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FRAUENARBEIT Die Männer sind müde

aus DER SPIEGEL 16/1965

In einer großen Hamburger Werkhalle fingern Ehefrauen, Mütter und Mädchen in weißen Kitteln an blanken Instrumenten. Mit rot oder rosa gefärbten Fingernägeln, toupiertem oder onduliertem Haar, mit Ringen an den Fingern oder einem Goldreif am Handgelenk leisten hier 2200 angelernte Helferinnen Fabrikarbeit.

Während der Schicht tönt mehrmals aus Lautsprechern, jeweils eine halbe Stunde lang, sogenannte funktionale Musik - ein psychologisches Anregungsmittel, das den Anflug von Müdigkeit verdrängt. Eine Musikkommission stellt das Repertoire - meist Tanzrhythmen - nach den Wünschen der Belegschaft zusammen. Diese Radioröhren- und Transistorenfabrik des Philips-Tochterunternehmens Valvo GmbH ist das Musterbeispiel eines modernen Großbetriebes, der zu 90 Prozent Frauen und Mädchen beschäftigt.

Viele werken in viereinhalbstündigen Kurzschichten, die morgens um 7.30 Uhr beginnen. Wer Kinder zu versorgen hat, kann hoch von 16.30 bis 21.00 Uhr 14 bis 16 Mark verdienen, wenn der Familienvater von seiner Arbeitsstelle zurückgekehrt ist.

Mehrere hundert Frauen kamen aus Warenhäusern, Supermärkten, Frisiersalons und aus dem Gastgewerbe zu Valvo. Die ehemaligen Verkäuferinnen, Friseusen und Serviererinnen bevorzugen den Werksaal, weil sie sich dort trotz teilweiser Fließbandarbeit nicht so in der Tretmühle fühlen wie im Dienstleistungsgewerbe. Vor allem schätzen sie die genau geregelte Arbeitszeit und das freie Wochenende. Kaum ein Valvo-Mädchen erzählt draußen, daß es in der Fabrik arbeitet, sondern umschreibt den Arbeitsplatz als Labor. Das

klingt vornehmer und kennzeichnet auch treffend das Milieu.

Valvo ist kein Potemkinsches Dorf des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. In vielen modernen Betrieben herrscht die gleiche freundliche Atmosphäre, die den Frauen den Gelderwerb erleichtert. Im Pfälzer Weindorf Kleinkarlbach zum Beispiel hat der Chef der Kunststofftuben-Fabrik C. F. Spiess & Sohn eine Fertigungsmethode ausgeklügelt, die jeder Arbeiterin die Chance bietet, ihren Arbeitsrhythmus selbst zu bestimmen. Sie kann auf den Pfennig genau nachrechnen, wie flott ihre Hände gewerkelt haben.

In einem verschlossenen Holzkasten ticken an der Stirnwand des Fabriksaales elektrische Leistungsmesser, die mit jedem Maschinenplatz verbunden sind und automatisch registrieren, wie oft jede Helferin ihren Handgriff getan hat.

Mit etwa 535 Mark brutto monatlich zahlt sich beispielsweise für eine Ungelernte, die vor einer Bunddruckmaschine thront, konzentrierter Eifer aus. Während der Acht-Stunden-Schicht muß sie etwa 13 000mal eine vorgewärmte Plastiktube auf einen Kolben stecken und dann mittels Hebeldruck der gesichtslosen Plastikhaut die vorbereitete Druckschrift aufprägen. Betätigt sie ihren Hebel nur 10 600mal täglich, würde sie am Monatsende 494 Mark in der Lohntüte finden.

Der geldverheißende Holzkastengeist spornt selbst jene Arbeiterinnen an, die sich nur für sechs, vier oder nur für zwei Wochen verdingen. »Wir haben«, erläutert Dr. Spiess, »eine Art Stammpersonal von Frauen, die immer wieder für kurze Zeit zu uns kommen, weil ihnen in ihrem Budget ein bestimmter Betrag fehlt. Sie wollen einen Kühlschrank kaufen oder einen Pelzmantel, und dafür arbeiten sie dann tüchtig.«

Die Firmenleitung pflegt den Kontakt zu dieser Kräftereserve sehr sorgsam. Dr. Spiess: »Wir schreiben sie immer mal wieder an und fragen, ob sie sich erneut einen Wunsch erfüllen wollen.«

Noch niemals war Deutschlands Weiblichkeit so willig, durch eine bezahlte Tätigkeit außer Haus mitzuhelfen, daß die Familie die nächsthöhere Sprosse des Wohlstandes erklimmt. Nach den letzten Aufrechnungen des Statistischen Bundesamtes rekrutiert sich das Heer der Arbeiter, Angestellten und Beamten zu 39 Prozent aus Mädchen und Frauen

Seit 1950 ist die Zahl dieser Arbeitsbienen von 7,3 Millionen auf 9,1 Millionen angestiegen, davon sind etwa fünf Millionen verheiratet. Etwa jede zweite Ehefrau verdient sich ein Zubrot

- vielfach neben ihren Mutterpflichten,

denn jede dritte Erwerbstätige hat Kinder zu betreuen. Allein in den letzten zweieinhalb Jahren stießen 700 000 Frauen und Mädchen neu in einen Beruf. Selbst jede achte Großmutter über 60 Jahre ist noch fest engagiert, und sei es als Büropflegerin.

Seit es immer schwerer wird, in italienischen, spanischen oder türkischen Gefilden Hilfswillige aufzutreiben, werben Industrie und Handel auch um Helferinnen, die ihnen früher nie sonderlich willkommen waren. Berufsungewohnte Hausfrauen, zwischen Küche und Kinderzimmer einherpendelnde Muttis und sogar gereifte Matronen sind heute als industrielle Hilfskräfte ebenso begehrt wie Stripteaserinnen im Nachtgewerbe.

»Ein Ausscheiden der Frauen aus dem Wirtschaftsprozeß wäre nicht mehr vollziehbar«, behauptet das Deutsche Industrieinstitut, die Meinungsfabrik der Großindustrie. Das Volkseinkommen würde um ein Sechstel vermindert und die allgemeine Kaufkraft jährlich um rund 50 Milliarden Mark sinken, wenn sie plötzlich die Arbeit niederlegten.

Manche Wirtschaftszweige haben sich in den letzten Jahren zu regelrechten Frauendomänen entwickelt. So beherrscht die Weiblichkeit zu 80 Prozent den gesamten Einzelhandel, zu 85 Prozent die Zigarrenfabrikation und zu 63 Prozent die Zigarettenfertigung.

Selbst auf dem klassischen Männer -Arbeitsfeld des Maschinen- und Apparatebaus ist jeder siebente Fabrikarbeiter weiblich. Die bundeseigene Howaldtswerke AG in Kiel bildete Frauen sogar als Schweißerinnen aus. Mit ihren Elektrowerkzeugen steppen sie für 3,40 bis 3,60 Mark Stundenlohn Halbfertigteile zusammen. Zur Zeit schweißen sie an den Wänden der Fischerei -Fabrikschiffe, die für die Sowjet-Union bestimmt sind, und demonstrieren in ihren blauen Overalls daß sie typische Männerarbeit übernommen haben.

Im östlichen Teil Deutschlands roboten Millionen Frauen bereits seit Jahren in allen nur denkbaren Berufen - sogar im Bergwerk, am Hochofen, im Straßenbau, als Maurer oder Kranführer. 71 Prozent aller DDR-Bürgerinnen sind in den Produktionsprozeß eingespannt; damit hält die mitteldeutsche »Arbeiter- und Bauernrepublik« einen Rekord unter allen Industrieländern.

Das Gros der westdeutschen Industriehelferinnen braucht sich nicht so hart zu plagen. Im Volkswagenwerk zum Beispiel verrichten die 9000 Arbeiterinnen (zwölf Prozent der Gesamtbelegschaft sind weiblich) leichte Hilfs - und Montagearbeit. Mehrere hundert sticheln die auf einem Fließband langsam vorbeigleitenden Stoffbezüge der Wagensitze und Rückenlehnen zusammen. Während der mechanischen Handgriffe bleibt ihnen noch Zeit für einen kurzen Schwatz. Alle zwei Stunden ruht das Transportband zehn Minuten lang.

In der Karosserie-Ausstattung befestigen wendige Maiden die Kunststoffhimmel unter den Wagendächern. Kein Mann wollte in Wolfsburg diese »Über -Kopf-Arbeit« übernehmen, bei der die Arme erlahmen und der Nackenwirbel schmerzt. Besser haben es die Muli -Chauffeusen, die Bedienerinnen der Elektrokarren, die von einer Abteilung in die andere Material befördern.

Eine ältere Werksfrau qualifizierte Respektsperson - dirigiert die sogenannte Hochzeit: Während auf dem Montageband ein Chassis nach dem anderen heranrückt, schweben an einem Seilzug die Karosserien heran. Auf Knopfdruck stülpt sich jeweils im richtigen Augenblick eine Blechhaube über das darunterstehende Fahrgestell.

»Das einzige Problem sind die Schwangeren«, sagt der aufsichtführende Meister. »Manche fehlen schon vor Beginn der gesetzlichen Schonzeit sehr oft oder brechen die Schicht ab. Dann kreischen die anderen: 'Die simuliert doch nur.'«

Der Werkstatistiker registriert jedes Jahr etwa 600 werdende Mütter. In der Kabelfertigung erwartet zur Zeit jede 13. Frau ein Kind. Die Schwangeren werden rechtzeitig auf Schonplätze versetzt und dürfen zehn Minuten vor Schichtschluß die Arbeit beenden, so daß sie in der Waschkaue und am Werktor nicht in das Gedränge des Hauptschwarms geraten.

Grundsätzlich hat der König von Wolfsburg, Professor Dr. Heinz Nordhoff, die Einstellung von Ehefrauen verboten, aber er kann kein Arbeitsmädchen entlassen, wenn es sich verheiratet und Kinder kriegt.

Ähnlich wie Nordhoff verurteilen auch christdemokratische Familienpolitiker die Frauenarbeit aus grundsätzlichen Erwägungen. Ihre Argumente sind identisch mit denen des Kommunisten -Vaters Friedrich Engels. Karl Marxens Kampfgenosse warnte vor 120 Jahren: »Die Vereinigung beider Geschlechter und aller Alter in einem Arbeitssaale, die unvermeidliche Annäherung zwischen ihnen, die Anhäufung von Leuten, denen weder intellektuelle noch sittliche Bildung gegeben worden ist, auf einem engen Raum ist nicht geeignet, von günstigen Folgen für die Entwicklung des weiblichen Charakters zu sein ...«

Die skandalösesten Mißstände entdeckte der Ursozialist um 1850 in den englischen Kohlengruben, wo »wegen der dort herrschenden Wärme Männer, Weiber und Kinder in vielen Fällen ganz und in den meisten beinahe nackt arbeiten. Was die Folgen davon in der finstern, einsamen Grube sind, mag sich jeder selbst denken. Die Zahl der unehelichen Kinder, die hier unverhältnismäßig groß ist, spricht für das, was ... dort unten vorgeht«.

Obwohl sich die Arbeitswelt seit Marx und Engels verändert hat, ist das Thema »Sex am Arbeitsplatz« nach Ansicht der Betriebspsychologen auch heute noch sehr aktuell. »Der Ton im Werk ist nicht immer gut«, sagt ein leitender Sozialpraktiker der Wolfsburger VW-Fabrik, der die Montagsgespräche der Arbeiterinnen belauschte. »Die alten Mädchen zwischen 30 und 40 äußern sich oft sehr drastisch über ihr Liebesleben und ergehen sich nach jedem Wochenende in Detailschilderungen.«

Die Sozialabteilung veranlaßte, daß die jüngsten Arbeiterinnen zwischen 15 und 17 in einer Abteilung zusammengefaßt wurden, wo sie nur wenig Kontakt mit den älteren Kolleginnen haben.

»Harmlos ist die Frau dem Manne gegenüber überhaupt nicht«, behauptet der Betriebsanalytiker Kroeber-Keneth. »Aus rheinischen Warenhäusern etwa wird berichtet, daß der neu eintretende Substitut unter den Verkäuferinnen ausgelost wird.« Soziologie-Professor Dr. Helmut Schelsky sagt der berufstätigen Frau »erotische Enthemmung« nach.

Erfahrene Personalchefs urteilen jedoch milder; so der Abteilungsleiter der Versicherung »Deutscher Ring« in Hamburg, Wilhelm Cordes: »Flirtbetrieb kommt schon mal vor, doch das bleibt in Grenzen. Aus der Kollegialität am Arbeitsplatz entstehen oft die besten Ehen.« Etwa jedes vierte Paar, das während der letzten drei Jahre in Hamburg getraut wurde, lernte sich am Arbeitsplatz kennen.

Die meisten jungen Eheleute versagen es sich, Kinder in die Welt zu setzen, solange die Frau noch berufstätig sein muß, um am Bau des Familiennestes mitzuhelfen. »Zwischen der Zunahme der Abtreibungen und der Zunahme der beruflichen Tätigkeit besteht ein enger Zusammenhang«, erklärte der Chef der Ludwigshafener Frauenklinik, Professor Dr. Otto Kleine, vor sieben Jahren.

Dr. Harald Modde, früherer Assistent am Hygiene-Institut der Berliner Universität, befürchtete sogar, daß Frauenarbeit die Empfängnisfähigkeit herabsetze, und Dr. Ferdinand Oeter vom Deutschen Ärzteblatt schrieb 1962, daß die Berufstätigkeit der Frauen zum »vorzeitigen Erlöschen der Genitalfunktionen« führe und wegen der »besonderen vegetativnervösen Anfälligkeit« ein »Gefühl der Leere im Kopf« heraufbeschwöre.

Der Direktor der Würzburger Universitäts-Frauenklinik, Professor Dr. Horst Schwalm, stellte dagegen 1962 nach Reihenuntersuchungen fest: »Wenn in Aufsätzen aus früheren Jahren wiederholt behauptet wurde, daß bei berufstätigen Frauen etwa Unterleibsentzündungen, Fehlgeburten, Senkungserscheinungen öfter aufträten und daß dies durch die Berufstätigkeit hervorgerufen sei, so können diese Zahlen heute nicht mehr als überzeugend angesehen werden.«

Die offiziellen Familienpolitiker fürchten jedoch weiterhin um ihre Nachwuchsplanung und propagieren das alte Gartenlauben-Idol des Heimchens am Herd. »Aufgabe der Frau ist es, sich vom Krampf der modernen Lebensform zu lösen und im Hause für Familie und Kinder zu sorgen«, proklamierte die CDU-Führung auf einem ihrer letzten Parteitage.

»Noch nie sind die heilenden Kräfte der Familie notwendiger gewesen als heute«, so beschwor Bundesfamilienminister Heck die jungen Mütter, ins häusliche Reich zurückzukehren. Und Bundespräsident Heinrich Lübke las in einer seiner Fernsehansprachen an das deutsche Volk vom Blatt: »Weder Berufsfreude noch Genugtuung über einen hohen Lebensstandard dürfen darüber hinwegtäuschen, daß alles dies mit dem Verlust innerer Werte bezahlt werden muß. Je besessener sich beide Eltern im Beruf abrackern, um reich zu werden, destor ärmer werden sie und ihre Kinder.«

Großzügiger als die weltlichen Moraltheoretiker gab indes die Katholische Kirche der weiblichen Lust am Mitverdienen ihren Segen. Papst Johannes XXIII. verkündete 1962 auf einer öffentlichen Kundgebung in Mailand: »Die Frau ist im gleichen Maße wie der Mann zur Mitarbeit am Fortschritt der Gesellschaft berufen.« Und Jesuitenpater Klemens Brockmöller behauptet, »daß in Zukunft die berufstätige Ehefrau der 'Normaltyp' der mitarbeitenden Frau in der Industriegesellschaft« sein werde.

»Wenn heute eine junge Frau heiratet«, so erläuterte er in seiner Streitschrift »Industriekultur und Religion«, »steigt sie zunächst wirtschaftlich ab. Bis zur Heirat hat sie ein eigenes Einkommen. Nach der Heirat sollen nun beide nur von dem Einkommen des Mannes leben.«

So werde »ein Konsumverzicht erzwungen, was besonders schwer wirkt, weil in der industriellen Gesellschaft die soziale Geltung nicht mehr nach der Gliedschaft in einem gehobenen Stand, sondern nach dem gehobenen Konsum beurteilt wird«.

Viele Gattinnen und Mütter werkeln aber nicht nur für Auto, Fernseher, Schwarzmeer-Reise und die schicken Lederhosen, die das Töchterlein unbedingt haben muß. Sie arbeiten - wie das Statistische Landesamt Hamburg mit Erstaunen konstatierte - »aus Verbundenheit mit einer vor der Ehe ausgeübten Erwerbstätigkeit«.

»Zu Hause«, sagte eine Verkäuferin der Soziologin Dr. Elisabeth Pfeil, »da versäumt man so viel vom Leben.« Und eine Telephonistin meinte: »Man hört und sieht nichts mehr, höchstens, was man in der Zeitung liest, und der Mann ist abends auch müde und sagt nicht viel.«

Die Angst vor der häuslichen Leere erklärt auch, warum Millionen Fabrik - und Büroarbeiterinnen länger im Beruf bleiben, als es noch vor Jahren üblich war. Das Frauenreferat des Deutschen Gewerkschaftsbundes stellte fest, daß von 100 Frauen 62 seit der Schulentlassung ununterbrochen im Beruf standen. Die übrigen hatten ein- oder mehrmals ausgesetzt - durchschnittlich für vier Jahre -, weil sie die Kleinkinder nicht allein lassen konnten.

Von den befragten 25- bis 29jährigen waren Dreiviertel, von den 30- bis- 39jährigen rund die Hälfte seit dem Ende der Schulzeit ohne Unterbrechung berufstätig. Diese Frauenliebe zum Beruf wird jedoch - nach Ansicht der Gewerkschaften - schnöde honoriert.

Freilich sind in der Bundesrepublik Männer und Frauen nach dem Grundgesetz gleichberechtigt; bis 1955 ignorierten die Unternehmer aber dieses Prinzip bei der Lohn- und Gehaltszahlung. Dann entschied das Bundesarbeitsgericht in mehreren Prozessen: »Der Lohn darf nur nach der zu leistenden Arbeit ohne Rücksicht darauf bestimmt werden, ob sie von einem Mann oder von einer Frau erbracht wird.«

In dem Urteilstext wiesen die Bundesarbeitsrichter aber auch den Verlierern die Umgehungskurve. Sie deuteten an, daß keine rechtlichen Bedenken bestünden, wenn die Unternehmer die Lohngruppen nach leichter und schwerer Arbeit staffelten und die Frauen dann als »Leichtarbeiter« einstuften.

Der Wink wurde prompt befolgt. Seither werden selbst Frauen, die bei 28 Grad Raumtemperatur 400mal am Tag die Hebel von Bügelmaschinen bedienen, mit dem zweitrangigen Leichtlohntarif abgespeist. Männer hingegen werden selten so stark abqualifiziert; als Leichtarbeiter gelten allenfalls Toiletten- und Waschraumwärter, Parkplatzwächter oder Botenjungen.

Die DGB-Frauenreferentin Maria Weber nennt es eine schreiende Ungerechtigkeit, daß die Tarifsystematiker vorwiegend Muskelkraft bewerten. Durchschnittlich verdienen Industriearbeiterinnen nur 67 Prozent des Männerlohnes. Noch größer ist der Unterschied zwischen den Durchschnittsgehältern der weiblichen und der männlichen Angestellten.

Auch bei der Verteilung der Arbeitsplätze schneiden die Frauen schlechter ab. »In den unteren Gruppen herrschen die weiblichen Wesen vor, in den mittleren dominieren schon die Männer«, klagt die Vorsitzende des Verbandes der weiblichen Angestellten, Friedel Rühl, »und auf den oberen Sprossen muß man die Röcke mit der Lupe suchen.«

Von allen Frauen, die sich in Handel und Gewerbe, Industrie, Verwaltung und im öffentlichen Dienst betätigen, sind nur sechs Prozent als Facharbeiter eingestuft. Nur drei Prozent aller weiblichen kaufmännischen und technischen Angestellten stießen in eine höhere Gehaltsklasse vor.

Obwohl nahezu jeder dritte Studienplatz von Studentinnen wahrgenommen wird und der Frauenanteil an den Hochschulabsolventen nicht geringer ist, wurden nur 1,2 Prozent Frauen in die höhere Bundesbeamtenlaufbahn aufgenommen. Nur 2,5 Prozent aller Richter und Staatsanwälte sind weiblich. Von den 3203 Lehrstühlen der deutschen Hochschulen sind nur 26 mit einer Frau besetzt (0,8 Prozent).

Der Grund dafür, daß Frauen »in Schlüsselstellungen den Seltenheitswert

exotischer Geschöpfe haben« (Professor Dr. Emmy Wingerath), liegt wohl in dem, was der Leipziger Gelehrte Paul Möbius einst als den physiologischen Schwachsinn des Weibes« definierte.

Seit Adam zum erstenmal interessiert erkundete, was Gott Vater da aus seiner Rippe geschnitten hatte, ist allgemein bekannt, daß Evas Organismus eigenen Gesetzen unterliegt. Die Statistiken der Arbeitsverwaltung und der Krankenkassen wiesen zwar nach, daß Frauen nicht öfter die Arbeit hinwerfen und die Stellung wechseln oder krankfeiern als ihre männlichen Kollegen.

Aber, so sagt der Hamburger Ingenieur Professor Johannes Riedel: »Die Frau besitzt ein etwas geringeres Hirngewicht als der Mann. Auf diesen Unterschied wird das Übergewicht der bewußten Funktionen (Logik) beim Mann, der unbewußten (Intuition) bei der Frau zurückgeführt.« Für das Deutsche Industrieinstitut ist »bisher noch nicht eindeutig festgestellt«, ob »sich geistig, das heißt vor allem intelligenzmäßig, qualitative Unterschiede zwischen Mann und Frau aufzeigen lassen«.

Die meisten Arbeitgeber bezweifeln indes, daß Frauen für Vorgesetzten -Funktionen so gut geeignet sind wie Männer. Das Management der Wirtschaft ist daher ein Männerklub geblieben, dessen Mitglieder wenig Neigung verspüren, der Frau den Aufstieg in qualifizierte Stellungen zu erleichtern oder sie auch nur zum Aufstieg zu ermutigen.

Eine hochbegabte dreißigjährige Betriebswirtin mit Kaufmannsdiplom, die sich nach sechsjähriger verantwortlicher Tätigkeit verändern wollte, annoncierte kürzlich ihre Fähigkeiten als Stellengesuch in einer großen Tageszeitung: »... Im Ausland erworbene englische und französische Sprachkenntnisse, zuletzt stellvertretende Abteilungsleiterin, gründlich vertraut mit dem Arbeitsstil einer großen Verwaltung.« Sie erhielt darauf nur eine einzige Zuschrift.

Noch mehr enttäuscht war eine stellungsuchende Diplom-Chemikerin. Ihre Bemühungen um eine Position, die ihrer akademischen Ausbildung entsprach, verliefen so dornenvoll, daß sie schließlich ihr Diplom verleugnete und sich als einfache technische Hilfskraft bewarb. Damit hatte sie sofort Erfolg.

Um der Abneigung gegen »leitende Frauen« auf den Grund zu gehen, ließ das Rationalisierungskuratorium der Deutschen Wirtschaft (RKW) die beiden Fragenkomplexe »Das berufliche Fortkommen der Frauen« und »Frauen als Vorgesetzte« von zwei Studiengruppen untersuchen. Fazit der Untersuchung: Die berufstätige Weiblichkeit müsse schon in jungen Jahren besser geschult und systematisch für höhere Ausgaben trainiert werden. Die oberste DGB -Frau, Maria Weber, gab dazu die Parole aus: »Ausbildung ist wichtiger als Aussteuer.«

Jahrelang holten sich die industriellen Massenbetriebe ihren Hilfsarbeiterinnen-Nachwuchs direkt von der Volksschulbank, aber dieser billige Einkauf ungelernter Arbeitskräfte geriet mittlerweile ins Stocken. Nach der letzten statistischen Übersicht schwärmen nur noch zwölf Prozent aller Maiden eines Jahrganges - überwiegend Hilfsschülerinnen als Ungelernte in die Betriebe.

Alle übrigen wollen auf Ober-, Mittel- oder Fachschulen oder durch eine ordentliche Lehre Rüstzeug für den Start in eine gehobene Berufslaufbahn erwerben. 1950 schloß nur jede fünfte Volksschulabgängerin einen Lehrvertrag ab, 1960 jede zweite.

Die ersten Früchte dieser Aufgradierung reiften bereits. So registrierten zum Beispiel die Industrie- und Handelskammern bei den Bilanzbuchhalterprüfungen ein Drittel Frauen. Der Nachwuchs der Dentallabors und -depots rekrutiert sich zu 83 Prozent, die junge Zeichnergarde in den Architekten- und Ingenieurbüros zu 70 Prozent aus weiblichen Arbeitswilligen.

In diesem Jahr will die Bundesregierung auf Antrag der CDU und der SPD nach amerikanischem Muster eine Frauen-Enquete ausarbeiten lassen, in der unter anderem weitere Förderungsmöglichkeiten vorgeschlagen werden sollen.

Nach den Berechnungen der Berufsstatistiker werden in zehn Jahren schon mehr Frauen als Männer im Erwerbsleben stehen.

Fabriksaal der Valvo-Werke in Hamburg: Während der Schicht Tanzmusik

Schweißerin

Zigarettenpackerin

Maschinenbuchhalterin

Mechanikerin

Tankwartin

Straßenbahnschaffnerin

Weiblicher Zimmermann

Kranführerin

Moderne Frauenberufe: Das Management blieb ein Herrenklub

Familienminister Heck

Heim ins häusliche Reich

Familien-Idyll der »Gartenlaube« (1906): »Die Frau ist zur Mitarbeit ...

... am Fortschritt berufen": Familienmutter im Volkswagenwerk (am Steuerpult)

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