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FERNSEHEN / PREUSKER Die Leidtragenden

aus DER SPIEGEL 53/1970

Albert Scharf, Justitiar des Bayerischen Rundfunks, wurde vier Tage vor dem Heiligen Abend aus dem sonntäglichen Mittagsschlaf geklingelt. Rudolf Mühlfenzl Fernseh-Chefredakteur der Münchner Anstalt, suchte am Telephon rechtlichen Beistand. Der Jurist eilte ins Funkhaus und kam nach Prüfung des Sachverhalts zum Schluß: »So einen Fall haben wir in der ARD noch nie gehabt.«

Der Fall: Dem Bankier und früheren Wohnungsbauminister Victor-Emanuel Preusker, heute Präsident des Zentralverbands der deutschen Haus- und Grundeigentümer und Geschäftsführer der deutschen IOS-Dachorganisation »Orbis Finanz GmbH«, War es gelungen, an einem einzigen Tag zwei wohnpolitische TV-Sendungen rechtlich zu blockieren:

* Gegen die für den vorletzten Sonntag um 21.55 Uhr vorgesehene Sendung »Wohnung ist keine Ware« ließ Preusker eine einstweilige Verfügung androhen, weil »darin

die Aussage enthalten war, die früheren Wohnungsbauminister Dr. Preusker und Lücke hätten ihre Wohnungspolitik darauf angelegt, den Wohnungsbestand künstlich niedrig zu halten, damit ... die Mieten ins Unermeßliche gesteigert werden könnten«.

* Danach ließ Preusker auch noch die von der ARD-Programmkoordination vorgesehene Ersatzsendung »Bodenpolitik heute -- Mietenpolitik für morgen«, ein für das »Studienprogramm« des Bayerischen Fernsehens aufgenommenes Hearing, per Klageandrohung sperren, weil -- so der Zentralverband -- Preuskers »Ausführungen ohne sein Wissen und ohne seine Zustimmung gekürzt worden waren« und »weil der Diskussion ein für die ganze Bundesrepublik gültiger Wert nicht beigemessen werden konnte«.

Bei dem Münchner Hearing, dem Preusker nachträglich nur regionale Bedeutung zusprechen mochte, waren freilich Teilnehmer von überregionaler Prominenz gehört worden: neben Preusker auch der Wohnungs-Experte der CDU-Bundestagsfraktion, Ferdinand Erpenbeck, der Bundesdirektor des Deutschen Mieterbunds« Helmut Schlich, der Münchner SPD-Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel und der Jesuitenpater Hermann Josef Wallraff, Professor für christliche Sozialethik in Frankfurt.

Und mit denselben Kürzungen, die Preusker nun beanstandete, war die Sendung bereits am 12. Dezember -- damals ohne rechtliche Einwände des Hausbesitzer-Präsidenten -- im Regionalprogramm des Bayerischen Fernsehens ausgestrahlt worden.

Was die Bayern sehen durften, sollte der ganzen Republik vorenthalten werden, weil, wie Preuskers Diskussionspartner Helmut Schlich vom Mieterbund urteilt, der Grundbesitzer-Präsident in der Diskussion »schlecht abgeschnitten« und sich »nicht mit Lob bekleckert« hatte.

Einen schlechten Eindruck von seiner Rolle hatte aber auch Preusker selber. Als er nach der Aufzeichnung der Sendung am 8. Dezember das Studio 4 des Bayerischen Rundfunks in München-Erdmann verließ, seufzte er einem Redakteur zu: »Das ist aber gar nicht gut gelaufen.«

Daß die Bodenpreise seit 1950 mancherorts »um 2036 Prozent gestiegen sind« (Vogel), daß »mit dem Gedanken des Eigentums bald kein Staat mehr zu machen ist« (Wallraff), daß »Grund und Boden nicht wie Autos oder Unterhosen vermehrbar« seien (Vogel) -- diesen Argumenten seiner Diskussionspartner vermochte der Grundbesitzer-Präside nicht viel entgegenzusetzen. Preusker etwa zur Bodenspekulation: »Ich kann nur sagen, daß auch die gesamten Haus- und Grundbesitzer kein Interesse dafür haben irgendwelche spekulativen Interessen zu fördern ... weiß Gott nicht. Denn wir sind letzten Endes hier die Leidtragenden ...

Um das Preusker-Argument zu entkräften, seine Äußerungen seien ungerechtfertigt beschnitten worden, ermittelte der Bayerische Rundfunk letzte Woche die Länge der einzelnen Diskussionsbeiträge: Ober-Mieter Schlich Ist zwei Minuten und 49 Sekunden zu Wart gekommen, Preusker acht Minuten und 48 Sekunden -- dreimal so lange wie der Mieter-Sprecher. Wenn die TV-Redakteure die Preusker-Worte nicht (um zwei Minuten) gekürzt hätten, hätte der Grundbesitzer-Präsident kaum besser dagestanden. Denn, so Dr. Friedrich Schreiber, der Redakteur der Sendung: »Wir haben nur seinen Schmarren weggeschnitten.«

Als die Bayern dem Düsseldorfer Präsidenten ankündigten, die Sendung noch einmal, diesmal bundesweit, auszustrahlen, forderte Preusker, »die Übernahme der Sendung in das Bundesprogramm der ARD zu unterlassen«. Telegramme und Telephonate (Schreiber: »Wir stöberten Herrn Preusker nach langem Suchen in einer Krupp-Villa am Tegernsee auf") konnten den Besitzer-Boß nicht umstimmen. Am Sendetag traf das letzte Preusker-Kabel im Münchner Funkhaus ein: »Aus urheber- und persönlichkeitsrechtlichen Gründen« beharrte Preusker auf der Ablehnung. Justitiar Scharf, aus dem Mittagsschlummer gerissen, prüfte die Rechtslage. Das Ergebnis formulierte Chefredakteur Mühlfenzl so: »Wir Journalisten sind auf der Strecke geblieben.«

Der Grundbesitzer-Präsident hatte, assistiert von zwei Stuttgarter Rechtsanwälten, mit seiner urheberrechtlichen Argumentation tatsächlich eine Lücke im TV-System ausgemacht. Die Münchner Anstalt nämlich erwirbt zwar die Ausstrahlungsrechte, aber in der Regel nur für eine einmalige, zeitlich und regional begrenzte Sendung.

Die Übertragung der Urheberrechte hingegen verlangt der Bayerische Rundfunk erst nach der Sendung -- auf dem grünen »Honorarzettel«, auf dem die Beteiligten zugleich die Annahme des Honorars bestätigen. Zettel-Text: »Steht dem Vertragspartner ein Urheberrecht oder sonstiges Recht zu, so räumt er dem BR ... das ausschließliche sowie zeitlich und räumlich unbeschränkte Nutzungsrecht ein.« Einen Honorarzettel jedoch hatte Preusker nicht unterschrieben.

Nach der Preusker-Panne will der Bayerische Rundfunk dieses Rechtsverfahren ändern. Chefredakteur Mühlfenzl: »Wir müssen uns was überlegen, dieses Loch zu stopfen.«

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