Die Hölle danach
Seine Ehefrau schlug auf ihn ein, bis er sich entschloss, aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen.
Als die Verlassene, rasend vor Wut und gekränkter Eitelkeit, seine Bücher bei strömendem Regen auf die Straße warf, hoffte der malträtierte Mann wenigstens auf das Verständnis seiner 14-jährigen Tochter. Doch die, voll cool, sagte nur: »Papa, du musst die Mama verstehen, die braucht das jetzt.«
Der 16-jährige Sohn, immerhin, stand seinem geprügelten Vater bei. Mit Mühe konnte der Filius die Furie davon abhalten, auch noch den väterlichen Laserdrucker in den Regen zu stellen.
Im Briefkasten seiner neuen Bleibe fand der geflohene Ehemann bald darauf ein Anwaltsschreiben mit dem Bescheid, er habe die depressive und daher arbeitsunfähige Ehefrau und seine beiden Kinder allmonatlich mit 1564 Euro zu unterhalten. Seine laufenden Nettobezüge betrugen gerade mal 1768 Euro.
In seinem Unglück ("Und ich kann dann den Kitt aus den Fenstern essen!!!") suchte der Mann unter dem Pseudonym »Ohri« Hilfe im Internet, wo er auf eine Website mit der Adresse www.vatersein.de stieß. Auf dieser und ähnlichen Homepages werden Pechvögel wie er vom Webmaster begrüßt ("Willkommen im Club"), getröstet und beraten: »Denk dir nix dabei, und lass alles deinen Anwalt machen ... Du schaffst es, nur Mut!«
Zu Dutzenden erzählen auf solchen Homepages männliche Trennungsopfer ihre Leidensgeschichte - unter düsteren Überschriften wie »Schön wär''s, wenn''s schön wär«, »Ich weiß nicht mehr weiter«, »Die Hölle danach« oder, schlicht und ergreifend, »Verzweiflung«.
Nur Einzelfälle? Kerle als Prügelknaben, Männer als Scheidungsopfer - die Botschaft, die solche Websites vermitteln, muss all jene verstören, die sich in der Gewissheit eingerichtet haben, dass in der patriarchalisch geprägten Gesellschaft der Bundesrepublik ausschließlich oder doch vorwiegend Frauen die Leidtragenden seien.
»Väter sind Täter« - in dieses jahrzehntelang vom profeministischen Zeitgeist propagierte Feindbild fügen sich in der Tat ungezählte Berichte über geschändete Kinder, vergewaltigte Mädchen und misshandelte Ehefrauen. Um ihnen beizustehen,
wurden Frauenberatungsstellen eingerichtet und Frauenhäuser eröffnet, Frauenbeauftragte eingestellt und Frauennotrufe geschaltet.
Für Männer - natürlich? - unterblieben derlei Vorkehrungen. Das Tätergeschlecht sah sich mit Verachtung bedacht, und das nicht nur in der lila Witzecke von Alice Schwarzers »Emma« ("Was ist ein Mann in Salzsäure? Ein gelöstes Problem"), sondern auch schon mal in millionenfach verbreiteten Frauenschmökern der Sorte »Nur ein toter Mann ist ein guter Mann«.
Zwar traten in Deutschland hin und wieder merkwürdige »Maskulisten« auf, die über die permanente Benachteiligung der Männerwelt greinten, sei es bei der Wehrpflicht, der Lebenserwartung oder im Scheidungsrecht - doch solche Sonderlinge wurden belächelt. Meistens erging es ihnen wie dem rheinischen Büttenredner Heinz Hellmann, der im Karneval ranzige Narrensprüche aufsagte wie: »Fällt mir eine Frau ins Wort, sag ich ihr, die Tür ist dort.« Über die Publikumsreaktion schrieb die »WAZ": »Der ,Männerrechtler'' muss durch die Hintertüre heraus.«
Abseits der Öffentlichkeit organisierten sich immer mal wieder von der Frau verlassene, von den Kindern entfremdete Männer, um gemeinsam ihr Scheidungsleid zu beklagen - so wie etwa im tiefbayerischen Landkreis Amberg-Sulzbach, wo ein Aufruf zur Gründung eines Betroffenenstammtischs »Hunderte Anrufe in den ersten Tagen« brachte, wie Initiator Reinhard Birner sagt: »In einer Woche haben sich 600 Väter bei mir gemeldet.«
Birner gründete einen eingetragenen Verein namens »Trennungsväter«, der schon in Berlin, Karlsruhe und Straßburg für Männerrechte demonstrierte. Birner machte dabei - ebenso wie Gleichgesinnte in ähnlichen Verbänden - eine verblüffende
Erfahrung: Die Maskulisten, jahrelang missachtet oder unbeachtet, sehen sich auf einmal ernst genommen.
Weithin ungehört hatten sie gejammert über die »lebenslange Unterhaltsknechtschaft« auf Grund unbefristeter Zahlungen, die einer Ex-Gattin den Lebensstandard der goldenen Ehejahre manchmal noch bis zum Sterbebett garantiert.
Mittlerweile aber fordert kein Geringerer als der Vorsitzende des Deutschen Familiengerichtstags, Gerd Brudermüller, die so genannte Lebensstandardgarantie für Verflossene müsse »überdacht« werden.
Immer wieder hatten Scheidungsväter auch, ohne große Resonanz, zu bedenken gegeben, dass die vom Gesetz vorgeschriebene Alimentierung der Ex es unmöglich mache, Kinder aus einer neu geschlossenen Ehe angemessen zu versorgen.
In diesem Punkt, gestand Bundesjustizministerin Brigitte Zypries beim jüngsten Deutschen Juristentag in Bonn, klaffe tatsächlich eine Gerechtigkeitslücke. Vorige Woche kündigte die Sozialdemokratin an, sie werde im Mai dem Kabinett eine Vorlage mit entsprechenden Änderungen präsentieren - zu Gunsten der Kinder, zu Lasten kinderloser Ex-Ehefrauen.
Allenthalben scheinen fest gefügte Urteile ins Rutschen zu geraten. Auch in der traditionell frauenfreundlichen Partei der Justizministerin hat sich eine Gruppe namens »Rote Männer« aufgetan, in deren »Manifest« es unter www.rotemaenner.de heißt, bei Scheidungen seien heute »in erster Linie die Männer die Benachteiligten«.
Früher einmal, so sieht es auch die schweizerische »Weltwoche«, habe das deutsche Scheidungsrecht »die Frauen eindeutig deklassiert«. Heute sei das Gegenteil der Fall - »eine neue Ungerechtigkeit«.
Dem eidgenössischen Urteil mag selbst die Erzfeministin Alice Schwarzer nur halbherzig widersprechen: »Das gibt es, ist aber die Ausnahme.« Allerdings sei sie »im Scheidungsrecht für absolute Gerechtigkeit, auch für Männer«. Schwarzer: »Ich halte die Frauen weder für die besseren Menschen, noch möchte ich, dass sie bevorzugt werden.«
Ob die Benachteiligung von Männern im Scheidungsverfahren die Regel ist oder, wie Schwarzer beharrt, nur die Ausnahme - bislang war das schwer abzuschätzen.
Öffentlich diskutiert wurden untypische Einzelfälle wie die Trennungen Prominenter vom Tennis-As Boris Becker bis hin zur Schauspielerin Uschi Glas. »Verlässliche Analysen und Datengrundlagen« über die wirtschaftlichen Folgen von Durchschnittsscheidungen hingegen waren merkwürdigerweise »für die Bundesrepublik Deutschland nicht vorhanden«, wie der »Informationsdienst Soziale Indikatoren« meldete.
Dabei hat die Zahl der von Scheidung Betroffenen, voriges Jahr 428 000 Partner mit mehr als 170 000 minderjährigen Kindern, in der Bundesrepublik Rekordhöhen erreicht. Auf 383 000 Eheschließungen, so wenig wie nie zuvor, kamen im vergangenen Jahr 214 000 Ehescheidungen, so viel wie nie zuvor. »In den Städten sind Scheidungen inzwischen so normal wie Arbeitsplatz- oder Wohnungswechsel«, urteilt die »Süddeutsche Zeitung«.
Rund fünf Millionen Trennungsbetroffene binnen eines einzigen Jahrzehnts - die Scheidung, kein Zweifel, hat sich seit der Liberalisierung des einschlägigen Rechts im Jahr 1977 vom tragischen Unfall zum alltäglichen Bestandteil des deutschen Lebensstils gewandelt. Mit sozialer Ächtung muss kein Geschiedener mehr rechnen. Ob jemand einmal, zweimal, dreimal oder gar viermal geheiratet hat (wie Kanzler Gerhard Schröder und Vizekanzler Joschka Fischer) - der Reputation tut das kaum Abbruch.
Lediglich einer Minderheit von Strenggläubigen gilt der traditionelle Bund fürs Leben noch als heiliges Sakrament. Normalerweise hält eine Ehe heute nur noch, bis dass der Frust die Partner scheidet - auch wenn dann bisweilen, zur Verblüffung vieler Betroffener, mit dem Ausbruch erbarmungsloser Rosenkriege das Leiden
an der erloschenen Ex-und-hopp-Ehe erst recht beginnt.
Zumindest wer sich in jungen Jahren aufs Standesamt traut, verbindet den Ringtausch in aller Regel mit unrealistisch überzogenen Glückserwartungen. Kaum jemand hat auch nur die geringste Vorstellung von den Risiken und Nebenwirkungen der Eheschließung, des wahrscheinlich wichtigsten Rechtsgeschäfts seines Lebens, des »letzten Abenteuers der westlichen Zivilisation« ("Kölner Stadt-Anzeiger").
In 57 Prozent der Fälle ist es heute die Frau, die den Scheidungsantrag stellt. Drei von vier Männern werden vom Abschiedszettel auf dem Küchentisch oder vom Anwaltsbrief überrascht, 77 Prozent erlebten die Trennung »wie einen Schock«, fand der Cuxhavener Psychotherapeut Herbert Pagels für seine Dissertation mit dem Titel »Verlassene Väter« heraus.
Um die Ursachen dieser merkwürdigen Ungleichverteilung ranken sich vorwiegend Mutmaßungen. Traditionelle Frauenrechtlerinnen, aber auch erfahrene Frauenversteher wie der Berliner Familienberater Martin Koschorke glauben, der weibliche Partner sei dank seiner angeborenen Sensibilität in der Lage, Fehlentwicklungen früher wahrzunehmen als der gewöhnliche Mann.
Männerrechtler, aber auch nicht wenige Autorinnen steuern zur Diskussion über die weibliche Scheidungswut einen anderen Aspekt bei. Das sozial-liberale Eherecht von 1977, glauben sie, begünstige über alle Maßen einen neuen Frauentypus, der - individualistisch, hedonistisch und beziehungsschwach - die Eheschließung als Vollkaskoversicherung in Sachen Partnerschaft verstehe und die Allianz fürs Leben schon beim leichtesten Unlustgefühl breche oder löse, immer in der schönen Gewissheit, den Mann finanziell am Wickel zu haben.
Die Bestseller-Autorin Gaby Hauptmann hatte noch gewitzelt, als sie vor Jahren bemerkte: »Die Frau, die nach drei Scheidungen noch keinen Porsche fährt, hat etwas falsch gemacht.« Die Jungautorin Katja Kullmann, Verfasserin von »Generation Ally«, einem Buch über die Generation der 30-Jährigen, meint es ernst, wenn sie sich über die Gruppe der »kühlen und berechnenden und fast martialischen« Luder von heute empört, die - »strunzdumm« und zugleich »bauernschlau« - ihre Reize ausspielten
»nach dem Motto: Ich schlafe mit dir, und du musst dann Alimente zahlen«.
Männer würden auf diese Weise zu Opfern einer »pervertierten weiblichen Macht«, meint Kullmann: »Mit diesem Weibchenkult haben wir Frauen um die dreißig wirklich nicht gerechnet« - und wohl auch nicht die Gesetzesmacher, die vor gut einem Vierteljahrhundert auf die Emanzipation und die Eigenverantwortung der Frau gesetzt haben und Ehegattenunterhalt nur für den (vermeintlichen) Ausnahmefall der Bedürftigkeit eines geschiedenen Partners gewährt wissen wollten; Wirtschaftsflaute und Massenarbeitslosigkeit haben die gute Absicht ins Gegenteil verkehrt.
Wenngleich es an Unterstellungen, Spekulationen und Verallgemeinerungen nicht mangelt - mit harten Fakten lässt sich erst seit kurzem die Frage beantworten, wer, Mann oder Frau, nach einer Scheidung profitiert und wer verliert.
Die Antwort kennt der Kölner Professor Hans-Jürgen Andreß, der eine repräsentative Auswahl von 1500 Geschiedenen befragt hat. Wichtigstes Resultat: Andreß belegt, zur Verwunderung vieler ideologisch verbohrter Streithähne und -hennen, »dass beide Geschlechter im Zusammenhang mit einer Trennung wirtschaftlich verlieren« - Gewinner ist höchstens das Finanzamt.
Zwar bemerkt der Wissenschaftler, dass die Unterhaltszahlungen »das Einkommen der Männer in signifikanter Weise reduzieren«, so dass viele Geschiedene sich an den Rand des Existenzminimums gedrängt sehen. Dennoch sind laut Andreß die ökonomischen Verluste der Frauen höher: Verglichen mit ihrer Lage während der Ehe, zwei Jahre vor der Trennung, verlören sie ein Drittel, während die Ex-Ehemänner nur etwas mehr als ein Zehntel einbüßten.
Also doch: die Frau, die ewige Verliererin?
Andreß selbst warnt vor vorschnellen Schlüssen: Es sei »schwierig nachzuvollziehen«, warum zumeist »gerade Frauen die Scheidungsinitiative ergreifen, wenn die ökonomischen Konsequenzen für sie so viel negativer sind als für ihre Partner«. Auflösen lässt sich der Widerspruch womöglich mit einem weiteren Resultat der Andreß-Studie: Die allgemeine Lebenszufriedenheit der Frauen übersteigt bereits ein Jahr nach der Trennung erheblich die der Männer.
Die Unterschiede im Wohlbefinden deuteten, so Andreß, darauf hin, »dass für die Frauen die Dinge doch nicht so schlecht stehen, wie die Einkommensverluste nahe legen«, die er mit seiner Methode erhoben hat. So erlebten Ex-Gattinnen mit einem neuen Partner häufig deutliche Verbesserungen hinsichtlich Wohnung und Einkommen. Warum aber sind geschiedene Männer »in der Beeinträchtigung ihres subjektiven Wohlbefindens« im Durchschnitt so »sehr viel stärker betroffen« als die Ex, wenn sich die Einkommenssituation doch gar nicht dermaßen verschlechtert wie die der geschiedenen Frauen?
Eine Teilantwort könnte der Andreß-Hinweis geben, neben den »durchschnittlichen Entwicklungen« sei eine »große Varianz« in den Einzelfällen zu beachten.
Denn es gibt sie durchaus: jene abgeliebten Männer, die extrem abgezockt und tief gedemütigt werden - und die über alle Maßen leiden, bis hin zur Selbstaufgabe und zum Suizid. Experten kennen mindestens fünf Kategorien von Geschiedenen, die zu Recht ihre Opferrolle beklagen.
Da sind, erstens, die Zahlväter von so genannten Kuckuckskindern, denen bisweilen erst nach der Scheidung schwant,
dass ihnen ein Neugeborenes oder mehrere - mother''s baby, father''s maybe - während der Ehe untergeschoben worden sind. Der Fall ist gar nicht mal so selten; DNA-Tests schaffen zunehmend Klarheit.
Zu den Betroffenen zählt etwa jener geschiedene 39-Jährige, den »Bild« als »Deutschlands größten Alimente-Trottel« verhöhnte. Als der Mann nach einem Vaterschaftstest die Rückzahlung von 14 113 Euro verlangte, die er im Laufe der Zeit für zwei Kuckuckskinder berappt hatte, wurde ihm eröffnet, er müsse den wahren Kindsvater in Regress nehmen. Dessen Namen allerdings wollte die Ex nicht herausrücken.
Ungleich größer ist, zweitens, die Gruppe derer, die von ihrer Ehemaligen noch
nach der Scheidung gehörnt werden. Zwar verliert den Anspruch auf Unterhalt, wer in einer neuen eheähnlichen Beziehung lebt - doch das ist nicht immer leicht nachzuweisen. Manch eine lebt in wilder Ehe und kassiert den Ex dennoch ab.
So lauerte ein 37-jähriger Maschinenschlosser aus dem Ruhrgebiet in der Abenddämmerung und im Morgengrauen immer mal wieder vor der Wohnung seiner Ehemaligen, um per Kamera mit Datumsanzeige zu beweisen, dass Tag für Tag ein Lover bei ihr ein und aus geht; Zeugenaussagen von Nachbarn hatte das Gericht nicht als hinreichenden Beweis anerkennen wollen.
Während dem Geprellten langsam klar wurde, dass er seinem Nachfolger schon Edeljeans und teure Adidas-Treter zu den Zeiten bezahlt hatte, als er noch mit seiner Ehefrau scheinbar traut zusammenlebte, sank kontinuierlich sein Kontostand - plötzlich sollte er von seinem 2300-Euro-Gehalt ihr und den beiden gemeinsamen Kindern monatlich 1229 Euro überweisen.
»Ich gehe bei Wind und Wetter arbeiten«, schimpfte er, »warum sitzt sie den ganzen Tag zu Hause?« Eine »Sauerei« sei es, »dass es für Ex-Ehefrauen so einfach ist, sich Unterhalt zu erschleichen«. Erst durch die Fotos konnte der Mann einen anderen Richter von seiner Version überzeugen und die Unterhaltszahlungen abwenden.
Finanziell massiv betroffen ist, drittens, die Gruppe der Männer, die ihrer Ex nicht nur, wie üblich, die Hälfte der zu Ehezeiten erwirtschafteten Immobilien und Bankdepots abzutreten hat, sondern auch einen so genannten Aufstockungsunterhalt zahlen muss, der ihr unter Umständen noch nach Jahrzehnten denselben Lebensstandard wie in den Ehejahren garantiert.
Trotz einer Gesetzesnovellierung im Jahr 1986 - Ziel: Dauer der Ehe bestimmt Dauer der Unterhaltsberechtigung nach der Trennung - gebe es noch immer, so weiß der Familienrechtler Siegfried Willutzki, jene »kuchenfressenden Pelztierchen«, die von den Segnungen einer längst gebrochenen oder zerbrochenen Ehe mit einem Besserverdiener profitieren.
Ohne Murren zahlte ein hessischer Arzt zunächst Unterhalt für seine frühere Frau, eine halbtags arbeitende Krankenschwester, mit der er sechseinhalb Jahre lang verheiratet gewesen war. Als die Bezüge wegzufallen drohten, die ihr für die Betreuung zweier Kinder zugestanden hatten, meldete sich die Ex bei ihrem Zahlemann krank und forderte für sich selbst 1013 Euro Unterstützung. Wenn der Arzt nicht nachweisen kann, dass die Ex-Frau arbeitsfähig ist, muss er weiterzahlen - fast ein Vierteljahrhundert nach Beginn der Mini-Ehe.
Das nacheheliche Unterhaltsrecht, kommentiert Jörn Hauß, Fachanwalt für Familienrecht
in Duisburg, sei »einmalig in Europa«. Die einschlägigen Paragrafen sähen zwar vor, dass der Ehegatten-Unterhalt mit Ablauf der Phase der Kindererziehung endet, aber es gebe da »so viele Ausnahmen": Krankheit, Gebrechen, Arbeitslosigkeit, Alter. Auf diese Weise wälze Vater Staat klassische gesellschaftliche Risiken auf einstige Ehepartner ab. Hauß: »Ist dafür nicht die Krankenkasse oder das Arbeitsamt da?«
Manch eine frühere Besserverdiener-Gattin zum Beispiel, weiß der Anwalt, könne sich allein auf Grund ihres damaligen Status ewig in der »Hängematte der Lebensstandardgarantie« ausruhen - ein Privileg, das »es sonst nie im Leben« gebe.
Eine einstige Chefarztfrau brauche »wahrscheinlich nie putzen zu gehen, auch wenn sie weder studiert noch gearbeitet hat«, wundert sich Hauß: »Was muten wir dagegen nicht alles einem Mann zu, der mit 50 Jahren arbeitslos wird? Selbst zum Umzug, selbst zum Berufswechsel zwingen wir ihn - ein Schlosser muss dann als Müllmann arbeiten.«
»Der Grundsatz aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch, dass sich jeder selbst ernährt, wird auf den Kopf gestellt, die Ausnahme wird zur Regel gemacht«, empört sich auch Michael Salchow, 63 und vor 23 Jahren geschieden. Auf Grund seiner Erfahrungen als Vorsitzender des Interessenverbandes Unterhalt und Familienrecht fordert Salchow, »dass die Unterhaltspflicht grundsätzlich sechs bis acht Jahre nach der Scheidung endet«.
»Sonst«, sagt Salchow, »ist man doch nie komplett geschieden« - so wie er. Weil seine Ex-Frau, 62, erwerbsunfähig ist, steht für ihn fest: »Ich zahle, solange ich schnaufe. Oder solange sie schnauft.«
Zwar hat eine wachsende Minderheit unter den Brautleuten in den letzten Jahren versucht, sich mit Eheverträgen gegen Scheidungsunbill zu wappnen. Doch spätestens seit einem Grundsatzurteil des BGH vom Februar haben diese Verträge an Bedeutung verloren.
Nun nämlich können Ehefrauen beispielsweise verlangen, dass solche Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen umfassend gerichtlich überprüft werden - und das teilweise sogar rückwirkend. Die Grenze sei »dort zu ziehen, wo die vereinbarte Lastenverteilung der individuellen Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse in keiner Weise mehr gerecht wird«, so der BGH. Das gilt auch, wenn sich ein solches Ungleichgewicht erst im Laufe der Ehe ergibt - etwa weil die Frau anders als geplant Kinder bekommt und ihren Beruf aufgibt.
Schwer lädiert zeigt sich, viertens, jene Kategorie von Männern, denen die Ex nicht nur die Existenz, sondern auch noch den Ruf ruiniert hat, am häufigsten mit der Beschuldigung, sie sei Opfer seiner Gewalttätigkeit geworden - bis hin zur Vergewaltigung in der Ehe.
Dabei ist Wissenschaftlern längst geläufig, »dass in fast der Hälfte aller Fälle die Gewalt von Frauen ausgeht«, wie der Mainzer Kriminologe Michael Bock sagt. Eine Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen kommt zu dem Ergebnis, dass in Deutschland jährlich 240 000 Frauen und 214 000 Männer Opfer häuslicher Gewalt werden.
Geschlechtsspezifisch scheint nicht das Ausmaß, allenfalls die Art der Militanz. Männer schlagen schlicht zu, Frauen nutzen eher Distanzwaffen wie Wurfgeschosse, stiften Dritte zur Gewalt an, verbrühen ihr schlafendes Opfer oder kippen dem Kerl heißen Kaffee ins Gesicht.
Vor allem aber: Während Frauen selten zögern, einen blauen Fleck von Freundinnen bezeugen und von Ärzten attestieren zu lassen, wagen sich Männer mit entsprechenden Erfahrungen meistens »nicht an die Öffentlichkeit«, wie Kriminologe Bock weiß - die Geprügelten wollen nicht wie die Witzfigur dastehen, der es die Alte mit der Nudelrolle besorgt.
Durch ihr Schweigen jedoch verfestigen die maskulinen Gewaltopfer das überkommene Stereotyp, das die Berliner Kriminalhauptkommissarin und Soziologin Cordula Albrecht in die Worte fasst: »Männer gelten als Täter, Frauen als Opfer.« Von diesem Vorurteil vieler Beamter und Richter profitieren nach Feststellungen von Fachanwälten immer häufiger Frauen, die ihren Mann elegant loswerden, aber Kinder und Wohnung behalten wollen - und sich daher als Gewaltopfer ausgeben.
Zum Missbrauch mit dem Missbrauch lade das 2001 verabschiedete Gewaltschutzgesetz geradezu ein, meint der Berliner Anwalt Hans-Michael Schnack. Das Paragrafenwerk ermöglicht dem Richter, einen der Gewalttätigkeit beschuldigten Mann vorübergehend aus der Wohnung zu entfernen.
Als Weihnachten vorigen Jahres der 37-jährige Berliner Michael R. mit seinem achtjährigen Sohn den Tannenbaum schmückte, standen plötzlich fünf Polizisten in der Wohnung. Der Vater musste, nachdem die Frau ihn schon einmal per Anzeige beschuldigt hatte, die Wohnung sofort verlassen; er wurde mit einem »Betretungsverbot« belegt. Als er ein paar Stunden später trotzdem noch einmal an die Tür klopfte, verständigte sie einen Streifenwagen. In Handschellen wurde der Geschockte abgeführt.
Vor dem Familiengericht ein paar Wochen später einigten sich die Anwälte, dass der Vater die Wohnung meidet, wenn er im Gegenzug seine Kinder regelmäßig sehen kann. Vielleicht hätte er sich sogar auch das Recht auf Zutritt erstreiten können: Die Familienrichterin schien
nicht zu glauben, dass die Frau sich am Weihnachtsmorgen tatsächlich bedroht gefühlt hatte. Doch der Mann verzichtete auf weitere Forderungen, um nicht noch länger den Streit ertragen zu müssen. Mit Grausen erinnert sich der Beschuldigte an seine Eindrücke auf der Polizeiwache. »Niemand fragt einen, ob man sie wirklich geschlagen hat«, empört er sich. »Und wenn ich sagen würde, es war meine Frau, und ich habe mich bloß gewehrt, dann fangen die doch alle an zu lachen.«
Wollen misstrauische Beamte tatsächlich mal eine angeblich misshandelte Frau zur Untersuchung mitnehmen, kann es vorkommen, dass sie den Arztbesuch schlicht verweigert. In Berlin drohte eine Ehefrau stattdessen ihrem Mann mit der heimtückischsten Stufe in der Eskalation von Ehekriegen: »Wenn du jemandem was erzählst, sage ich der Polizei, dass du meine Tochter vergewaltigt hast.«
Ist solch ein Vorwurf erst einmal in die Welt gesetzt, kann der Beschuldigte oft nur noch hoffen, dass er wenigstens im anonymen Internet-Chat mit Gleichgesinnten jemanden findet, der ihm Glauben schenkt - so wie einer namens »Armageddon«, dem die Ex vorgeworfen hatte, er habe seine Tochter missbraucht. In Gegenwart von Sachverständigen sollte die Zweijährige mit Knetmasse spielen: »Heraus kam eine Schlange. Also erst mal ein Beweis für meine angebliche Schuld.«
Als er das Kind nach der Trennung schließlich auf Gerichtsbeschluss einmal im Monat sehen durfte, und auch das nur in Anwesenheit einer Begleitperson, habe die Ex erneut mit Missbrauchsvorwürfen dazwischengefunkt. »Nächsten Monat«, klagt der Vater im Web, »habe ich wieder einen Gerichtstermin.«
Männer wie »Armageddon« - deren Geschichten aus den Gefilden der Intimsphäre für Außenstehende oft kaum überprüfbar sind - gehören zur fünften und womöglich größten Gruppe von Trennungsopfern: jenen Männern, denen der Kontakt mit den eigenen Kindern systematisch erschwert oder gänzlich unmöglich gemacht wird.
Am schlimmsten dran sind ledige Väter, die mit der Mutter ihrer Kinder eine »Ehe light« ohne Trauschein oder spezielle Sorgerechtsvereinbarung führen. Ihnen kann es ergehen wie jenem Berliner Hausmann, der seine beiden Kinder, 7 und 13, daheim betreute, während seine Lebensgefährtin arbeitete.
Der Mann verstand die Welt nicht mehr, als die Kinder eines Tages nicht mehr von der Schule nach Hause kamen - die Mutter hatte sie abgeholt und war zu Freun-
den gezogen. Von seinem Anwalt erfuhr der verstörte Vater die traurige Wahrheit: »Ein nicht verheirateter Vater hat kaum Rechte, auch wenn die Kinder zu ihm einen intensiveren Kontakt hatten als zur Mutter.«
Zwar soll eine im April in Kraft getretene Neuregelung das Schlimmste verhindern. Dennoch gilt Kindesentführung wie im Fall des Berliner Hausmanns noch immer als eine Art legales Kidnapping.
Zehntausenden geschiedenen Vätern ehelicher Kinder ergeht es da nicht viel besser. Dabei hatte 1998 eine Reform des Kindschaftsrechts dem bis dahin vorherrschenden schmutzigen Krieg um das Sorgerecht (und damit um die Alimente) eigentlich ein Ende bereiten sollen; bis vor sechs Jahren war die - oft heftig umkämpfte - Alleinsorge eines Elternteils, zumeist der Mutter, die Regel gewesen.
Das neue gemeinsame Sorgerecht wird heute bei drei von vier Scheidungen angewandt. Doch in jenem Viertel der Verfahren, in denen ein Elternteil das alleinige Sorgerecht für sich beantragt, überwiegt eine »bedenkliche Rechtsprechung«, wie eine Studie belegt, die Professor Roland Proksch, Präsident der Evangelischen Fachhochschule Nürnberg, im Auftrag des Justizministeriums erstellt hat: »Wenn die Kooperation zwischen den Eltern nicht stimmt, dann sehen manche Gerichte allzu schnell keinen Platz mehr für die gemeinsame Sorge«, befindet der Jurist Proksch.
Typischer Fall: Die Mutter provoziert - aus Rachsucht oder der Alimente wegen - Streit und erhält als Belohnung das alleinige Sorgerecht zugesprochen. Denn Familienrichter wollen die gemeinsame Sorge für das Kind ungern solchen Eltern übertragen, die uneins sind.
Über dieser Praxis hat der Berliner Polizeibeamte Thomas D. fast den Glauben an den Rechtsstaat verloren. Obwohl sein Sohn lieber »bei Papa« leben wolle, ist der Mutter das alleinige Sorgerecht übertragen worden; er darf den Jungen nur alle 14 Tage über ein verlängertes Wochenende sehen. Der Polizist klagte erfolglos vor dem Familien-, dem Kammer- und dem Bundesverfassungsgericht - jetzt liegt seine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.
Der Beamte mag nicht hinnehmen, dass sich die Waage der Göttin Justitia immer wieder zu Gunsten ihrer Geschlechtsgenossinnen neigt. Ihn empört die Auffassung der Richter, seine Klagewilligkeit deute auf »fehlende Kooperationsbereitschaft": »Wäre dies maßgeblich, wäre eine gerichtliche Klärung familiärer Fragen stets verbunden mit einer Entziehung des Sorgerechts.«
Das Statistische Bundesamt hat ermittelt, wem die Gerichte 2003 in strittigen Fällen die Sorge übertragen haben: 11 732mal der Mutter, aber nur 997-mal dem Vater; 2327-mal wurde das Sorgerecht beiden Elternteilen zugesprochen, 743-mal keinem
von beiden. »Solange die Ehe intakt ist, räumt das Gesetz den Eltern einen Beurteilungsvorrang ein: Grundgesetz und Bürgerliches Gesetzbuch haben sich für das ,Experiment Familie'' entschieden. Nach Trennung der Eltern neigt die Rechtsprechung hingegen dem ,Experiment Mutter'' zu«, folgert Dagmar Kaiser, Jura-Professorin an der Universität Mainz.
Doch selbst wenn den geschiedenen Eltern das gemeinsame Sorgerecht überlassen bleibt, ist das so genannte Umgangsrecht - laut Proksch das zweite große Problemfeld - häufig heftig umstritten. »Wenn ein Elternteil den Umgang boykottiert«, sagt Proksch »dann ist der andere auf verlorenem Posten.«
Der andere - das ist, weil die Kinder meistens bei der Mutter leben, der Vater.
Berge von Gerichtsakten künden von Fällen, in denen geschiedene Mütter ihre Kinder jahrelang vor dem Erzeuger verstecken oder ihm nicht einmal ein Foto gönnen. Manch eine hetzt die Kinder gegen den Papa auf oder sagt immer wieder Besuchstermine kurzfristig ab.
Der Schlosser Ulrich Wiechers, 42, aus Salzkotten bei Paderborn etwa hat seine Kinder jahrelang »höchstens über Gerichtsflure huschen« gesehen. Von Leidensgenossen erfuhr er, dass Treffen mit weit entfernt lebenden Kindern nicht selten an geeigneten Örtlichkeiten scheitern.
Damit »Entfernungsväter« wie er mit den Kleinen nicht 18 Stunden im Auto verbringen oder durch Kneipen ziehen müssen, was ihnen vor dem Familiengericht angelastet werden könnte, leistet Wiechers'' Verein »Väteraufbruch für Kinder« Hilfe: Er verleiht an reisende Väter einen Wohnwagen - Aufschrift: »Papa-Mobil«.
Im Kampf ums Kind (Wiechers: »Die einzige Verbindung, die viele Mütter akzeptieren, ist die Bankverbindung") werden auch medizinische Atteste verwendet. Im »Deutschen Ärzteblatt« veröffentlichte Walter Andritzky, Soziologe und Psychologe in Düsseldorf, im vergangenen Jahr eine Warnung an Psychotherapeuten, Ärzte und Kinderpsychiater, sie sollten sich »nicht instrumentalisieren lassen«. Laut Andritzky mehren sich Versuche, medizinische Befunde über Einnässen oder Depressionen nur zu veranlassen, um Kinder dem anderen Elternteil zu entfremden.
Auf schnelle Hilfe der Gerichte können die Opfer der »Umgangsvereitelung« (Juristenjargon) selten hoffen. Wer den Vater-Kind-Kontakt boykottieren wolle, könne so viele Rechtsmittel einsetzen, dass sich die Verfahren in die Länge zögen und in der Zwischenzeit eine Entfremdung einsetze, urteilt Familienrechtsexperte Willutzki.
Zwar gibt es sehr wohl juristische Möglichkeiten, das Besuchsrecht durchzusetzen oder dessen Verweigerung zu ahnden, etwa durch Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts oder Zwangshaft und Zwangsgeld - doch die Richter wenden sie nur selten an. »Wir müssen die Instrumente nutzen, die wir haben«, fordert daher Fachmann Proksch. In seiner Studie beschreibt der Professor die derzeitige Situation: Zwangshaft gegen die Mutter werde durchweg nicht verhängt, weil sie nach Ansicht der Richter auch dem Kind schade. Zwangsgelder aber liefen oft mangels Masse leer.
Sabine Heinke, Vorsitzende der Familienrechtsfachkommission im Deutschen Juristinnenbund, weist zwar jede Pauschalkritik an den angeblich extrem frauenfreundlichen Familiengerichten zurück. Doch die Richterin räumt ein, dass Väter »in ihrem Bemühen nicht immer ausreichend ernst und wahrgenommen werden«.
»Ich hatte einen Fall auf dem Tisch, da habe ich Zwangshaft gegen die Mutter verhängt«, erzählt sie, »irgendwo ist nämlich Schluss.« Im besagten Fall wolle die Frau den Mann zurück - und boykottiere daher dessen Umgang mit dem Kind. Allerdings, so Heinke, seien solche Gerichtsbeschlüsse rar: »Nach der Anzahl der veröffentlichten Entscheidungen war dies wohl noch einer der seltenen Fälle, in denen dies geschieht.«
In vielen Fällen, in denen sich ein Konflikt ums Kind über Jahre hinzieht, gibt der Vater am Ende zermürbt auf. Genau dies aber wird, so die Proksch-Studie, häufig erneut gegen ihn gewendet - er kümmere sich wohl nicht mehr um sein Kind.
Solche Verdächtigungen entspringen oft traditionellen Vorstellungen, denen zufolge Väter grundsätzlich
* ihren Kindern emotional weniger stark verbunden sind als Mütter;
* den Umgang mit Kindern, vom Windeln bis zur Hausaufgabenhilfe, scheuen oder gar verabscheuen oder
* Unterhaltszahlungen für ihre Kinder, wann immer möglich, schuldig bleiben.
All diese gängigen Ansichten werden in neueren Untersuchungen widerlegt oder
relativiert - am fundiertesten in einem Buch über »Scheidungsväter« des Bremer Sozialwissenschaftlers Gerhard Amendt**.
»Über die Erfahrungen von Scheidungsvätern wissen wir nur wenig - und das Wenige, das wir zu wissen glauben, ist nicht selten von Vorurteilen geprägt«, leitet Amendt die Studie ein.
»Männer waren schon immer bereit, über ihre Gefühle zu sprechen, nur war die Öffentlichkeit nicht gewillt, ihnen zuzuhören«, urteilt der Professor. Er und seine Mitarbeiter hörten 3600 Betroffenen zu - und vernahmen Erstaunliches. Vom Bild des starken Mannes, der sich nach einer Trennung mit neuem Lebensmut in neue Erfahrungen stürzt, blieb wenig übrig.
Die Männer sind krank - mit wenigen Ausnahmen. Amendt: »Väter, die ohne gesundheitliche Schäden auf die Trennung reagierten, haben überdurchschnittlich häufig Gelegenheit, ihre Kinder zu sehen.« Wenn Väter ihre Kinder nicht sehen dürfen, leide regelmäßig ihre Gesundheit.
Die Männer sind machtlos. Boykottiert die Ex-Partnerin den Umgang der Kinder mit dem Vater? 40 Prozent der Ex-Verheirateten antworteten mit Ja. Unter denjenigen, die ohne Trauschein zusammengelebt hatten, waren es noch mehr: 55 Prozent.
Die Männer sind traurig. Von den 1377 Vätern, die auf die betreffende Frage antworteten, sagten 43 Prozent: »Mir fehlen die Kinder sehr« und 9 Prozent: »Ich bin tagelang niedergeschlagen« - und nur jeder Dreißigste: »Ich bin erleichtert, ohne die Kinder zu sein.«
Oft, so Amendt, beschrieben die Väter die Situation nach der Scheidung als so verfahren, dass sie lieber auf die Nähe ihres Kindes verzichten als sich ihm »machtlos, gekränkt, hilflos, unerwünscht und als Spielball der Mutter zu präsentieren«. Vielfach wollten die Trennungsväter auch einfach nicht mit ansehen müssen, wie ihr
Kind »in den Konflikten der Erwachsenen als Waffe eingesetzt und zerrieben wird«.
Ein Rückzug des Vaters müsse in solchen Fällen, urteilt Amendt, als »heroischer Verzicht dem Kind zuliebe« gewertet werden.
»Neue Männer braucht das Land« - was vor knapp einem Vierteljahrhundert die Sängerin Ina Deter forderte, ist nach Ansicht des Bremer Vater-Forschers schon ein Stück weit Realität geworden.
Vor allem unter jungen Männern entdeckte der Wissenschaftler »andere Formen von Väterlichkeit« als einst. Die neue Generation sehe »Alltagsbeteiligung als Selbstverständlichkeit« an und wolle nach einer Trennung »weiterhin für das Leben der Kinder verantwortlich sein und es nicht nur finanzieren«. Schon gar nicht möchten diese Väter lediglich als »Sugardaddy oder Eventdaddy für Wochenendausflüge und ferienartige Lustzustände« herhalten.
Allzu oft werde, so Amendt, Vätern auch vorgeworfen, sie hielten sich von Spülbecken und Wickeltischen fern. Manchmal jedoch sei ihre Zurückhaltung schlicht dadurch verursacht, dass sie »intuitiv spüren«, dass viele Frauen den Hausmann-Typ nicht wirklich für voll nehmen; sie beurteilten Väter letztlich - allen anders lautenden Beteuerungen zum Trotz - nach dem traditionellen Kriterium, »ob sie Frau und Kind ernähren können oder nicht«.
Genau diese Einstellung präge auch die Zeit nach der Scheidung. Männern mit hohem Einkommen und hohen Unterhaltszahlungen wird nach der Bremer Untersuchung um 20 Prozent häufiger der Zugang zum Kind zugestanden als weniger zahlungskräftigen Männern. Wer mehr verdiene als andere, folgert Amendt, habe »bessere Chancen auf Väterlichkeit« auch nach der Ehe.
Genervt von dem Gezerre um Alimente und Besuchsrechte ist - was oft beide Konfliktparteien verdrängen - durchweg auch das Kind. »Der einzige Stress für ein Kind, der schlimmer ist als zwei streitende Eltern, sind zwei geschiedene streitende Eltern«, lehrte schon Mavis Hetherington, die Grand Old Lady der US-Scheidungsforschung.
Seit der Reform des Ehe- und Familienrechts müssen Kinder womöglich mehr leiden als zuvor. Denn die Liberalisierung hat nicht nur die Zahl der Scheidungen und der Scheidungswaisen explodieren lassen, sondern auch einen neuen Typ von Trennungskindern hervorgebracht.
Früher seien vorwiegend Horror-»Ehen mit hohem Konfliktniveau« getrennt worden, was auch die Kinder sehr oft als »Entlastung« empfunden hätten, schreibt der Berner Kinderpsychiater Wilhelm Felder. »Seither sehen wir jedoch zunehmend mehr Paare, die sich bei einem niedrigeren Konfliktniveau trennen - und damit wird für die Kinder die Scheidung wieder schwieriger, weil sie es nicht verstehen.«
Dass bei Aufenthalts- und Umgangskonflikten vor Gericht der Kindeswille verstärkt berücksichtigt wird, habe, so Felder, eine häufig übersehene Nebenwirkung. Die Anhörung der Kinder könne dazu führen, dass sie noch mehr als früher in den Scheidungskrieg hineingezogen werden.
Zunehmend beobachten Psychiater bei betroffenen Kindern ein »Parental Alienation Syndrom« (PAS) - Papa wird zum Alien. Die »Elternentfremdung« wird gezielt herbeigeführt, indem der Ex-Partner dämonisiert wird - auch eine Form von Kindesmisshandlung.
Die Tendenz zum mütterlichen Papa-Mobbing ist besonders fatal, weil in der Fachwelt mittlerweile als Irrlehre gilt, was lange Zeit vermutet worden war: dass der Erzeuger für die emotionale Entwicklung des Kindes vernachlässigbar sei.
Die wissenschaftliche »Trendumkehr« ("Die Zeit") ist durch amerikanische Untersuchungen gefördert worden, die durchweg belegen, dass der Vater sehr wohl eine »very important person« ist. Seine Präsenz schützt das Kind vor misslicher Übermutterung - und vor Schlimmerem: Vaterlos aufgewachsene Menschen sind jedenfalls nach amerikanischen Studien deutlich überrepräsentiert in den Reihen der Knackis und Drogis, Schulversager
und Sexualverbrecher. Drei von vier jugendlichen Mördern, die in US-Gefängnissen einsitzen, sind ohne Vater groß geworden.
Häufig übersehen wird, dass Kinder bei der Übertragung des alleinigen Sorgerechts etwa an die Mutter nicht nur den Vater, sondern auch Großeltern verlieren. Willi Meier, 45, aus Maxhütte-Haidhof, der seine Tochter nur alle 14 Tage in den Räumen der Jugendfürsorge treffen darf, empört sich, auch seine Eltern hätten die Enkelin seit Jahren kaum noch sehen können.
Allerdings gibt es Wege, möglichst vielen Scheidungskindern den Vater und damit auch die Großeltern väterlicherseits zu erhalten. Seit zwölf Jahren schon funktioniert eine Kooperation im Landkreis Cochem-Zell, die Experten als Musterbeispiel schätzen.
Das Rezept klingt so simpel: Alle beteiligten Stellen reden regelmäßig miteinander, um die Eltern zu einer gemeinsamen, verantwortungsvollen Sorge für ihr Kind und regelmäßigem Umgang zu bewegen. Die Erfolge sind erstaunlich: »In nahezu hundert Prozent der Fälle haben die Eltern die gemeinsame Sorge«, sagt Familienrichter Jürgen Rudolph, »und es handelt sich um einen nachhaltigen Konsens.«
Jeden Monat treffen sich Rechtsanwälte und Sachverständige sowie Vertreter von Jugendamt, Familiengericht und Beratungsstellen. Alle ziehen an einem Strang: Schon im Vorfeld legen die Anwälte ihren Mandanten nahe, eine friedlich-schiedliche Lösung zu finden; auch das Gericht macht Druck, damit die Eltern die Beratungsstellen aufsuchen - und das alles auf kürzestem Dienstweg. Richter Rudolph weiß, wie es sonst laufen kann: »Die Eltern sind zerstritten und schicken ihre Anwälte als Wadenbeißer und Konflikttreiber.«
Von einvernehmlichen Lösungen profitieren nicht zuletzt die Mütter: Männer, die regelmäßig ihr Kind sehen können, sind die zuverlässigsten Alimentezahler, wie Professor Andreß herausgefunden hat.
Seine Studie bestätigt auf den ersten Blick allerdings sämtliche Vorurteile über zahlungsunwillige Väter: Zwei Drittel der Frauen, die nach der Trennung einen Anspruch auf Unterhalt haben, erhalten keinerlei Zahlungen. Allerdings: Noch schlechter ergeht es den (wenigen) anspruchsberechtigten Männern: Von ihnen bekommen rund 90 Prozent kein Geld.
Immerhin, so weist Andreß nach, bessert sich die Zahlungsmoral der Väter im Laufe der Zeit. Sie sei insgesamt, resümiert der Forscher, zwar »nicht optimal«, aber auch »nicht so schlecht wie angenommen«.
Wenn ein Vater die Alimente schuldig bleibt, springt Vater Staat seit 1980 mit einem »Unterhaltsvorschuss« ein; pro Jahr sind dafür rund 680 Millionen Euro fällig. Obwohl die Behörden zum Teil Detektive einsetzen, können sie nur 15 Prozent der vorgeschossenen Summe eintreiben.
Etliche der Alimente-Preller haben sich ins Ausland abgesetzt, andere sitzen im Knast, wieder andere haben ihre Einkünfte frisiert. Ein Großteil der vermeintlichen Rabenväter aber kann schlicht nicht zahlen - weil sie arbeitslos geworden oder durch die Scheidung in eine tückische Armutsfalle geraten sind.
Für viele wird''s nach dem Ende der Ehe verdammt eng. Der Kindesunterhalt hat sich seit 1980 mehr als verdoppelt, während die Realeinkommen geschrumpft sind. Wegen der Wirtschaftsflaute, weiß der christdemokratische Stuttgarter Sozialpolitiker Friedhelm Repnik, seien viele Unterhaltspflichtige finanziell am Ende: »Bei bis zu einem Drittel ist nichts mehr zu holen.«
Geschiedene bekommen nicht nur zu spüren, dass zwei Haushalte teurer sind als einer. Unterhaltszahler werden wie Ledige besteuert; für dauerhaft getrennt lebende und geschiedene Eltern fällt das Ehegatten-Splitting weg; Alimente können nicht von der Steuer abgesetzt werden - manch einem armen Schlucker bleibt am Monatsende nur der so genannte Selbstbehalt, kaum mehr als der Sozialhilfesatz.
Mit dem wirtschaftlichen Niedergang geht körperlicher Verfall einher. Das Gefühl, »den Kürzeren gezogen zu haben«, schreibt der Zürcher Sozialpädagoge und Eheexperte Lu Decurtins, könne »die Gesundheit geschiedener Väter noch Jahre nach der Scheidung beeinflussen«. Viele litten, belegt der Psychotherapeut Pagels, unter psychosomatischen Problemen: »Schlafstörungen (56 Prozent), Essstörungen (31 Prozent), Magenproblemen (29 Prozent), Herzbeschwerden (23 Prozent) und Gewichtsverlust (62 Prozent).«
Auf einen »automatischen Normalisierungsprozess« könnten die Scheidungsväter laut Decurtins nicht hoffen - allerdings: »Eine neue Lebenspartnerin wirkt Wunder!« Dumm nur: Die findet sich nicht allzu leicht, und schon gar nicht für Scheidungskrüppel an der Armutsgrenze. »Vor allem Väter in den niedrigeren Einkommensklassen mit weniger Sozialprestige«, so Decurtins, gingen »in den ersten Jahren nach der Scheidung keine feste Beziehung mehr ein«.
Finden sie doch eine Partnerin, ist die Neue nicht selten dem Psychoterror der Ehemaligen ausgesetzt. »Wieder mal ein Horrorwochenende«, klagt eine »michi« ("seit einem halben Jahr eine Zweitfrau") im Internet über juristische Schikanen der Ex, die sie »Exe« nennt. Per Fangschaltung hat eine »simone« herausbekommen, wer immer nachts anruft und auflegt: »Nun ratet mal, wer ...«
Selbst wenn solche Zickereien ausbleiben, orientiert sich die neue Partnerschaft oft »an der Ex, deren Launen unseren Alltag bestimmen«, berichtet die Diplom-Pädagogin Doris Früh. Nach zwölf Jahren Ehe ist die Hannoveranerin eine Second-Hand-Beziehung mit einem Partner eingegangen, den sie liebevoll ihren »gebrauchten Mann« nennt. Über das Leben der Zweitfrauen hat sie ein Buch verfasst mit dem Titel »Im Schatten der Ersten«.
Weil die Versorgung der Ex-Frau nach derzeitiger Gesetzeslage Priorität genießt, gerät die aktuelle Partnerschaft ins Hintertreffen; viele Zweitehen sind auf Sozialhilfe angewiesen. Oft muss die neue Frau, trotz kleiner Kinder, arbeiten gehen, während ihr Mann dafür ackert, dass die Vorgängerin nicht mehr
oder nicht mehr so viel zu arbeiten braucht.
Typisch ist der Fall der Krankenpflegehelferin Ellen Söhring, 32, aus Reutlingen. Ihr Lebensgefährte - 36, geschieden, ein Sohn - verdient pro Monat 1600 Euro netto und soll davon demnächst 420 Euro Unterhalt für seine Ex zahlen sowie 249 Euro fürs Kind; eine Abänderungsklage läuft. Hinzu kommen 500 Euro für Kredite aus der Ehezeit.
Vom 1400-Euro-Nettogehalt der Partnerin müssen Lebensmittel, Telefon, Kleidung sowie die Kaltmiete von 700 Euro bezahlt werden. Die 284 Euro von Söhrings Ex-Ehemann für die bei ihr lebende 13-jährige Tochter verbessern die Finanzlage der Neu-Familie kaum.
»Sein Geld ist schon Anfang des Monats weg«, sagt die Zweitfrau, die Vollzeit in einem Altenheim arbeitet, »meines 14 Tage später«. Dann gibt''s halt »tagelang Nudeln und Gehacktes« - nicht weiter schlimm. Aber: »Ein gemeinsames Kind können wir uns schlicht nicht leisten.«
Justizministerin Brigitte Zypries mag sich der zunehmenden Kritik nicht verschließen - vor allem an dem von Fachmann Willutzki beklagten Missstand, dass »die Bevorzugung der ersten Ehe den Keim des Scheiterns der zweiten in sich« trägt. Auch geschiedene Männer, fordern viele Juristen, müssten sich die Chance leisten können, noch einmal eine Familie zu gründen und Kinder in die Welt zu setzen.
Weil die »heutige Privilegierung der ersten Ehefrau« nicht mehr zeitgemäß sei, will Zypries zwecks »Förderung des Kindeswohls« die Rangfolge von Unterhaltsansprüchen in so genannten Mangelfällen ändern: Der Kindesunterhalt müsse künftig den Vorrang vor der Versorgung verflossener oder aktueller Ehegatten haben.
Auf diese Weise könnte auch die hohe Zahl minderjähriger Sozialhilfeempfänger reduziert werden: Ende 2003 lebten 1,08 Millionen
Kinder von staatlicher Stütze; mehr als die Hälfte davon wohnen bei allein erziehenden Müttern.
Verschlechtern würde sich durch die Neuregelung vor allem die Lage geschiedener Frauen, die keine Kinder betreuen - eine Konsequenz, in der Zypries jedoch einen Beitrag zur »Stärkung der nachehelichen Eigenverantwortung« sieht.
Der Zypries-Vorstoß - auch von der oppositionellen FDP als »erster Schritt in die richtige Richtung« begrüßt - fügt sich in einen Trend, den der Jurist Bernhard Metz von der Hamburger Kanzlei Prinz, Neidhardt, Engelschall in vielen Industriestaaten ausgemacht hat. Im internationalen Vergleich, schreibt Metz in seiner Dissertation, sei »eine deutlich restriktive Tendenz bezüglich nachehelicher Unterhaltsleistungen zu beobachten"*.
Die derzeitige Rechtslage garantiere Unterhaltsansprüche in Höhe der »ehelichen Lebensverhältnisse« - sie »fingiert also wirtschaftlich ein lebenslanges Fortbestehen der Ehe«. Das aber »entkleidet den Grundsatz der wirtschaftlichen Eigenverantwortung, der den Unterhaltstatbeständen im Bürgerlichen Gesetzbuch vorangestellt ist, vollständig seiner Funktion«.
Die deutsche Scheidungsopfer-Lobby setzt darauf, dass solche Einsichten möglichst rasch in Paragrafen umgesetzt werden. Einige denken schon darüber nach, wie sich der politische Prozess beschleunigen lässt - möglicherweise mit Methoden britischer Scheidungsväter, über die auf deutschen Websites wie www.pappa.com ausführlich berichtet wird.
Verkleidet als Batman oder Spiderman, besetzten Aktivisten von Organisationen wie »Fathers 4 Justice« (Väter für Gerechtigkeit) in telegenen Aktionen stundenlang das Riesenrad »London Eye«, die gigantische Schwebefähre von Middlesbrough und einen Sims des Buckingham-Palasts. Andere »Super Dads« schleuderten mit lila Farbpulver gefüllte Kondome auf Premierminister Tony Blair. Motto der Aktionen: »Im Namen des Vaters«.
Auch in Deutschland drängen Kenner der Szene wie Scheidungsforscher Amendt auf rasche Reformen - wenn auch nicht mit Blick auf mögliche Protestaktionen nach britischem Muster.
Die wachsende Rechtsunsicherheit von Eheleuten, die Misere der Scheidungsopfer und die »gängige Vorwurfskultur gegen Männer« hätten, fürchtet Amendt, womöglich bereits jetzt negative Folgen für das gesamte Gemeinwesen - bis hin zum massenhaften Zeugungsstreik.
Schon seit Jahren, so der Professor, gebe es einen »Bezug zwischen den niedrigen Geburtenraten der Deutschen und den weitgehend vernachlässigten Wünschen und Vorstellungen der Männer«.
JOCHEN BÖLSCHE, ANDREA BRANDT,
DIETMAR HIPP, UDO LUDWIG, MARKUS VERBEET
* Am vorigen Freitag beim Bundespresseball.* Mit Effenberg-Freundin Claudia Strunz (l.).* Valeria Bruni-Tedeschi, Stéphane Freiss in »5 x 2«.** Gerhard Amendt: »Scheidungsväter«. Ikaru-Verlag, Bremen; 240Seiten; 21,50 Euro.* Bernhard Metz: »Rechtsethische Prinzipien des nachehelichenUnterhalts. Kritik an der ,nachwirkenden ehelichen Solidarität''«.Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main; 258 Seiten; 45,50 Euro.