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TABAK Die männliche Note

aus DER SPIEGEL 4/1962

Sechs Wochen lang zog ein Team junger Werbetechniker mit einer italienischen Musikband durch das Industrierevier um Stuttgart. Jeden Abend lockten die Reklametrommler Hunderte italienischer Gastarbeiter in Säle und Turnhallen.

Mit einem bunten Programm - heiße Rhythmen und Quizspielereien - versuchte die Bremer Tabakfirma Brinkmann GmbH den Ausländern beizubringen, was die meisten deutschen Arbeiter während der letzten Wohlstandsjahre fast verlernt haben: das Pfeiferauchen. Während der Unterhaltungsdarbietungen wurden Pfeifen und Tabakpäckchen unter das Publikum gestreut - just nach der Methode des Ölmagnaten John Davison Rockefeller, der im vergangenen Jahrhundert Petroleumlampen an die Chinesen verteilte, um sich einen breiten Kundenstamm ständiger Brennölverbraucher zu sichern.

Der größte deutsche Rauchtabakproduzent hofft sich mit dieser ungewöhnlichen Kundenwerbung einer Absatz- und Strukturkrise entziehen zu können, der in den vergangenen Jahren schon viele kleine Betriebe zum Opfer gefallen sind. Seit 1950 ist der Rauchtabakverbrauch um die Hälfte zurückgegangen, der Zigarettenumsatz hingegen hat sich verdreifacht. (1960: 70,253 Milliarden Stück.) Während 1936 noch 2400 westdeutsche Firmen an der Produktion von Pfeifentabak und Feinschnitt beteiligt waren, veredeln heute nur noch etwa drei Dutzend Unternehmen Rohtabak für den konservativen Pfeifenraucher. Holland mit seinen 11,5 Millionen Einwohnern verbraucht die gleiche Menge Rauchtabak wie Westdeutschland mit 53,7 Millionen Bürgern.

Nur die wirtschaftlich stärksten Firmen, wie die Brinkmann GmbH in Bremen, Landewyck in Trier und mit Abstand die Arnold Böninger GmbH & Co. in Duisburg sowie Dobbelmann in Rees ("Großer Mann, kleiner Mann, alle rauchen Dobbelmann") standen die Krise durch, nachdem sie sich mit raffinierten Werbetricks neue Kundenkreise erschlossen hatten.

»Wir ließen uns vom englisch-amerikanischen Leitbild inspirieren«, sagt Brinkmanns Rauchtabak-Direktor Herwarth Blume. »Die Pfeife mußte von dem Odium des kleinen Mannes befreit werden, der sich nur das Päckchen Krüllschnitt für 60 Pfennig leisten kann.«

Um die hölzernen Rauchgeräte auch in Deutschland gesellschaftsfähig zu machen, gründeten die Brinkmänner schon vor einiger Zeit in Bremen ein Tabakskollegium, das alle zwei Monate in einem hanseatischen Klubraum tagt. Vor paffenden Kaufleuten, Rechtsanwälten, Ärzten und Journalisten halten prominente Ehrengäste wie der Bundesbahnpräsident Heinz Maria Oeftering Vorträge zur Erbauung der Pfeifenkollegen. Anschließend werden scharfe Getränke gereicht, die den Eindruck verstärken, daß hier harte Männer mit Niveau einer echt männlichen Freizeitgestaltung huldigen

Die männliche Note wurde zum Leitmotiv der gesamten bundesdeutschen Rauchtabakwerbung, nachdem Brinkmann seine erste Tabakmischung mit Snob-Appeal - »Golden Mixture«

herausgebracht hatte. Der nach amerikanischer Manier stark gesoßte Tabak leitete eine neue Raucherwelle ein, die durch phantasievolle Verpackung und ausländische Firmencachets hochgepeitscht wurde.

Je glaubwürdiger die Marken als original-amerikanisch, -englisch oder -holländisch aufgemacht wurden, desto besser kamen sie in den gehobenen Raucherkreisen an - beispielsweise »Golden Mixture«, auf deren Verpakkung zweideutig zu lesen steht: »Diese in aller Welt so berühmte Mixture wird in Deutschland von der Tabakfabrik Brinkmann in Bremen hergestellt.« Verkaufsdirektor Blume gibt zu, daß die Mischung nirgendwo sonst hergestellt wird, allenfalls exportiert die Firma Mixture-Produkte.

Eindeutig als holländisch deklarierte Brinkmann seine zweite Erfolgsmarke »Donker Shag« (zu deutsch: »Dunkler Feinschnitt"). Um sie einzuführen, ließ der Chef des Bremer Hauses, Wolfgang Ritter, 1958 in dem deutsch-holländischen Grenzort Geldern eine Firma gründen, die den Namen seines damaligen Direktors und Werbeleiters Horst van Deun trug.

»Die Marke wurde großzügig vorbereitet«, erinnert sich van Deun, der sich wenige Monate nach dem Donker-Start mit Ritter überwarf. »Dann wurde mein Name ausgetauscht.« Ritter schloß einen Lizenzvertrag mit der Koninklijke Tabakfabriek J. & A. C. van Rossem in Rotterdam und ließ im Juli 1959 auf die neuen Umhüllungen drucken: »Nur echt im holländischen Frischbeutel. Zur Zollersparnis in Deutschland hergestellt.« In Reklame-Publikationen wurde behauptet: »Original-Mischung; der gleiche Tabak wie in Holland.«

»Noch bis Ende 1959 war Donker in Holland nahezu unbekannt«, so kommentiert ein ehemaligerVerkaufsknappe von Ritter diese Reklame-Manschette. »Ich selbst habe in Geschäften in Den Haag, Utrecht, Amersfoort, Apeldoorn und Hengelo vergeblich nachgefragt.« Außerdem sei die Werbebehauptung »Der gleiche Tabak wie in Holland« absurd, denn nach dem Tabaksteuergesetz der Bundesrepublik mußten damals 50 Prozent deutsche Blätter (heute 20 Prozent) beigemischt werden.

Schließlich fand Brinkmann-Chef Ritter auch in Amerika Alliierte, die ihn bei seinen Bemühungen unterstützten, mit weiteren Spezialmarken den Kreis der Pfeifenraucher zu vergrößern. Dabei half ihm unter anderem die Rohtabak-Exportfirma Dixon & Hamilton Tobacco Supplier's Inc. in Kinston (North Carolina), in deren Namen Brinkmann eine Spezialsorte »Lincoln« als Lizenzprodukt startete.

Nachdem die weniger potenten bundesdeutschen Tabakfabrikanten festgestellt hatten, daß ihr größter deutscher Konkurrent mit den, Auslandscachets durchschlagenden Erfolg hatte - Brinkmann eroberte mittlerweile etwa 60 Prozent des bundesdeutschen Pfeifentabak- und Feinschnittmarktes -, kreierten auch sie »original amerikanische« Tabakmischungen und vielfach auch die dazu passenden Lizenzfirmen. So annoncierte zum Beispiel vor einigen Monaten eine »Eastriver Tobacco Company Kentucky, USA« in norddeutschen Zeitungen einen neuen »herzhaften Genuß für richtige Männer«, den Feinschnitt »Starliner«. Die attraktiv aufgemachte schwarzweißrote Packung ist heute in vielen Tabakläden zu finden. Schwieriger ist es, die Eastriver Company in Kentucky ausfindig zu machen. Dem amerikanischen Tabakhändler -Verband ist sie völlig unbekannt.

Nur wenige Branchespezialisten wissen, daß die ostfriesische Tabakfabrik J. Bünting & Co. (Leer) einen Rohtabakhändler aus dem amerikanischen Bundesstaat Kentucky gechartert hat, der die Pseudo-Lizenzfirma in Louisville anmeldete. Der Juniorchef von J. Bünting & Co., Onno Klopp, gibt zu, daß es sich um eine Verlegenheitsgründung handelt: »Die Eastriver Company ist für uns gemacht worden.«

Etwa zu der Zeit, als »Starliner« gestartet wurde, versandte die Rauchtabak-Fabrik Heinrich Obermann in Bünde (Westfalen) an die Einzelhändler Rundschreiben, in denen es hieß: »Sehr geehrter Geschäftsfreund! Wir haben von der amerikanischen Firma Carolina Pipe-Tobacco Co. Inc. Wilson, North Carolina das Alleinvertriebsrecht für den Pfeifentabak 'Wilson' erhalten, den wir Ihnen mit diesem Brief vorstellen möchten. Wilson ist eine typische amerikanische Mischung... Ein Genuß für jeden Raucher!... Wilson wird in Deutschland hergestellt und kann dadurch zum günstigen Preis von 2,50 Mark die 50 Gramm geliefert werden.«

Intern verriet Fabrikant Obermann, daß hinter seiner Lizenzfirma ein Deutschamerikaner namens Witzke steckt. »Die Firma selbst produziert nichts«, sagt Obermann junior; man könne sie auch als »Briefkastenfirma« bezeichnen. Doch selbst diese desillusionierende Erklärung ist noch übertrieben. Als die amerikanische Post unlängst der Carolina Pipe-Tobacco Co. einen Brief zustellen wollte, fand sie nicht einmal den Briefkasten. Der Brief kam als unzustellbar zurück.

Gegen solche Pannen hat sich die Arnold Böninger GmbH & Co. in Duisburg gewappnet. Auch Böninger bringt amerikanische Mischungen für den kultivierten Pfeifenraucher heraus, die einer »Tobacco Company Inc. Lancaster Henderson« in North Carolina zugeschrieben werden. Mit einem Amerikaner als Kompagnon gründete Firmenchef Hans-Gert von Sluyterman -Böninger die Company, die nur 500 Dollar Stammkapital besitzt, und richtete dafür auch ein Firmenschild und den Briefkasten her. Über diese Firma gab sich der Duisburger Fabrikant dann selbst Lizenzen für seine Tabakmarken »John Hopkins«, »Spring Hill« und »Harvard«. Der Umweg über Amerika sei heute unvermeidlich, gestand der Tabakmixer einem Geschäftsfreund. Als Beweis führte er die Umsatzsteigerung an, die er mit seinen amerikanischen Marken erzielte.

Neuerdings segelt von Sluyterman auch unter holländischem Cachet. Er brachte eine neue Serie leichter Java-Tabake unter der Marke »Jacob van Hoorn« heraus, die aber noch nicht so gut im Geschäft liegt wie die amerikanischen Sorten.

Ständig auf der Jagd nach neuen Kunden, ist Brinkmann-Chef Ritter der übrigen Branche schon wieder weit vorausgeeilt. »Mit unserer Werbekampagne in den Freizeiträumen der ausländischen Gastarbeiter haben wir ein großes Stück Neuland erobert«, behauptete Ritters Public-Relations-Chef Schröder. In den nächsten Wochen wollen die Brinkmänner im Ruhrgebiet Zehntausende von Italienern, Spaniern und Griechen mit Unterhaltungsrummel und verschenkten Pfeifen für die billigen naturreinen Tabaksorten gewinnen, die der deutsche Facharbeiter aus Gründen des Sozialprestiges nicht sehr schätzt.

Raucher-Schau in Stuttgart

Jedem Italiener eine Pfeife

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