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DÄNEMARK / MEHRWERTSTEUER Die neue Fron

aus DER SPIEGEL 45/1967

Dänische Muttis haben westdeutschen Hausfrauen eines voraus: Sie hassen die Mehrwertsteuer schon jetzt.

Seit die Regierung König Frederiks IX. im Juli dieses Jahres die neue Steuer (auf dänisch »Mervaerdiomsaertningsafgift« oder kurz »Moms« geheißen) einführte, schwappt eine Teuerungswelle bisher unbekannten Ausmaßes über das Land an Belt und Sund. In der Bundesrepublik tritt die Mehrwertsteuer erst am 1. Januar nächsten Jahres in Kraft.

Von einem Tag auf den anderen verteuerte die Moms die meisten Lebensmittel, den Gang zum Friseur, Benzin, Autoreparaturen sowie Bier, Wein und Schnaps um rund zehn Prozent. Die Preise für Zigaretten, Nagellack, Salz stiegen um elf bis zwölf Prozent. Kinos und Theater, aber auch die meisten Fisch- und Fleischhändler schlugen sogar 13 bis 16 Prozent auf.

Noch nie war in Dänemark die Empörung über eine Regierungsmaßnahme so groß wie über die neue Steuer, die -- wie künftig in der Bundesrepublik -- die sogenannte Wertschöpfung aller Unternehmen einheitlich mit zehn Prozent Abgaben belastet. Noch nie gingen seit Kriegsende so viele Dänen auf die Straße, um gegen ein neues Gesetz zu protestieren.

Vor Kopenhagens Schloß Christiansborg, dem Sitz Finanzminister Henry Grünbaums, versammelten sich am Tage der Einführung 5000 Demonstranten und forderten die Wiederabschaffung der Abgabe. Auf Plakaten verkündeten sie: »Die Moms schadet Dänemark!« Und, in Anspielung auf den stadtbekannten Provo Ole Grünbaum, den Sohn des Ministers, riefen sie im Chor: »Grünbaum, schneid« deinem Ole erst mal die Haare, bevor du uns berupfst!«

Grünbaum wählte die Mehrwertsteuer ähnlich wie sein westdeutscher Kollege Franz-Josef Strauß aus Gründen der Harmonie. Nach einem Beschluß des Ministerrats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sollen bis 1970 alle EWG-Länder die einheitliche Abgabe einführen. Dänemark, das bislang nur der Kleinen Freihandelszone Efta angehört und wie England einen Aufnahmeantrag bei der Brüsseler EWG-Zentrale abgegeben hat, zeigte EWG-Verbundenheit und erfüllte die Empfehlung schon im voraus.

Seitdem reißt die Welle des Protestes gegen die EWG-Steuer nicht mehr ab. Vor dem Kopenhagener Freiheitsdenkmal, das an die Befreiung der Bauern von der Fronpflicht Im Jahre 1788 erinnert, legten betroffene Bürger der Hauptstadt einen Kranz nieder und klagten: »Jetzt ist der Zehnte wiedergekommen.«

Der heftigste Angriff gegen die neue Fron kam aus zahlreichen Einzelhandelsgeschäften in der City Kopenhagens. Dort läßt der Kaufmann Alf Bruhn Protestanten ihren Unwillen schriftlich fixieren. Mittels öffentlich ausliegender Listen sammelt er Unterschriften für eine neue Partei, die AMP (Anti-Moms-Partei). Sobald er 16000 Mitglieder zusammen hat, will er die Steuerdissidenten zur nächsten Parlamentswahl anmelden und die bisherige Umsatzsteuer wiedereinführen.

Dänemarks Ministerpräsident Jens Otto Krag, der den Beitritt seines Landes zur EWG nicht gefährden will, über Bruhns Bemühen: »Und wenn er eine Million Unterschriften zusammenbekommt, die Moms bleibt.«

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