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Die Milliarden des Vatikans

aus DER SPIEGEL 21/1970

Bald nachdem ich 1956 mit meiner Familie nach Rom gezogen war, um dort als Wirtschaftskorrespondent amerikanischer Zeitungen zu arbeiten, hatten wir in unserer Wohnung in der Nähe der Piazza Bologna 28 Tage lang kein Wasser.

Nach mehreren vergeblichen Anrufen bei dem zuständigen Wasserwerk Acqua Marcia erschien endlich ein völlig desinteressierter Installateur, der an den Hähnen herumbastelte. Schließlich kam ein dünner Wasserstrahl, der nach wenigen Stunden schon wieder versiegte. Wir resignierten und fanden uns damit ab, daß wir die Badewanne höchstens fünf Zentimeter hoch füllen konnten und die Toilettenspülung nicht nach jedem Besuch ziehen durften.

Ich wußte damals noch nicht, daß die Acqua-Marcia-Gesellschaft dem Vatikan gehört.

Den Kochkünsten meiner Frau waren in jener Zeit ebenfalls enge Grenzen gesetzt, weil der Gasdruck in unserem Herd so schwach war, daß nur zwei Brenner gleichzeitig funktionierten; brauchte meine Frau eine stärkere Flamme, so mußte sie sich mit einem Brenner begnügen.

Ich wußte damals noch nicht, daß das Gaswerk dem Vatikan gehört.

Auch unser Telephon funktionierte nicht richtig: Meist kamen aus der

1970 Molden Verlag, Wien.

Hörmuschel nur knackende Geräusche, und oft wurde das Gespräch plötzlich getrennt.

Ich wußte damals noch nicht, daß die zuständige Telephongesellschäft zum größten Teil dem Vatikan gehört.

Später sollte ich noch entdecken, daß unser Haus von einer Gesellschaft unterhalten wurde, die im Besitz des Vatikans ist. Diese Gesellschaft war übrigens auch Eigentümer sämtlicher Häuserblocks zu beiden Seiten der Straße.

Wie Millionen anderer römisch-katholischer Christen hatte ich zuvor nie über die kommerziellen Interessen des Vatikans nachgedacht. Nie hatte ich mir den Vatikan als Hauswirt, als eine finanzielle Institution oder als eine Organisation vorgestellt, die sich mit Gewinn und Verlust, Aktiva und Passiva, Einnahmen und Ausgaben befaßt.

Die Vorstellung, daß der Kirchenstaat ein Hauptquartier des »big business« sei, war mir nicht gekommen. Ich hatte auch nie daran gedacht, daß der Papst reich oder die Kirche nicht nur eine religiöse, wohltätige und erzieherische Einrichtung, sondern auch ein gewaltiges Finanzimperium sei.

Erst nach den Heimsuchungen in meiner Wohnung an der Piazza Bologna stellte ich mir die Frage: Wie reich ist eigentlich der Papst? Oder anders formuliert: Wieviel Geld besitzt die römisch-katholische Kirche? Die Frage war nur schwer zu beantworten, denn die Finanzoperationen des Vatikans sind in tiefes Geheimnis gehüllt. Er ist der einzige Staat der Welt, der nie ein Budget veröffentlicht. Er ist die einzige kirchliche Institution, die ihre Finanztransaktionen streng geheimhält. Seine Unternehmungen sind so verästelt und kompliziert, daß es zweifelhaft erscheint, ob ein einziger Mensch jemals einen vollständigen überblick über den Besitz des Vatikans gewinnen kann.

Der »Besitz des Vatikans« sollte allerdings nicht mit dem sogenannten »Kirchengut« verwechselt werden, das aus Kirchen, alten Gebäuden und Kunstschätzen besteht. Die Kunstschätze der Kirche, von denen sich viele im Vatikanischen Museum befinden, umfassen Tausende von Meisterwerken: Gemälde, Skulpturen, Wandteppiche und Landkarten -- Ihren Wert kann man nicht in Geldbeträgen messen.

»Besitz des Vatikans« bedeutet dagegen jenes Geld, das die Weltzentrale der katholischen Kirche mit Geschäften verdient, umschreibt die Profite, die der Vatikan mit allen Mitteln einzubringen und zu schützen entschlossen Ist. Es ist jene geheimnisvolle Wirtschaftsmacht Vatikan, die selbst fromme Römer »la Bottega del Papa« nennen: den Laden des Papstes.

Der sichtbare Reichtum der 0,44 Quadratkilometer großen Enklave innerhalb der breiten Leoninischen Mauern -- die Kirchenbauten, die Kunstschätze und kostbaren Handschriften -- läßt allerdings nur die Spitze des finanziellen Eisbergs erkennen. Die weitaus größere Macht des vatikanischen Imperiums verbirgt sich unter der Oberfläche.

Sie wäre für Außenstehende kaum erkennbar, würde nicht eine vatikanische Superbehörde verraten, daß hier ein mächtiger Besitz verwaltet wird. Die Präfektur für Wirtschaftsangelegenheiten des Heiligen Stuhls stellt ein Jahresbudget auf, das der Billigung durch den Papst bedarf, liefert Bilanzen für alle Abteilungen der Kurie und überwacht die Wirtschaftsunternehmungen des Vatikans.

Die Präfektur, eine Art vatikanisches Finanzministerium, beaufsichtigt und koordiniert die Tätigkeit aller Behörden, die Mittel der Kurie verwalten. Zu ihnen gehört die sogenannte Verwaltung des Patrimoniums des Heiligen Stuhls mit ihren (früher selbständigen) Unterorganen: der Verwaltung der Güter des Heiligen Stuhls (zuständig für die normalen Einkünfte des Vatikans) und der Sonderverwaltung des Heiligen Stuhls (zuständig für Anlage und Verwendung besonderer Gelder).

Die Sonderverwaltung, 1929 eingesetzt, um jene Gelder anzulegen, die Italien dem Vatikan als Entschädigung für die verlorenen Gebiete des Kirchenstaats zahlte, hatte einst die Grundlage des vatikanischen Finanzimperiums geschaffen. Durch sorgfältige Investitionen vermehrte die Sonderverwaltung die von Italien gezahlten 90 Millionen Dollar auf etwa 550 Millionen Dollar.

Die Sonderverwaltung hatte absolute Handlungsfreiheit, um die sie jeder Geschäftsmann und Finanzminister beneidet haben muß: sie war niemandem verantwortlich. Kein Parlament und keine Regierung kontrollierten sie, Keiner Aktionärsversammlung mußte sie Bericht erstatten,

Dank der vatikanischen Diplomatie und deren zahlreicher Kontakte wurde sie regelmäßig über alle Entwicklungen auf dem laufenden gehalten, die für die wirtschaftlichen Interessen der Kurie Bedeutung hatten. Dadurch war ein Vorsprung vor ihren weltlichen Konkurrenten garantiert. 1967 verlor jedoch die Sonderverwaltung ihre Unabhängigkeit und wurde mit der Präfektur für Wirtschaftsangelegenheiten des Heiligen Stuhls vereinigt.

An der Spitze der Präfektur steht Egidio Kardinal Vagnozzi, ein ehemaliger Spitzendiplomat des Papstes, Jahrgang 1905, lange Jahre Apostolischer Legat in den Vereinigten Staaten. Seine engsten Mitarbeiter sind Cesare Kardinal Zerba, ein italienischer Theologe, der 26 Jahre lang als Untersekretär und dann als Sekretär der Sakramentenkongregation amtierte, und Bischof Paul Marcinkus aus Chicago, der auch der Führung des Instituts für religiöse Werke angehört.

Der Amerikaner Marcinkus und Kardinal Vagnozzi brachten Big-Business-Maßstäbe in das vatikanische Finanzreich. US-Legat Vagnozzi hatte eifrig die amerikanische Wirtschaft studiert; mit Hilfe des amerikanischen Kardinals Spellman hielt er sich über die Ereignisse in der Geschäfts- und Finanzwelt der Vereinigten Staaten auf dem laufenden. Nicht ohne Grund nimmt man daher an, daß niemand innerhalb des Vatikans so eingehende Kenntnisse über die amerikanischen Geschäftspraktiken besitzt wie der Finanzminister des Papstes.

Vor kurzem untersuchte das »American Institute of Management«, eine Organisation, die ·das Management vieler Firmen in der ganzen Welt durchleuchtet, die Wirksamkeit der vatikanischen Geschäfte. Der Kirchenstaat schnitt dabei außerordentlich gut ab. Der Vatikan erhielt 650 von 700 möglichen Punkten für betriebliche Leistungsfähigkeit, 2000 von 2100 möglichen für Führungsqualität und 700 von 800 möglichen für Fiskalpolitik. Das Institut wies darauf hin, daß der Vatikan anderen Unternehmungen einige Lektionen erteilen könne.

Neben Vagnozzi, Zerba und Marcinkus, die das Geld des Vatikans verwalten, stützt sich die Kirche auf ihre »uomini di fiducia« (Vertrauensmänner). die stets die finanziellen Interessen des Vatikans wahren. Der Kreis von Laien, die sich der Nähe des Papstes erfreuen, ist notwendigerweise eng gezogen; es sind wenige auserwählte Vertrauensleute, die den Heiligen Stuhl in der Geschäftswelt vertreten.

Einen Hinweis, ob der Vatikan Zugang zu einer bestimmten Firma gefunden hat, ergeben meist die Namen der Mitglieder des Direktoriums oder des Aufsichtsrats. Industrie- oder Holdinggesellschaften verraten oft die kirchliche Beteiligung, wenn die Namen bekannter Vatikanagenten bei ihnen auftauchen.

Lange Zeit erschien beispielsweise der Name des Conte Enrico Galeazzi in der Liste vieler Aufsichtsräte. Das bedeutete für den Eingeweihten, daß er in der betreffenden Gesellschaft als »Wachhund« für die Interessen des Heiligen Stuhls fungierte.

Galeazzi wurde im März 1966 Präsident der Societa Generale Immobiliare, der im Besitz des Vatikans befindlichen Baugesellschaft, deren Vizepräsident er seit 1952 war, Sein Name erscheint auch in den Aufsichtsräten einiger anderer italienischer Firmen.

Ein weiterer wichtiger »vatikanischer« Name ist jener der Pacellis. Falls einer der drei Fürsten Pacelli (Carlo, Marcantonio, Giulio), die mit Pius XII. verwandt sind, im Aufsichtsrat einer Gesellschaft auftaucht, darf man mit Recht annehmen, daß der Vatikan mehr als einen Minderheitsanteil besitzt.

Weitere mehr oder weniger bedeutende Namen in den päpstlichen Geschäftsangelegenheiten: Luigi Gedda, ehemaliger Präsident der Katholischen Aktion, Carlo Pesenti, Präsident der Zementgesellschaft »Italcementi«, Antonio Rinaldi, Präsident einer privaten Finanzgruppe, und der Anwalt Massimo Spada.

Es gibt kaum ein Gebiet der italienischen Wirtschaft, in dem nicht »Vertrauensmänner« des Vatikans dessen Interessen vertreten. Sie behaupten ihre verantwortlichen Stellungen jahrein, jahraus, bisweilen auf der Basis eines Gewinnanteils, den der Heilige Stuhl aus seiner Investition bezieht.

Viele Jahre lang saß Bernardino Nogara, von 1929 bis 1956 Leiter der Sonderverwaltung des Heiligen Stuhls, im Aufsichtsrat der Montecatini-Gesellschaft (der jetzigen Montecatini Edison). Montecatini ist einer der größten Konzerne Italiens, ja der ganzen Welt. Er befaßt sich mit Bergbau und der Herstellung von metallurgischen Produkten, Kunstdünger, Kunstharzen, Textilfasern, Pharmazeutika, aber auch elektrischer Energie.

Der Umfang der vatikanischen Beteiligung an diesem Riesenunternehmen ISt nicht bekannt; wahrscheinlich besitzt der Heilige Stuhl keine Aktienmehrheit, aber doch sehr wesentliche Anteile. Seit Nogaras Tod haben ihn mehrere Wachhunde des Vatikans im Aufsichtsrat der Gesellschaft ersetzt und nehmen an seiner Stelle an allen wichtigen Entscheidungen teil, etwa an der Fusion der Montecatini mit der Edison Company im Jahre 1966.

Für das Jahr der Fusion meldete die Montecatini Edison Umsätze im Wert von 683,9 Millionen Dollar und einen Reingewinn von 62,6 Millionen Dollar. Der Jahresbericht und die Bilanz für 1967 weisen auf fast allen Tätigkeitsbereichen der Gesellschaft einen beachtlichen Aufschwung aus; der Gesamtverkauf ist auf einen Wert von 854 Millionen Dollar und der Reingewinn auf 66,1 Millionen hochgeschnellt. Die Investitionen der Montecatini bei anderen Gesellschaften belaufen sich auf 942 Millionen Dollar, ihr Grundbesitz auf über 22 Millionen und ihre Industrieanlagen auf annähernd 1,3 Milliarden Dollar.

Ein anderes Beispiel: Die Italcementi, die nach dem Krieg unter die Kontrolle des Vatikans kam und vom päpstlichen »Agenten« Pesenti geleitet wird, erzeugt 32 Prozent des italienischen Zements; sie ist der fünftgrößte Zementproduzent der Erde und der zweitgrößte Europas. 1967 erzielte Italcementi, die über 6500 Arbeiter beschäftigt, einen Reingewinn von 5,5 Millionen Dollar, sie produzierte über 26 Millionen Tonnen. Die Gesellschaft, die Ihren Sitz in Bergamo hat, verfügt über ein Kapital von 51,2 Millionen Dollar.

Bekannt ist, daß die Snia-Viscosa-Gesellschaft in Mailand, die über 70 Prozent der synthetischen Kunstfasern Italiens produziert, von Bankiers des Vatikans gesteuert wird. Sie gehört zwar nicht dem Heiligen Stuhl, steht jedoch in Verbindung mit der Cisa-Viscosa-Gesellschaft (die Viskosefasern und Kunstseide herstellt) und der Saici, die Zellulose erzeugt; an diesen Firmen ist der Vatikan beteiligt. Snia-Viscosa besitzt auch einen beträchtlichen Aktienanteil an einer Baumwollfabrik, der Cotonficio Veneziano, einer vom Vatikan kontrollierten Gesellschaft.

Für das Jahr 1966, als die Snia-Viscosa einen Reingewinn von über 9,7 Millionen Dollar erzielte, verteilte sie eine Dividende von 130 Lire auf jeden ihrer rund 47 Millionen Anteile. Im Jahre 1967, als der Reingewinn gesunken war, verteilte die Gesellschaft trotzdem die gleiche Dividende von 130 Lire, ersuchte ihre Aktionäre jedoch, die Ratsamkeit einer Fusion zu erwägen, die eine »größere Mannigfaltigkeit der Produktion« ermöglichen würde.

Eine der größten Geschäftsfirmen des Vatikans, die Manifattura Ceramica Pozzi, die Ausgüsse, Waschbecken, Toilettenschüsseln, Bidets und anderes Badezimmerzubehör herstellt, befand sich während der letzten sechs Jahre in Schwierigkeiten und mußte jedesmal Verluste berichten. Es war daher keine Überraschung, daß der Vatikan eines seiner »Störungssucher-Asse«, Conte Enrico Galeazzi, als Vizepräsidenten in den Aufsichtsrat der Firma entsandte.

Eine der verästeltsten Gesellschaften im Vatikanbesitz ist die Italgas mit dem Hauptsitz in Turin. Mit einem Kapital von fast 59,9 Millionen Dollar kontrolliert die Italgas Gasgesellschaften in 36 italienischen Städten einschließlich Roms, Turms und Venedigs. Während des Fiskaljahres 1967/ 68 lieferte sie ihren Kunden 679 Millionen Kubikmeter Gas und meldete einen Gewinn von fast 3,5 Millionen Dollar.

Aber auch an der Nationalspeise der Italiener, an den Spaghetti, verdient der Vatikan. Die Molini e Pastificio Pantanella ist eine voll im Vatikanbesitz befindliche Gesellschaft, die verschiedene Sorten von »pasta« produziert. Als einträgliche Nebenprodukte stellt die Pantanella auch »Panettone«-Festtagskuchen und ein Sortiment von 52 verschiedenen Gebäckarten her.

Das sind nur einige der Firmen, an denen der Heilige Stuhl beteiligt ist. Textil-, Munition-, Papier-, Zucker- und Pharmazeutische Fabriken sind weitere Unternehmen, die dafür sorgen, daß die Taschen des Heiligen Vaters nicht leer werden.

Aber auch am italienischen Bankwesen ist der Vatikan beteiligt. Die drei führenden Institute des Landes -- Banca Commerciale Italiana, Credito Italiano und die Banco di Roma -- stehen in enger Verbindung mit dem Vatikan. Gemeinsam mit der vatikaneigenen Bank, der Banco di Sante Spirito (Bank des Heiligen Geistes), verfügen sie über 20 Prozent aller Bankeinlagen Italiens, haben 50 Prozent aller Außenhandelstransaktionen getätigt und zwei Drittel der neuen Aktien und Obligationen auf der italienischen Börse untergebracht.

Bei der Banco di Santo Spirito, die 1605 von Papst Paul V. gegründet wurde und eine der ältesten Banken der Welt ist, beträgt das Gesellschaftskapital 12,8 Millionen Dollar. Die Gesamteinlagensumme von 667 Millionen Dollar im Jahre 1966 konnte die Bank im letzten Jahr auf 729 Millionen Dollar steigern und für 1967 einen Reingewinn von 1,24 Millionen Dollar berichten; gegenüber dem Vorjahr war das eine Steigerung um 226 000 Dollar.

Die Banktransaktionen des Vatikans im italienischen Norden sind heute so verwickelt, daß es fast unmöglich ist, all ihre vielen Verästelungen zu erkunden. Im Alleinbesitz des Vatikans befinden sich: die Banco Ambrosiana in Mailand, die Banca Provinciale Lombarda, Piccolo Credito Bergamasco, Credito Romagnolo, Banca Cattolica del Veneto, Banco di San Geminiano e San Prospero und die Banca San Paolo.

Tausend und abertausend kleine Landbanken in ganz Italien gehören entweder zu 100 Prozent dem Vatikan oder den örtlichen Gemeindebanken. Sie werden durch reisende Finanzfachleute des Vatikans kontrolliert. Viele dieser kleinen Banken liegen im Süden und auf Italiens beiden großen Mittelmeerinseln, Sizilien und Sardinien. Soweit bekannt ist, besitzt der Heilige Stuhl in diesem Gebiet nur die Kontrolle über zwei große Banken -- die Banco di Napoli und die Banco di Sicilia.

Die Bankgeschäfte des Vatikans beschränken sich aber nicht nur auf Italien. Vatikanische Gelder sind in einer Reihe nichtitalienischer Banken deponiert. Einige befinden sich in den USA, viele auch in der Schweiz, wo der Vatikan seine Gelder auf Nummernkonten deponiert hat. Niemand weiß wirklich, wieviel Geld der Vatikan in Schweizer Banksafes liegen hat. Im Besitz des Vatikans befinden sich auch verschiedene Versicherungsgesellschaften, andere werden von apostolischen Finanzleuten lediglich kontrolliert. Zwei bedeutende Gesellschaften, die in die erste Gruppe gehören, sind die Assicurazioni Generali di Trieste e Venezia (Kapital 23,2 Millionen Dollar), die 1967 einen Gewinn von mehr als 4,67 Millionen Dollar erzielte, und die Riunione Adriatica di Sicurta (Kapital 6,9 Millionen Dollar), die einen Gewinn von über 1,27 Millionen Dollar meldete.

In enger Verbindung mit der Banca Commerciale Italiana (die der Vatikan kontrolliert), besitzt die Assicurazioni Generali ein großes Aktienpaket der Montecatini Edison, während umgekehrt die Montecatini Edison ein großes Aktienbündel der Assicurazioni Generall in Händen hat.

Als besonders lukrativ erwies sich der Einfluß des Vatikans auf dem Bausektor: Grundstücke, Hotels und Wohnblöcke zementieren die Wirtschaftsmacht des Vatikans in Italien und im Ausland.

Auf dem Monte Mario in Rom, mit einem Ausblick auf Ruinen und Renaissance-Paläste, steht das meistfrequentierte internationale Hotel Roms, das »Hilton«. Von den Tausenden Gästen, die alljährlich die 400 Räume und Appartements des »Cavalieri Hilton« bewohnen, wissen nur wenige, daß dieses Haus zu drei Viertel der katholischen Kirche gehörte. Durch die Societa Generale Immobiliare (S. G. I.) war der Vatikan an dem »Hilton« auf dem Hügel, das von Hilton International geführt wird, beteiligt.

Die Societa Generale Immobiliare, die größte und älteste Baugesellschaft Italiens, ist seit über einem Jahrhundert im Geschäft. Sie befaßt sich nicht nur mit dem Bauen selbst, auch mit der Planung, mit Investitionen, mit der Produktion von Spezialbaumaterialien und -maschinen sowie mit der Verwaltung. Im Juni 1969 verkaufte der Vatikan die meisten seiner Anteile an der S. G. I. und behielt nur fünf Prozent.

Von 1870 an, als die S.G.I. ihr Hauptquartier von Turin nach Rom verlegte, bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges waren ihre Interessen und ihre Grundstücke auf die Ewige Stadt und deren Umgebung konzentriert. Dann erweiterte sich die Gesellschaft auf ganz Italien, sie wuchs zu einem verästelten Unternehmen an, das Tausende neuer Angestellter in seine Dienste nahm.

In letzter Zeit ist die S.G.I. auch auf dem internationalen Schauplatz erschienen: Sie plant und baut gigantische Wohnprojekte in den USA und in Mexiko und verkauft sie an Privatkunden; sie befaßt sich mit der Entwicklung, Gesamtplanung und dem Bau großstädtischer und suburbaner Zentren und Gemeinden.

Zu weiteren Gesellschaften der S.G.I. gehören: die Compagnia Italiana degli Alberghi dei Cavalieri, die Hotels in Pisa und Mailand führt, Bellrock Italiana und S.A.R.F.E.C., die Spezialbaumaterialien herstellen, und Manifattura Ceramica Pozzi.

In Italien gibt es keine Vorschriften oder Gesetze gegen private Holdinggesellschaften; die S.G.I. kontrolliert mehrere. Eine der größten ist die Societa Generale per Lavori e Pubbliche Utilita (S.O.G.E.N.E.). Sie gehört dem Vatikan, und viele Bauprojekte der jüngsten Vergangenheit wurden von ihr ausgeführt. So baute diese Gesellschaft:

* einen 98 Meter hohen Damm bei Mulargia in Sardinien,

* ein fast 40 000 Quadratmeter großes Hochwasserbett aus Stahlbeton für den Arno bei Pisa,

* einen 37,5 Meter hohen Damm bei Gramolazzo in der Nähe von Lucca,

* einen 86 Kilometer langen Gemeinschaftsaquädukt für die Städte Ascoli und Fermo,

* einen 8995 Meter langen Tunnel für die große Sankt-Bernhard-Autostraße, die Italien mit der Schweiz verbindet, und

* die 6,2 Kilometer lange Autostraße zwischen Chiasso und dem Sankt Gotthard.

Mit einer Sachkenntnis, die sie zu weit mehr als einem durchschnittlichen Vertragspartner macht, produzierte die S.O.G.E.N.E. sogar ganze Fabriken. Die Colgate-Palmolive-Fabrik bei Anzio wurde von Technikern und Ingenieuren entworfen und aufgebaut, die ihre Gehälter vom Vatikan bezogen.

Das gleiche Team baute auch -- für 565 Millionen Dollar -- den Stahl- und Eisenkomplex der Italsider: Dieser Komplex, der größte seiner Art in Europa, erstreckt sich in Taranto über 343 730 Quadratmeter,

Im Jahre 1966 stellte die Baugesellschaft des Vatikans allein in Rom drei Appartementhäuser, sieben Gartenvillen, zwölf Luxusheime, ein Appartementprojekt von fünf Gebäuden, ein Bürogebäude mit Läden und einer Kellergarage, weitere zwei Bürogebäude (mit 174 Büroeinheiten) und ein Projekt von zwölf Gartenvillen fertig.

Auch im Ausland beteiligt sich der Vatikan über die Societa Generale Immobiliare an gewaltigen Bauprojekten. Die meisten Unternehmen der S.G.I. außerhalb Italiens wurden von einer Tochtergesellschaft. der Ediltecno S.p.A., durchgeführt. Sie war eine technische, beratende und Ingenieursplanungsgesellschaft mit Filialbüros in Washington und Paris sowie einem Repräsentanten in New York City. Es gibt auch eine kanadische Gesellschaft: Ediltecno (Kanada) mit dem Sitz in Montreal, ferner eine lateinamerikanische Tochtergesellschaft Ediltecno de Mexico S.A., Sitz: Mexico City.

In den letzten acht Jahren hat die S.G.I. eine Aktienmehrheit -- fast 70 Prozent der gewöhnlichen und 50 Prozent der Vorzugsaktien -- an der Watergate Improvements Inc., Washington, D.C., erworben. Durch diese Gesellschaft spielte der Vatikan eine entscheidende Rolle bei der Vollendung des großen Büro- und Appartementkomplexes am Ufer des Potomac.

Die erste Phase des Projekts wurde 1985 mit der Vollendung von Watergate East abgeschlossen, einem dreizehnstöckigen Bau mit 238 Appartements, 5574 Quadratmeter Geschäftsräumen und rund 20 000 Quadratmeter Parkfläche in vier unterirdischen Etagen. Während der zweiten Phase, die 1987 abgeschlossen wurde, entstand ein dreizehnstöckiges Hotel mit drei unterirdischen Etagen, 221 Appartements, 929 Quadratmeter Geschäftsräumen und einer 3716 Quadratmeter großen Garage; gleichzeitig ein elfstöckiges Bürogebäude mit einer Bürofläche von 16 722 Quadratmeter. Das dritte Baustadium begann 1967 und dauerte bis 1969: Es umfaßte einen Bau mit 144 Appartements in der Nähe von Washingtons Rock Creek Parkway.

In Montreal (Kanada) wurde ein Bauprojekt mit 224 Appartementeinheiten und 9290 Quadratmeter Parkfläche von einer neugegründeten Vatikangesellschaft, der Immobiliare Canada Limited, übernommen. In Frankreich beendete die vatikanische Gesellschaft Société Immobliére Champs Élysées im Jahre 1967 die Arbeit an einem eleganten Bürogebäude mit Marmorfassade an der Avenue des Champs-Élysées. Der neunstöckige Bau mit vier unterirdischen Etagen verfügt über 9129 Quadratmeter Büro- und 8080 Quadratmeter Innenparkfläche.

Diese Details lassen erkennen, daß sich der Vatikan und seine Männer wahrlich eine Nische für ihre Firma in die Welt des »big business« eingemeißelt haben. Das ist um so erstaunlicher, als es eine Zeit gab, in der die Kurie als eine Macht der Armut galt. Der Vatikan -- das war einmal ein Synonym für Bedürfnislosigkeit, Kargheit, ja Dürftigkeit. Die finanzielle Lage des Vatikans war lange Zeit nicht rosig gewesen.

Nach 1815, als der Wiener Kongreß den päpstlichen Staat wiederhergestellt hatte, der jahrelang ein Teil von Napoleons Reich gewesen war, gehörte dem Vatikan ein riesiges Landstück, das die Mitte der Apenninenhalbinsel durchschnitt und die sechs italienischen Staaten voneinander trennte. Der sogenannte Kirchenstaat, der zum Teil durch Schenkung, zum Teil durch die Eroberungen Cesare Borgias um 1600 in den Besitz der Kirche gelangt war, umfaßte 31 600 Quadratkilometer; er war also etwa so groß wie die Niederlande.

Die päpstliche Herrschaft über das Gebiet zeichnete sich durch Unfähigkeit aus. Als Pius IX. im Jahre 1846 den Thron bestieg, bemühte er sich ernstlich um die Einführung von Reformen; aber der Papst besaß weder politische Gaben noch wirtschaftliche Sachkenntnisse. 1848 mußte er vor den aufsässigen Römern in die Festung Gaeta fliehen.

1849 bildete sich in Paris ein Komitee, das eine alte kirchliche Abgabe, den »Peterspfennig«, wiederbelebte. Mit den eingesammelten Geldern sollte Papst Pius IX. unterstützt werden. Priester verteilten Bilder, auf denen der Heilige Vater zu sehen war, wie er im Exil in einem finsteren Verließ auf einem Strohsack schmachtet.

Die Idee zur Wiederbelebung des Peterspfennigs breitete sich rasch über die katholische Welt aus. Vor allem in den USA zeigten sich die Katholiken sehr spendabel.

Heute noch bringt diese freiwillige Spende, die in allen katholischen Kirchen am 29. Juni, dem Tage Peters und Pauls, eingesammelt wird, dem Vatikan etwa 1,5 Millionen Dollar jährlich ein. Der Peterspfennig war ursprünglich eine Steuer, die vor über tausend Jahren in England erfunden wurde. Sie sollte dazu dienen, den angelsächsischen Rompilgern in der Ewigen Stadt Kost und Logis zu finanzieren.

Während des Risorgimento (der italienischen Einigungsbewegung) konnte der Papst den Kirchenstaat aber trotz vielfacher finanzieller Unterstützung nicht mehr halten. Im Gründungsjahr des Königreiches Italien 1860 wurde das Gebiet des Kirchenstaats auf 12 667 Quadratkilometer (mit einer Bevölkerung von etwa 692 000 Menschen) verringert.

Im September 1870 aber zwang Frankreich der Krieg mit den Deutschen, seine Garnisonen vom päpstlichen Boden abzuziehen. Italienische Truppen marschierten In Rom ein und beendeten die weltliche Herrschaft des Papstes.

Pius erklärte sich daraufhin freiwillig zum »Gefangenen« des Vatikans. Während der folgenden 59 Jahre begaben sich sämtliche Päpste ebenfalls in die freiwillige Gefangenschaft des Vatikans. Ihre Haupteinnahmen zu jener Zeit waren außer dem Peterspfennig Gelder aus direkter Besteuerung -- also Gebühren für verschiedene kirchliche Zeremonien wie Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen; auch der Verkauf gestempelten Papiers für Dokumente brachte Einkünfte; dazu kamen Erbschaften (die In einigen Fällen erstaunliche Summen ergaben) und Spenden von Rompilgern.

Ein Prozentsatz der Opfergaben am Heiligtum von Lourdes half ebenfalls. die Kassen des Papstes zu füllen. Messen wurden verkauft, um die Leiden der Verstorbenen im Fegefeuer zu lindern, auch Reliquien, Madonnenbilder, Kerzen, Rosenkränze und Strohhalme vom Strohlager des freiwillig gefangenen Papstes, dazu in, Himmel einzulösende Zinsscheine -- nicht zu vergessen den Verkauf von Ehe-Nichtigkeitserklärungen.

Im Jahre 1870 erhielt der Vatikan vom Bankhaus Rothschild eine Anleihe in Höhe von vier Millionen Mark. Zehn Jahre später gründete eine Gruppe römischer Edelleute, deren Familien seit Jahrhunderten in engen Beziehungen zur Kirche standen, zugunsten des Vatikans eine Bank, die Banco di Roma. Das Kapital stellte die befreundete Aristokratie zur Verfügung.

Die Banco di Roma befaßte sich vornehmlich mit dem Erwerb von Grundstücken. 1882 kaufte sie die Aktienmehrheit einer englischen Gesellschaft auf, die Rom mit Wasser versorgte. Die Gesellschaft änderte ihren Namen in La Societa dell'Acqua Pia Antica Marcia. Der Vatikan übernahm schließlich die ganze Gesellschaft.

1885 kaufte die Banco di Roma auch die Mehrheit an den Anteilen der römischen Verkehrsbetriebe. Die Bank mußte jedoch zweimal ihr Kapital herabsetzen und stand fast vor dem Bankrott.

Irgendwie konnte sich der Vatikan auch während des Ersten Weltkrieges über Wasser halten. 1919 entsandte der Papst einen Vertreter in die Vereinigten Staaten; der Sendbote sollte wegen einer Anleihe in Höhe von einer Million Dollar verhandeln. Der Vatikan hatte aber die Sache offensichtlich falsch angepackt, denn die Anleihe kam nie zustande.

Nur wenige Gläubige wußten, daß der Vatikan 1922, als Papst Benedikt XV. starb, nahezu bankrott war. Wie viele seiner Vorgänger war Benedikt in finanziellen Dingen sehr großzügig gewesen. In seiner Schublade bewahrte er riesige Summen auf; großzügig gab er davon jedem Priester, der mit einer Jammergeschichte zu ihm kam. Der Pontifex stiftete auch persönlich für die Gründung von Schulen, Klöstern und Missionssiedlungen, aber er überlegte nicht einen Augenblick, woher das Geld kam.

Benedikt hatte von Geldangelegenheiten keine Ahnung, sein Nachfolger Pius XI. aber war in finanziellen Fragen noch unbekümmerter. Am Tag nach seiner Thronbesteigung schenkte er den deutschen Kardinälen 26 000 Dollar. Damit sollten sie Landsleuten helfen, die unter dem Wertverlust der Reichsmark gelitten hatten.

Wenige Monate später -- Pius hatte immer noch nicht feststellen lassen, wieviel Geld sich in der päpstlichen Schatzkammer befand -- stiftete er 62 400 Dollar für ein Sanatorium in Frankreich. Im selben Jahr half er Rußland mit 156 250 Dollar, und er öffnete abermals seine Börse, um den Armen von Rom 9375 Dollar zu schenken. 50 000 Dollar spendete er den Opfern des Brandes von Smyrna, 12 500 Dollar dem Katholischen Institut in Köln und 3125 Dollar dem Peretti-Institut. 1923 schenkte er hungernden Deutschen 81 250 Dollar, den Wienern 21 875 Dollar und 20 000 Dollar den Opfern des japanischen Erdbebens.

Als Monsignore Dominique Mariani, ein Sekretär des Kardinalausschusses für die Verwaltung des Besitzes des Heiligen Stuhls, eines Tages Inventur machte, entdeckte er, daß der Vatikan bankrott war. Mit dem neu verliehenen Titel Monsignore Elemosiniere Secreto führte Mariani einige Reformen durch.

Jeden Donnerstag setzte er sich mit Seiner Heiligkeit zusammen und ging die Ausgaben der vergangenen Woche bis zur kleinsten Kleinigkeit durch. Zum erstenmal in der Geschichte des Vatikans wurde jetzt ein vernünftiges Buchhaltungssystem eingeführt.

Die erste Bücherrevision der Kirchengeschichte im Jahr 1928 ergab, daß die Ausgaben des Heiligen Stuhls an manchen Tagen 5000 Dollar erreichten. Die Bücherrevision förderte jedoch »verlorene« 55 000 Dollar ans Tageslicht, die die Rettung brachten.

Da wurde 1929 der Vatikan von einem Mann saniert, den der Papst einen Teufel genannt hatte: von Italiens faschistischem Diktator Benito Mussolini. Er tat mehr für den Heiligen Stuhl als jeder andere Mann, jeder Kleriker, jeder Papst. Mit seinem Namen verband sich ein Wendepunkt der vatikanischen Wirtschaftsgeschichte.

IM NÄCHSTEN HEFT

Mit 90 Millionen Dollar rettet Benito Mussolini den Vatikan vor dem Bankrott -- Papst-Intimus Nogara gründet das Wirtschaftsimperium des Vatikans -- Der Vatikan produziert Granaten für den Abessinien-Krieg

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