NAMIBIA Die Luft ist raus
Herrschaften, die Party ist vorbei«, sprach Eric Lang, Selfmade-Millionär und Streiter gegen staatliche Mißwirtschaft. »Die einzige Musik, die jetzt noch spielt, ist der Rock''n''Roll des Regierungsgeschwafels.«
Die Zuhörer von der Interessengemeinschaft deutschsprachiger Südwester klatschten dem erfolgreichen Farmer und Industriellen Lang begeistert Beifall. Denn er sprach aus, was viele der Zuhörer bedrückte: Mit Namibia, der ehemaligen kaiserdeutschen Kolonie Südwestafrika, geht es wirtschaftlich bergab. Die politische Instabilität daheim und widrige Entwicklungen auf dem Weltmarkt drohen Südwest in wirtschaftliches Ödland zu verwandeln.
Besonders hart hat der Kollaps des - allerdings inzwischen aufgefangenen - Diamantenpreises in den vergangenen zwei Etatjahren die namibische Wirtschaft getroffen. Die Abgaben der Consolidated Diamond Mines, aus denen bis vor zwei Jahren rund die Hälfte der öffentlichen Ausgaben bestritten wurden, sind durch den Preisverfall von _(Kolmanskuppe bei Lüderitz. )
124 Millionen auf 35 Millionen Rand (83 Millionen Mark) geschrumpft.
Dramatische Einbrüche gab es auch in der Landwirtschaft: Die seit fünf Jahren anhaltende Dürre hat die Viehbestände gelichtet. Hunderte von Farmern, darunter auch viele deutsche, haben ihre Scholle im Stich gelassen. Die Karakulschafzucht ist praktisch tot, weil »Swakara«-Persianer in Europa aus der Mode gekommen sind und sich deshalb nicht mehr absetzen lassen.
Den nachhaltigsten Schub für den Abwärtstrend indes liefert die Ungewißheit über die politische Zukunft. Südafrika hat sich zwar grundsätzlich bereit erklärt, das Uno-Mandatsgebiet in die Unabhängigkeit zu entlassen. Doch über die Bedingungen konnten sich die Buren bislang mit den Vereinten Nationen nicht einigen. Die Uno-Vollversammlung begreift die marxistische »Südwestafrikanische Volksorganisation« (Swapo) als allein rechtmäßige Vertreterin der namibischen Bevölkerung. Die Südafrikaner bestehen jedoch auf Wahlen nach einem komplizierten ethnischen Schlüssel, der das Übergewicht der vom Ovambo-Stamm favorisierten Swapo einschränken soll.
Seit in Washington Ronald Reagan regiert, ist die Lösung nicht leichter geworden. Premier Piet Botha fordert jetzt - im Einklang mit Reagan - den Abzug der kubanischen Besatzungstruppen aus Angola als Vorbedingung für die namibische Unabhängigkeit.
Weil dieses Junktim ebenso unrealistisch ist wie der Alleinvertretungsanspruch der Swapo, wird geschossen statt verhandelt. Die von Angola aus operierende Swapo terrorisiert die Bevölkerung im Norden Namibias mit Überfällen und Mordanschlägen. Die südafrikanische Armee macht, ohne Rücksicht auf völkerrechtliche Regeln, im Süden Angolas Jagd auf Swapo-Kommandos.
Die politische Unsicherheit hat die wirtschaftlichen Grundlagen Namibias erschüttert. Niemand will mehr investieren. Im Gegenteil: Die Immobilienmakler in Kapstadt erleben derzeit einen Boom wie lange nicht mehr. Gefördert durch die Zoll- und Währungsunion, die Windhuk und Pretoria wirtschaftlich aneinander bindet, fließen breite Kapitalströme von Südwest in die Republik. Um die Infrastruktur Namibias aufrechtzuerhalten, muß Pretoria mit Finanzspritzen gegenhalten. Nach Piet Bothas Berechnungen alimentiert Südafrika seine Dependance pro Jahr mit etwa 600 Millionen Rand - wenn man die »Verteidigungskosten« hinzuaddiert, sogar mit einer Milliarde. Namibia, klagte Botha letztes Jahr, sei »ein Mühlstein«, den man schleunigst loswerden müsse.
Doch wer wessen Last ist, bleibt umstritten. Der Industrielle Eric Lang glaubt im Gegensatz zu Botha, daß »die Orgie politisch motivierter Ausgaben« schuld an der Finanzmisere Namibias sei. Denn während die Einnahmen rapide zurückgingen, griff die öffentliche Hand immer tiefer in die Kasse. Innerhalb von drei Jahren stieg der Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt von 32,5 auf 62 Prozent. Folge: Die Schulden wuchsen von 1979 bis Anfang 1983 von 10,5 Millionen auf 460,8 Millionen Rand.
Für Investitionen in die Infrastruktur bleiben ganze 15 Prozent. Allein zur Tilgung seiner Schulden muß Namibia in diesem Jahr 80 Millionen Rand aufbringen. Es steht so schlecht um die Staatsfinanzen, daß die Rössing-Minen-Gesellschaft, die im Sand vor der Atlantikküste nach Uran schürft, letztes Jahr freiwillig mehr als vier Millionen Mark Zuschuß für Beamtengehälter zahlte, obwohl sie nur zur Zahlung von 700 000 Mark verpflichtet war.
Wenn es im gleichen Tempo mit den Schulden aufwärts- und mit der wirtschaftlichen Entwicklung abwärtsgeht, wird die Staatsschuld 1987 viermal so hoch sein wie das Staatseinkommen. »Und dann«, sagt Lang, »haben wir mexikanische Verhältnisse.«
In Teilbereichen der Administration sind diese Verhältnisse schon erreicht. Die von Pretoria eingesetzte »Thirion-Kommission« kam kürzlich mit einem Bericht über haarsträubende Korruptionspraktiken in der Verwaltung heraus. Kernsatz des Skandalreports: »Die augenblickliche Verfassungssituation, die es lokalen Repräsentanten erlaubt, ohne jede Kontrolle ... wie Parasiten von den Früchten des Landes zu leben, führt im Eiltempo zum Zerfall des ganzen Landes.«
Die Ursachen liegen in der beispiellosen Verfassungsstruktur Namibias: Um die Herrschaft der weißen Minderheit über die schwarze Mehrheit zu festigen, hat Pretoria die elf afrikanischen Volksgruppen elf verschiedenen »Regierungen« unterstellt, die - so Lang - ohne Rücksicht auf öffentliche Belange »Farmen, Hotels, Getränkeshops, private Stromleitungen, Hubschrauber und Luxusautos« für den eigenen Bedarf kaufen.
Die Mißwirtschaft reicht bis in die feinsten Kreise. Pastor Peter Kalangula etwa, Vorsitzender der Ovamboland-Behörde und heimlicher Favorit Pretorias für das Amt des Staatschefs, wird beschuldigt, 75 000 Mark Steuergelder für ein privates Bauprojekt veruntreut zu haben.
Der Skandal wäre sicher noch größer gewesen, wenn die Thirion-Kommission statt in nur zwei die Bücher der Häuptlinge in allen elf Stammesgebieten geprüft hätte.
Besonders betroffen fühlen sich vor allem die deutschstämmigen Namibier, die früher als Speerspitze der Reaktion verschrien waren und heute mehrheitlich auf Versöhnung mit den Schwarzen setzen. »Die Luft ist raus«, klagt der Gastronom Franz Gamperl, Inhaber des Dias-Restaurants in der Stadt Lüderitz, die besonders unter dem Aderlaß zu leiden hat.
Der Bremer Großkaufmann Adolf Lüderitz hatte die vom portugiesischen Seefahrer Bartolomeu Dias entdeckte Bucht von Angra Pequena im Jahre 1883 dem Häuptling des Nama-Stammes für 600 englische Pfund und 260 Gewehre abgehandelt. Die Stadt erlebte ihre hohe Zeit, nachdem in der Nähe Diamanten gefunden worden waren. »Das südafrikanische Rothenburg«, so steht es im amtlichen Jubiläumsbuch, »liegt wie ein leises Lächeln inmitten der Todeseinsamkeit zwischen Wüste und Ozean.« Doch der alte Glanz ist längst verblichen. Die Todeseinsamkeit beginnt auch von der Stadt Besitz zu ergreifen.
»Lüderitzbucht muß leben«, schrieben Einheimische kürzlich anläßlich der Hundert-Jahr-Feier auf die selbstgezimmerten Schaubuden. Aber die frischgestrichenen Türmchen und Giebel mit den flatternden Fähnchen darüber konnten nicht verhehlen: Lüderitz ist eine sterbende Stadt. Hinter den blinden Fenstern leben keine Menschen mehr. Ganze Straßenzüge sind verödet. Vor allem die Jugend hat sich nach Johannesburg, Kapstadt und in die Südwester-Metropole Windhuk zurückgezogen.
Pretoria läßt sich von der Krise in seiner Grundhaltung zur Namibia-Frage nicht beeinflussen. Wirtschaftliche Erwägungen stehen jetzt ganz hintenan.
Nach Jahrzehnten der wirtschaftlichen Nutznießung ist das Land zwischen Oranje- und Kunene-Fluß für die Buren jetzt militärische Pufferzone gegenüber dem Gürtel des schwarzen Frontstaates Angola.
Der Kapstaat betrachtet seine 30 000-Mann-Armee in Namibia als Bollwerk gegen angebliche »rote Gefahr« auf dem Schwarzen Kontinent. »Im Moment«, schrieb ein alteingesessener Südwest-Deutscher an einen Freund in der Republik Südafrika, »haben wir das ganz bestimmte Gefühl, daß man absichtlich den Rest unserer Wirtschaft am Boden zerstört, um uns dann völlig abhängig von Südafrika zu machen.«
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ANGOLA SAMBIA MALAWI NAMIBIA Swakopmund Walfischbai (südafr.) Windhuk Lüderitz BOTSWANA SIMBABWE MOSAMBIK Pretoria Johannesburg REPUBLIK SÜDAFRIKA LESOTHO Kapstadt Maputo SWASILAND Durban Kilometer
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Kolmanskuppe bei Lüderitz.