Die Pro-Lobby: »Kernkraft - ja bitte«
Unter Ausschluß der Öffentlichkeit redete der Vorsitzende seinen Kollegen ins Gewissen. Es müsse, forderte Eugen Loderer, Chef der Industriegewerkschaft Metall (IGM), endlich damit Schluß sein, daß Gewerkschafter einseitig Reklame für die Industrie machten.
Weil der interne Appell, mit dem Loderer Anfang des Jahres Abweichler wieder auf Gewerkschaftslinie zu bringen suchte, kaum anschlug, rief der oberste Metaller die Mitglieder im Herbst auch öffentlich zur Räson. Gewisse Betriebsräte, schrieb Loderer im IGM-Blatt »Metall«, gefährdeten »durch ihre Alleingänge die Geschlossenheit der Arbeitnehmer« und rückten die Gewerkschaft »in ein zweifelhaftes Licht«.
Der Gewerkschafter sprach von »schädlicher Gruppenbildung« und meinte den »Aktionskreis Energie der Betriebsräte« (AEB), eine Vereinigung von Betriebsräten aus 500 Unternehmen vornehmlich der Energiewirtschaft; der Aktionskreis versteht sich als Repräsentant von »mehr als 2,5 Millionen Arbeitnehmern
Zum Mißfallen der IGM-Spitze machen die Interessenvertreter mit Demonstrationen, Anzeigenkampagnen und gezielter Ansprache von Politikern für den zügigen Ausbau der Kernenergie Stimmung -- und liegen damit nicht mehr auf Gewerkschaftskurs. Denn im Konflikt zwischen Umweltschutz und Sorge um Arbeitsplätze haben sich der DGB und seine Einzel-Organisationen bislang in abwägenden Kompromißformeln geäußert und, beispielsweise, vorsichtige Zustimmung stets mit erheblichen Vorbedingungen zur Sicherung von Kernkraftanlagen verbunden.
Der Betriebsrätekreis ist Teil einer bundesweiten Bewegung, deren Aktivisten sich in regionalen »Bürgerinitiativen« organisiert haben und für »Umweltschutz durch Kernkraftwerke« werben. An Info-Ständen in den Fußgängerzonen, mit Briefwurfsendungen, Auf Klebern und Streichholzbriefchen suchen sie »Vertrauen zur Kernkraft« herzustellen.
Um die Zukunft der Kernenergie sorgen sich rund 20 000 engagierte Bürger und etwa 100 000 erklärte Sympathisanten, so
* fünf »Bürgerinitiativen für gesicherte Energieversorgung« in Hamburg, Hanau, Mannheim, Biblis und im hessischen Langen, die vor allem die Diskussion auf offener Straße pflegen;
* die »Deutsche Bürgerinitiative für Energiesicherung« in Bochum, die durch »differenzierte Zielgruppenarbeit« für Wirtschafts- und Energiezuwachs eintritt;
* eine »Bürgerinitiative Kernenergie« in Dietzenbach bei Frankfurt, deren Anhänger mit Briefen an Bundeskanzler Helmut Schmidt und Aufklebern ("Steinzeit? Nein danke") der »schweigenden Mehrheit ein Sprachrohr« sein wollen; und
* ein Verein »Recht auf Energie, Vereinigung zur Förderung der sozialen Marktwirtschaft« in Erlangen, der sich laut Satzung für »die Förderung freiheitlicher Grundsätze in Politik und Wirtschaft ... unter besonderer Berücksichtigung der Probleme der Energieversorgung und des Umweltschutzes« einsetzt.
Der nationale Dachverband der Pro-Lobby residiert in der Stiftstraße 11 im bayrischen Alzenau: die »Aktionsgemeinschaft der Bürgerinitiativen für Energiesicherung und Kerntechnik« (AEK). Sie will durch »Zusammenfassung der Mitglieder-/Sympathisantenzahlen den Forderungen ein stärkeres politisches Gewicht verleihen«.
Zum Vorsitzenden der AEK ("unabhängig, überparteilich") wählten die Kernkraftbefürworter einen Mann vom Fach: Jürgen Laubenheimer, 38, Leiter der Pro-Bürgerinitiative in Langen, Mitglied der CSU in Alzenau, Diplomingenieur und Betriebsratsmitglied beim größten deutschen Hersteller von Kernkraftanlagen, der »Kraftwerk Union AG« (KWU) in Offenbach am Main.
Der vielseitige Einsatz des Vorsitzenden Laubenheimer, die Harmonie seiner Interessen als Bürger und Arbeitnehmer ist bezeichnend für jenen neuen Typ von Bürgerinitiativlern, die seit knapp zwei Jahren als Widerpart der Kernkraftgegner auftreten. Während Atomkritiker mit Demonstrationen, juristischen Interventionen und auch, wie in Brokdorf oder Grohnde, mit Gewalt den Ausbau von Kraftwerken blockieren, bedienen sich die Befürworter eher unauffälliger Mittel.
Die Idee, die wirtschaftsfeindliche Wirkung von Bürgerinitiativen durch andere Bürgerinitiativen aufzuheben, steuerte schon vor Jahren Günter Hartkopf, Staatssekretär im Bonner Innenministerium, bei. In einer Sitzung der »Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen« fragte er eine Gruppe von Unternehmens- und Verbandsvertretern: Hält es die Industrie für denkbar, daß sie nicht erst die Gründung einer Bürgerinitiative, die notgedrungen eine Anti-Stellung haben muß, abwartet, sondern zu einem sehr frühen Zeitpunkt im Stadium der Gründung einer Bürgerinitiative oder auf eigene Anregung, vielleicht sogar mit einer Bürgerinitiative, die sie selbst trägt, zu einer gegenseitigen Verständigung kommt, damit die oft infolge von Mißverständnissen auftretenden schrillen Tone in der gegenseitigen Argumentation frühzeitig ausgeschaltet werden?
Antwort, laut Protokoll: »Die Empfehlung aller Spitzenverbände, die für die Industrie tätig sind, geht genau in diese Richtung.«
Konzepte für eine verbesserte Werbung reichte das Innenministerium, selbst zuständig für die Sicherheit von Kernkraftanlagen, in einer »Untersuchung und Ausarbeitung von Maßnahmen zur Öffentlichkeitsarbeit« gleich nach. Ein »freier Journalist« forderte da mehr »Manpower« und »2-3-Tageskurse« für Mitarbeiter der Energieversorgungsunternehmen mit »Planspielen«. Für öffentliche Diskussionen empfahl er einen exakten »Maßnahmen- und Zeitplan ... der nichts dem Zufall überläßt«.
Die Kraftwerkbauer der Industrie griffen das dankbar auf und hielten sich prompt an Profis, die sich auf solche Kampagnen verstehen. Die Karlsruher Badenwerk AG etwa, Bauherrin des bislang blockierten Kernkraftwerks in Wyhl am Kaiserstuhl, beauftragte die Hamburger Werbeagentur Kurt Drews mit der Entwicklung von Konzepten, mit deren Hilfe »der Baubeginn ohne Störungen vor sich gehen kann --
Die Hamburger Werber entwarfen vier Modelle:
Bildungstaktik: Objektive, ehrliche Information über alle Fragen der Kernenergie im Zusammenhang mit Kernkraftwerken: Die Ängste durch besseres Wissen ablösen bzw. bezwingen.
Negativtaktik: Dramatisierung aller Probleme, die durch den Nichtbau von KKW entstehen: Die Ängste der Gegenwart durch Ängste der Zukunft überdecken.
Verschleierungstaktik: Herunterspielen der Probleme, die in Zusammenhang mit KKW in der Bevölkerung auftauchen: Die Ängste durch Verfremdung der Probleme verdrängen.
Verschönerungstaktik: Einseitige, positive Information über alle Fragen (fast alle) der Kernenergie im Zusammenhang mit Kernkraftwerken: Die Ängste einfach negieren und ein positives Bild aufbauen.
Was da an Ideen und Empfehlungen, Strategien und Taktiken aufgelistet worden war, fand Eingang in die Praxis der Öffentlichkeitsarbeit in Sachen Kernenergie. Ob Unternehmen der Energiewirtschaft oder das »Deutsche Atomforum«, ob Pro-Bürgerinitiativen oder der »Aktionskreis Energie der Betriebsräte« -- sie informieren und verschleiern, sie spielen herunter und dramatisieren je nach Bedarf und immer nach dem Motto: »Kernkraft -- ja bitte.«
Am Kaiserstuhl war es eine Initiative »KKW Wyhl »Ja"«, die auf Flugblättern von piekfeinem Layout verbreitete: »Das KKW nützt jedem.« Warnung: »Ein »Nein« würde nur zur Enteignung führen«, und: »Kläranlage, Schwimmhalle, Sportzentrum usw. können wir (dann) vorerst in den Mond schreiben.«
In Brokdorf an der Unterelbe machte, vom Atommeiler-Erbauer »Nordwestdeutsche Kraftwerke« (NWK) »grundsätzlich begrüßt«, ein »Bundesarbeitskreis »Vernunft nach vorn"« Stimmung gegen »zerstörerische Ziele« der Kernkraftgegner ("Panikmache gehört zum teuflischen Rezept der Extremisten"). Daß sich dort, wie ein NWK-Sprecher lobte, nun auch »einmal die schweigende Mehrheit artikulierte«, war freilich eher Wunschdenken: Die Flugblätter der Vernunftverf echter wurden von Werbeprofis der Hamburger Agentur Donnelley Marketing GmbH in der Wilstermarsch verteilt.
Als es um die Jahreswende 1976/77 auf dem Bauplatz Brokdorf zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam, tat sich KWU-Arbeitnehmer Laubenheimer mit Gleichgesinnten in einer »Bürgerinitiative für gesicherte Energieversorgung« (BGE) zusammen, die als eingetragener Verein unter dem Postfach 1161 in Langen residiert -- ganz im Sinne etwa auch des damaligen Bundesinnenministers Werner Maihofer, der es begrüßte, daß »nunmehr endlich auch diese andere Seite der Energiesicherung ... zu Worte kommt«.
In Trupps von fünf bis zwanzig Personen ziehen BGE-Mitglieder an Wochenenden in die Kernbereiche westdeutscher Städte, verteilen »Info-Material« und warnen: »Unser Lebensstandard ist gefährdet.« Sie sammeln Unterschriften, vermitteln Referenten für Podiumsdiskussionen und treten auf Veranstaltungen ihrer Gegner auf. Ein südhessischer Umweltschützer respektvoll: »Wenn da ein seriös gekleideter Dr. Ing. mit schwarzem Koffer auftritt, dann beeindruckt das normale Bürger schon mehr als ein Langhaariger im Parka.«
Wer im einzelnen mit Rat und Tat initiativ ist, möchten diese Bürgerinitiativen gleichwohl für sich behalten. Zumeist werden »engagierte Bürger« genannt oder »Leute aus dem Bekanntenkreis« und »natürlich auch Kollegen Bei der »Bürgerinitiative Kernenergie« im hessischen Dietzenbach verweist der Vorsitzende Heinz Zernikow, der dienstlich als Planungsingenieur der Offenbacher KWU elf Etagen über seinem Kollegen Laubenheimer Kernkraftwerke plant, auf Paragraph 3 Absatz 3 der Vereinssatzung: »Namen und Anschriften der Einzelmitglieder der Bürgerinitiative werden nicht offengelegt.« Zernikow zum SPIEGEL: »Die drei Vorstandsmitglieder, Sie kriegen's ja doch raus, sind alle bei der KWU.«
Daß Verantwortliche und Mitglieder vorwiegend direkt oder indirekt von der Energiewirtschaft abhängig sind, gilt nicht nur für Zernikows Gruppe. In der Hamburger Notkestraße 5, wo nicht mal ein Briefkasten auf die »Pro Kernenergie«-Gruppe hinweist, leitet der Beratende Elektroingenieur Günther Klock die norddeutsche BGE-Sektion. Mit dabei ist der Betriebsratsvorsitzende der »Hamburgischen Electricitäts-Werke« Ernst-Hermann Sixtus.
In Bochum führt der Krupp-Marketing-Mann Jürgen Rademacher eine »Deutsche Bürgerinitiative für Energiesicherung«, der Hanauer BGE steht Horst Langer vor, der hauptberuflich Schichtleiter bei der Reaktorbrennelementefabrik Alkem, einer KWU-Tochtergesellschaft, ist und seiner Nichte schon mal einen Anti-Atomaufkleber vom Auto reißt.
Die Pro-Atom-Initiative in Biblis, wo das größte Kernkraftwerk der Welt vom größten westdeutschen Stromproduzenten, dem »Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk« (RWE), betrieben wird, leitet Christian Rettweiler, ein örtlicher RWE-Kernkraftwerksmeister. Die Mehrheit der Gründungsmitglieder sind RWE-Arbeitnehmer, bei den Mitgliedern sind es rund zwei Drittel.
Für »Recht auf Energie« kämpfen im Vorstand ein Wuppertaler Hochschullehrer für Maschinenbau und Wärmetechnik, ein Oberingenieur des Kernkraftzulieferers »Klein, Schanz-
* An einem Reaktor-Modell der Firma Babcock-Brown Boveri Reaktor GmbH.
lin & Becker AG«, eine KWU-Sekretärin sowie ein KWU-Diplomingenieur und Betriebsrat. Die Öffentlichkeitsarbeit besorgen zwei weitere KWU-Arbeitnehmer, der Geschäftsführer veranstaltet hauptberuflich Seminare im Dienst des »Bildungswerks der Bayerischen Wirtschaft«.
»Rund 80 Prozent« der etwa 400 Mitglieder der »Bürgerinitiative für gesicherte Energieversorgung« in Mannheim kommen aus betroffenen Industrieunternehmen wie der »Babcock-Brown Boveri Reaktor GmbH« (BBR), der »Hochtemperatur-Reaktorbau GmbH« und der »Pfalzwerke AG«. Vorsitzender Ulf Rösser« Diplomingenieur, Mathematiker und Betriebsrat bei BBR, macht da keine Ausnahme. »Der Anstoß zu unserer Bürgerinitiative«, berichtet er, »kam vom Kollegen Dieter Kolb, der am Schwarzen Brett in der Firma zur Gründung einer Bürgerinitiative aufgerufen hat.«
Kolb ist BBR-Betriebsratsvorsitzender und Mitglied des Aufsichtsrates. Er macht nun mit in Rössers Bewegung und engagiert sich im »Aktionskreis Energie der Betriebsräte«.
Fast alle Initiativen erheben Monatsbeiträge von einer bis über hundert Mark. Bei der Erlanger Bürgerinitiative »Recht auf Energie« (Untertitel: »Vereinigung zur Förderung der sozialen Marktwirtschaft") werden »die Mittel für die Verwirklichung der Zwecke ... durch freiwillige Beiträge und Spenden aufgebracht« -- bei 400 Mitgliedern immerhin schon 25 000 Mark.
In der Dietzenbacher Gruppe des KWU-Ingenieurs Zernikow werden die »entstehenden Kosten« ausschließlich »aus Spenden gedeckt« -- bisher schon »mehrere tausend Mark, mehr möchte ich dazu nicht sagen«. Ihren Finanziers wird gelegentlich schon in der Satzung Anonymität versprochen, beispielsweise in der Bürgerinitiative des Krupp-Mannes Rademacher: »Der geschäftsführende Vorstand sichert Vertraulichkeit bei Beiträgen und Spenden zu, falls der Geber dies wünscht.«
Wie die Spender, so sind auch die Empfänger daran interessiert, daß die Mäzene nicht heim Namen genannt werden. »Mit den Spenden«, sagt Horst Langer, Vorsitzender der Initiative in Hanau, »ist das ja so »ne Sache, mit der man schnell in ein schiefes Licht geraten kann.«
Langer, Schichtleiter hei Alkem, ist schon drin. Denn bei der Alkem-Geschäftsleitung findet er nicht nur »immer ein offenes Ohr für unsere Probleme«, sondern mitunter auch Bares für die Bürgerinitiative. Rund zwei Drittel der Aufwendungen werden mit Industriespenden beglichen.
In Biblis, wo für die Bürgerinitiative von RWE-Kraftwerksmeister Rettweiler nach eigenem Bekunden rund 6000 Mark bei der Volksbank (Konto Nr. 20457503) eingingen, spendeten nicht nur Geschäftsleute aus Biblis. Es zahlten: die Baufirma Hochtief, auch im Reaktorgeschäft, 2000 Mark; die RWE-Tochter Schluchseewerk AG 2000 Mark, die Karlsruher Niederlassung von Siemens, der KWU-Muttergesellschaft, 1000 Mark. Doch alles in allem, so Rettweiler, halte sieh das RWE »da vornehm raus -- ein bißchen Distanz zur Firma soll dasein«.
Abstand zur Industrie will KWU-Ingenieur Jürgen Laubenheimer, Vorsitzender des Bürgerinitiativen-Dachverbandes, nicht länger wahren. »Wir haben da bisher etwas vorsichtiger taktiert. Jetzt sagen wir, na und, die Vorwürfe kommen sowieso, wir würden von der Industrie ausgehalten.« Denn, so Laubenheimer, »es ist doch ganz klar, daß wir nicht alles aus eigener Tasche finanzieren können«.
Der Ruch, nicht ganz so unabhängig zu sein, wie sie sich gerne darstellen, haftet auch den Mitgliedern einer anderen Pro-Kernenergie-Bewegung an, deren Aktivisten oft zugleich bei den Bürgerinitiativen mittun. Wie bei den Bürgerinitiativen liegen auch beim »Aktionskreis Energie der Betriebsräte« (AEB) Arbeitsweise und Finanzierung im dunkeln, wird über Spenden und Organisatoren am liebsten geschwiegen.
Die Pro-Atom-Betriebsräte, warnte DGB-Chef Heinz Oskar Vetter unlängst, dürften »keine industriepolitischen Botschafter werden, die von den Unternehmen immer dann eingeschaltet werden, wenn das Unternehmensinteresse berührt ist«. Es gehe nicht an, »daß partikulare Interessen das Gesamtinteresse der Arbeitnehmer überlagern«. In dem Aktionskreis, der sich zum Sprecher von 500 Unternehmen der Energie- und Zulieferer-Wirtschaft gemacht hat, sind fast alle einschlägigen Firmen von Rang vertreten: Gesamtbetriebsräte von Siemens und MAN, Fried. Krupp und Mannesmann sind ebenso präsent wie Belegschaftsvertreter der KWU, der Baukonzerne Philipp Holzmann, Hochtief und Heitkamp oder der Kraftwerkzulieferer Krauss-Maffei und Deutsche Babcock.
Die Interessengemeinschaft agiert mit Briefaktionen »an alle Gewerkschaftsfunktionäre, an alle Mandatsträger des Bundes« und auch an Delegierte von Partei- und Gewerkschaftskongressen. Sie veranstaltet und nimmt teil an Großkundgebungen und Protestdemonstrationen, bei denen die Arbeitnehmer von ihren Arbeitgebern mit Freistellungen und Spesenersatz, Transportmitteln und Frühstücksbeuteln unterstützt werden.
Der AEB wirbt in der Gewerkschafts- und überregionalen Presse für »mehr Energie« und vertreibt »in Betrieben, bei Politikern und maßgeblichen Entscheidungsträgern«, so auch bei den Pro-Bürgerinitiativen, die Werbebroschüre »Jetzt sind wir dran!«
Wer da eigentlich »dran« ist und wer dahintersteckt, wenn etwa in »FAZ« und »Welt«, in »Süddeutscher Zeitung« und »Frankfurter Rundschau« für »Arbeitsplätze im Bereich der Kohle- und Kernenergie« mit großflächigen Anzeigen geworben wird, bleibt für Leser unklar. Und wenn Betriebsräte des Aktionskreises zu Pressekonferenzen ins Frankfurter »Plaza« oder nach München in den »Bayerischen Hof« laden, um für Atomstrom und gegen Umweltschützer zu plädieren, bleiben die Energiespender für den Stromkreis gleichfalls im Hintergrund.
Denn wer der AEB-Aufforderung (Anzeigentext: »Vertrauen Sie uns. Wir laden Sie ein. Schreiben Sie uns.") nachkommen möchte, muß sich mit einer Postfachanschrift begnügen: 200536, 5300 Bonn 1. Und wer dahin schreibt, bekommt »mit freundlichen Grüßen« Post aus München, unterzeichnet von Dr. Imai-A. Roehreke.
Frau Dr. Roehreke, das erfährt der Briefempfänger nicht, leitet den »Fachbereich Angewandte Kommunikation« in einer »Umwelt-Systeme GmbH (USG), Institut für Umweltschutz und angewandte Ökologie« in Münchens Gnesener Straße 4-6. Die USG hat sich, laut Handelsregister, in Sachen Umwelt vielerlei vorgenommen:
Erforschung und Verwirklichung, Beratung und Planung, Management und Ausbildung sowie Publizistik auf dem Gebiet umwelttechnischer Systeme, besonders von Entsorgungssystemen zur Umsetzung von Erkenntnissen der angewandten Ökologie auf Bereiche des Umweltschutzes und der Umweltgestaltung sowie die damit zusammenhängenden Ingenieurleistungen, Handels-, Hilfs- und Nebengeschäfte,
Gute Umsätze erzielt die Gesellschaft mit beschränkter Haftung in einem Hilfs- und Nebengeschäft, in das sie vor gut zwei Jahren eingestiegen ist: Management für den Aktionskreis der Betriebsräte.
»Da ist man an mich herangetreten«, sagt Alfred Schaller, Geschäftsführer der USG, »und hat gesagt: Fred, kannst du für uns nicht den Verteiler machen?« Kaufmann Schauer, einst Gründer einer »Bürgerinitiative Willy Brandt« und nun über die USG mit verschiedenen Unternehmungen verflochten, war gleichfalls »gegen die Bedrohung von Arbeitsplätzen« und machte mit.
Was er da so alles für die Betriebsräte macht, wissen diese offenbar selbst nicht so genau. Schauer über seine Aktivitäten: »Wir sind nur das Schreibbüro.«
Und noch ein bißchen mehr. Nicht der Betriebsrätekreis, sondern die USG schaltet Anzeigenserien in Zeitungen und gibt dafür Zigtausende aus, hält Pressekonferenzen und vertreibt massenweise Pro-Kernkraftbroschüren, veranstaltet in Betrieben und Hotels Seminare für Arbeitnehmerfunktionäre über »neue Technologien und Arbeitsplätze« oder »Argumentationstechnik« (Lernbeispiel: Reden ohne rot zu werden).
Mit ungenauen und widersprüchlichen Angaben ziehen Betriebsräte und USG-Geschäftsleitung -- ähnlich wie Pro-Bürgerinitiativen -- einen Grauschleier über ihre finanziellen Quellen. AEB-Aktivist Günther Herbert aus Hanau etwa »weiß nichts« über Geldgeber, seinem Kollegen Kolb aus Mannheim ist immerhin bekannt, »daß wir von Spenden leben«. Andererseits hat Kolb »auf Anfrage bei der USG keine Auskunft« über Hohe und Herkunft der Spenden erhalten, obwohl laut Schaller »jedes Aktionskreismitglied jederzeit Einblick ins zentrale Spendenregister hat«.
Auf dem Spendenkonto bei der Münchner Bank für Gemeinwirtschaft (Nr. 17437700/02) gehen »die von den Betriebsräten gesammelten Beiträge« ein, sagt Schaller -- doch Betriebsräte, die es eigentlich wissen müßten, erinnern sich an keine Sammlungen. Der Mannheimer Kolb kennt immerhin einen Förderer des Pro-Atom-Aktionskreises -- sich selbst und seinen Arbeitgeber. Er überweist schon mal »einen erheblichen Teil meiner Bezüge als Aufsichtsrat« bei der Babcock-Brown Boveri Reaktor GmbH (Kolb: »Wieviel, sage ich nicht, ich will hier nicht den großen Max spielen") auf das von Schaller eingerichtete BfG-Konto. Und wenn Kolb für den Aktionskreis Auslagen hat, etwa für Reisen zu Gesprächen mit Bundes- und Landespolitikern, läßt er sie über die Kostenstelle Betriebsrat laufen und von seinem Arbeitgeber erstatten.
Unbestritten ist jedenfalls, daß ein wesentlicher Spendenstrom, der den Energie-Arbeitskreis direkt und indirekt speist, aus Betrieben der interessierten Industrie kommt. »Der höchste Spendenbetrag belief sich auf 10 000 Mark«, sagt Schaller, und kam, »das ist doch ganz klar, natürlich von einer Firma«.
Über die Gesamthöhe der Spenden für den Betriebsrätekreis macht Schaller keine konkreten Angaben, nur soviel: Er bekomme für seine Arbeit »keine Bezahlung, ich sehe das als große politische Aufgabe an«.
Gelöst wird diese Aufgabe in Münchens Gnesener Straße 4-6, dem Sitz der USG. »Dreißig Leute«, sagt der USG-Geschäftsführer, arbeiten dort unter Leitung von Schaller -und Prokurist Horst Heeger an so unterschiedlichen Themen wie »Lärmbekämpfung« und Untersuchungen über »die Berechtigung von Bürgerinitiativen« -- Gutachten und Meinungsumfragen, die zuweilen »ohne Auftrag und nur für uns selber« (Schaller) erstellt werden.
Die Gesellschafter der USG verdienen laut Schaller ebenfalls »nichts« an diesem Unternehmen. Er muß es wissen. Denn die USG-Gesellschafterin »Mü-Li Verwaltungs- und Handelsgesellschaft mbH«, die mit 50 000 Mark (50 Prozent) an der USG beteiligt ist und ihren Sitz gleichfalls in der Gnesener Straße 4-6 hat, gehört zu 25 Prozent seiner Ehefrau Elisabeth, zu 75 Prozent dem USG-Prokuristen Heeger.
Die andere Hälfte der USG gehört einer »GWB Gesellschaft für wirtschaftliche Bautechnik mbH«, Adresse wie USG und Mü-Li. Gesellschafter der GWB (Geschäftsführer: Horst Heeger) ist die Mü-Li von Elisabeth Schaller und Horst Heeger, und zwar, so Alfred Schaller, »zu hundert Prozent«.
Im Handelsregister steht es anders. Danach gehört die GWB nur zu 49 Prozent (49 000 Mark) der Mü-Li. Die Mehrheit (51 000 Mark) liegt bei einer »Ärzte und Apotheker-Gesellschaft für Industrieanlagen mbH« (Geschäftsführer: Horst Heeger) im oberschwäbischen Esseratsweiler. Eine fast gleichnamige Firma ist auch in Münchens Gnesener Straße ansässig. Gesellschafter sind die Mü-Li und das Unternehmen aus Esseratsweiler -- schwer überschaubare Verflechtungen, deren Bedeutung Alfred Schaller nicht erklären mag.
Seine Absichten hingegen glauben die Gewerkschaftsoberen mittlerweile durchschaut zu haben. Schaller, so sieht es IG-Metall-Chef Eugen Loderer, versuche, die Geschäftsinteressen der Atom-Kraftwerkbauer »als allgemeine Interessen der Arbeitnehmer auszugeben« und wolle »auf dem großen Herd der Gewerkschaften sein Sondersüppchen wärmen
Der DGB-Vorstand will denn auch auf seiner nächsten Sitzung beraten, wie der geschäftstüchtige Schaller von der Gewerkschaftsbasis separiert und der Betriebsrätekreis wieder auf DGB-Kurs geleitet werden kann. »Wenn wir diese Sache jetzt nicht stoppen«, so ein hoher Gewerkschaftsfunktionär. »wird unsere Arbeit demnächst noch in ganz anderen Bereichen unterlaufen.«