich haben Sie ja das Rotationsprinzip, lassen Sie doch andere ran, die nicht zusammenbrechen. Oder sind die grünen Abgeordneten bereits von der Macht korrumpiert?
FISCHER: Nein.
SPIEGEL: Sind Sie denn für das Rotationsprinzip?
FISCHER: Wollen Sie jetzt ein Bekenntnis von mir hören?
SPIEGEL: Gerne.
FISCHER: Ich mag weder Bekenntnisse noch Distanzierungen.
SPIEGEL: Wir aber.
FISCHER: Na gut. Ich gehe fest davon aus, daß, egal wie sehr wir uns auch darum streiten werden innerhalb der nächsten anderthalb Jahre, selbst die entschiedenen Gegner einen Mehrheitsbeschluß für die Rotation anerkennen werden. Das ist für mich, selbst wenn es nach der Einschätzung der Rotationsgegner ein politischer Selbstmord wäre, der Preis für die eigene Glaubwürdigkeit.
SPIEGEL: Was gefällt Ihnen denn an dem Rotationsprinzip nicht?
FISCHER: Ein Unding finde ich die 70-Prozent-Regelung, wonach ein Abgeordneter statt zwei vier Jahre im Amt bleiben darf, wenn 70 Prozent seines Landesverbandes damit einverstanden sind. Diese Regelung fällt hinter das Niveau bürgerlicher Demokratie zurück
und bedeutet so etwas wie eine plebejische Aristokratisierung. Das heißt: Besonders herausragende Figuren erhalten den Status von Wahl-Aristokraten.
Das führt zu großen menschlichen Problemen. Das führt auch - das kann sich jeder vorstellen - zu Konkurrenzproblemen. Es geht dann natürlich an das Selbstwertgefühl jedes einzelnen. Für die Nachrückerinnen und Nachrücker andererseits bedeutet das einen Zustand der Unsicherheit, den ich vollkommen unhaltbar finde.
SPIEGEL: Die Erkenntnis dämmert aber reichlich spät.
FISCHER: Die Rotation ist entstanden auf dem Hintergrund parteiinternen Machtausgleichs zwischen Fundamentalisten und Realpolitikern. Die Grünen, die sich zusammengesetzt haben aus verschiedenen Strömungen, aus verschiedenen Sekten, vormals, aus regionalen Differenzen, verschiedenen Altersgruppen, Geschlechterdifferenzen, die haben eigentlich nie zu einem Machtkonsens als Partei gefunden.
SPIEGEL: Hoffen Sie denn - nach Hessen -, daß sich die Realpolitiker auch in der Frage der Rotation durchsetzen?
FISCHER: Der Ausgang ist vollkommen offen. Die knappe Mehrheit für die Rotation kam nur zustande aufgrund dieses absurden 70-Prozent-Kompromisses. Das war wieder mal so eine Entscheidung, weil der Saal Ruhe haben wollte, ohne darüber nachzudenken, was das denn konkret heißt. Jeder, der betroffen ist, sieht das so.
SPIEGEL: Aber nicht die Basis.
FISCHER: Dazu kann ich jetzt ehrlicherweise nichts sagen, weil das Thema auch nicht mehr angeschnitten wird. Aber ich bin ganz sicher: Das wird eine Klippe werden, über die die grüne Partei 1985 so oder so rüber muß. Dieses politische Problem, an dem sich meines Erachtens auch die Politikfähigkeit der Grünen festmachen wird, das muß offen ausgetragen werden, auch um den Preis der Niederlage.
SPIEGEL: Ist überhaupt einer anderen Partei zumutbar, mit einem so chaotischen Haufen, der sich nicht einmal über seine eigenen Strukturen klar ist, zu kooperieren?
FISCHER: Als nicht Parteierfahrener denke ich mir ja auch manchmal: Mein Gott, die Grünen - das halte ich im Kopf nicht aus. Dann aber lese ich - ohne da jetzt eine billige Retourkutsche fahren zu wollen -, wie man etwa in anderen Parteien sogar gegeneinander die Fäuste schwingt. Dagegen sind wir ja noch milde und alternativ gestimmte liebe Leute.
SPIEGEL: Manchmal sicher.
FISCHER: Sehen Sie! Ich finde ein bestimmtes Maß an innerparteilichem Chaos sehr notwendig. Sosehr ich einerseits für Effektivität bin, so sehr bin ich andererseits aber auch für die Möglichkeit
des antiautoritären Aufstandes als Korrektiv.
SPIEGEL: Antiautoritärer Freiraum mag dem Wohlbefinden dienen, trägt aber nicht zur Politikfähigkeit bei.
FISCHER: Wir müssen durch diese Phase der Selbstbeschäftigung hindurch. In Hessen haben wir gezeigt, wie bitter notwendig es ist. Es ist eine Frage der Identitätsfindung für die Grünen.
SPIEGEL: Wie soll die aussehen?
FISCHER: Diese Partei soll ein politisches Spektrum von den mehr Grün-Liberalen Baden-Württembergs bis zu den Grün-Sozialisten in Hamburg haben. Ich wünsche mir eine linke ökologische, radikaldemokratische und pazifistische grüne Partei. In ihr sollen Leute vom baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Winfried Kretschmann bis zum Hamburger Bürgerschaftsabgeordneten Thomas Ebermann Platz haben. Denn was sie verbindet ist, daß sie rauswollen aus der Politikverweigerung. Über allem aber sollte Rudolf Bahro schweben.
SPIEGEL: Wenn wir das richtig sehen, wollen Sie sich für den Fall, daß 1987 bei den Bundestagswahlen hessische Verhältnisse eintreten, als Partner der SPD offerieren.
FISCHER: Nein! Meine Güte, meine Güte! Sie diskutieren hier über die Bundestagswahl 1987 wie über den Sommerschluß-, den Winterschlußverkauf.
SPIEGEL: Also dann Nordrhein-Westfalen 1985.
FISCHER: Das sind jetzt wieder die typischen SPIEGEL-Fragen, also die Frage: Wer offeriert sich hier wem? Das ist doch nicht die Frage. Wer weiß es denn, ob es uns 1987 noch gibt.
SPIEGEL: Gehen wir doch einfach mal davon aus.
FISCHER: Es wäre doch durchaus denkbar, wenn man sich diese irrwitzigen Bonner Verhältnisse hier anschaut, daß man ab einem bestimmten Punkt einfach nicht mehr mag. Das wäre ja vielleicht so schlecht auch nicht, wenn die Grünen zum Standpunkt kämen: Also, Leute, das bringt jetzt alles nichts, wir machen eine Großkommune irgendwo in Oregon, wo die Wälder noch gesund sind.
SPIEGEL: Aber in drei Jahren haben Sie womöglich in Bonn auch dazugelernt und weniger Anlaß zu Frustrationen. Und dann gibt es ja noch Nordrhein-Westfalen als möglichen Modellfall einer rot-grünen Koalition.
FISCHER: Natürlich werden wir in NRW dafür kämpfen müssen, daß wir reinkommen. Und natürlich sollten wir Verhältnisse anstreben, in denen wir nicht nur Opposition sind als dritte Partei, sondern auch Einfluß auf die Mehrheitsbildung haben.
Es geht nicht zu sagen, ich übernehme keine Verantwortung, ich halte mich zurück, ich kritisiere nur - das kann man nicht machen. Denn dann bleibt nur die Alternative, eine wie auch immer geartete revolutionäre Perspektive zu entwickeln. Wenn man davon ausgeht, daß es fünf vor zwölf ist in der Ökologie, dann muß man doch alles tun und jede Gelegenheit nutzen, um die Uhr zumindest anzuhalten, wenn nicht zurückzudrehen. Das gilt auch für Bonn.
SPIEGEL: Herr Fischer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Mit Redakteurinnen Marion Schreiber und Marie-Luise Hauch-Fleck imBonner SPIEGEL-Büro.