Die gute Erde stirbt
Wer sich die Frage stellt, wie viele Menschen die Erde auszuhalten vermag, geht am sichersten von überprüfbaren Zahlen aus: Schätzungsweise gibt es auf der Erde 20 Billionen Tonnen lebende Zellen, davon sind 10 Prozent oder zwei Billionen Tonnen tierisches Leben. Fürs erste kann diese Zahl als Maximalwert betrachtet werden, da sich das pflanzliche Leben der Quantität nach nicht vermehren kann, ohne daß die Sonnenstrahlung erhöht oder seine Fähigkeit, das Sonnenlicht zu verarbeiten, verbessert wird. Das tierische Leben dagegen kann sich quantitativ nicht vermehren, ohne daß sich die Pflanzenmasse vermehrt, die ihm als Grundnahrungsmittel dient.
Die Zahl der Menschen hat sich im Laufe der Jahrhunderte vermehrt und vermehrt sich weiterhin. Aber sie vermehrt sich auf Kosten anderer Formen tierischen Lebens. Jedes zusätzliche Kilogramm Menschheit bedeutet mit absoluter Zwangsläufigkeit ein Kilogramm nicht-menschlichen tierischen Lebens weniger. Wir könnten also argumentieren, daß die Erde maximal eine Menschheitsmasse ernähren kann, die der gegenwärtigen Masse allen tierischen Lebens entspricht. Das wären nicht weniger als 40 Billionen -- über 11 000 mal mehr als gegenwärtig. Allerdings würde daneben keine andere Spezies tierischen Lebens existieren.
Was bedeutet das? Die gesamte Erdoberfläche umfaßt 510 Millionen Quadratkilometer. Würde die menschliche Bevölkerung die Höchstzahl erreichen, so hätte das eine Durchschnittsdichte von 80 000 Menschen pro Quadratkilometer zur Folge, die doppelte Dichte der New Yorker Insel Manhattan. Man stelle sich diese Menge aber gleichmäßig verteilt vor, auch über die Polargebiete, die Wüsten und die Meere.
Man muß dieses Bild noch etwas weiter entwickeln: Es zeigt dann einen riesigen, weltumspannenden Komplex hochaufragender Gebäude über dem Land wie über dem Meer. Das Dach dieses Komplexes würde ausschließlich dem Pflanzenbau vorbehalten sein: Algen, die eßbar sind, oder höhere Pflanzen, die entsprechend behandelt werden müssen, um in allen Teilen genießbar zu werden.
In engen Abständen würden Leitungen angebracht sein, durch die Wasser und Pflanzenprodukte rinnen. Die Pflanzenprodukte würden gefiltert, getrocknet, behandelt und zu Nahrungsmitteln verarbeitet werden, während das Wasser in die Tanks auf dem Dach zurückliefe. Andere Leitungen würden die für das pflanzliche Wachstum notwendigen Rohmineralien. bestehend aus (was auch sonst!) menschlichen Abfällen und zerstückelten Leichen, auf das Dach befördern. Zu diesem Zeitpunkt ist eine weitere Vermehrung der Menschheit natürlich unmöglich, so daß dann -- wenn nicht schon vorher -eine kategorische Bevölkerungsplanung erforderlich würde.
Doch wenn eine Menschheit solchen Umfangs theoretisch auch denkbar ist, so muß man doch fragen, ob es hier noch um eine Art Leben geht, das mit humanen Standards vereinbar ist.
Aber vielleicht können wir Raum und Zeit kaufen, indem wir Menschen auf den Mond verpflanzen? Auf den Mars?
Überlegen wir zuvor, wie lange man unter den gegenwärtigen Bedingungen brauchte, um den globalen Höchststand zu erreichen. Zur Zeit beträgt die Bevölkerung der Erde 3,6 Milliarden. Sie wächst mit einer solchen Geschwindigkeit, daß sich diese Zahl in 35 Jahren verdoppelt haben wird. Vorausgesetzt, daß es bei diesem Rhythmus bleibt, wäre in 465 Jahren der Bevölkerungshöchststand erreicht. Der weltweite Hochbauten-Komplex dürfte also im Jahre 2436 errichtet sein.
Vielleicht aber wird doch eine Anzahl von Menschen in den nächsten 465 Jahren auf dem Mond oder anderswo gelandet und ernährt werden? Wer vernünftig ist, wird davon absehen, solche Fragen zu stellen. Aber vielleicht können wir Zeit gewinnen, indem wir über die Sonne hinausgehen? Indem wir die Wasserstoff-Fusionsenergie zur Bestrahlung des Pflanzenlebens nutzen? Oder indem wir im Labor künstliche Nahrungsmittel herstellen und auf diese Weise unabhängig von der Pflanzenwelt werden?
wäre Energie, und damit wir zu einem weiteren
Aspekt. Die Sonne bestrahlt die Tagseite der Erde mit etwa 15 000mal mehr Energie, als die Menschheit gegenwärtig nutzt. Die Nachtseite der Erde muß genau die gleiche Wärmemenge in den Raum zurückstrahlen, wenn die Durchschnittstemperatur der Erde erhalten bleiben soll. Wenn nun die Menschheit durch die Verbrennung von Kohle die Wärme auf der Erde erhöht, dann muß diese zusätzliche Energie ebenfalls in den Raum ausgestrahlt werden. und um das zu erreichen, muß die Durchschnittstemperatur der Erde leicht ansteigen.
Gegenwärtig bewirkt die menschliche Energieerzeugung nur einen unerheblichen Temperaturanstieg. Diese zusätzliche Energie jedoch verdoppelt sich alle 20 Jahre. Bei diesem Rhythmus wird die Wärmemenge, die die Erde zurückstrahlen muß, im Jahre 2436 ein Prozent der Sonnenenergie betragen, und damit werden sich unannehmbare Temperatur-Veränderungen einstellen.
infolgedessen müssen wir schon dreihundert Jahre vor dem globalen Höchststand des Jahres 2436. wenn die menschliche Bevölkerung weniger als fünf Prozent ihrer äußersten Höchstzahl erreicht hat, eine Begrenzung des Energieverbrauchs hinnehmen. Wir könnten die Situation dadurch verbessern, daß wir die Energie sinnvoller nutzen, aber diese Nutzung kann 100 Prozent nicht übersteigen und bedeutet folglich keine große Verbesserung.
Fraglich ist, ob wir uns auf die erforderlichen Fortschritte der Technologie verlassen können: Wie kann der weltumspannende Hochbauten-Komplex überhaupt vernünftig gedacht werden, wenn sich die Wohnverhältnisse selbst in den fortschrittlichsten Nationen ständig verschlechtern? Wie können wir die Grenze des Energieverbrauchs anvisieren, wenn schon das Energie-Defizit der Stadt New York alljährlich wächst? Unlängst erst, als anläßlich der dritten Mondlandung die Einschaltziffern des Fernsehens anstiegen, mußte die elektrische Spannung sofort reduziert werden.
Im Jahre 2000 wird die Bevölkerung der Erde auf mindestens sechs Milliarden angewachsen sein. Wird die Technologie diese Menschenmengen auch nur in den gegenwärtigen, völlig unzulänglichen Grenzen versorgen können? Werden menschliche Standards angesichts solcher Zahlen (ganz zu schweigen von den 40 Billionen) noch gewährleistet sein, wenn es schon heute unmöglich ist, sich nachts (und oft sogar am Tage) ungefährdet durch die größte Stadt der fortschrittlichsten Nation der Weit zu bewegen?
Blicken wir besser überhaupt nicht in die Zukunft. sondern betrachten wir entschlossen die Gegenwart; Die USA sind die wohlhabendste Nation der Welt. Jede andere Nation möchte zumindest ebenso wohlhabend sein. Aber die USA können so nur leben, weil sie mit nur einen Sechzehntel der Erdbevölkerung etwas mehr als die Hälfte aller Energie nutzen, die für den menschlichen Verbrauch produziert wird.
Würde ein Zauberer seinen Stab rühren und eine Erde schaffen, auf der alle Menschen auf dem Niveau der Amerikaner leben, so würde sich der Energieverbrauch sofort verachtfachen und die Produktion von Abfällen und Verunreinigungen zwangsläufig im gleichen Maße zunehmen --- ohne jeden Bevölkerungszuwachs!
Fragen wir nun erneut, wie viele Menschen die Erde bei einem wünschenswerten zivilisatorischen und humanen Standard auszuhalten vermag. so kann es nur eine kurze und erschreckende Antwort darauf geben: weniger als heute!
Die Erde kann ihre gegenwärtige Bevölkerung unter den gegebenen Verhältnissen offenkundig nicht nach dem Durchschnittsniveau des amerikanischen Standards versorgen; die Grenze liegt zur Zeit vielleicht bei rund 500 Millionen. Das Wohlergehen des einzelnen wird sich dabei vermutlich weiterhin verschlechtern: Die Kalorien pro Kopf werden weniger, der Lebensraum kleiner werden, der Komfort zurückgehen. Wer weiterdenkt, muß auch in Rechnung stellen, daß der Mensch in seiner wachsenden Beunruhigung maßlose Anstrengungen macht, alle technologischen Mittel zu mobilisieren, und zwangsläufig damit die Umwelt noch weiter verschmutzt, mithin auch ihre Fähigkeit reduziert, die Menschen im Ganzen zu erhalten. Dann könnte es zu einem Kampf aller gegen alle kommen, in dem jeder versucht, einen angemessenen Teil des schrumpfenden Lebenspotentials zu gewinnen.
In nicht allzu ferner Zukunft würde auch das Bevölkerungswachstum zum Stillstand kommen, denn die Sterblichkeitsziffern würden sich katastrophal erhöhen. Hungersnöte würden hereinbrechen, die Menschen von Pest und inneren Unruhen heimgesucht werden. Und irgendwann, im Jahre 2000 vielleicht, könnte ein Regierungschef verzweifelt genug sein, auf den Atomknopf zu drücken.
Dieser Pessimismus wird nur zu widerlegen sein, wenn die Menschen aufhören, nach den Maximen der Vergangenheit zu leben. Sie haben im Verlaufe ihrer Geschichte einen Verhaltensstil entwickelt, der einer leeren Erde und einer kurzen Lebenserwartung angemessen ist. In einer solchen Welt war es geboten, viele Kinder zu haben, einen Zuwachs an Menschen und Macht anzustreben, in den endlosen Raum vorzudringen und sich für einen begrenzten Teil der Menschheit einzusetzen.
All das kann heute nicht mehr gelten.
Gegenwärtig ist die Kindersterblichkeit niedrig, die Lebenserwartung hoch, die Erde überfüllt. Was in einer vergangenen Welt gesunder Menschenverstand war, ist ein selbstmörderischer Mythos geworden: Wir können uns nicht mehr so verhalten, als sei es die Lebensaufgabe der Frau, eine Gebärmaschine zu sein, und der größte Segen eines Mannes sein Kinderreichtum. Mutterschaft ist ein Privileg, das wir buchstäblich rationieren müssen. Wahllos erzeugte Kinder werden der Tod des Menschengeschlechts sein; jede Frau. die bewußt mehr als zwei Kinder gebiert, begeht ein Verbrechen gegen die Menschheit.
Daraus folgt auch eine veränderte Einstellung gegenüber dem Sex. In der bisherigen Geschichte wurden Männer und Frauen gelehrt, die Funktion der geschlechtlichen Liebe bestehe darin. Kinder zu haben. Offensichtlich können wir uns solche Ansichten nicht länger erlauben. Da der Sex nicht unterdrückt werden kann, muß er von der Empfängnis getrennt und zu einem geselligen zwischenmenschlichen Vorgang entwickelt werden.
Auch der Ehrgeiz nach dem »Größeren und Besseren«, der die Menschheit durch die Jahrtausende beflügelte, ist gefährlich geworden. Wir haben das Stadium erreicht, wo größer nicht mehr gleichbedeutend mit besser ist. Das besinnungslose Streben nach mehr Menschen, mehr Ernten, mehr Produkten, mehr Maschinen, nach mehr und immer mehr, hat bis zu unserer Generation schlecht und recht funktioniert; in Zukunft würde es uns ziemlich schnell zugrunde richten.
In der Tat, zum erstenmal hat die Menschheit ihre Grenze erreicht: Begrenzt werden muß die Bevölkerungszahl, die Beanspruchung der Naturvorkommen, die Abfallerzeugung und der Energieverbrauch. Die Aufgabe lautet ganz allgemein: zu erhalten. Wir müssen die Umwelt erhalten, die Verhaltensformen, die zur Konsistenz und Lebensfähigkeit der Biosphäre beitragen, die Schönheit und die Harmonie.
Einer Änderung bedarf auch die Einstellung zum Patriotismus. Der Preis für den Streit der Völker hat unannehmbare Größenordnungen angenommen, und es kann kein Zweifel sein, daß der Zweite Weltkrieg der letzte Krieg war, der von Großmächten unter Einsatz maximaler Gewalt auf unserem Planeten ausgefochten werden konnte. Seither sind nur noch begrenzte Auseinandersetzungen denkbar, und selbst diese erweisen sich als ungeheure Torheiten, wie die Verwicklungen in Südostasien und im Nahen Osten zeigen. Die Welt ist zu klein für jenen Patriotismus, der zu Kriegen führt. Wir dürfen zwar auf unser Land, unsere Sprache, unsere Kultur oder unsere Traditionen stolz sein, aber es darf nur jener abstrakte Stolz sein, den wir einem Baseball-Team entgegenbringen -- ein Stolz, der nicht von Waffengewalt gedeckt werden kann.
Patriotismus ist nicht einmal mehr in Friedenszeiten nützlich. Die Probleme unserer Welt sind planetarisch. Keine Nation ist ihnen allein gewachsen. Sosehr einzelne Staaten auch ihre Bevölkerungszahl innerhalb ihrer Möglichkeiten stabilisieren und ihre eigene Umwelt schützen mögen -- ihre Anstrengungen blieben sinnlos, wenn die übrige Welt sich weiterhin uneingeschränkt vermehrte und ihre Vergiftungsaktivität fortsetzen würde. Selbst wenn jede Nation ehrlich, doch ganz für sich, Abhilfe schüfe. würden die Lösungen der einen Nation nicht unbedingt denen ihrer Nachbarn entsprechen, so daß alle Bemühungen fehlschlagen könnten.
Kurz: Probleme von planetarischem Ausmaß erfordern ein planetarisches Programm und eine planetarische Lösung. Erforderlich dafür ist nicht weniger als eine Weltregierung, die zu logischen und humanen Entscheidungen gelangen und diese auch durchsetzen kann.
Natürlich widerstreben uns alle diese Veränderungen. Wer möchte die Mutterschaft degradieren und Babys als Feinde betrachten? Wer ist bereit, seinen Nationalstolz einer Weltregierung unterzuordnen, auf eine maximale Ausbeutung der Welt zu verzichten und statt dessen eine kontrollierte und begrenzte Nutzung zu akzeptieren?
Doch die Logik der Ereignisse zwingt uns in jene Richtung. Die Geburtenziffer sinkt in den Nationen, die Zugang zur Geburtenkontrolle haben. Die sexuellen Sitten lockern sich überall. Die Menschen sorgen sich erstmals um die Umwelt.
Vor allem und ermutigenderweise geht der Patriotismus zurück. Die soziale und wirtschaftliche Zusammenarbeit nimmt zu, und es herrscht sichtlich völlige Klarheit darüber, daß ein großer Krieg, vor allem zwischen den USA und der Sowjet-Union, unzulässig ist. Doch ist es diesen Nationen nicht nur untersagt, sich zu bekämpfen, sie dürfen sich nicht einmal mehr verbal befehden.
Der Fortschritt in der angedeuteten Richtung scheint keine Frage der freien Wahl zu sein. Die störrische Menschheit bewegt sich unter dem Druck der Umstände allmählich vorwärts. Doch vollzieht sich dieser Fortschritt nicht rasch genug. Das Bevölkerungswachstum schreitet weiterhin schneller fort als die Erziehung zur Geburtenkontrolle; die Verschmutzung der Umwelt wächst weiterhin rascher als unsere Bereitschaft, Abhilfe zu schaffen; schlimmer noch, die Nationen streiten sich immer noch verbissen und stellen ihren provinziellen Stolz über Leben und Tod der menschlichen Art.
Zweifellos kann die Menschheit eine
weitere Generation ständig wachsender Beanspruchung nicht überleben. Wenn es so weitergeht wie bisher und die Veränderungen nicht schneller als bis zum Jahre 2000 eintreten, wird die technologische Struktur der menschlichen Gesellschaft fast mit Sicherheit zerstört sein. Die Menschheit, in barbarische Zustände zurückgeworfen, könnte dann durchaus ihrer Auslöschung entgegensehen und der Planet selber ernstlich seine Fähigkeit einbüßen, das Leben zu erhalten.
Die gute Erde stirbt. Darum sollte man im Namen der Menschheit etwas tun; harte, aber notwendige Entscheidungen treffen. Schnell. Bald.