»Die Jugend hat aus unserem Schicksal gelernt«
(Nr. 4/1981, Briefe: Klaus Hessler)
Der Rücktritt des Generalobersten Beck während der Sudetenkrise 1938 erfolgte aufgrund seiner »Pflichterfüllung, Vaterlandsliebe und Treue zu seinem Volk«.
Diese Attribute unterstellt Herr Hessler auch seinem Großvater Dönitz; und hier beginnt die Verzerrung. Beck wurde nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 zur Befreiung Deutschlands erschossen, Dönitz erhielt bis zu seinem Tode eine hohe Pension.
Der ehrgeizige Dönitz wurde am 30. Januar 1943 Oberbefehlshaber der Marine und zugleich von Hitler zum Großadmiral befördert. Zum gleichen Zeitpunkt mußte General Paulus in Stalingrad kapitulieren.
Das war der Zeitpunkt, wo ein verantwortungsvoller Oberbefehlshaber der Marine von den Politikern eine bedingungslose Beendigung des Krieges fordern beziehungsweise die brutale verbrecherische Regierung stürzen mußte.
Hätte Dönitz damals so etwas getan oder zumindest den Versuch unternommen, Schluß mit dem sinnlosen Morden zu machen oder Hitler mit couragierten Marinekommandos festzunehmen oder zu beseitigen, wäre er der »Stauffenberg« der Marine, ja eventuell sogar der Retter Deutschlands geworden.
Da jedoch das Gegenteil eintrat, potenzierten sich die deutschen Verluste an allen Fronten und der erbarmungslose Bombenkrieg auf unsere Städte.
Das sinnlose Gemetzel bei der Invasion in der Normandie hätte nicht stattzufinden brauchen. Ebenso wäre die Evakuierung der Ostflüchtlinge, die 1945 wohl eine Selbstverständlichkeit der Marine war, nicht nötig gewesen.
Hätte Dönitz nur einmal Mut gegenüber seinem obersten Kriegsherrn gezeigt, hätte er bestimmt ein ehrenvolles Begräbnis mit Vertretern der Bundesmarine erhalten.
Reinbek (Schlesw.-Holst.) PROF. DR.-ING. KARL-HEINZ STEINICKE
Klaus Hessler, Admiral Dönitz' Enkel, fragt in seinem Leserbrief, ob die Bundesrepublik Deutschland es sich leisten könne, die Millionen, »die -- wie Dönitz -- handelnd und unterlassend Verdienste und Schuld auf sich geladen haben«, als Quantite negligeable zu betrachten oder sie gar »für Häme, Spott und allenfalls herablassendes Mitleid« freizugeben.
Darf ich die Gegenfrage stellen, ob die Bundesrepublik es sich leisten kann, die eigentlichen Väter und Mütter unserer Republik, die Männer und Frauen, die damals den Mut gehabt haben, Widerstand gegen das kriminelle NS-Regime zu leisten, als Quantite negligeable zu behandeln und sie für Häme, Spott oder gar Verfolgung als Verfassungsfeinde freizugeben?
Wir haben keine Orden, keine Ehrenkreuze erhalten, obgleich wir unser Leben ohne Rückendeckung kriegsrechtlicher Konventionen riskiert haben. Wir sind in den Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern der NS-Zeit größeren Torturen ausgesetzt gewesen als selbst die tapfersten Soldaten und Offiziere an den Kriegsfronten. Wir sind einsam und ohne Ehrenmale für unsere Sache gefallen.
Herr Hessler bedauert es, daß »dieses Land« nicht in der Lage gewesen sei, »ihm (Dönitz) und den anderen eine Brücke zu bauen«.
Mir scheint, daß dieses Land ihm und den Seinen nur allzu gangbare Brücken gebaut hat -- Brücken zu den Parteien, S.12 zum Heer, zur Gerichtsbarkeit, zu den höchsten Etagen des Managements, vor allem aber zu den Geheimdiensten und dem »Verfassungsschutz«.
Uns dagegen sind solche Brücken nicht gebaut worden.
Wir erwarteten damals, daß nur derjenige unsere Republik regieren dürfe, der sich das Recht dazu im Widerstand und im Exil erworben hatte. Wir erwarteten, daß alle, die je Mitglieder in einer NS-Organisation gewesen waren, lebenslang von jedem Amt ausgeschlossen werden würden. Wir erwarteten, daß jedem, der in Hitlers Heer gekämpft hatte, jeder Zugang zur Bundeswehr versagt werden würde. Wir erwarteten, daß das Wahlrecht nur jenen Bundesbürgern offenstehen werde, die weder Mitglieder der NS-Organisationen noch des NS-Heeres gewesen waren.
So gut wie nichts von dem, was wir uns erhofft hatten, ist realisiert worden. Nahezu alles aber, was die überlebenden Aktivisten und Mitläufer der NS-Zeit sich erhoffen konnten, ist zur Realität geworden.
Wer kann da noch erstaunt sein, daß die Republik keine Unterstützung bei der jungen Generation findet? Wer kann sich da noch wundern, daß die Neo-Nazis immer kecker werden?
Nichts ist so erfolgreich wie Erfolg.
Die Überlebenden der NS-Hierarchie sitzen in den höchsten Gremien des Staates und der Wirtschaft. Die überlebenden Widerstandskämpfer sitzen fast ausnahmslos in Armut und Elend, fern jeder Hoffnung auf Mitarbeit an dem staatlichen Geschehen.
Der Verfassungsschutz betrachtet uns mit Mißtrauen, denn nach seinen Maßstäben ist jeder, der einmal den Mut zum Widerstand gefunden hat, ein Sicherheitsrisiko, von dem erwartet werden kann, er könne es auch zum zweiten Male tun.
Die Jugend hat aus unserem Schicksal gelernt. Wer blöd genug ist, sein Leben für die Demokratie zu riskieren, riskiert seine Karriere.
Wer an seine Karriere denkt, darf heute nicht übersehen, daß der politische Trend mit Windeseile nach rechts führt.
Ein paar Monate Mitarbeit bei der Wehrsportgruppe Hoffmann mag keine schlechte Empfehlung für die Machthaber von morgen sein.
Scharten (Österreich) PROF. DR. ERNEST BORNEMAN