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»Die ist unwiderleglich, meine Logik«

SPIEGEL-Reporter Jürgen Leinemann über den SPD-Linken Karl-Heinz Hansen
Von Jürgen Leinemann
aus DER SPIEGEL 6/1981

Seine vorherrschende Gemütslage pflegt Karl-Heinz Hansen, 53, als »heitere Gelassenheit« zu beschreiben. Diese Einschätzung -- halb Wunsch, halb Selbstironie -- bringt gewöhnlich Mitmenschen, die den oft bitteren, streitbaren SPD-Abgeordneten aus Düsseldorf nahe erleben, gewaltig in Harnisch. Dann wird der linke Sozialdemokrat wirklich gelassen, und heiter sagt er: »Siehste.«

Aber obwohl sich Hansen am Dienstag vergangener Woche vor der Presse in Bonn geradezu aufreizend ruhig auf einem Sofa räkelte, ist seine Heiterkeit auch schon mal größer gewesen.

Er gab vor, »verblüfft« zu sein über die »unverhältnismäßige, überzogene Reaktion« seiner Fraktion auf einen »Konkret«-Artikel zum Nachrüstungsbeschluß und zum Waffenhandel -- geschrieben »mit Wut im Bauch« in einem aggressiven Stil, den er selbst für mißlungen hält.

Nun, nach der Rüge der Fraktion, steht ihm eine Behandlung durch das SPD-Präsidium bevor. Daß er wegen »parteischädigenden« Verhaltens aus der SPD ausgeschlossen werden könnte, wie die Fraktionsführung und vor allem die Riege der rechten Kanalarbeiter zu wünschen scheint, halten auch seine politischen Freunde für so abwegig nicht.

Gleichwohl ist Karl-Heinz Hansen recht gefaßt. Das liegt nicht nur daran, daß alles schon dagewesen ist: ein offizieller Tadel der Fraktion, die Abqualifizierung als »Wirrkopf« aus dem Mund des Kanzlers, die physische Bedrohung durch rechte Genossen, die ihm am liebsten »ein Stuhlbein über den Kopf hauen« möchten, die Empörung vieler Fraktionslinker über seine »profilneurotischen« Einzelgängeraktionen.

Es rührt auch nicht daher, daß er, im Verhältnis 70 zu 2, weit mehr aufmunternde als kritische Telegramme, Briefe und Anrufe von der Basis erhält.

Eher hat es wohl zu tun mit seiner Erfahrung, nur im politischen Spiel »Allein gegen alle« nicht mißbrauchbar zu sein.

Denn Karl-Heinz Hansen ist einmal ein bedingungsloser Gefolgsmann gewesen -- von Adolf Hitler. 17 Jahre war er alt, als der Krieg endete und alles in ihm zerbrach: »Ich wollte für den Führer sterben -- bis zuletzt.«

Da mußte der junge Hansen viel Sartre lesen, bis er wieder anfing, an einen Lebenssinn zu glauben. Der besteht für ihn darin, sich nie wieder von Autoritäten verführen zu lassen und andere vor solcher Gefahr zu warnen. So wird er Lehrer und Sozialdemokrat.

Idealist wie in seiner Jugend ist Karl-Heinz Hansen geblieben. Für seine neuen Erkenntnisse tritt er mit einem moralischen Rigorismus ein, der ihn seinen Mitmenschen nicht nur unbequem macht, sondern oft -- in seiner Forderung nach Konsequenz -- auch unglaubwürdig. Niemand kann so leben, auch er selbst nicht.

Aber unerbittlich macht er sich -- 1969 zum Abgeordneten gewählt -- in Bonn daran, seine Partei an ihren programm-gewordenen Ansprüchen zu messen. »Scheinreformen ... die an Symptomen herumbasteln, das schlechte Bestehende nur aushaltbarer machen und es damit verewigen«, sind ihm schon 1971 ein Greuel.

Daß die Regierungsfraktion nicht gelernt hat, diesen fordernden Geist in ihren Reihen auf Dauer zu ertragen, spricht gewiß nicht gegen Karl-Heinz Hansen. Die Genossen des Fraktionsestablishments reagieren mit Appellen an Tugenden, deren Selbstzweck er aus Erfahrung von Herzen mißtraut: Gehorsam, Pflicht, Disziplin, Ordnung. Der Konflikt ist vorbereitet.

Hansen mag nicht sehen, daß er ihn oft allzu kokett und trotzig annimmt und austrägt. Selbstgerecht sein, so sagt er, das habe er nie gewollt. Aber auch Freunden ist er immer hochmütiger vorgekommen. Sätze wie: »Das ist die Logik« sagt er inzwischen nicht nur, wenn er auf Parteitagsbeschlüsse pocht, sondern auch, wenn er darüber rätselt, ob er seine Anzugjacke im Büro oder daheim vergessen haben könnte: »Die ist unwiderleglich, meine Logik.«

Mit seinen politischen Mahnungen lag er oft richtig -- mit der Warnung vor der Kostenexplosion des Tornado etwa, mit der vor neuen rechtsradikalen Tendenzen in der Republik oder der vor einer Einschränkung des Rechtsstaates durch das Kontaktsperregesetz. Aber das hat ihn weder beliebter noch bescheidener gemacht.

Ein »psychischer Mechanismus«, Hansen weiß es, hat sich eingeschliffen, der das Verhalten der jeweiligen Gegenseite nur noch als Provokation erkennen kann. Debatten um den SPD-Linken arten stets aus zu einem Pingpong von Unterstellungen und Projektionen. Das mindert nicht den Grad der Betroffenheit. Hansen leidet sichtbar an seiner Partei und die nicht minder an ihm.

Mehr fast als den rechten Kanalarbeitern ist der Düsseldorfer inzwischen der parlamentarischen Linken in der SPD-Fraktion ein Ärgernis geworden. Seine Unfähigkeit und sein Unwille, Sache und seine Person voneinander zu trennen, haben viele seiner Äußerungen inzwischen zu bedingten Reflexen degradiert, die ihn unberechenbar machen, auch für seine Gesinnungsfreunde. Die glauben, er mache sich auf ihre Kosten wichtig, er glaubt, sie wollten ihn zum »Idioten« und »Exoten« stempeln, um vor der Basis ihre eigene Zurückhaltung zu rechtfertigen.

Daß die gegenwärtige Diskussion um Karl-Heinz Hansen der Sache dient, um die es geht, der Auseinandersetzung um Nachrüstung und Waffenhandel, das behauptet er selbst nicht. Wer freilich daran schuld ist, darüber würde er jederzeit eine neue Kontroverse beginnen.

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