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BIOGRAPHIE Die Jüdin Rahel

aus DER SPIEGEL 26/1959

Sie hoffe, bemerkt Hannah Arendt im Vorwort ihrer jetzt deutsch erschienenen Biographie der Rahel Varnhagen, »daß im heutigen Deutschland ein mehr als nur wissenschaftlich-akademisches Interesse an der Geschichte und Physiognomie des deutschen Judentums« bestehe.

Die deutsche Jüdin Arendt, gegenwärtig Professorin für Politische Wissenschaft in Princeton (USA), versah ihr 1958 in London publiziertes Buch über das Salon-Genie Rahel Varnhagen ausdrücklich mit dem Untertitel »The Life of a Jewess« ("Das Leben einer Jüdin"). Der Piper -Verlag deklarierte seine deutsche Ausgabe noch genauer: »Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik"*.

Die Soziologin und politische Essayistin Arendt ("Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft") unterscheidet sich von den vielen früheren Biographen der Varnhagen dadurch, daß sie die geselligen und geistigen Qualitäten der Rahel Varnhagen nicht als individuelle Gaben, sondern als Äußerungen der jüdischen Geschichte begreift, als Reaktionen einer durch ihre Geburt benachteiligten Frau.

Rahel Levin, Tochter eines reichen Juwelenhändlers, wurde 1771 in Berlin geboren. »Juden konnten damals in Berlin aufwachsen wie Kinder wilder Völkerstämme«, schreibt Hannah Arendt. »Auch Rahel hat nichts gelernt, nicht ihre eigene Geschichte, nicht die des anderen Volkes. Gelderwerb und Studium des Gesetzes waren die Lebenszentren des Ghettos gewesen. Reichtum und Bildung halfen seine Tore sprengen: generalprivilegierte Münzjuden** und Moses Mendelssohn.«

Der Philosoph Mendelssohn zählt mit seinen Freunden Lessing und Nicolai, dem Berliner Buchhändler, zu den Vätern der deutschen Aufklärung. Ehe die erste popularphilosophische Schrift Mendelssohns in deutscher Sprache erschien ("Philosophische Gespräche«, 1755), war die Lektüre weltlicher Bücher bei den Juden verpönt. Zwanzig bis dreißig Jahre später gab es zwar mehr gebildete Juden, aber die reichen Eltern waren noch nicht so weit, ihre Söhne, wie Hannah Arendt es nennt«,sicherheitshalber« auch noch studieren zu lassen: »Reiche waren nicht gebildet, und Gebildete nicht reich.«

Da Juwelenhändler Levin Geld hatte, mußte Rahel »Ignorant« bleiben. (Hannah Arendt - bestrebt, Rahels Schicksal als jüdisches Schicksal zu erklären - beachtet kaum, wie bescheiden auch die wissenschaftliche Unterrichtung nichtjüdischer Bürgertöchter damals war.)

Andererseits bot gerade das wohlhabende jüdische Haus Levin als »Freistatt außerhalb der Gesellschaft«, wie es der dänische Literarhistoriker Georg Brandes genannt hat, dem heranwachsenden Mädchen viele Möglichkeiten, sich Ideen anzueignen und den Witz zu üben.

»Denn hier«, so schildert Georg Brandes, »begegneten sich, wie auf neutralem Boden, alle diejenigen, welche die Gesellschaft sonst auseinander gehalten hatte ... Kein Bürgerhaus in Berlin empfing damals eine fremde oder heimische Schauspielerin; hier wurden die Damen vom Theater auf gleiche Weise wie die übrigen Gäste aufgenommen. In andere Bürgerhäuser gingen die Prinzen nicht, schon aus dem Grunde, weil sie sich dort langweilten. Hierher gingen sie, von der Einfachheit des Tones und dem Witz der Damen angezogen. Das war eine Zigeunerwelt, doch mit den Lebensgewohnheiten der gebildeten Stände. Es war der erste Durchbruch des Weltbürgergeistes im altpreußischen Berlin.«

Rahel hatte schon im Hause des Vaters durch originelle Antworten geglänzt. In ihrer »Dachstube« in der Jägerstraße gelang es ihr später, wie der schwedische Diplomat Karl Gustav von Brinckmann memorierte, »einen zahlreichen Gesellschaftskreis um sich zu versammeln, der, ohne allen Vergleich, der anziehendste und geistreichste war in ganz Berlin«.

Zu diesem Kreis gehörten der wilde, athletisch gebaute und trinkfeste Hohenzollernprinz Louis Ferdinand, seine leichtherzige Geliebte Pauline Wiesel und der politische Publizist und spätere Staatsmann Friedrich Gentz. Minister und Gesandte kamen in die Jägerstraße, berühmte Schauspielerinnen wie die Unzelmann, Originale wie die Gräfinnen Pachta und Schlabrendorf, die eine ihrem Mann entlaufen, die andere manchmal Männerkleider tragend. Die bekannten Schriftsteller der Zeit versammelten sich fast vollzählig in der Dachstube, sogar die Brüder Humboldt, die Rahel nicht leiden konnten.

Die Soziologin Arendt wertet Rahels Erfolge wenig persönlich: »"Die Berliner Ausnahmejuden in ihrer Jagd nach Bildung und Reichtum haben drei Jahrzehnte lang Glück gehabt. Der jüdische Salon, das immer wieder erträumte Idyll einer gemischten Geselligkeit, war das Produkt der zufälligen Konstellation in einer gesellschaftlichen Übergangsepoche. Die Juden wurden zu Lückenbüßern zwischen einer untergehenden und einer noch nicht stabilisierten Geselligkeit... gerade weil die Juden außerhalb der Gesellschaft standen, wurden sie für kurze Zeit eine Art neutralen Bodens, auf dem sich die Gebildeten trafen. Und genau wie der jüdische Einfluß auf den Staat erlischt, sobald das Bürgertum sich seiner bemächtigt hatte, genauso wird - nur viel früher schon - das jüdische Element eliminiert, sobald sich nur die ersten Ansätze einer bürgerlichen gebildeten Geselligkeit zeigen.«

In der Glanzzeit ihres Dachstuben-Salons, um 1800, war Rahel Levin nicht mehr reich. Nach dem Tod des Vaters hatten die Brüder das Geschäft übernommen, und die unverheiratete Schwester war auf deren »sehr zweifelhafte Großmut« angewiesen. Rahel war auch keineswegs hübsch. Sie schrieb sich selbst etwas »unangenehm Unansehnliches« zu.

Biographin Arendt kombiniert die zeitgenössischen Porträts: »Klein von Gestalt, mit zu kleinen Händen und Füßen, im Gesicht eine Disproportion zwischen Ober- und Unterpartie, unter der klaren Stirn und den schönen durchsichtigen Augen das zu lange Kinn, das nicht durchgebildet ist, als sei es an das Gesicht nur angehängt ... Also«, schließt Hannah Arendt, »nicht reich, nicht gebildet und nicht schön! Also eigentlich ohne Waffen, den großen Kampf um Anerkanntsein in der Gesellschaft, um soziale Existenz, um ein Stückchen Glück, um Sicherheit und bürgerliche Situation zu unternehmen.«

Nur persönliche Waffen konnten da helfen. Ein politischer Kampf um gleiche Rechte war dieser Generation noch unbekannt, erklärt Hannah Arendt: »Juden wollen nicht einmal als Gesamtheit emanzipiert werden, nur aus dem Judentum heraus; wenn es irgend geht als einzelne, heimlich und verschwiegen das lösen, was sie für ein persönliches Problem, ein persönliches Unglück halten.«

Was immer Rahel Levin leistet, durchmacht, unternimmt - Hannah Arendt bezieht es auf das unerwünschte Judentum, die »Infamie der Geburt«. Schon daß Rahel überhaupt denkt, gern und gründlich denkt, gehört für ihre Biographin zu den Fluchtversuchen. »Das Unpersönliche des Denkens bagatellisiert das Nur-Menschliche, Nur -Zufällige des Unglücks ... Die Notwendigkeit der Vernunft gibt der erdachten Möglichkeit einen Schimmer von Wirklichkeit, haucht den vernünftigen Wünschen eine Art illusionären Lebens ein.«

Die berühmte Kunst der Rahel Levin, Gespräche - auch in Briefen - zu führen, auf Menschen einzugehen, erscheint in der Arendt-Biographie vor allem als die Bemühung einer Ausgestoßenen, die ihre Lage noch nicht überschaut: »Verstanden werden ist das eigentliche Glück des Gesprächs ... Gerade weil Rahels Verzweiflung sichtbar, ihr Anlaß aber unbekannt und ihr selbst unverständlich ist, wird sie unbesprochen, ungezeigt zur reinsten Hypochondrie. In der verstehenden Antwort der Menschen liegt ein Stückchen Realität verborgen.«

Oder: »Sie hat, ausgeschlossen aus der Gesellschaft, ohne natürlichen Verkehr, einen ungeheuren Menschenhunger, ist gierig nach jedem kleinsten Ereignis, gespannt auf jede Äußerung ... Ihre Neugier wirkt wie ein heimlich verborgener Magnet, ihr leidenschaftliches Gespanntsein lockt aus den Menschen ihre Geheimnisse heraus.«

Hannah Arendt findet solche Anlagen nicht besonders positiv. Sie notiert, daß Rahel mit ihrer Neugier oft wahllos, taktlos und zudringlich wirkte, daß sich aber eine Jüdin in der »feindlichen«, durch keine Überlieferung geordneten Welt eben nicht orientieren konnte.

Als Mittzwanzigerin verlobte sich Rahel mit dem - ziegelblonden, hübschen, unbedeutenden - Grafen. Karl von Finckenstein, dem Sohn eines preußischen Ministers: Er war der erste Mann, der sie um ihre Liebe gebeten hatte. Für Rahel bedeutete er die Chance, auf einem damals sehr gern begangenen Wege dem Judentum zu entkommen: »Gleich hat sie ja gesagt, hat zugegriffen, als hätte sie nur auf ein solches Ereignis und nie auf einen Menschen gewartet. Als hätte sie nur Fortgenommenwerden ersehnt, Heirat. Wenn sie erst Gräfin sein wird, wird sie ihr Benachteiligtsein über Nacht vergessen können; nichts wird ihr bleiben von dem Jüdinsein als die selbstverständliche Solidarität mit allen, die aus dem Judentum herauswollen.«

Daß unhübsche Mädchen auch dann »zugreifen«, wenn sie nicht eine problematische Herkunft ausgleichen wollen, irritiert die Chronistin des jüdischen Schicksals keineswegs. Die Geschichte der deutschen Juden um 1800 ist »die Geschichte von Einzelfällen... denen es gelungen ist, zu entrinnen«.

Solche Einzelfälle waren in Rahels Kreis Dorothea Schlegel, die Tochter Moses Mendelssohns, die den Romantiker Friedrich Schlegel heiratete und katholisch wurde, oder die Schwestern Marianne und Sarah Meier, die als Frauen von Aristokraten in die große Welt eingingen. Hannah Arendt: »Die eigentliche gesellschaftliche Assimilation vollziehen in jener Zeit die Frauen, die Zeit haben; die Männer sind zu beschäftigt mit der ökonomischen Seite der Angelegenheit.«

Rahel konnte nicht Gräfin werden: Die Verlobung mit Finckenstein ging nach vier Jahren auseinander.

Eine Liebesgeschichte mit Don Raphael d'Urquijo, der Legationssekretär an der Spanischen Gesandtschaft war, endete kaum weniger übel, obwohl sich Rahel diesmal vorgesehen hatte. »Urquijo ist Ausländer«, konstatiert Hannah Arendt, »für den Rahel keine Jüdin ist, vor ihm braucht sie sich nicht zu legitimieren; er würde eine Legitimation gar nicht verstehen.« Aber auch d'Urquijo, bildschön und beschränkten Geistes, hegte Vorurteile - nur freilich andere als die Rahel bekannten: In den Freunden Rahels sah der eifersüchtige Spanier lauter Liebhaber. Die gegenseitigen Mißverständnisse waren längst unerträglich, als sich Rahel noch immer an den belanglosen Schönling klammerte.

Im Jahre 1806 - Napoleon hatte die preußischen Heere bei Jena und Auerstedt geschlagen - war es aus mit dem neutralen jüdischen Salon, in dem das Intime, Private galt. Das Öffentliche wurde übermächtig, das allgemeine nationale Unglück drängte vor. Die Salons formierten sich um Personen von öffentlichem Interesse, von Namen und Rang. Die Geselligkeit wurde politisiert. Wer nichts außer Persönlichkeit zu bieten hatte, mußte abtreten.

Zögernd - und nur, um nicht von allen Freunden isoliert zu werden - wurde Rahel patriotisch und wählte sich den idealistischen Philosophen Johann Gottlieb Fichte ("Reden an die deutsche Nation") zum »einzigen Trost«. Sie geriet trotzdem in die Isolation; ihr Patriotismus ebbte wieder ab und schwoll erst nach Jahren, in den Freiheitskriegen, noch einmal an.

1813 floh Rahel von Berlin nach Prag. Daß und wie sie dort Verwundete gepflegt hat, ist ihr von den Zeitgenossen und auch von den meisten ihrer Biographen als hochherziger Opfermut angerechnet worden. Hannah Arendt sieht darin mehr einen Versuch Rahels, emporzukommen: »Sie muß sich und allen andern beweisen, ein für allemal wie sie glaubt, daß sie wie alle anderen ist: sie muß übertreiben, damit es auch alle merken ... Es ist wirklich kurios zu sehen, wie sie ... bei jeder Gelegenheit alles organisiert, über jede Wohltat in Tränen ausbricht, in jedem Soldaten sämtliche Helden verehrt - wie alle Wohlfahrtsdamen nach ihr ... Sie wird richtig dumm und platt vor lauter überschwenglichem Glück darüber, daß man ihr gnädigst erlaubt mitzutun, daß sie etwas zu besorgen hat, daß das Zusehen und Abwarten aufhörte.«

Rahel war nicht die einzige Jüdin, die sich so ins Zeug legte. »Für das preußische Judentum, das gerade durch das Edikt von 1812* zu Bürgern des Staats gemacht worden war, ist der Krieg die erste Gelegenheit, seine Zugehörigkeit zu beweisen und sich zu legitimieren«, erklärt Hannah Arendt. »Alles versucht, an sichtbarster Stelle die schwersten Opfer zu bringen - und zeigte damit aufs deutlichste, wie wenig sicher man sich trotz des Ediktes fühlte!«

Ein anderes Mittel, sich abzusichern und möglichst »wie alle andern« zu werden, hatte Rahel schon drei Jahre zuvor ergriffen: Sie trug jetzt den nichtjüdischen Nachnamen Robert. »Der Jude«, schrieb sie damals einem ihrer Brüder, »muß aus uns ausgerottet werden, das ist heilig wahr, und sollte das Leben mitgehen.« Hannah Arendt findet solche Anstrengungen weniger würdelos als lebensfremd: »Voller Illusionen über die Möglichkeiten der äußeren Welt traute sie Verkleidungen, Tarnungen, Namensänderungen eine ungeheure umbildende Kraft zu.«

Es war dann doch ein Ehemann, der Rahel Robert eine Stellung außerhalb des Judentums verschaffte: Die dreiundvierzigjährige Rahel heiratete den vierzehn Jahre jüngeren Schriftsteller und Diplomaten Karl August Varnhagen von Ense.

Den Adelstitel hatte Varnhagen erst kurz zuvor in einer alten Chronik aufgestöbert. Seine Braut stärkte ihn bei dieser Selbsterhöhung energisch: »Solang es einen Adligen gibt, muß man auch geadelt werden.« Als Diplomat zeigte Varnhagen kaum politischen Ehrgeiz, er wollte nur in der Gesellschaft etwas gelten.

Rahel, die sich vor ihrer Heirat wieder fast ganz auf jüdischen Umgang beschränken mußte, erhielt als Frau von Varnhagen ihren Platz im preußisch-adligen Berlin - und wurde nun auch wieder, diesmal in der Mauerstraße, Mittelpunkt eines Salons.

Varnhagen hob Rahel nicht zu sich herauf in den Kreis der Arrivierten, er war selbst noch unten, als er sich in sie verliebte - jung, ohne Geld und Stand. Er nahm sie auf seinen Weg nach oben mit. Ehe Varnhagen im Staatsdienst zu Titeln und Orden kam, gefiel er sich darin, Rahels Bedeutung zu verkünden. Sein Eifer ging - Hannah Arendt zufolge - oft reichlich weit: »Keine Klugheit warnt ihn vor der absurden Lächerlichkeit, sich zum Propheten einer Frau zu machen. Keine Scheu hält ihn vor dem Erzählen zurück... Er spricht hemmungslos von ihr zu jedem, der ihm über den Weg läuft. Er zeigt sie, ihre Aussprüche, ihre Geschichte vor wie eine Legitimation, wie die Legitimation dafür, daß er nicht mehr im Hintergrund bleiben will ...«

Auch nach dem Tod seiner Frau (1833) hat Varnhagen die Prophetenrolle durchgehalten. Rahels Nachruhm ist sein Verdienst. Da sie niemals etwas für die Öffentlichkeit geschrieben hatte, wäre Rahel Varnhagen bald vergessen worden, hätte nicht der Witwer drei Bände ihrer Briefe herausgegeben: »Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde.« Hannah Arendt hat an dieser Denkmalspflege manches auszusetzen, sie wirft Varnhagen Schönmalerei und sogar Fälschungen vor.

Rahels Lebensfreundschaft zu der nach zahllosen Liebesaffären kompromittierten Pauline Wiesel - der ehemaligen Geliebten Prinz Louis Ferdinands - hat der tugendhafte Varnhagen in seiner Sammlung durch irreführende Chiffren getarnt. Viele Auslassungen und Verschlüsselungen dienen (nach Hannah Arendt) dem Zweck, Rahels Umgang weniger jüdisch und mehr aristokratisch erscheinen zu lassen. Einen Brief Rahels hat Varnhagen mit Sätzen bereichert, die eine nähere Bekanntschaft zu Beethoven vortäuschen, also den Kreis der Berühmtheiten erweitern sollen.

Ihre Kritik an Varnhagen stützt Hannah Arendt auf ungedruckte Briefe und Tagebücher, die sie vor 1933 in der Preußischen Staatsbibliothek durchgesehen hat. Diese während des Krieges ausgelagerten Handschriften gelten als verschollen.

Hannah Arendt ist gegen Varnhagen so aufgebracht, daß sie die Forschungen, die ihn angehen, nicht immer genau genommen hat. Eine frühere Braut, die Varnhagen nur zögernd Rahel zuliebe aufgab, wird von Hannah Arendt als Mädchen bezeichnet. In Wirklichkeit war Fanny Herz eine reife Witwe, deren Söhne der junge Varnhagen - in Hamburg - unterrichtet hatte. Den Umstand, daß auch diese erste Liebe Varnhagens ihm an Jahren weit überlegen war, haben andere Rahel-Biographen als befremdlichen Mangel an frischer Sinnlichkeit ausgelegt.

Varnhagen, der das Jüdische in Rahels Korrespondenz nach Kräften verschleierte, hat andererseits doch Rahels Versöhnung mit dem Judentum bekanntgegeben, ihr Wort auf dem Totenbett: »Was so lange Zeit meines Lebens mir die größte Schmach, das herbste Leid und Unglück war, eine Jüdin geboren zu sein, um keinen Preis möcht' ich das jetzt missen.«

Heirat und Taufe hatten Rahel äußerlich vor dem Judentum gerettet, aber die Zuflucht wurde am Ende verworfen. »Keine Wohltätigkeitsliste«, schrieb sie an den jungen Juden Heinrich Heine, »kein Vivat, keine Herablassung; keine gemischte Gesellschaft, kein neues Gesangbuch, kein bürgerlicher Stern, nichts, nichts konnte mich je beschwichtigen...«

In Heine, der zugesagt hatte, »für die Sache der Juden und ihrer bürgerlichen Gleichberechtigung enthusiastisch zu sein«, sieht Hannah Arendt den ideellen Erben der unzufriedenen Jüdin Rahel.

* Hannah Arendt: »Rahel Varnhagen«. R. Piper & Co. Verlag, München; 300 Seiten; 24 Mark.

** Edelmetall-Lieferanten und Unternehmer der deutschen Münzstätten im 17. und 18. Jahrhundert.

* Die Juden erhielten 1812 unter Karl August Fürst von Hardenberg, der 1810 bis 1819 preußischer Staatskanzler war, die Staatsbürgerrechte.

Salon-Genie Rahel Varnhagen

Ungeheurer Menschenhunger

Rahel-Biographin Arendt

»Das Leid, eine Jüdin geboren zu sein«

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