»Die Hautfarbe ist wie eine Uniform«
SPIEGEL: Mr. Powell, Sie sind der lautstärkste und eloquenteste Vertreter der Forderung, Britanniens farbige Bevölkerung wieder in ihre Heimatländer zu schaffen. Glauben Sie, daß zwei Millionen farbige Briten eine Gefahr für 54 Millionen weiße Briten sind?
POWELL: Jeder glaubt es, jeder. Selbst jene Politiker, die nicht darüber sprechen, glauben es. Auch sie fürchten, daß uns eine schreckliche Katastrophe bevorstehen könnte, wenn wir nicht endlich handeln.
SPIEGEL: Wie aber sollen denn bitte 3,6 Prozent der Bevölkerung die anderen 96,4 Prozent in eine schreckliche Katastrophe stürzen?
POWELL: Wissen Sie, wie viele Normannen im Jahre 1066 über den Kanal gekommen sind?
SPIEGEL: Nein.
POWELL: 10 000. Damit ist Ihre Frage beantwortet.
SPIEGEL: Aber damals gab es in England auch nur ein paar hunderttausend Angelsachsen.
POWELL: Nein, nein, es gab mindestens eine Million. Unzweifelhaft kann eine noch so kleine Minderheit revolutionär wirken.
SPIEGEL: Nun hat die farbige Minderheit aber britische Pässe, und alle Briten sind gleichberechtigt. Einen Teil von ihnen zu repatriieren würde doch gegen britische Gesetze verstoßen.
POWELL: Die Mehrheit der Farbigen hat nicht nur die britische Staatsangehörigkeit, sondern auch noch die ihres Ursprungslandes, also Indiens, Sri Lankas oder Jamaikas. Das Kind eines in England geborenen Inders ist nach indischem Recht Inder, nach britischem Recht Brite. Bei einer Repatriierung würde. dieser Mensch also keineswegs staatenlos werden -- das allein wäre ein Verstoß gegen das Naturrecht.
SPIEGEL: Warum sollten die Farbigen aber ihren Aufenthaltsort nicht unter den beiden Ländern wählen dürfen, deren Staatsangehörigkeit sie besitzen?
POWELL: Das hängt von den Gesetzen dieses Landes ab. Die Mehrheit der Commonwealth-Staaten zum Beispiel duldet keine doppelte Staatsangehörigkeit, sondern zwingt die Menschen, sich für eine Staatsangehörigkeit zu entscheiden. Wir waren bisher so großzügig, das nicht zu tun, aber Staatsangehörigkeits-Gesetze kann man ändern, sie gehen nur den jeweiligen Staat etwas an.
SPIEGEL: Nun betrachten aber doch viele britische Farbige England als ihre Heimat, zumal wenn sie hier geboren sind.
POWELL: Sie machen Witze.
SPIEGEL: Nein, wir sind davon überzeugt.
POWELL: Dann seien Sie ruhig davon überzeugt. Ich bin vom Gegenteil überzeugt. Sie können mir nicht erzählen, daß ein Sikh, der hier geboren ist, England und nicht den Pandschab als seine Heimat ansieht. Was Sie so für Vorstellungen haben!
SPIEGEL: Ein farbiges Kind, das in England mit weißen Briten aufwächst, englische Kinderreime lernt, in eine englische Schule geht, wird dieses Land natürlicherweise als das seinige ansehen.
POWELL: Ja, ja, das wird es wohl. Etliche diener Menschen benehmen sich nämlich wie Eroberer. Bedenken Sie, daß sie hier Land besitzen, während die Briten in Indien kein Land besitzen durften.
SPIEGEL: Wie wollen Sie nun konkret mit den Farbigen verfahren? Soll das Parlament ein Gesetz verabschieden, das den Farbigen die britische Staatsangehörigkeit entzieht?
POWELL: Nein, nein, das wäre sehr deutsch. Als erstes müßten diese Menschen anerkennen, daß sie Fremde sind. Dann muß man sich die Bevölkerungsentwicklung ansehen. Ein offizieller Report hat jetzt festgestellt, daß sich die farbige Bevölkerung Englands bis zum Jahre 2000 verdoppelt haben wird. Dann hätten wir also schon vier Millionen.
SPIEGEL: Aber die Insel wird sich dann trotzdem von Weißen nicht entvölkert haben.
POWELL: Natürlich nicht. Bedenken Sie aber bitte, daß sich die Farbigen ja nicht über das ganze Land verteilen, sondern sich an einigen Orten konzentrieren. In Groß-London sind bereits ein Fünftel bis ein Viertel aller Neugeborenen farbig. Das heißt, daß im Laufe der Zeit ein Drittel der Londoner Bevölkerung farbig sein wird, etwa dreieinhalb Millionen Menschen.
SPIEGEL: Das sind sicherlich beeindruckende Zahlen. Aber sagen Sie uns bitte, wieso diese Farbigen Sie eigentlich in Ihrem privaten oder beruflichen Leben stören. Treffen Sie welche? POWELL: Sie treffen mich. SPIEGEL: Schrecklich! Fühlen Sie sich dabei gefährdet oder auch nur belästigt?
POWELL: Nun hören Sie mal gut zu. Wenn mich Farbige treffen, sagen sie nur: »Kann ich Ihre Hand schütteln, Mr. Powell? Denn ich bin stolz, Sie zu treffen, Mr. Powell. Sie handeln recht, Mr. Powell. Machen Sie so weiter, Mr. Powell.«
SPIEGEL: Nun machen Sie aber Witze.
POWELL: Nein. Ich bitte Sie wirklich, mir genau zuzuhören.
SPIEGEL: Und wir bitten Sie, nicht so zu schreien.
POWELL: Ich bin in meinem Haus und kann deshalb schreien, solange ich will. Die meisten dieser Farbigen stimmen mit mir überein.
SPIEGEL: Wenn das so wäre, warum gehen diese Menschen dann nicht freiwillig in ihre Heimat zurück, anstatt hier in London fortdauernd Ihre Hand schütteln zu wollen?
POWELL: Das kann ich Ihnen beantworten. Vor einem Jahr hat man in Southall Farbige befragt, ob sie zurückgehen würden. Ein junger Sikh antwortete: »Nein, wir werden nicht zurückgehen. Wir werden noch etwa 20 oder 30 Jahre bleiben, bis der Aufruhr hier losbricht. Dann erst werden wir heimgehen.« Ich glaube, das war sehr enthüllend.
SPIEGEL: Viele Farbige wollen aber gewiß unter gar keinen Umständen in ihr Heimatland zurückkehren, so wie ein großer Teil der nach England ausgewanderten deutschen Juden nicht nach Deutschland zurückkehren möchte.
POWELL: Ich verstehe das sehr gut. Die Juden sind all ihrer Rechte beraubt worden.
SPIEGEL: Ähnlich ist es den Asiaten in Kenia, Uganda und Malawi ergangen. Sie sind nach England gekommen, weil sie in Afrika verfolgt wurden.
POWELL: Dennoch gehen viele von ihnen zurück.
SPIEGEL: Gewiß nicht nach Uganda.
POWELL: Aber nach Kenia zum Beispiel und nach Tansania.
SPIEGEL: Wenn aber das Heimatland die Rückkehrer gar nicht haben will?
POWELL: Wollen Sie sagen, daß ein Inder, der in diesem Land gelebt und gearbeitet hat, in Indien nicht willkommen wäre? Wollen Sie das wirklich sagen? Doch höchstens, wenn es subversive Elemente sind, die ihre Ausbildung hier, in England genossen haben.
SPIEGEL: Mr. Powell, wenn man bedenkt, wie stark die Farbigen in England benachteiligt sind -- bei Arbeitsbeschaffung, Wohnungssuche, im Erziehungswesen, auf nahezu jedem Gebiet des täglichen Lebens -, finden Sie dann nicht, daß die Menschen ihr Schicksal recht geduldig hinnehmen?
POWELL: Sie werden nicht diskriminiert, jedenfalls nicht per Gesetz, soweit mir bekannt ist. Natürlich soll das Gesetz jeden in gleichem Maß schützen und strafen. Aber im Privatleben unterscheiden die Leute nun mal zwischen den Ihren und den Fremden, Juden Land Christen. Das tut die ganze Menschheit.
SPIEGEL: Sie tut es in einigen Ländern mehr, in anderen weniger.
POWELL: Jedenfalls sind die Farbigen hierhergekommen, und sie sind hiergeblieben. Sollte ich etwa, wenn ich nach Deutschland käme, erwarten, daß man mich behandelt wie einen Deutschen? Antworten Sie!
SPIEGEL: Sie wissen genau, daß dieser Vergleich nicht paßt.
POWELL: Dann nehmen wir eben China.
SPIEGEL: Das Beispiel paßt ebensowenig. War etwa China jemals Bestandteil des britischen Empire?
POWELL: Ach so. Wenn Sie sagen wollen, die britische Herrschaft über Indien solle wiederhergestellt werden, dann ist das etwas anderes. Und noch etwas: Sie haben von Geduld gesprochen. Ich denke da an die Geduld, die die Menschen in Wolverhampton aufbringen mußten, als sie erlebten, daß ihre Stadt in den letzten 20 Jahren bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurde. Ich denke an die Geduld der Menschen dieses Landes, die es nicht mehr wagen, bei Dunkelheit vor die Tür zu gehen, weil Rowdys ihnen das Portemonnaie rauben. Geduld ist dafür ein unangebrachtes Wort, Selbstzerstörung wäre besser.
SPIEGEL: Sie tun so, als gäbe es keine Ausschreitungen von Weißen gegen Schwarze. Sehen Sie eine Verbindung zwischen Rassenzugehörigkeit und Gewalttätigkeit?
POWELL: Wenn sich ein fremdartiger, separat lebender Bevölkerungsteil stark vermehrt, werden kriminelle Impulse geweckt. die allen Menschen gemein sind. Das sagt nicht Powell, das können Sie überall beobachten. Und natürlich spielt die Hautfarbe dabei eine Rolle, denn die Hautfarbe ist wie eine Uniform.
SPIEGEL: Wenn man die Straßenschlachten im Londoner Eastend sieht, bei denen die faschistische »National Front« und Anti-Nazi-Demonstranten gegeneinander anstürmen, und die Polizei, die versucht, die Kämpfenden voneinander zu trennen, wecken solche Szenen Erinnerungen an die späten Tage der Weimarer Republik in Deutschland. Kann der Rassenkonflikt zu einer Gefahr für die Demokratie in England werden?
POWELL: Die größte Gefahr für Demokratie in England ist die EG und die damit verbundene Abdankung des britischen Parlaments. Die zweitgrößte Gefahr ist der Nationalismus, vor allem der Schotten. Vielleicht erst in Jahren, aber nicht in ganz so vielen Jahren, könnte die Präsenz farbiger Abgeordneter unvereinbar mit dem Funktionieren des britischen Parlaments werden.
SPIEGEL: Maurice Ludmer, Herausgeber der anti-rassistischen Zeitschrift »Searchlight«, meint, daß der Rassismus in England kein Zufall sei, sondern die natürliche Konsequenz von 350 Jahren Kolonialgeschichte. Glauben Sie das auch?
POWELL: Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Insellage uns Briten empfindlicher gegenüber Fremden gemacht hat als andere Nationen. Das wäre sehr natürlich für ein Inselvolk. Wir sind sehr darauf eingestellt, Britisches von Nichtbritischem zu unterscheiden.
SPIEGEL: Vor zehn Jahren hat Edward Heath Sie als konservativen Schatten-Verteidigungsminister entlassen, weil er den Ton Ihrer damals schon erhobenen Forderungen nach Repatriierung der Farbigen als rassistisch empfand. Jetzt hat Heaths Nachfolgerin, Partei-Chefin Margaret Thatcher, die Rassenfrage selbst als Thema der Wahlen genannt. die wahrscheinlich im Herbst stattfinden. Sie haben Ihren Standpunkt nicht geändert. Sehen Sie für sich ein Comeback in der Partei?
POWELL: Wenn die Konservative Partei glaubt, sie könne Stimmen gewinnen, würde sie ihre eigene Großmutter nicht nur töten, sondern auch aufessen.
SPIEGEL: Sie nannten die britischen Politiker »Pygmäen«. Bezogen Sie sieh dabei auch auf Mrs. Thatcher?
POWELL: Ich habe einen sehr allgemeinen Kommentar gemacht.
SPIEGEL: Haben Sie sie eingeschlossen?
POWELL: Ich schließe niemanden aus.