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»Die Leute suchten ein Ventil«

Zerstrittene Rechtsgruppen rücken enger zusammen *
aus DER SPIEGEL 13/1988

Ein »Vaterländischer Krieg« sollte die Landtagswahl im Südwesten werden, jedenfalls für die Nationaldemokratische Partei Deutschlands.

Das hatte schon voriges Jahr Udo Holtmann verordnet, der, so heißt das bei der NPD, als Chef des »Amtes für Organisation und Öffentlichkeitsarbeit« den Wahlkampf plante. Als Holtmanns Krieg in Baden-Württemberg vorletzten Sonntag zu Ende war, hatten die Altnationalen zwar keinen Posten in der vorderen Linie des Stuttgarter Parlaments erobert, wohl aber Land gewonnen.

Die 101 815 Stimmen (2,1 Prozent), bestes Ergebnis der NPD in Bund und Ländern seit 16 Jahren, seien ein »hervorragender Erfolg«, attestierte sich die Splitterpartei. Und die konkurrierenden »Republikaner« (REP) des einstigen Waffen-SS-Mannes Franz Schönhuber sammelten auch noch fast ein Prozent der Stimmen ein. Weitere 1,6 Prozent fielen an rechte und konservative Grüppchen wie die Ökologisch-Demokratische Partei des einstigen CDU-Bundestagsabgeordneten Herbert Gruhl und einen Verein eingeschworener Abtreibungsgegner namens Christliche Liga. Kein Zweifel: Rechts sprießt es wieder.

Das Wachstum hatte nach langer Dürre schon vor vier Jahren, fast unmerklich, eingesetzt. Bei der Europa-Wahl holte die NPD, die derzeit rund 6100 Mitglieder hat, fast 200 000 Stimmen (0,8 Prozent). Dadurch wurde die Partei, die ständig pleite war, wieder solvent: Wer die 0,5-Prozent-Hürde - in manchen Ländern ist sie höher - überwindet, kassiert staatliche Wahlkampfkostenerstattung. Eine runde Million Mark Steuergelder spülte es damals in die entleerte Schatulle der Rechtsaußen-Partei.

Weitere 1,4 Millionen Mark brachte die Bundestagswahl im Januar vorigen Jahres, als die NPD 227 054 Zweitstimmen (0,6 Prozent), mehr als doppelt so viele wie 1983, auf ihr Konto buchte. Mitgeholfen hatte dabei ein Erzkonkurrent: der millionenschwere Münchner Unternehmer Gerhard Frey, Herr über allerlei Sammlungsbewegungen und über das größte rechtsextremistische Verlagsimperium ("Deutsche National-Zeitung«, »Deutscher Anzeiger«, »Deutsche Wochen-Zeitung") mit einer wöchentlichen Auflage von rund 130 000 Exemplaren.

Nato-Befürworter Frey, der die NPD wegen ihres Programms für ein neutralistisches Großreich Deutschland stets attackiert hatte, warb damals zum ersten Mal dafür, mit »beiden Stimmen für die NPD« auf den »Nationalmasochismus maßgeblicher Politiker der Union« zu antworten. In neuer Zuneigung entbrannt, gründeten die Ex-Konkurrenten eine Koalition: Freys »Deutsche Volksunion« (DVU) und die NPD fanden sich zu einer »Liste D« zusammen; das D steht, natürlich, für Deutschland.

Wenige Monate nach der Bundestagswahl leistete sich Frey einen außergewöhnlichen Luxus: Er finanzierte der »Liste D« in Bremen einen Wahlkampfetat, der höher war als das Budget der Volksparteien CDU und SPD zusammen. Mit seinem Großangriff aufs rote Bremen wollte er ein »Fanal« setzen.

Heraus kam der teuerste Landtagsabgeordnete der Republik: Die rund zwei Millionen Mark, die Frey investiert hatte, brachten der »Liste D« 13 296 Stimmen (3,4 Prozent) und den ehemaligen Schiffsingenieur Hans Altermann in die Bürgerschaft. Die NPD konnte ihr Geld für den Wahlkampf in Baden-Württemberg zusammenhalten.

Dort, so lautete die Abrede, sollte die Aufgabenteilung anders herum funktionieren: Die NPD kandidiert und zahlt, die DVU hilft beim Trommeln. Frey plazierte in seinen Blättern Sonderseiten und forderte seine Anhänger in persönlichen Rundbriefen auf, die NPD zu wählen. Der Wahlkampf kostete die Kleinpartei nach eigenen Angaben rund 650 000 Mark, rund 700 000 fließen aus der Staatskasse zurück.

Das Bündnis im traditionell zersplitterten schwarzweißrotbraunen Lager zahlt sich aus. Beobachter des Getümmels am rechten Rand wie Ralf-Dietrich Krüger, Chef des baden-württembergischen Verfassungsschutzes, mahnten: »Die Chance, das politische Feld einzugrenzen, muß von den demokratischen Parteien besser genutzt werden.«

Die Südwest-CDU hielt das Feld jedoch weit offen. Zur Integration nach rechts hatten die Christdemokraten einen Mann fürs Grobe abgestellt: Kultusminister Gerhard Mayer-Vorfelder. Der verfügte, Deutschland, Deutschland über alles, in den Schulen des Landes müßten alle Strophen der Hymne »behandelt« werden. Von »ehemaligen« Ostgebieten will der Minister nicht reden, deutsch bleibt deutsch. Und den Immer-noch-Gestrigen bescheinigte Mayer-Vorfelder, so gräßlich seien sie gar nicht gewesen, denn: Die Chaoten in Berlin, Hamburg und Wackersdorf »springen schlimmer herum als die SA jemals«.

Ironisch bot der NPD-Landesvorsitzende Jürgen Schützinger, 34, dem Minister deshalb eine Mitgliedschaft bei den Nationaldemokraten an. Deutschtümler und Ausländerhasser ließen sich mit Mayer-Vorfelders Sprüchen allein jedenfalls nicht keilen. Sie wurden eher noch zum Rechts-Wählen ermuntert, glaubt SPD-Landesgeschäftsführer Siegmar

Mosdorf: »Diese Saat, die da aufgegangen ist, ist Mayer-Vorfelders Werk.« Doch so simpel, da sind sich die Analytiker einig, läßt sich der Erfolg der Splitterparteien nicht erklären.

»Die Leute«, sagt Dieter Roth von der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen, »suchten nach einem Ventil.« Die Splitterparteien nahmen der CDU vor allem in Industriegebieten mit zunehmender Arbeitslosigkeit und hoher Ausländerdichte Stimmen ab. Außerdem verzeichneten die Rechten Zulauf in ländlichen Gebieten, wo sich Frustration wegen der Brüsseler und Bonner Agrarpolitik breitgemacht habe. Außerdem sei bei Landeswahlen die Bereitschaft konservativer Wähler besonders groß, »ihrer Partei einen Denkzettel zu verpassen«.

Die NPD hatte diese Schwachstellen im Wahlkampf akkurat anvisiert: »Ausländerstopp ist das Gebot der Stunde!«, »Die deutschen Bauern sind Opfer einer unsinnigen EG-Politik«, und immer wieder, auf Plakaten und Aufklebern: »Deutsch ist Trumpf« - »Deutschland den Deutschen!«

Ähnlich operierten die konkurrierenden Republikaner, die nur in 49 von 70 Wahlkreisen Kandidaten präsentieren konnten: Asylantenflut eindämmen, Wiedervereinigung und »patriotische Erneuerung« stand auf ihrem Programm.

Ihre Rekordmarke erreichte die NPD im Wahlkreis Villingen-Schwenningen des Landesvorsitzenden Schützinger (4,9 Prozent), der dort schon lange dem Stadt- und dem Kreisparlament angehört. Das zweitbeste Ergebnis (4,6 Prozent) holte der NPD-Bundesvorsitzende Martin Mußgnug, 52, in seinem Wahlkreis Tuttlingen-Donaueschingen.

Der Rechtsanwalt, der weniger auf radikales Getöse als auf bürgerliche Reputation Wert legt, hat schon bessere Zeiten gesehen. Der Vize-Chef des Fußballklubs Tuttlingen 08 zog 1968, als die NPD in Baden-Württemberg mit einem Wahlergebnis von 9,8 Prozent die ganze Republik erschreckt hatte, in den Landtag ein. Den vergleichsweise bescheidenen NPD-Erfolg vorletzten Sonntag spielen die CDU-Spitzen denn auch herunter.

Obwohl Protestwähler erstmals wieder in größerer Zahl nicht zur Wahlenthaltung, sondern zu Splitterparteien Zuflucht genommen haben, mag Kanzler Helmut Kohl »keinen Drang zur Radikalisierung« erkennen. Auch Lothar Späth ficht das nicht an: Es sei, so seine Schnell-Analyse am Montag voriger Woche, »keine Revolte von rechts« im Gange. Beide Christdemokraten sahen jedenfalls »kein Alarmzeichen für die Demokratie«.

Vielleicht kann es, demnächst, doch eins werden. Die NPD, mit dem kapitalstarken Frey im Rücken, hofft darauf, daß die Erfolge in Bremen und im Süden die Solidarität bei den zerstrittenen Rechtsextremen beflügeln.

Das Wahlergebnis, meint NPD-Schützinger, sei »ein deutlicher Auftrag des Wählers, die Einigungsbestrebungen des demokratischen nationalen Lagers zu intensivieren«. Ziel der NPD sei es nun, »mit verstärktem Druck« für weitere Zusammenschlüsse zu sorgen - Objekt der Begierde sind die Republikaner.

Die sind in der Tat heillos zerstritten. Ein Landesverband, in Bremen, hat sich schon losgesagt; Schönhuber-Kritiker fanden sich zu einer Fraktion der »Unabhängigen Republikaner« zusammen. Örtlich knüpft die NPD Kontakte und setzt auf Überläufer, ihre Hoffnung: Bis zu den Europa-Wahlen nächstes Jahr soll eine geschlossene Rechtsfront stehen.

REP-Chef Schönhuber lehnt allerdings jede Zusammenarbeit mit der NPD oder gar eine Fusion ab. Er wütet in seiner bestenfalls noch 5000 Mitglieder zählenden Gruppe, die bisher nur einen wirklichen Erfolg bei den bayrischen Landtagswahlen 1986 (3,0 Prozent) vorweisen kann, gerade gegen den »NS-Kriegsgewinnler« Frey und »Elemente«, die »den Normen des demokratischen Patriotismus nicht entsprechen«.

Bei den Wahlen in Schleswig-Holstein am 8. Mai bleibt es daher noch bei der alten Konkurrenz. Die NPD hofft dort, wo viele Vertriebene und unzufriedene Landwirte leben, auf einen neuen Erfolg. Und der REP-Bundesvorstand dröhnt: »Wir werden den Altparteien bei den kommenden Wahlen, vor allem in Schleswig-Holstein, noch stärker einheizen.«

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