DIE KRISE DER DOLLAR-FONDS
Von den 2,88 Milliarden Mark, die Westdeutschlands Sparer von Januar bis August dieses Jahres in Aktienfonds investierten, flossen den deutschen Investmentgesellschaften nur 1,173 Milliarden Mark zu. Den weitaus größten Teil (1,707 Milliarden Mark) dagegen vertrauten sie ausländischen -- vorwiegend auf Dollar lautenden -- Investmentfonds an. Für die meisten Anleger wurde die Investition in die Dollar-Fonds ein Verlustgeschäft. Denn wegen der Krise an der New Yorker Wallstreet büßten selbst die angesehensten ausländischen Fonds einen Teil ihres Kurswerts ein.
Die Krise begann mit der verfehlten Deflationspolitik des US-Präsidenten Richard Nixon. Statt den überschäumenden amerikanischen Boom durch eine drastische Steuererhöhung und Drosselung der Militärausgaben zu dämpfen, beschränkte sich der Mann Im Weißen Haus vornehmlich darauf, den Unternehmern Investitionskredite zu verteuern. Doch statt weniger zu investieren, reichten Amerikas Produzenten die hohen Zinsen in Form höherer Preise an die Verbraucher weiter.
Die Profis der Walistreet befürchteten, Richard Nixon werde die Hochzinspolitik so lange beibehalten müssen, bis schmale Gewinne die Unternehmer endlich zur Aufgabe ihrer Expansion trieben. Nach dieser Erkenntnis machten die Börsianer Kasse, und die Kurse sackten weg: Der Dow Jones-Index für Industrieaktien, Amerikas wichtigste Meßzahl für Börsenkurse, purzelte bis Ende September auf 813; am Jahresende 1968 hatte er noch bei 943,8 gestanden. Prozentualer Rückgang: 13,85 Prozent.
Stärker als die meisten Aktienkurse stürzten die Notierungen der Investment-Fonds, die In der Hausse stets besser abgeschnitten hatten
Der Enterprise Fund des kalifornischen Investment-Genies Fred Carr, der den Kurswert seiner Papiere von 1064 bis 1968 um 473,9 Prozent gesteigert hatte, büßte 25,3 Prozent ein. Das Vier-Milliarden-Mark-Vermögen seiner Kunden war bis Oktober-Ultimo auf drei Milliarden Mark geschrumpft. Über die Gründe der Schwindsucht mochte Kurs-Zauberer Carr mit dem SPIEGEL nicht reden. Selbstkritik übte dagegen Generaldirektor Robert L. Coate, dessen American Growih Properties Fund 18,5 Prozent vom Anteilswert an die Baisse abgab. Coate gab zu, daß die Investmentstrategen durch »schwere Fehlurteile über den Anlagemarkt« die Verluste verstärkten.
Tatsächlich häuften sich die Fehler der Fondsmanager nach einer hektischen Jagd auf Performance (Wertsteigerungen). So gehörten während der Hausse Aktien sogenannter Conglomerates zu den Lieblingspapieren der aggressiven US-Fonds. Diese Mischkonzerne, die sich ungestüm über die Grenzen ihrer Branche an vielen anderen Firmen beteiligten, gerieten in die Schußlinie der Anti-Trust-Hüter, die Ihre Monopol-Direktiven schärfer faßten, In. der Baisse fielen ihre mit Vorschuß bezahlten Kurse in sich zusammen. So sackte die Notiz von AMK-Corporation, deren Aktien 1968 noch mit 59 Dollar bezahlt wurden, bis auf 21 Dollar; die Aktie der Avnet Inc. rutschte von 43 auf 12 Dollar, und Automatic Sprinkler Corporation verminderte sich von 74 auf 12,5 Dollar.
Empfindliche Verluste steckten die Fonds auch mit den sogenannten »letter stocks« (Briefaktien) ein, die sie in der Hausse gekauft hatten, Mit Hilfe dieser Briefaktien pflegen sich viele amerikanische Konzerne außerhalb der Börse Kapital zu beschaffen, um die hohen Börsenprovisionen und Spesen zu sparen, die bei einer Kapitalerhöhung durch Ausgabe normaler Aktien anfallen. Den Käufern räumten sie hohe Rabatte ein. Fred Carrs Enterprise zum Beispiel füllte das Fonds-Vermögen mit sieben Prozent letter stocks auf. Anschließend bewertete er die billigen Papiere so, als hätte er teurere, zum Börsenhandel zugelassene Aktien im Portefeuille.
Der Fehler zeigte sich erst, als die Talfahrt der Börse begann: Wie im Vertrag -- dem letter -- festgelegt, durften die Papiere zunächst nicht gehandelt werden. Carrs Fonds-Managern war es daher verwehrt, den sich abzeichnenden Kursverlusten durch schnelle Verkäufe auszuweichen.
Die Fonds-Manager wagten erst wieder zu hoffen, als den Amerikanern im Oktober eine Hiobs-Botschaft zuging: Die Arbeitslosenquote, die Johnson auf nahezu drei Prozent gedrückt hatte, stieg auf vier Prozent. Nun, so machten sich die Manager Mut, sei Nixon bald gezwungen, die Zinsschraube wieder zu lockern. Dadurch könnten die Unternehmergewinne -- und mit ihnen die Börsenkurse -- nur noch steigen. Zum erstenmal seit Monaten kauften daher im Oktober die Dollar-Fonds in Walistreet wieder Aktien. Der Dow Jones-Index zuckte dadurch vorübergehend hoch: Von 813 auf 862 Punkte. Aber bereits in der vergangenen Woche stockte die Aufwärtsbewegung. Unmittelbar nach Nixons enttäuschender Rede über den Rückzug aus Vietnam sackte der Aktien-Index auf 853.