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Die Inflation wurde wichtigstes Merkmal

aus DER SPIEGEL 21/1971

»Das gegenwärtige Währungssystem«, so urteilte der Amerikaner Robert Triffin, Professor an der angesehenen Yale-Universität, bereits vor drei Jahren, »ist eine Leiche. Man hat sie nur noch nicht begraben.«

Heute ist die Währungsordnung -trotz einiger Änderungen -- zwar immer noch nicht lebensfähig, aber nach wie vor in Kraft, Schlimmer noch: Es gibt keinen theoretisch befriedigenden und dabei politisch praktikablen Weg, die alte Währungsordnung zugunsten einer neuen abzuschaffen.

Das geltende Währungssystem wurde in der Not des Zweiten Weltkriegs geboren, als sämtliche Industriestaaten außer den USA finanziell ruiniert waren. 1944 einigten sich auf der Währungskonferenz von Bretton Woods (US-Bundesstaat New Hampshire) die 44 Gründerstaaten des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf ein Dollar-Gold-System.

Danach bemißt sich der Tauschwert jeder einzelnen Währung nach einem genau bestimmten Verhältnis zum US-Dollar ("Parität"), der seinerseits an eine bestimmte Menge Gold gebunden ist. Lediglich bei »fundamentalen Ungleichgewichten« ihrer Zahlungsbilanzen ist es seitdem den heute 117 Mitgliedern der IWF erlaubt, den Kurs ihrer Währungen gegenüber dem US-Dollar heraufzusetzen (Aufwertung) oder zu mindern (Abwertung).

Der Gold-Devisen-Standard bewährte sich, solange Dollar knapp und die Volkswirtschaften der IWF-Mitgliedstaaten durch Zölle und Devisenzwangswirtschaft vor Auslandskonkurrenz geschützt waren. Als jedoch mit abgeschlossenem Wiederaufbau in Europa die Exportkassen wieder klingelten und die Devisenbewirtschaftung aufgehoben werden konnte, zeigten sich die ersten Schwächen.

Schon Ende der fünfziger Jahre hatten sich in den Tresoren der westeuropäischen Zentralbanken mehr Dollar angesammelt, als Europas Importeure in Amerika ausgeben konnten, In der US-Zahlungsbilanz hingegen klaffte ein Milliardenloch.

Teils auf Drängen der Amerikaner, teils aus eigenem Interesse (um das Währungssystem vor dem Zusammenbruch zu bewahren), nahmen die Staaten Europas die Dollarflut lange widerspruchslos hin. So verpflichtete sich beispielsweise die Bundesrepublik, ihre Papierdollar in US-Schatzscheinen anzulegen, um so das US-Zahlungsbilanzdefizit optisch zu verringern. 1968, auf dem Höhepunkt der bis dahin schwersten Dollarkrise, nahmen die Amerikaner ihre Garantie, jederzeit Dollarnoten zu einem bestimmten Preis in Gold umzutauschen (je eine Unze Gold für 35 Dollar), zurück. Die Europäer

mit Ausnahme der Franzosen -- stimmten zu.

Als aber durch Inflation und Vietnam-Krieg das US-Zahlungsbilanzdefizit immer weiter wuchs (allein im vergangenen Jahr klaffte ein Loch von annähernd 40 Milliarden Mark), wurden auch andere Europäer unruhig. »Die drucken Assignaten auf unsere Kosten«, murrt etwa Karl Schiller in Bonn.

Inzwischen hatte die Dollarflut ein kaum noch zu kontrollierendes Ausmaß erreicht. Allein in den Tresoren der Deutschen Bundesbank lagerten zuletzt mehr Gold- und Devisenreserven (70 Milliarden Mark) als in Amerikas Goldburg Fort Knox (47 Milliarden Mark).

Überdies hatte sich auf den Devisenmärkten Westeuropas ein riesiger Markt heimatloser Dollar gebildet. Auf diesem sogenannten Eurodollar-Markt werden derzeit etwa 50 Milliarden Dollar, die nicht im Besitz von Amerikanern sind, kurzfristig ausgeliehen. Da der Eurodollar- Markt der Kontrolle der europäischen Notenbanken entzogen ist, konnten Banken und Großindustrie die restriktive Geld- und Kreditpolitik der meisten europäischen Staaten unterlaufen. Die unkontrollierbare Inflation wurde zum wichtigsten Merkmal der Volkswirtschaften Europas.

Theoretisch sind aus der gegenwärtigen Währungsmisere drei Auswege denkbar:

* Die USA verpflichten sich, das Loch in ihrer Zahlungsbilanz zu stopfen und künftig nur noch Überschüsse zu erzielen -- eine solche Politik ist freilich wegen der damit verbundenen Gefahr einer Massenarbeitslosigkeit in den USA undenkbar;

* die Mitgliedstaaten des IWF (Ausnahme: USA) geben ihre Wechselkurse gegenüber dem US-Dollar frei -- auf einen solchen Schritt konnten sich vorletztes Wochenende noch nicht einmal die EWG-Staaten einigen; die Bundesrepublik und Holland mußten sich verpflichten, möglichst bald wieder zu festen Wechselkursen zurückzukehren;

* alle Mitgliedstaaten des IWE einigen sich über die Errichtung einer Weltzentralbank und die Einführung einer von Dollar und Gold unabhängigen Reservewährung -- diese Lösung würde das Ende Amerikas als Weltbankier bedeuten und ist somit ebenfalls unrealistisch.

Da mithin keiner dieser Auswege Chancen hat, verwirklicht zu werden, wird es bei dem gegenwärtig praktizierten System ("Dem schlechtesten aller denkbaren«, so der inzwischen verstorbene deutsche Währungstheoretiker L. Albert Hahn) bleiben -- dem Krisen-System von Bretton Woods.

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