Zur Ausgabe
Artikel 49 / 87

Die Guillotine

aus DER SPIEGEL 15/1979

und der Scharfrichter kosten Frankreichs Steuerzahler dieses Jahr 185 000 Francs, nachdem im letzten Herbst ein Antrag des gaullistischen Abgeordneten Pierre Bas in der Nationalversammlung gescheitert war, den Posten aus dem Haushalt des Justizministeriums zu streichen und damit die Todesstrafe zu Fall zu bringen; Justizminister Alain Peyrefitte erzwang geschlossene Abstimmung über den Haushalt, so daß Einzelposten nicht geändert werden konnten, kündigte aber für dieses Frühjahr eine große Todesstrafendebatte an, die nun in Schwung kommt.

Damit ist freilich die letzte französische Guillotine noch nicht abgeschafft, jenes düstere Symbol der Großen Revolution, das von der Gesetzgebenden Versammlung im März 1792 eingeführt wurde, weil die »Menschlichkeit fordert, daß die Todesstrafe so schmerzlos wie möglich vollzogen wird«.

Die neue Hinrichtungsmaschine wurde dem Arzt Joseph Ignace Guillotin zugeschrieben, aber das erste dieser Fallbeile konstruierte der in Paris ansässige deutsche Klavierbauer Tobias Schmidt, der es auch an lebenden Schafen und toten Menschen testete.

Während der sogenannten Schreckensherrschaft waren die Exekutionen grausige Volksfeste. In Paris wurden einmal in 20 Minuten 50 Hinrichtungen vollzogen, in Rennes starben Weihnachten 1793 an die 90 Menschen auf dem Schafott.

Unter ihnen waren wirkliche oder auch nur angebliche Revolutionsfeinde, Monarchisten, aber auch republikanische Girondisten und schließlich gar radikale Jakobiner wie Robespierre. Der Arzt Guillotin war, wie sein Biograph behauptet, niemals anwesend, er schämte sich des politischen Mißbrauchs der Maschine, die seinen Namen trägt.

In den Kriegen der Revolution und Napoleons wurde die Guillotine auch in den von Frankreich besetzten Gebieten eingeführt, etwa dem Rheinland und der Pfalz. Im Deutschen Reich starben die von der Justiz verurteilten Verbrecher seit 1871 gleichfalls unter der Guillotine, in Preußen durch das Beil. Seit Juni 1939 läßt die französische Justiz Delinquenten nicht mehr öffentlich hinrichten.

In Frankreich wurde nach Kriegsende versäumt, was in der Bundesrepublik dank dem totalen Zusammenbruch möglich war: die Todesstrafe abzuschaffen, ohne daß die Meinung der Volksmehrheit, die in Frankreich heute noch dafür ist., berücksichtigt zu werden brauchte.

Unter dem Eindruck der modernen Strafrechtslehre, die der Todesstrafe jeden Abschreckungseffekt auf potentielle Mörder abspricht, ist die Zahl der Hinrichtungen in Frankreich immer stärker zurückgegangen. Doch andererseits konnten die Gegner der Todesstrafe, angeführt von dem Abgeordneten Bas und dem Anwalt Badinter, der sich für den vorige Woche hingerichteten pakistanischen Ex-Staatschef Bhutto einsetzte, trotz unermüdlicher Kampagnen nicht erreichen, daß Regierung oder Parlamentarier einen Gesetzentwurf auf Abschaffung einbrachten.

Auch der Intellektuelle Alain Peyrefitte, 53, schon unter de Gaulle mehrmals Minister, dann Generalsekretär der gaullistischen Partei, Bestseller-Atitor ("Was wird aus Frankreich?") und Mitglied der Académie francaise, seit 1977 »Garde des Sceaux« (Siegelbewahrer> und Justizminister in jenem Louis-XIV-Bau an der Pariser Place Vendome, der auch das vornehme Hotel Ritz beherbergt, hielt sich in Sachen Todesstrafe zurück. Vorige Woche schlug er erstmals ihre »vorläufige Suspendierung« vor, »um zu sehen, ob die Kriminalität dann wirklich nicht steigt«.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 49 / 87
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren