ZWEITER WELTKRIEG / EL ALAMEIN 1942 Die letzte Schlacht
Nach dem Abendessen kam die erwartete Nachricht. Nervös preßte General Sir Alan Brooke, Chef des Empire-Generalstabes, den Hörer ans Ohr, um die Meldung aus dem Kriegsministerium entgegenzunehmen. Noch am gleichen Tag, dem 23. Oktober 1942, notierte er sich: »Es könnte der Wendepunkt des Krieges werden.«
Die Nachricht: Der britische Generalleutnant Bernard L. Montgomery war in der westägyptischen Wüste nahe der Bahnstation El Alamein um 21.40 Uhr mit den 220 000 Mann seiner 8. Armee zum Sturm auf Generalfeldmarschall Erwin Rommels deutschitalienische 96 000-Mann-Armee angetreten.
Tausend Geschütze hämmerten gegen die Stellungen des deutschen Wüstenfuchses, während sich zwei Armeekorps der Briten anschickten, eine doppelte Bresche in Rommels Nordfront zu schlagen -- getreu dem Auftrag, den Montgomery jedem seiner Offiziere eingeschärft hatte: der Kettenreaktion britischer Niederlagen ein Ende zu setzen
Doch die Nachrichten von der Front klangen düster, und Brooke mußte sich von britischen Ministern vorwerfen lassen, auch sein »Monty« habe keinen Offensivgeist und beherrsche nicht die Situation.
Premier Winston Churchill fuhr den Generalstabschef so hart an, daß Brooke sich besorgt bei Churchills Leibarzt erkundigte: »Ist der Premier in Ordnung? Ich dachte, er will nach mir schlagen, als er mich anschrie: »Haben wir denn keinen General, der wenigstens eine einzige Schlacht gewinnen kann?'«
Erst am 3. November war Brooke sicher, daß Montgomery siegen werde. Brooke: »Premier begeistert. Er hat die Absicht, die Kirchenglocken läuten zu lassen.« Einen Tag später sah England allen Anlaß dazu: Am zwölften Tag der Schlacht hatte Montgomery seinen Gegner geschlagen.
Gleichwohl mochte den Premier später die Erinnerung an das Läuten vom 4. November 1942 elegisch stimmen, denn die Glocken hatten nicht nur einen britischen Sieg verkündet, sondern zugleich das Ende der unabhängigen Militärmacht Großbritannien eingeläutet. Die Schlacht bei El Alamein, so formuliert der englische Historiker Correlli Barnett, war »der letzte ausschließlich britische Sieg im Krieg gegen Deutschland«.
Tatsächlich dürfte die Schlacht eher als ein politisches denn als militärisches Ereignis in die Geschichte eingehen. Seit Feldmarschall Rommel im Sommer 1942 mit seinen Verbänden die Grenzen Ägyptens überschritten hatte und von der britischen Armee nur mit Mühe westlich von El Alamein gestoppt werden konnte, wollte Churchill den Gegner zur Entscheidungsschlacht herausfordern. Nur ein Sieg über den legendären Wüstenfuchs, so kalkulierte er, würde das lädierte Militärprestige Englands wiederherstellen können.
Doch die Zeit drängte, da die Generalstäbe Englands und Amerikas beschlossen hatten, mit einer anglo-amerikanischen Streitmacht unter General Eisenhower in Nordwestafrika -- im Rücken Rommels -- zu landen und gemeinsam mit der in Ägypten operierenden britischen 8. Armee die Deutschen aus Afrika zu jagen.
Eisenhowers Anglo-Amerikaner sollten Anfang November losschlagen -- die Briten mußten sich beeilen, wollten sie nicht in den Geruch kommen, ohne Amerika keine selbständigen Schlachten mehr schlagen zu können.
Churchill gab daher dem Kommandeur der 8. Armee, General Sir Claude Auchinleck, die Order, »die deutsche Panzerarmee Afrika bis zum 15. September 1942 anzugreifen und zu vernichten«. Der General wandte ein, seine Armee werde erst Ende September angriffsbereit sein. Zudem wußte Auchinleck, daß Rommel praktisch am Ende war: Die Briten hatten längst die Luftherrschaft an sich gerissen, die Panzer der Achsenmächte waren den besser armierten Briten-Panzern unterlegen, der mangelnde Benzinnachschub machte Rommels Panzerarmee nahezu bewegungsunfähig.
Doch Churchill wies Auchinlecks Einwände zurück und setzte ihn ab. An Auchinlecks Stelle berief er den als harten Methodiker und Organisator renommierten Infanterie-General Montgomery, einen Soldaten nach dem Herzen Churchills: präzise, sendungsbewußt, rücksichtslos.
Er konnte seinem Premier sofort beweisen, daß er »auf Sieg eingestellt«
* Mit Schirm.
war. Als Rommel Ende August noch einmal versuchte, die britischen Stellungen an der Südflanke bei Alam Halfa zu durchbrechen, brachte Montgomery dem Gegner so schwere Verluste bei, daß Rommel die Schlacht abbrechen mußte. Von nun an war Monty seiner Sache sicher. Mit der ihm eigenen Umsicht plante er die große Entscheidungsschlacht.
Dabei ließ er auch das politische Interesse Churchills nicht außer acht. Er legte die Schlacht zeitlich so an, daß sie Eisenhowers Landung unmittelbar vorangehen mußte: Am 4. November wollte Ike losschlagen, als Angriffstag der 8. Armee bestimmte Monty den 23. Oktober -- mit einer zwölftägigen Schlacht rechnete er.
Da verschob Eisenhower plötzlich seinen Angriffstermin auf den 8. November. Montgomery aber mochte seine Pläne nicht mehr ändern. Am 23. Oktober 1942 warf er seine Truppen in den Kampf, mit eiserner Entschlossenheit, freilich auch mit einer starren Unbeweglichkeit, die ihn um den eigentlichen Preis der Schlacht brachte: Die Einkesselung und Vernichtung der Rommel-Armee mißlang, der Gegner konnte entkommen -- erst Eisenhowers Armeen versetzten ein halbes Jahr später dem Afrika-Korps den Todesstoß.
»Ich wäre gern mit Rommel zusammengetroffen«, schrieb Montgomery später, »um mit ihm über die Schlacht zu diskutieren.« Rommel hatte schon 1943 vertrauliche Aufzeichnungen über El Alamein gemacht; Montgomery legte jetzt aus Anlaß des 25. Jahrestages der Schlacht einen vollständigen Bericht vor. Auf den folgenden Seiten druckt der SPIEGEL wesentliche Passagen aus beiden Darstellungen ab.