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»Die Kleinfamilie wird das nicht verkraften«

Waltraud Schoppe über das feministische Sachbuch »MutterMaschine« von Gena Corea Waltraud Schoppe, 44, Lehrerin. Mutter zweier Kinder und per Rotationsverfahren im März 1985 weggerückte Bundestagsabgeordnete, gehört dem Realo-Flügel der Grünen an. *
aus DER SPIEGEL 37/1986

Als am 25. Juli 1978 der englische Gynäkologe Patrick Steptoe einer bewußtlosen Frau das erste Retortenbaby der Welt herausoperierte, bedeutete dies den Höhepunkt einer Arbeit, die hundert Jahre in Wien zuvor begonnen hatte: Damals versuchte zum erstenmal ein Embryologe, ein Ei außerhalb des Körpers zu befruchten.

Die amerikanische Journalistin Gena Corea hat in ihrem Buch »MutterMaschine« eindrucksvoll die Geschichte der Reproduktionstechnologien zusammengetragen. Was sie durch ihr Buch der Diskretion von Labors und Operationssälen entreißt, ist in der Tat dazu angetan, Frauen von diesen Prozeduren abzuschrecken.

Unfruchtbare Frauen könnten Schwierigkeiten haben mit dem Buch, meint sie selbst, denn sie versprechen sich von diesen Technologien das Ende ihrer Leiden. Von Mutterfreuden und Elternglück ist darin wenig die Rede; vielmehr entwirft die Autorin ein Bild von unwürdigen Vorgängen und von einer Experimentiererei, die Seelen und Körper der Frauen peinigt.

Als Feministin sieht sie in diesen Technologien den Ausdruck einer patriarchalischen Kultur, die sich nicht nur die Herrschaft über die Körper der Frauen sichern, sondern auch eine Qualitätskontrolle über das Produkt, das Kind, ausüben will. »Wir haben Wörter, die die Medizin als Heilkunst beschreiben, aber keine, um sie als Methode gesellschaftlicher Kontrolle oder politischer Herrschaft kenntlich zu machen.«

Durch ihre detaillierte Beschreibung entschleiert die Autorin das Geschehen, das sich hinter wissenschaftlichen Begriffen verbirgt. So verschwindet hinter dem Begriff »heterologe Insemination« ein banaler Umstand: Eine Frau wird mit dem Ejakulat eines fremden Mannes besamt. Als Reproduktionstechnologie wurde dies zunächst in der Tiermedizin erprobt, wo Kühe und Schweine zwecks Züchtung von besonders leistungsfähigen Produkten künstlich besamt werden.

Nun hat die Tatsache, daß Frauen von fremdem Samen schwanger werden können, Tradition. Beim Seitensprung, einem Phänomen nicht erst der bürgerlichen Gesellschaft, ist allerdings eine daraus entstehende Schwangerschaft eher eine Katastrophe. Eine populistische Technik wurde zu einer medizinischen durch Entpersönlichung und Entsexualisierung. Der gesamte Vorgang hat nun Reminiszenzen an die unbefleckte Empfängnis.

Der Samen bekommt quasi die Funktion einer Medizin, die Schwangerschaft ist die erfolgte Heilung. Es scheint, als wäre die Frau geheilt, obwohl die Konstitution des Mannes der Grund für die ausbleibende Schwangerschaft war.

Während auch heute noch die vorurteilslose Annahme eines unehelichen Kindes für die Betroffenen schwierig ist, produzieren Mediziner mit Einverständnis von Frauen und Männern sie planmäßig. Wer garantiert, daß ein Mann mit der Tatsache fertig wird, daß sein Kind nicht seinen Lenden entstammt?

Ein großes Kapitel in ihrem Buch widmet Gena Corea dem Embryotransfer. Hierbei wird der Embryo _(Genaugenommen: ein Vorstadium des ) _(Embryos; erst mit Beginn der ) _(Organdifferenzierung sprechen die Ärzte ) _(vom Embryo. )

nach einer Befruchtung im Leib, aber vor der Einnistung in der Gebärmutter, auf mechanischem Wege ausgespült und auf die Ersatzmutter übertragen. Es wird also eine entstehende Schwangerschaft bei einer Frau abgebrochen und der Versuch unternommen, den ausgespülten Embryo in einer anderen Gebärmutter anzusiedeln.

Die Aussichten des werdenden Lebens, diesen Vorgang lebend zu überstehen, sind äußerst gering. Gena Corea berichtet aus einer Klinik in den USA: »Von Januar 1983 bis Februar 1984 befruchtete man dort zehn Frauen insgesamt 46mal mit dem Sperma der Ehemänner von 13 unfruchtbaren Empfängerinnen. Bei 42 versuchten Spülungen wurden 18 Embryos ausgespült. Zwei Empfängerinnen hatten anscheinend normale Schwangerschaften.«

Gena Corea weist darauf hin, daß zum gleichen Zeitpunkt, zu dem Ärzte das Recht der Frauen auf Fortpflanzung propagieren, Mißbrauch mit der Sterilisation an armen und nichtweißen Frauen in den USA betrieben wird. In der Bundesrepublik werden Zwangssterilisationen an behinderten Frauen vorgenommen.

Nach der Lektüre des Buches überkam mich die altmodische Anwandlung, daß Vögeln und Schwangerwerden etwas miteinander zu tun haben. Deshalb kann ich das Leid derer verstehen, die dies nicht erleben können. Während ein Teil der Frauen jeden Monat neu unter der ausbleibenden Schwangerschaft leidet, ist der größte Teil der Frauen krampfhaft bemüht, sie zu verhindern.

In einer Gesellschaft, in der die Mutterideologie von rechts und teilweise auch von links massiv propagiert wird, muß bei Sterilität das Gefühl des Versagens überwiegen. Der eigene Körper, der diesen »Mangel« aufweist, wird als Feind empfunden. Aber Sterilität ist keine Krankheit, sie ist Ausdruck einer Existenz, an der nicht herumrepariert werden muß, sondern die Achtung verdient.

Ich halte das Argument der Wissenschaftler, nur den unfruchtbaren Frauen helfen zu wollen, für eine erhabene Lüge. Die Reproduktionstechnologien eröffnen die Möglichkeiten der Menschenzüchtung. Das beginnt schon bei der Insemination, wenn sich nur bestimmte Paare diese Behandlung finanziell leisten können, wenn etwa lesbische Paare ausgegrenzt werden und wenn Ei und Samen aus einem ausgewählten Spender- und Spenderinnenkreis kommen. Corea berichtet von einer Umfrage, die ergab, daß 80 Prozent der verwendeten

Samen aus dem Kreis der an der Reproduktionstechnik arbeitenden Wissenschaftler und Studenten kommen - nach den Aussagen der Befragten nicht nur deshalb, weil diese Samenspenden schnell zur Hand sind, sondern vor allem, weil sich die Spender selbst für besonders hochwertige Menschen halten.

Durch die Retortenbefruchtung wäre es theoretisch möglich, daß insgesamt drei Mütter und zwei Väter an Zeugung und Aufzucht eines Kindes beteiligt sind. Die personale Verantwortung für das Kind wird dadurch zerstört und kann auch durch gesetzliche Bestimmungen nicht mehr hergestellt werden. Die Reproduktionstechnologien führen das Modell der bürgerlichen Kleinfamilie ad absurdum.

Ich wage die Prognose, daß just die Menschen, die die traditionelle Kleinfamilie als Lebensform gewählt haben, die psychischen Folgen dieser Techniken am wenigsten werden verkraften können, weil sie in traditionellen Bewußtseinsformen leben.

Wann frühestens wird es dem Vater wieder einfallen, daß fremde Spermien mit im Spiel waren - wenn die kleine Tochter das erste Mal mit dem Fuß aufstampft, wenn sie die Suppe ausspuckt, oder erst, wenn sie das erste Mal über Nacht ausbleibt? Wenn der Vater das Kind abgöttisch liebt, das aus dem Ei einer fremden Frau entstand, wird dann die Mutter glauben, daß er in dem Kind die andere Frau liebt? Ich denke, unsere beschädigten bürgerlichen Seelen sind dem nicht gewachsen. Was wir diesen Kindern antun, können wir nicht verantworten. Die Kinder werden nicht nur die Altlasten einer zerstörten Umwelt tragen müssen, sie tragen in sich die Folgen einer Wissenschaft, deren Expansionsgeist ethische und moralische Grenzen vergaß.

Zwischen 1939 und 1945 sind in Deutschland nach vorsichtigen Schätzungen 5000 behinderte Kinder umgebracht worden. Ihr Leben galt als unwert.

Heute kann mit Hilfe von In-vitro-Fertilisation eine Qualitätskontrolle früher und die Selektion diskreter stattfinden. Genmanipulationen am Menschen sind keine ferne Zukunftsmusik mehr. Die genetische Forschung liefert das Handwerkszeug für die Grausamkeiten von morgen.

Es beunruhigt mich aufs höchste, wenn gerade bei unserer Vergangenheit solcherart »Fortschritt« auf so wenig Widerstand stößt.

Was mir fehlt in dem Buch, ist eine Auseinandersetzung mit den psychosozialen Folgen dieser abstrusen Methoden. Wie wird beispielsweise die Identitätsbildung dieser Kinder vonstatten gehen? In welcher Weise wird sich das Verhältnis der Geschlechter zueinander verändern, wenn Zeugung von Sexualität und Sinnlichkeit dermaßen entkoppelt wird?

Die Bonner Experten-Kommission unter Vorsitz des Ex-Verfassungsrichters Ernst Benda hat zu In-vitro Fertilisation, Genomanalyse und Gen-Therapie Empfehlungen für den Gesetzgeber erarbeitet. Sie hat sich angesichts der laufenden Versuche der Menschenzüchtung zu keinem Nein entschließen können; deshalb sind ihre Empfehlungen erbärmlich. Auch den Mitgliedern der Kommission sei das Buch von Gena Corea zur Lektüre empfohlen. _(Endoskopie des Eierstocks. )

Genaugenommen: ein Vorstadium des Embryos; erst mit Beginn derOrgandifferenzierung sprechen die Ärzte vom Embryo.Endoskopie des Eierstocks.

Waltraud Schoppe
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