Die Reichen in Deutschland
5. Fortsetzung und Schluß
Wie sie herrschen
Nach fünfzig Jahren Arbeit bei Krupp kann einer damit rechnen, mit dem einzigen Träger dieses Namens zu Hause eine Tasse Tee zu trinken. Wer erst 40 Jahre dabei ist, wird mit dem obersten Arbeitgeber in dessen Kontor bekannt gemacht; der sonst so wortkarge Unternehmer wendet sich ihm herzlich zu und bittet, es sich in der imposanten Bescheidenheit des Raumes ein wenig bequem zu machen.
In einer Familien-Firma mit 114 000 Arbeitnehmern dauert es schon ein wenig, bis einer dem Oberhaupt unter die Augen und zu dem Bewußtsein kommt, es mit einer Firmen-Familie zu tun zu haben. Deshalb muß, wer soweit vorgelassen wird, vorher eindringlich gebeten werden, den einmaligen Augenblick nicht durch Bitten und Gesuche zu trüben. Es geschieht trotzdem immer wieder, daß einer mit Erfolg die Gelegenheit nützt, seine dringlichen Wünsche anzubringen.
Alfried Krupp von Bohlen und Halbach unterzieht sich solchen Prozeduren mit dem feierlichen Wohlwollen eines aufgeklärten Monarchen, dem es nicht möglich ist, am höheren Sinn des sozialen Protokolls zu zweifeln. Teilnehmend fragt er nach den Kindern und dem Bandscheibenleiden; die Stichworte dazu hat er sich von seiner Sozialabteilung geben lassen.
Leicht findet man Stoff für fünf, ja zehn Minuten Gespräch, dann betätigt der große Vorgesetzte zögernd ein Klingelsignal, denn auf seinen Zuspruch warten noch viele. Ein draußen bereitstehender Photograph tritt herzu, und unter Blitzlicht und Händeschütteln endet der Dialog.
Es ist eine der seltenen, dem Inhaber des Konzerns vorbehaltenen Gelegenheiten, das Weiße im Auge des Arbeitnehmers zu sehen. Bei freiwillig menschlichen Bemühungen seines Konzerns kann sonst nicht die Rede sein von jener Tuchfühlung zum Arbeitgeber, wie sie bei Unternehmen von 2000 bis 20 000 Beschäftigten teilweise statt Lohnzulage geboten wird. Der Generalstab seines Bevollmächtigten hat sie völlig durch einen Sozialplan geregelt, der die Preislage von Jubiläumskörben oder das Verhältnis zwischen der Zahl der Waschgelegenheiten und der Zahl der männlichen oder weiblichen Belegschaftsmitglieder nicht weniger genau angibt wie den Zeitpunkt für Besuche bei schwerkranken Kollegen.
Diesen Plan kennzeichnet die sachliche Kühle einer Gebrauchsanweisung. »Betriebsfeste und Betriebsausflüge« - so zu lesen unter Paragraph 18 haben sich im allgemeinen nicht als geeignetes Mittel erwiesen, den Gemeinschaftssinn und das Zusammengehörigkeitsgefühl im Betrieb zu stärken.« Da hat man sie also gestrichen.
Statt dessen fördert der Konzern alle zwei Jahre eine Ausstellung für die in der Freizeit von Krupp-Individualisten geschaffenen Werke der Kunst und des Kunstgewerbes, die auch von Herrn Krupp sehr intensiv beachtet wird, der ja selbst - unter anderem - als Lichtbildner um eine gewisse Vollkommenheit bemüht ist. Und jedes Jahr kommt es zur farbenprächtigen Show der im Schoße der Konzernbetriebe schlummernden Bühnentalente. Um den von Krupp dezent geförderten Freizeit-Begabungen halbwegs gerecht zu werden, muß sich das Programm der rund 400 singenden, springenden, rezitierenden Mitarbeiter über zwei Abende hinziehen, wobei sich jeweils 3000 von den 10 000 Pensionären der Firma in der Essener Stadthalle als glückliches Publikum einfinden.
Zwei Orchester und sieben Chöre stimmgewaltiger Eisengießer und Knappen üben unter der kulturellen Oberhoheit von Krupp. Selbst für den Fall, daß der Konzern-Inhaber, wie mancher urwüchsige Firmenchef in kleineren Verhältnissen, die Lust verspürte, über den Seinen leutselig den Taktstock zu schwingen - es ginge bei dieser Quantität über seine Schaffenskraft.
Man bezahlt, wie im Sozialplan vorgesehen, die Noten und das Honorar für den Dirigenten nach »ortsüblichen Sätzen«. Chöre und Orchester sind nämlich, laut Sozialplan, geeignet, den erwähnten Gemeinschaftssinn zu stärken.
Von Betriebsfamilie wird nicht gesprochen. Vorbei sind die Zeiten, in denen ein Krupp sich wie ein biblischer Herr um Seelenheil wie Sättigung seiner Arbeiter kümmerte, als seien sie ihm anvertraut von Gott. Es gehört zum Charakteristikum der (von der IG Metall gutgeheißenen) Fortschrittlichkeit, wenn unmißverständlich - und von allem befreit, was jetzt »sozialer Klimbim« gescholten wird - das soziale Kalkül hervortritt.
Das Ausbildungssystem des buntscheckigen Konzerns ermöglicht es, in einer Reihe von Stufen Eleven jeglichen Intelligenzgrades gerecht zu werden und sie sich zu verpflichten. Es entspricht in technischer Hinsicht den letzten, gewerkschaftlich gutgeheißenen Erkenntnissen; pädagogische Nestwärme ist nicht seine Stärke.
Auf Altersrenten des Betriebes bestehe, so heißt es, kein Rechtsanspruch - als wären sie nicht sogar in bittersten Krisenzeiten gezahlt worden. Über das Weihnachtsgeld - das es bisher immer gegeben hat - müsse jährlich neu entschieden werden. Und die Entwicklung des Kantinen-Wesens, heißt es, führe »von der Verkaufsstelle zum Automaten«.
Das Urlaubsgeld entfällt, Ferienheime werden nicht unterhalten. Die Sozialberater des Konzernes sollen sich nur noch um menschliche Probleme kümmern, die im Zusammenhang mit dem Betrieb stehen oder in diesen hineinwirken könnten. Die Geburten-Beihilfen, Beihilfen zur Konfirmation oder zu Erholungsaufenthalten sind gestrichen worden.
Andererseits wird dem mündig gewordenen Arbeitnehmer regelmäßige, ja sogar umfassende Information über die wichtigen Vorgänge im Konzern versprochen. Ein in der Bundesrepublik - und wohl auch bei Krupp - noch längst nicht selbstverständliches Vorhaben.
Die freiwilligen Leistungen des immer noch überdurchschnittlich sozialen Konzerns verschlingen ungeachtet aller Zurückhaltung 117 Millionen im Jahr. (Dazu kommen die Belastungen aus dem Besitz und der Verwaltung von 55 000 Firmen-Wohnungen, deren Quadratmeterpreis zum Teil nur 90 Pfennig beträgt.)
Doch die »Wärme und Menschlichkeit im Arbeitsleben« (so Toilettenpapier -Hersteller Hans Klenk), auf die sich manche Duodez-Fürsten der Produktion viel zugute halten, atmen diese Annehmlichkeiten nicht. Man spürt: Es ist ein weiter Weg von ihnen zum Herzen des großen Bruders Krupp.
Dem Vorreiter einer solchen Armee von Arbeitnehmern bieten sich für direkte Übertragungen von patriarchalischem Fluidum nur ungenügende Möglichkeiten. Dank eines musterhaft schlichten Lebensstils, der dazu noch musterhaft deutsch anmutet, erzielt der stille Junggeselle Alfried indes tiefgehende Wirkungen indirekter Art, die es ihm erleichtern, im sozialen Hollerithsystem oberste Bezugsfigur zu bleiben.
Sein Leben machte ihn zum melancholischen Heros der drei Ringe, die sein unübersehbares Erbe repräsentieren. Fast alles darin ist so, wie es die Leser von Romanen lieben, die das Leben gewöhnlich nicht schreibt: der Olympia-Sieg (Bronze) seiner Jacht Germania III im deutschen Jahre 36; die Ehescheidung des gehorsamen Erben, der sich der Räson der Familie beugt; die Sippenhaft des schuldlosen Erben im Gefängnis der Besatzungsmacht; endlich ein hagestolzes Leben, ein Leben, wie es scheint, allein für die Firma. (In Essen wollen aufmerksame Beobachter ausgerechnet haben, daß Alfried Krupp im Jahr nicht einmal 800 000 Mark ausgibt, private Spenden und die Spesen für Repräsentation schon eingeschlossen.)
Sieht man den Inhaber auf der Jagd, so in Firmen-Revieren und zusammen mit seinem treuen Beitz oder Figuren von einiger staatspolitischer Wichtigkeit. Nimmt er sich zwei, drei Monate zum Segeln frei, so scheint es, als geschehe auch dies nur, um in den großen
Regatten der Welt einen erträglichen Platz für Krupp und das Vaterland herauszuholen. Einmal täglich, so schwärmt man in Essen, telephoniere er von Bord seiner Germania VI über Radio Norddeich mit Beitz. Seine Mannschaft besteht nicht aus Millionären und Playboys, sondern überwiegend aus Herren vom Mittelstand. Er soll ihr, munkelt man in Essen, als wahrer Spartaner pro Nase und Tag 8,50 Mark für Beköstigung abverlangen. In Wirklichkeit hält er sie frei.
Ist er da, speist er, man weiß es, am liebsten Erbsensuppe und unterschreibt im Kontor oft Dokumente mit einem Namen, der gar nicht der seine ist: nicht als Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, sondern, wie im Essener Handelsregister für die Erben der Firma vorgesehen, mit »Fried. Krupp«, dem vom Ururgroßvater her unwandelbaren Namen der Firma.
Greift er als bedächtiger Amateur zur Kamera, so richtet sich diese auf das vorbeigleitende Panorama seiner Geschäftsreisen. Es spiegelt sich in den Bildbänden, die er aus den Ergebnissen dieses reichlich gepflegten dritten Steckenpferdes zusammenstellt und zu Weihnachten an Freunde versendet.
Greift er zum Smoking, so nur, weil es gilt, auf Villa Hügel einem Potentaten Reverenz zu erweisen.
Er liebt deutsche Weine. Seinen Generalbevollmächtigten empfängt er hin und wieder mit der Quizfrage: »Was glauben Sie, Beitz, was der im Krupp -Konsum kostet?« Mal ist es einer zu 4.50 Mark die Flasche, mal auch ein saurer zu 1,70 Mark, der ihm eben bekommt.
Er fährt deutsche Autos: den jeweils neuesten Porsche aus seiner kleinen Sammlung, ein bei seiner Körper- und Kontogröße beinahe putzig wirkendes Ding. Dazu - für den Umgang mit Potentaten und Bundestagspräsidenten
- einen Mercedes 600, zu welchem ihn
Berthold Beitz (der sich selbst den alten 300 hat aufarbeiten lassen) mit einiger Mühe überredete. Ein dem Essener Stammsitz benachbarter Reißverschluß -Fabrikant fuhr den Mercedes 600 schon wesentlich früher und wurde deshalb mit den großen Herren von nebenan verwechselt.
Es ist, als wollte der einzige Sohn, der Alfried Krupp aus seiner ersten, der Firma geopferten Ehe erwuchs, ihm beweisen, daß dies alles nicht etwa sein muß: Er scheint gerade das zu lieben, was der Vater nicht schätzt. Vater nahm den Rolls-Royce nicht mal geschenkt. Der Sohn hat sich einen gebrauchten gekauft und ihm sein Wappen angeheftet. Statt der Erbsensuppe bevorzugt er Kaviar, statt des stählenden Sporteifers entwickelt er den offenbaren und hoffnungslosen Ehrgeiz, Liebling einer Society von Untätigen zu sein, ausgestattet mit Jacht und angemessenem Wohnsitz in Paris und am Starnberger See, in Brasilien und am Tegernsee.
Obwohl ihm der Name Krupp nicht zusteht, sorgt dieser 28jährige Arndt von Bohlen dafür, daß nun häufig von Krupp in Zusammenhängen gesprochen wird, bei denen sich an den heilig nüchternen Wassern der Ruhr den Männern die Nackenhaare sträuben.
Am guten Willen hat es nicht gefehlt. Immer wieder bemühte sich der zarte junge Herr, seine Sehnsucht nach der High- und Halb-Society der strengen Optik der drei Ringe unterzuordnen. Mindestens so sehr wie Marlene Dietrich oder Hildegard Knef bewundert er Berthold Beitz, den er gelegentlich als eine Art zweiten Vater zu empfinden scheint und V 2 nennt. Einmal zu werden wie dieser, gibt man ihm wenig Hoffnung.
Es kann wohl vorkommen, daß der natürliche Erbe eines unabsehbaren Konzern-Vermögens Journalisten darauf hinweist, die gebleichte Strähne im Haar, mit der er letzthin bei einer Society-Glosse im Fernsehen erschienen war, die, bitte sehr, trage er nun nicht mehr.
Auf weiterreichende Metamorphosen im ehernen Sinne der Firma aber scheint man in Essen allmählich nicht mehr zu hoffen. Das dynastische Schaubild in der Krupp-Ausstellung auf dem Hügel endet jedenfalls bei seinem Vater.
Der Konzern, so geordnet, daß er auf unmittelbare Mitwirkung seines Inhabers notfalls verzichten kann, scheint andererseits im Zeitalter fortschreitender Klassenlosigkeit und unvermeidbarer Publizität wenig geeignet für die Vorstellung, eines Tages zum Souverän einen Lebemann zu haben: Er strebt daher in kleinen Schritten auf die beruhigende Idee einer alle Gefahren der Erbfolge ausschließenden Krupp-Stiftung zu.
»Normale Säugetiere tragen neun Monate«, sagt Kurt Birrenbach, der Vorsitzende des Kuratoriums der Thyssen -Stiftung dazu, »bei Elefanten dauert es etwas länger.«
Selbst wenn industrielles Vermögen alt und über Zweifel erhaben ist: Keinem Reichen der Bundesrepublik gelingt es, ungestraft über die Interessen seiner Firma hinwegzusehen und sich ihnen gegenüber wie ein schrankenloser Nutznießer zu fühlen. Ihre Räson verbietet es dem großen Kapitalisten mehr denn je, sich von familiären Gefühlen
oder dynastischen Idealen leiten zu lassen.
Der Eisen-Mann Friedrich Flick - nicht durch Zufall ein andächtiger Bewunderer Friedrichs des Großen - hat die Energie seines Lebensabends zum großen Teil darauf konzentriert, sein Erbe nicht dadurch in Gefahr zu bringen, daß die Erben eines Tages mehr Macht übernehmen, als es ihrem Ingenium zuträglich wäre. Selbst ein berühmter Charmeur im Umgang mit allen, die für ihn tüchtig arbeiten, entließ er den hochfahrenden, eifrigen Ältesten aus allen Ämtern und setzte seine Hoffnung auf den nachgiebigeren, für die Erfahrung der Ratgeber zugänglichen jüngeren Sohn.
Längst hat sich auch die Siemens -Familie mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß an die Spitze des Konzerns, in dem ihr die Mehrheit abhanden gekommen ist, einer der Ihren nur noch dann aufsteigen wird, wenn er über die Qualitäten verfügt, wie man sie von weniger namhaften Bewerbern um ein solches Amt erwartet.
Die Nachfolge im Vorsitz des Aufsichtsrates ging hier schon in den letzten fünf Jahrzehnten nicht mehr in aristokratischer Geradlinigkeit vom Vater auf den Sohn, sondern - in einer Art familiären Rösselsprungs - vom abtretenden Senior auf denjenigen aus der Sippe über, der sich als der Tauglichste anbot.
Peter von Siemens, nach einer Siemens-Karriere, die in Südamerika begann, Stellvertreter und sicherer Nachfolger seines vorsitzenden Onkels Ernst, hat einen Sohn, der nicht nur als waghalsiger Cresta-Schlittenfahrer in St. Moritz, sondern auch in der Arbeit für den Konzern zu gewissen Hoffnungen berechtigt. Doch getraut er sich nicht, ihm Chancen für einen Aufstieg zum Gipfel der Firma und der Familie Siemens zu verheißen. »Ist nicht mal gesagt«, behauptet er, »daß es immer wieder einen Siemens oben geben wird.«
Berechtigt die Zugehörigkeit zur Gründersippe nur zu unsicheren Karriere-Erwartungen, so bemißt sich der Spielraum für die Übertragung familiärer Eigenheiten auf die 200 000köpfige Belegschaft des Industrie-Giganten überhaupt auf Null. Schon, daß Ruprecht (genannt Rupi), ein weiterer strebsamer Neffe des derzeitigen Siemens -Oberherren, in München mit einem restaurierten »Protos«, einem in den 20er Jahren von den Siemens-Werken produzierten Motorwagen, herumfährt, nähert sich, weil es auffällt, den Grenzen der für Siemens-Anverwandte noch ratsamen Originalität.
Die Technik der Zurückhaltung beginnt bei der Ausbildung: Siemens verzichtet auf eigene Lehrlingsheime und schickt jedes Jahr 900 Eleven zu den Kursen des Christlichen Jugenddorfwerkes oder in ähnliche Ausbildungsstätten. 600 Lehrlingen jährlich bezahlt das Werk die Erholung in einem der Häuser der »Gemeinnützigen Gesellschaft für Jugendfreizeit«.
Eine Nuance von Väterlichkeit äußert sich allenfalls in dem verbrieften und häufig beanspruchten Recht der Mitarbeiter, sich mit »persönlichen Fragen oder Beschwerden unmittelbar an den Chef des Hauses zu wenden«.
Der Konzern zahlt eine jährlich wachsende Gewinnbeteiligung, die nach einigen Jahren mehr als ein 13. Gehalt ergibt. Er unterhält in Nürnberg ein Freibad, in Erlangen eine Sporthalle, in Berlin eine Turnhalle, in München ein Sportgelände mit Trainingshalle, und manchmal hat ein Mitglied der Familie den Paten abgegeben. Das dient aber nicht mehr dazu, etwas wie eine wundervolle große Siemens-Familie in Szene zu setzen. Vielmehr zielen viele Bemühungen vordringlich dahin, nicht das Werkswohl, sondern das allgemeine Wohl ins Auge zu fassen: etwa eine Rettungsstation der Wasserwacht statt eines Werkskindergartens zu gründen.
Daß der Konzern-Älteste Ernst von Siemens von den überkorrekten Türhütern der Firma nicht vorgelassen wurde, als er der Gesundheit wegen einmal das Fahrrad benutzte, nimmt niemand wunder, am wenigsten ihn selbst. Reiche der neuen Welle aber fühlen manchmal noch den leeren Blick eines Untergebenen wie einen Nadelstich in ihr Selbstbewußtsein.
»Neulich war ich zum Dienstschluß an unserem neuen Haupteingang«, sagt Gustav Schickedanz, dessen Quelle in Stoßzeiten 26 000 Kräfte braucht, »die vielen Leute hätten mich fast die Treppe hinuntergerissen, aber nur ganz wenige haben mich überhaupt erkannt.«
Er weiß noch, wie es war, als er mit jedem seiner Leute vertraut umging, und sträubt sich gegen den Gedanken, sich durch den eigenen Erfolg um die geliebte Rolle des Hausvaters gebracht zu haben. Wie sagte der junge Arbeiter auf dem Ball des Betriebssportvereins zu der flott-resoluten Tanzpartnerin, die sich in seinem Arm als Frau Schickedanz entpuppte? »Ach nee - mich trifft der Schlag!« Dabei ließ er sie los - er war nicht sehr erbaut von seinem plötzlichen Kontakt nach oben.
Der weißhaarige Herr der Quelle ging, verkörperter guter Wille, unter den Maskierten umher, trug einen der Anzüge, die er vor seiner Arthrose zum Tennisspielen brauchte, und sah fröhlich-verloren in tausend fremde Gesichter, die ohne Zweifel zu Leuten gehörten, deren Lebensglück zu einem gewissen Grade von ihm abhing.
Ganz ist es diesem protestantischen Firmenherrn bisher nicht gelungen, die besitzergreifende Fürsorglichkeit seiner Gründer-Natur abzukühlen, wie der Großbetrieb es gebietet. Vor Weihnachten bittet er seinen gesamten Stab, zur unmittelbaren Kontaktpflege an ihm vorbeizudefilieren, um jedem einzelnen die Gratifikation selbst in die Hand drücken zu können.
Einstellungen in seiner Fürther Zentrale will Gustav Schickedanz erst besiegeln, wenn er sich mit den Kandidaten über deren private Situation ausgesprochen und, bei Ehemännern zumindest, den Eindruck gewonnen hat, daß sie moralisch, harmonisch, kurz: wie ein Christenmensch mit den übernommenen Pflichten leben. Sauberkeit ist für ihn noch etwas, wofür der Unternehmer am besten selbst sorgt - und zwar im allerweitesten Sinne. Nicht umsonst hat er die Spieler der Moralischen Aufrüstung von Caux nach Fürth geholt. Er bezahlte sie, und sie zeigten den Mitbürgern ihr Läuterungsdrama: »Mr. Brown steigt herab.«
Schon im Vestibül seiner Verwaltung sieht man, welch hohe Einschätzung in der Firma die Familie genießt. Bronze -Reliefs erinnern dort an seine mitarbeitende erste Ehefrau, die vor drei Jahrzehnten einem Autounfall zum Opfer fiel, und an den Ehemann seiner mitarbeitenden Schwester Liesl, der bis zu seinem Tode ebenfalls dem Hause diente.
Gustav Schickedanz hat seine zweite Frau aus der Firma genommen, und in der Firma ist sie seine vertrauteste Mitarbeiterin. Die Einkaufsreisen und Inspektionsreisen der Generalbevollmächtigten Grete Schickedanz werden mit Hilfe eines zweimotorigen Firmen -Flugzeugs, Modell Queen Air, bewältigt, an dem ihr wesentlich älterer Ehemann sich nach Möglichkeit von unten freut.
Nach seiner Grete taufte der Alleinherrscher den riesigen Kindergarten der Quelle. Da er sich in der Versand -Saison sehr auf die mitarbeitenden Hausfrauen in Fürth und Nürnberg angewiesen fühlt, will er an diesen Tagesstätten für 370 Kinder nichts verdienen: Einschließlich der Getränke kostet der Aufenthalt nur drei Mark im Monat. Wer es wünscht, kann als Quelle-Mitarbeiter auch billige Ferienplätze vermittelt bekommen, beispielsweise in einer eigenen Firmen-Pension am Tegernsee, in deren Nebengebäude sich der Inhaber selbst gelegentlich erholt.
Seine Schwester Liesl, gleich ihm Inhaber der goldenen Bürgermedaille von Fürth, regiert das soziale Wesen des aus allen Nähten geplatzten Unternehmens. Seine Tochter aus der ersten Ehe hat nach einer soliden Handwerkslehre den Weidmann und Piloten Hans Dedi als Ehemann und Generalbevollmächtigten ins Haus gebracht, den Erben der Südbadischen Gummizug-Fabrik Hüssy & Künzli und, wie man annehmen darf, auch Nachfolger auf dem Quelle -Thron.
Als Madeleine, das einzige Kind aus zweiter Ehe, einen Sproß des Nürnberger Spielwaren-Fabrikanten Adam Mangold als Ergebnis ihrer Sprachstudien heimbrachte, richtete der Firmenvater Schickedanz ihr eine Hochzeit von biblischem Zuschnitt aus, wobei den Kindern seines Chauffeurs die gleichen Anzüge angemessen wurden wie seinen eigenen Enkeln.
Die Frage der Nachfolge behauptet der alte Tycoon testamentarisch so geregelt zu haben, daß kein Unfähiger aus der Familie etwas zu bestimmen hat. »Mein Besitz in Chile«, sagt er, »der ist vielleicht mal gut, wenn einer nicht in die Firma gehen möchte.« Er weicht diesem Thema weniger aus als Max Grundig, der nur eine einzige Tochter hat, vorsorglich seine kleine Enkelin Gabriele öffentlich als Erbin benannte und bisher kein Wort darüber verlor, wie er sich die Zukunft seiner Gründung denkt.
Etwas von einem Abraham schlummert in den meisten reichen Unternehmern der Bundesrepublik. Aber auch etwas von einem Oberlehrer. Wie sie ihre geschäftliche Tüchtigkeit ächzend auf einem entfesselten Markt erproben, so lassen sie in den Betrieben ihrer sozialen Phantasie die Zügel schießen. Einem Jüngling, dem heute eine Walz durch die markantesten deutschen Privatunternehmen gelänge, müßten die vielen Sorten von Güte nahezu den Sinn verwirren.
Bei Ernst Wilhelm Sachs in Schweinfurt werden für 9000 Betriebsangehörige jährlich 9,8 Millionen in Form von Sonderleistungen ausgegeben. Dort böten sich die besten Chancen für billige Ferien und billige Freizeit-Spielereien. An 17 Arten Sport und Steckenpferd können sich die Stammarbeiter des 37jährigen Firmenchefs und Ferrari-Fans billig versuchen. Die übrigen 3000 Angehörigen seines durch Zukauf weit verstreuter Werke hektisch gewachsenen Besitzes will er von seinen sozialen Errungenschaften erst nippen lassen, wenn ihre Betriebe so richtig florieren.
Für einen Windenstart mit dem Segelflugzeug zahlt man bei ihm 1,50 Mark, für eine Reitstunde 2,50 Mark. In einem neugegründeten Freizeitheim am Rande von Schweinfurt findet man an Wochenenden bis zu 200 Firmenangehörige bei Spielen und preiswerter Bewirtung vereint. So kommen sie nicht aus dem Herrschaftsbereich des guten Arbeitgebers.
In den drei firmeneigenen Ferienheimen in Bayern erholen sich jährlich 2100 Schweinfurter. Die Mitarbeiter des Werkes zahlen dabei keinen Pfennig. Für Ehefrauen sind täglich 10,25 Mark zu erlegen, für Ehefrauen von Rentnern nur 5,25 Mark.
»Für die Rentner sollte man noch was tun, hat Papa gesagt«, erzählte mir Sachs, »ich hab's noch im Ohr.« Offenbar eingedenk eigener Beobachtungen aus seiner Lehrjungenzeit bei Daimler-Benz hat er nebenbei das soziale Ressort an sich gezogen, in dem ein reicher, junger Bonhomme der Industrie sich bei den Arbeitern am direktesten beliebt machen kann.
Philip Rosenthal bietet den Arbeitnehmern Anteilscheine und Kultur. Sie sind bei ihm zur drittgrößten Aktionärsgruppe geworden. Elf von hundert dieser Mitinhaber aus der Belegschaft haben bei der letzten Kapitalerhöhung sogar selbst einen Schritt weiter in den Kapitalismus gewagt und mit eigenem Geld dazugekauft. Das spricht dafür, daß sie bleiben wollen - ein vom Unternehmer zu gerne gesehenes Resultat guter Behandlung.
Denn das Wort Fluktuation gehört zu den garstigsten im Lexikon reicher wie armer Unternehmer.
Bei Rosenthal in Selb, hinter den sieben Bergen, nahe der trostlosen Grenze, setzt Philip der Vielseitige - Teilhaber der Firma, Inhaber des Firmennamens - außerdem alle Hebel in Bewegung, um auf seiner Fabrikbühne die musischen Attraktionen einer Weltstadt zu bieten. Die Geiger Igor Oistrach und Yehudi Menuhin, der Pianist Shura Cherkassky, die Bamberger Symphoniker, das Ensemble der Mailänder Skala, des Berliner Schloßpark-Theaters, des Burgtheaters, des Düsseldorfer Schauspielhauses, des Stadttheaters Basel, des Schwarzen Theaters von Prag, der Pantomime Marcel Marceau, Louis Armstrong oder Güter Graß helfen mit ihrem Vortrag, dem Leben der staubigen Porzellan-Stadt ein kulturelles Air zu geben. »Wenn sich ... Fürsten und Könige ihr Ballett, ihre Oper, ihr Schauspiel gehalten haben«, feierte der Theater-Mann Karlheinz Stroux den Arbeiter-Fänger, so leisten sich heute die Angehörigen der Industrie und der Wirtschaft ... Darbietungen bedeutender Ensembles ... aber ... sie lassen die ... Betriebe daran teilhaben.«
»Rosenthal-Feierabend« nennt das der Unternehmer, aber der dadurch entstehende Eindruck, daß der Betrieb sich in die Freizeit von 5500 Mitarbeitern einmische, ist nicht ganz zutreffend. Wie Krupp möchte auch dieses vergleichsweise winzige Unternehmen nur helfen, vorhandene Interessen zu befriedigen, was in der Praxis freilich manchmal doch wieder darauf hinausläuft, in der verehrten Arbeitskraft erst Interessen zu wecken. Bei Pingpong und Sportfliegerei, auf der Laienbühne oder bei der Leichtathletik, bei Gartenbau und Belegschaftstänzchen darf sich der Mitarbeiter jedenfalls in Ellbogen -Nähe seines Firmenchefs und von diesem verstanden fühlen.
Das eigene Sozialwerk für Notlagen der Firmenangehörigen, das Erholungsheim in Oberaudorf, die Inhalierstation, in der kostenlos etwas gegen die im Werk erworbene Staublunge unternommen werden kann, und was derlei notwendige Nettigkeiten eines Mittelbetriebes sind - es wäre gesonderter Beachtung kaum würdig, gäbe es nicht als Vortänzer in jeder sozialen Nummer immer aufs neue Herrn Rosenthal zu bestaunen.
Beim Betriebssport, beim »Künstlerfasching« oder beim Betriebsjubiläum im Trainingsanzug, dunklen Anzug oder verkleidet als Neandertaler erscheint er den Rosenthal-Mitmenschen - ein leichtfüßig reicher Obermann jeder von ihnen gebildeten Riege. Er probt mit ihnen Rheinwein, wettet mit dem Mann am Brennofen, um dessen Leistung, und mit dem Verkäufer eines Porzellan -Ladens, um dessen Umsatz zu steigern. Den Leiter des Rosenthal-Studienhauses von Düsseldorf mußte er einer Wette wegen auf den Schultern über die Königsallee tragen. Mit einem Kunden bestritt er ein Wettrennen um den Kölner Dom. Mit seinen Designern Wiinblad und Wirkkala wanderte er über den Ätna.
Von ihm, dem Dauerläufer, Himalaja -Touristen und Geschäftspiloten, stammt der Gedanke, die Belegschaft paarweise zu Sternwanderungen von 30 Kilometer Tagesstrecke zu veranlassen und dabei Mitarbeiter nebeneinander marschieren zu lassen, die sich sonst nie zu Gesicht bekommen.
*Damit alle ihn einmal an der Arbeit erleben, wandert er selbst gelegentlich mit seinem Schreibzeug von einem Zweigbetrieb in den anderen.
Damit alle ihm seine besondere Art von Lebensfreude nachempfinden - sie müssen ja nicht gerade wie er, der reiche Mann manchmal, zum Kaffeetrinken nach Italien fliegen -, setzt er mit Nachdruck schlichte Thesen in Umlauf: etwa die von der »Anti-Bauch -Therapie«.
»Wir wollen versuchen, unseren Bauch loszuwerden«, wurde letztes Jahr auf der Konzernplan-Sitzung verkündet, die in Griechenland stattfand, »und zwar nicht nur den, der den Gürtel sprengt, sondern ... die geistige und willensmäßige Trägheit.«
Vom Beispiel seiner Familie wird der in der oberen Etage der Rosenthal -Belegschaft allgemein gültige Satz abgeleitet, daß keiner versuchen soll, seinen Nachwuchs in der Firma unterzubringen, bevor dieser sich nicht in anderen Firmen bewährt hat. (Ein Prinzip, nach dem heute viele Firmenherren handeln, auch Axel Springer, dessen einziger Sohn Axel für Franz Burda arbeitet.)
Rosenthal pflegt die Originalität seines Büros wie eine Diva ihren schlechten Ruf. Für ärgerliche oder geniale Eingebungen braucht er die Wandtafel hinter dem Schreibtisch. Es genügt ja nicht, daß er selber liest, was er geschrieben hat: Die anderen müssen es sehen. Zur Arbeit braucht er eine Strohscheibe für das entspannende Spiel mit Pfeilen, dazu eine Mistgabel als einfaches Wahrzeichen seiner Absichten bei Gesellschafter -Versammlungen.
Vor aller Augen läuft er morgens von seinem Schloß aus in Turnhosen zum Dienst, das ist eine billige, gesunde Werbung. Doch wenn auch ein Porzellan-Service nach einer seiner Frauen (Bettina) und eines nach der Mutter (Maria) benannt wurde - dazu, wie andere Industrielle, der eigenen Dynastie ein Denkmal zu bezahlen, bekommt man ihn nicht. Dem Stadtrat von Werl, der schon sicher war, ihm Geld für ein bronzenes Standbild seines Vaters aus der Tasche zu holen, sagte er das in offener Sitzung und dankte.
Es muß einiges zusammenkommen, damit ein Unternehmer die Rolle des sozialen Tausendsassas so durchhält: Berechnende Personalpolitik muß sich mit dem Bedürfnis nach bewundernder Gefolgschaft vereinen, eine genüßliche Witterung für Publicity mit dem guten Glauben, man könne andere nach seiner Fasson selig machen. Die Firma muß nicht nur als geschäftliche, sondern als politische, musische - eben totale Lebensbühne angenommen werden. Ein Mikrokosmos, möglichst nicht so klein, daß man ganz ohne öffentliches Augenmerk auszukommen hat, doch aber klein genug, sich noch als Herr darin ergehen zu können.
Der Multimillionär Dr. Kurt A. Körber ermuntert seine Arbeiter morgens mit einem Glockenspiel, das vom Tonband über Verstärker-Anlagen zu ihnen dringt: »Üb immer Treu und Redlichkeit.« Mittags läutet es wieder, und erneut ist es eine sinnige Melodie: »So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage.« Mit Glockentönen klingt der Arbeitstag aus: »'s ist Feierabend, 's ist Feierabend.«
Mit seinem Glockenspiel bereitet der Fabrikbesitzer seine 2000 Schäflein seelisch auf nahende Höhepunkte der Gemeinsamkeit vor. Bevor er sie geschlossen samt Ehefrauen in die Hamburgische Staatsoper einlädt - was er jährlich mindestens einmal zu tun pflegt -, hören sie aus dem Lautsprecher charakteristische Melodien des zur Aufführung vorgesehenen Kunstwerkes.
Manchen mag das wie eine Mischung aus Orwell und Biedermeier anmuten, aber dem Arbeitsklima scheint es wohl zu bekommen.
80 Prozent von Körbers Belegschaft waren noch nie in der Oper, bevor ihr Chef, der Opern-Freund und Freund des Opern-Intendanten, vor acht Jahren mit diesen regelmäßigen Einladungen sich um sie zu bemühen begann. Mittlerweile sind sie über die »Fledermaus« zur »Carmen« und von da zu
Mozart vorgedrungen und sehen zwischendurch einmal eine Komödie von Shakespeare.
Vor dem Theater-Abend gibt ihnen der Chef Gelegenheit, im großen Gartensaal der Fabrik einen Einführungsvortrag zu hören, und am Abend in der Opern-Pause spendet er ihnen Sekt und Schokolade. Da, sagt er, freuten sich aber die Muttis.
Regelmäßig nach so einem Ereignis, das von ihm »Unternehmensfeier« genannt wird, steigt - er prüft es gewissenhaft - die Leistungskurve an den Meßgeräten in den Maschinenhallen wie sonst nur nach einem für den heimischen Fußballverein siegreich verlaufenen Sonntag.
Es geniert ihn wenig, wenn man ihn läuten hört. Der Vorwurf, er spreche von Koloratur und meine Kalkulation, findet ihn heiter. Den Leuten Gutes zu tun, damit sie mehr tun, gilt ihm als ein besonders unbedenkliches Vorrecht des Reichen in dieser Zeit. Er will sich nicht abfinden damit, daß der Unternehmer die produktionslähmenden Konsequenzen des Mißbrauchs von Freizeit hinzunehmen, doch dem Mitarbeiter nicht zu empfehlen habe, wie man sie besser nützt.
Ihm wie vielen anderen Unternehmern gefällt es, bei aller Liebe zum Arbeitnehmer, nicht besonders, daß die Freizeit sich zu einem zweitägigen Wochenende zusammenballt, in dessen Verlauf der Mensch aus dem Tritt gerät »Das haben die Russen besser gemacht«, sagt er, »in vieler Hinsicht haben sie ihre Sache besser gemacht.«
Seine soziale Erfindungsgabe kreist um den zentralen Wunsch, die Menschen stärker an sein Unternehmen zu binden, das er ihnen gemeinsam eines Tages als Stiftung vermachen wird. »Wir brauchen gemeinsame Erlebnisse«, wünscht er dringend, »nach dem Krieg war die Not das gemeinsame Erlebnis, die kann man nicht erzeugen, aber das gemeinsame Erlebnis, das wohl.«
Deshalb feiert jede Abteilung regelmäßig im Gartenhaus. Deshalb spornt er den riesigen Werkschor an und hat Otti Tenzel, die frühere Primaballerina der Hamburger Oper, verpflichtet, die weiblichen Kräfte seiner Firma bei tänzerischer Gymnastik zu vereinen. Deshalb hält er sich einen Betriebssoziologen mit den Aufgaben eines sozialen Beichtvaters. Und es beglückt ihn, seine leitenden Angestellten samt Ehefrauen in einem exklusiven Fortbildungszirkel zu sehen, den er, um Bezeichnungen im sozialen Sandkasten-Spiel niemals verlegen, M3 nennt, weil er dazu dienen soll, die Probleme von Mensch, Maschine und Material zu erörtern.
Während der Lehrjunge in durchschnittlichen Betrieben der Metallindustrie sich jahrelang im Gebrauch der Feile zu üben hat, die er später höchstens zu häuslichen Bastelarbeiten braucht, hört eine kleine Gruppe souveräner Firmenbesitzer beim Anblick der unbeholfenen deutschen Grundschul -Absolventen lauter noch als Krupp die innere Stimme pädagogischer Mitverantwortung.
Der 81jährige Hanns Voith in Heidenheim verwandelte ein reiches Landgut am Bodensee in eine sich selbst versorgende Erholungsstätte, baute Siedlungen, ein eigenes Altersheim und ein ansehnliches Kurhaus, die Arbeiter seiner ererbten, 99 Jahre alten Maschinenfabrik (derzeit 8200) kostenlos mit Sauna, Massagen und Heilbädern zu versorgen, und gründete ein soziales Hilfssystem, das sich beispielsweise um die Führung eines Haushalts kümmert, wenn die Frau eines Arbeiters ins Krankenhaus muß.
Mehr als dies alles fesselt den Unternehmer Voith die Lehrlings-Schule, für deren Unterrichtsmethode das Menschenbild der Waldorfschule Rudolf Steiners die Maßstäbe gab. Sie hat fast fünf Millionen gekostet und steht - weit davon entfernt, nur die Interessen des Betriebes im Auge zu haben - jedem Lehrjungen aus der Metallindustrie im Umkreis von Heidenheim offen.
In Kurt Herberts, der seine ebenfalls ererbte, ebenfalls 99jährige Wuppertaler Lackfabrik auf dem scharf umkämpften Farbenmarkt an die zweite Stelle manövrierte, hat diese edle Betriebs-Pädagogik ihren Missionar gefunden. Achteinhalb Stunden täglich lernt der Nachwuchs in seiner 2500köpfigen Mannschaft - nicht so sehr für den Lack als für das Leben. Aus verklemmten, ungeliebten Knaben der Industriestadt Wuppertal werden binnen drei Jahren smarte Sonntagsmaler, Laienspieler, Amateur-Physiker. Sie verstehen einen Garten zu bepflanzen, mit Schreiner-Aufgaben fertigzuwerden und Feste selbst zu arrangieren.
»Der den Richter spielt«, flüstert mir der Schulrektor beim Theaterspiel der Lehrlinge zu, »der hat noch gestottert, als er zu uns kam.«
Die Erzeugnisse ihrer neu erworbenen Kunstfertigkeiten hängen im Kasino neben gegenstandslosen Gemälden von Klee, Kandinsky oder Nay, die ihr Schuldirektor nach Katalog aus der unerschöpflichen Privatsammlung des Unternehmers anfordern darf.
Es paßt zu dem Geschmack des Fabrikanten und zur Lehre Rudolf Steiners, daß man die vorgesehene neue Lehrlingsschule ohne Ecken herstellen will: Einem gläsernen Schneckenhaus gleich soll sie auf einem der Hügel Wuppertals wachsen.
Den Rektor seiner Schule hat der Lack-Hersteller aus dem hessischen Staatsdienst gelockt und mit absoluten Vollmachten ausgestattet. Er selbst wurde vom Kultusministerium Nordrhein -Westfalens zum Professor der Sozialpädagogik erhoben. Eine kleine von ihm gegründete Stiftung soll helfen, die pädagogischen Ideale weiterzuverbreiten, denen Hanns Voith und er huldigen. Letztlich koste es, sagt er, nicht einmal wesentlich mehr, die Jungen so auszubilden, statt in den üblichen Formen.
In einem von ihm finanzierten »Jahrbuch für Wirtschafts- und Sozialpädagogik« belehrte er die anderen Unternehmer: Es müßte einer »fähigen Werkleitung nicht allzu schwerfallen, das Werk ... zu einer Art 'zweiten' Heimat des Arbeiters werden zu lassen«.
Viel mehr noch Heimat ist es ihm selbst: ihm, der die Wände seines Büros immer wieder neu mit modernen Gemälden behängt, um davor, wie er
mir sagte, Kraft für die harten Geschäfte zu sammeln.
Er hat seine zweite Frau im Betrieb gefunden und zu dessen sozialer Hüterin gemacht. Weihnachten, Karneval und jede Art von Jubiläum feiert er intensiver im Betrieb als zu Hause.
Kurt Herberts hat unter den bildenden Künstlern der Bundesrepublik viele Freunde; in der Hitler-Zeit baute er für eine Gruppe von Verfemten Ateliers und erhielt sie mit seinen Aufträgen am Leben. Doch wenn einmal Künstler zu Besuch erscheinen, dann nicht bei ihm zu Hause, sondern im Kasino des Werkes, wo sie nach Möglichkeit der an Malerei mittlerweile ebenfalls interessierten Arbeiterschaft etwas erzählen sollen.
Die Unternehmersfrau trägt dezenten Schmuck und ein braves Kostüm. Sie rafft sich einmal im Jahr lustlos zu einem Empfang am geheizten Schwimmbecken im Garten ihrer Villa auf, aber eher am Platze fühlt sie sich in ihrem kleinen, strengen und teueren Büro oder in ihrem weißen Mercedes-Coupé, dessen dienstliche Bedeutung durch ein
Telephon neben dem Steuer unterstrichen wird.
Nach Kategorien des Betriebes bezahlen sie sogar den Erben Karl-Dieter, der in München Chemie studiert und seinen Lebensstandard auf eine kleine Wohnung und einen BMW 1800 zuzuschneiden hat. »Nach bestandener Vorprüfung«, sagt die Stiefmutter, »haben wir ihm das Anfangsgehalt eines Ingenieurs gegeben, und nach jedem Semester wird es um fünfzig Mark erhöht.«
In Stunden der Erschöpfung deutet der Fabrikherr an, er dulde das Joch eines fortschrittlichen Unternehmertums nur »der Menschen wegen«. Er sagt: »Wenn die Menschen nicht wären, würde man es nicht auf sich nehmen.« Seine Frau sieht nüchterner den geschäftlichen Rahmen um das erfreuliche Sozialpanorama. Sie sagt: »Wir gehen nicht wie die Rauschgoldengel durch den Betrieb, so mit dem Körbchen.«
Es handelt sich in der Tat auch hier um eine geschäftlich durchaus lohnende Variante des bei Unternehmern mehr denn je verbreiteten Bestrebens, die uralte Abneigung der Arbeiter gegen den Kapitalisten abzutragen.
Daß Unternehmer wie Herberts oder Voith ihr Erziehungsrezept aber nicht als eine Spezialität zur Aufzucht eines geschulten und dankbaren Personals betrachten, sondern Geld ausgeben, auch andere davon profitieren zu lassen, deutet auf eine freiwillige Hinwendung zum Gemeinwohl, die vereinzelte Reiche in der Bundesrepublik wie unter Gewissensdruck vollziehen.
Ein erfolgreicher Geschäftsmann zu sein, genügt ihnen nicht. Fasziniert von ihrer universalen Hauptrolle suchen sie von selbst nach edleren Orientierungspunkten, solange die Bilanz sie beruhigt. Am Pathos soll es nicht fehlen. Herberts: »Das Zurückstauen der Triebe des Selbstisch-Niederen ist immer und überall die unabdingbare Voraussetzung wirklich überragender fruchtbarer Leistungen.«
Während der Arbeitszeit »kleine Pausen für eine kurze, richtig gelenkte Gymnastik« einzulegen, gehört zu seinem Idealbild der Betriebsfamilie, in der selbst Unglaube, Krankheit, Leid und ehelicher Unfriede aufhören, rein private Angelegenheit des Mitarbeiters zu sein. »Ein streng geordnetes und zugleich gütig menschliches Klima« im Betrieb »soll ihm (dem Mitarbeiter) helfen, zu sich zu kommen«.
Denn, so erhebt sich der Multimillionär vollends in eine Sphäre jenseits irdischen Profits: »Gegenstand unserer Ehrfurcht ... ist ein Mitmensch ... nicht seiner Leistung wegen ... sondern allein wegen seines innersten Menschseins.«
Es kommt selten vor, daß ein von sozialer Eigenwilligkeit so durch und durch gepackter Reicher sich am erprobten Beispiel anderer orientiert
oder sich auf das Wissen eines Sozialberaters stützt; wo es ums Menschliche geht, möchte der Besitzer meist gerne, daß man auf ihn hört und sieht.
Selten trifft man einen Reichen dieses Typs in den gesellschaftlichen Zirkeln seines Einkommensniveaus, von denen er schwerlich Anerkennung oder auch nur ein offenes Ohr für seine sozialen Ansprüche erwarten dürfte.
Fräulein Dr. Ellen Wiederhold, Herrin über ein ebenfalls 99jähriges Werk und 2000 Arbeiter, sowie harte Konkurrentin von Kurt Herberts, empfängt den überwiegenden Teil ihrer Reiseerlebnisse in einer Omnibus-Gemeinschaft mit dem vom Werk getragenen Chor oder der eigenen Fußball-Mannschaft.
Bis zum Londoner Vorort Bromley ist sie mit den Sängern gekommen. Es ließ sich damit verbinden, daß man drüben Geschäfte macht. In Hermannstadt wurde in ihrer Gegenwart ein Fußballspiel gegen die dortige volkseigene Fleischfabrik, mit der sie Geschäfte verbinden, 3:2 gewonnen.
Zu Betriebsausflügen chartert sie Dampfer auf dem Rhein. Es macht ihr Freude, auf Betriebsfesten mit den Männern zu tanzen. Von respektvollen Gastarbeitern gar eine Orchidee entgegenzunehmen erfreut sie wie ein unverhofftes Glück. Stärker als Blumen sprechen, für ihren Geschmack, die Ergebnisse von Betriebsratswahlen, in denen - bei 13 Sitzen - nur ein Gewerkschaftsmitglied durchgedrungen ist.
Diese resolute Sachwalterin der Familienzweige und des Familienerbes der Wiederhold brachte es 1966 noch nicht übers Herz, die 100 000 Mark für Kohlenzuschüsse und Kartoffelgeld aus dem sozialen Etat zu streichen, die zu einer Zeit als Deputat bewilligt wurden, in der man noch glaubte, es sei das beste, dem Arbeiter keine baren Zuwendungen zu machen.
Eine ähnliche Überlieferung aus schlechteren Zeiten pflegt die Firma Reemtsma, die im übrigen zu viel moderneren sozialen Methoden vorgedrungen ist; aus den beiden holsteinischen Gütern der Familie Reemtsma erhält jeder Mitarbeiter neben dem jährlichen Gewinnzuschuß weiterhin ein Lebensmittelpaket im Werte von 50 Mark.
Eines Tages trat ein Arbeiter vor den Eichenschreibtisch der Farben-Chefin und bat um Vorschuß: Die Eltern aus der DDR kämen zu Besuch. Ellen Wiederhold entschied so bündig, wie sie jeder ihrer Nichten bei Volljährigkeit das Geld für einen VW bewilligt: Jeder Arbeiter, so er einen Verwandten von drüben beherberge, habe bei ihr Anspruch auf 250 Mark Firmenbeihilfe.
Binnen kurzem wurden an 194 Werksangehörige 48 500 Mark gezahlt, mit dem Ergebnis, daß dem Unternehmen
später von einem an sozialen Spontaneitäten nicht interessierten Finanzamt 25 Prozent dieser Summe abgefordert wurden, als Lohnsteuer. Ellen Wiederhold, Mitarbeiterin der Carl Duisberg -Gesellschaft, des Deutschen Museums und diverser sozialer Gremien ihrer Heimatstadt Hilden, dazu, laut Firmenchronik, ausgezeichnet durch einen »von ihrem Vater ererbten Weitblick«, hatte in ihrer betriebsmütterlichen Fürsorglichkeit vorübergehend, und gegen jede deutsche Besitzer-Regel, zu prüfen versäumt, wieweit der Fiskus ihr Verhalten honorieren würde.
Mit garantierter Altersversorgung, Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld, mit Arbeitshygiene und Kantinenschönheit und was derlei teuere Standardvorzüge der meisten großen Betriebe der Bundesrepublik sind, läßt sich jener unnachahmliche Stallgeruch der Wohlgeborgenheit nicht völlig ersetzen, den ein guter, breitbeiniger Herr zu verbreiten vermag.
Selbstherrliche Generaldirektoren wie Nordhoff oder der alte Hermann Reusch verstanden es, sich diesen Nimbus eines auf die Schultern seiner Männer gestützten Obermannes aufzubauen, als seien sie Besitzer. Ein knorriger Kamerad Boß wie Hermann Reusch konnte sich sein Ansehen nicht dadurch verderben, daß er bei einem Betriebsgelage auch mal mit einem Feuerwehrmann Brüderschaft trank, und sie ihm anderntags aus Gründen der Betriebsvernunft wieder ausredete.
Ein kerniger Souverän wie Franz Burda, der sich mit allen seinen Veteranen duzt, oder der Wienerwald-Jahn, der sich noch plastisch ("Wenn's schiefgeht, geh ich wieder kellnern") in die Rolle des Kleinen versetzt, hat es da leichter: Was ihnen an sozialer Eingebung durch die Köpfe schießt, tritt ohne langes Federlesen gleich in die Wirklichkeit.
Der glückliche Kellner, im vollen Dampf seiner 42 Jahre, bringt, was abkömmlich ist in seiner 5000köpfigen Grill-Gemeinschaft, in Omnibussen nach Ungarn und läßt sich sogar zu einer Stegreif-Ansprache auf kommunistischem Hoheitsgebiet hinreißen, in der sie zu hören bekommen: »Da seht's as jetzt einmal, wie gut daß es ihr habt's.«
Hundertfünfzig tüchtigen Kräften hat er die Reise nach Amerika geschenkt. Im November startet er zu einem Betriebsausflug nach Israel. In Zürich, Amsterdam und Berlin ermöglicht er bewährten Firmen-Angehörigen zu Hunderten den freien Aufenthalt in seinen Hotels. Wer in eine Notlage gerät, erhält aus einer dafür geschaffenen Unterstützungskasse, in die Jahn jährlich 800 000 Mark einzahlt, einen Zuschuß bis zu 2000 Mark, den er nicht zurückzuzahlen braucht - ganz abgesehen vom Anspruch auf eine Altersrente der reichen Firma.
Franz Burda, ein Mann von ziemlich neuem Geld, der Jahn, den noch neueren Reichen, auf seinen Bal paré in München nicht einlud, mimt für seine Lohnempfänger nicht nur den Papa, der in jede Trompete bläst: Er ist es. Dirigiert das Arbeitstempo und die Burda-Blaskapelle, und wenn es sich gerade ergibt, diktiert er den Leuten sogar das Rezept für die Leberspätzle, die sie in der guten Werkswohnung kochen. Denn niemand weiß besser als er, was gut ist.
Wenn er seinen 60. Geburtstag feiert, dann ohne alle Stille: Ein Zirkus muß her, und vor der Betriebsfamilie, die ihn bewundert, und vor den schmunzelnden Ehrengästen vollführt er im Frack die große Dressurnummer mit Elefanten. »Meine Leute«, sagt Burda, »lassen sich für mich rädern und vierteilen.«
Von dem demoskopischen Fragebogen für eine Wienerwald-Enquete (die später ergab, daß 85 Prozent der Bundesbürger wissen, was der Name bedeutet) strich der Alleinherrscher Jahn kurzerhand die Frage, ob man schon mal gehört habe, wer der Besitzer sei. Er wollte das nicht wissen, ihm genügt als Devise: Die Firma bin ich.
Bei den täglich bis zu sechs Inspektionen in der Wienerwald-Kette kann er an keinem gefüllten Aschenbecher vorübergehen, ohne daß es ihm in den Fingern zuckt. Obwohl mit 180 Brathuhn -Stationen das Maß bereits voll scheint, will er weiter und weiter gründen. 400, vielleicht sogar 1000 Lokale, alle gleich bis zum Bierfilz, schweben ihm vor, und dazu ein unbegrenztes Wachstum in den Vereinigten Staaten, wo sein Erfolg soeben begonnen hat.
Die halbe Welt ein Wienerwald. Angesichts solcher Erwartungen rast er wie berauscht mit Flugzeug und Mercedes 300 durch seine mörderische Sechs-Tage -Woche. Nur als er seine beiden Töchter in der Hotelfachschule von Bad Reichenhall ablieferte und sah, daß die Hälfte der 240 Schüler dort männlichen Geschlechtes ist, stockte einen Augenblick sein optimistischer Gedankenflug bei der Vorstellung: Einer von diesen könnte es, möglicherweise nur des Geldes wegen, darauf anlegen, bei ihm Schwiegersohn zu werden.
Während Jahn nur zwei Töchter hat, sind die drei Söhne Burdas nach einer gezielten, teils sogar akademischen Ausbildung bereits am Erbe beteiligt und geräuschlos in Ausgangspositionen für dessen Übernahme gerückt.
»Ich bin der Patriarch, und das ischt gut so«, sagt Franz Burda, Ehrensenator der TH Karlsruhe und Ehrenmitglied des Holzhacker-Vereins Garmisch -Partenkirchen, und spricht damit aus, was für die meisten Firmeninhaber seiner Größenordnung eine stille Selbstverständlichkeit darstellt.
Und doch rühren die kulturellen Verfeinerungen des Offenburger Imperiums vorwiegend von seiner Frau Aenne her, die ihren eigenen Mode-Verlag gründete, diesen allein beherrscht und sich dafür von Professor Egon Eiermann, dem Architekten der Berliner Gedächtniskirche, ein sehenswertes Gehäuse erbauen ließ.
Die Ehefrau als widerstandsfähigen Teilhaber ihrer Unternehmersorgen zu betrachten, die Kinder zu rechtschaffenen Erbfolgern zu ertüchtigen und sich selber ein architektonisches Monument zu setzen - das sind Bestrebungen, in denen besonders viele potente Unternehmer der Bundesrepublik sich im Grunde gleichen.
Die Unternehmersfrau Annelie Grundig, die in anspruchslosen Society-Zirkeln ohne ihren schwer arbeitenden Mann Zerstreuung sucht, gehört zu der Handvoll Ausnahmen von der Regel, daß die Frauen der deutschen Reichen ihr Leben ganz den Geschäften der Männer unterordnen oder gar im Betrieb eine Rolle spielen.
Im Betrieb, als eine Schlüsselfigur der Kontaktpflege, taucht selbst die Frau des musischen Konzern-Dirigenten Dr. Günter Henle auf, dessen Klöckner -Konzern mit seinen Verästelungen jährlich immerhin 7,5 Milliarden umsetzt.
Im Betrieb sind auch bereits die Söhne Jörg Alexander (31) und Christian Peter (27 und verlobt mit einer Tochter von Berthold Beitz) auf dem vorgezeichneten Weg nach oben, für den sie sich durch akademisches Studium und Sprachstudien im Ausland vorzubereiten hatten - getreu der Ansicht ihres Vaters, daß man in Spitzenpositionen der modernen Wirtschaft ohne das nicht mehr auskomme.
Damit befindet sich der Dr. jur. Dr. phil. h. c. Günter Henle keineswegs in Übereinstimmung mit allen industriellen Herren. Viele schwören im Zeitalter der Elektronik weiterhin auf den schnellen Start in die Praxis, wie er durch den Eintritt in eine Banklehre nach mittlerer Reife gewährleistet scheint.
Typisches Beispiel für diesen beharrlichen Stil: die alte Weinbrenner-Sippe der Melcher, die in Krefeld-Uerdingen die Marke Dujardin auf Flaschen zieht und das Kolorit der lokalen Politik bereichert.
Bruder Heinrich Melcher (CDU) ist Bezirksbürgermeister von Uerdingen und Inhaber weiterer 21 Ehrenämter. Bruder Wilhelm führt die Geschäfte und züchtet auf seinen Gütern Norweger Pferde. Die Erbprinzen beider sind nach Oberschule und etwas Bankdrill in die Firma gekommen mit Gehalt und Urlaub nach Tarif. Sie essen in der Werkskantine, fahren VW oder einen abgelegten alten Mercedes vom Vater. Wilhelms Sohn bekam zu seiner Hochzeit - Höhepunkt des äußeren Glanzes im Leben eines braven Industrie-Erben - vom Vater einen Empfang im Düsseldorfer Hotel Breidenbacher Hof bezahlt, an dem hundert Personen teilnahmen.
Auch was die Architektur betrifft, springen die Reichen der Industrie nur selten über ihren Schatten. Ihre neuen Fabriken bleiben häufiger unter den Möglichkeiten der Zeit als die baulichen Manifestationen der großen Kapitalgesellschaften. Sie zeugen mehr von wirtschaftlicher Solidität und einem Hang zur zwiegenähten Repräsentation, als von sozialen Inspirationen. Und das, obwohl fast jeder Reiche in seinen Firmenbauten einen Ausdruck der eigenen Gesinnung sehen will.
Ein notorischer Reformer wie Kurt A. Körber hinterließ an den Glasfronten seiner im übrigen mäßig modernen Fabrik-Neubauten das Zeugnis seiner ganz eigenen Handschrift in Gestalt gewaltiger, selbstentworfener Allegorien aus der Kupferschmiede. Philip Rosenthal statuierte ein einsames Exempel mit seiner demnächst vollendeten neuen Porzellan-Fabrik bei Selb: Der Bauhaus -Architekt Walter Gropius hat sie als universales Arbeitsgehäuse einer in der Fabrik geborgenen Gesellschaft entworfen.
Ein ähnliches Wagnis schien Alfried Krupp und Berthold Beitz vorzuschweben, ehe sie ein 90-Millionen-Projekt in die Schublade legten, das ihnen Ludwig Mies van der Rohe als neues Stabsgebäude empfohlen hatte. Die Verwirklichung scheiterte vorerst an Geldmangel und an einer Tücke, die von Parkinson erdacht sein könnte: Der Generalstab des Konzerns zählt trotz energischer Verminderung durch Berthold Beitz immer noch 200 Köpfe mehr, als der berühmte Architekt mit seinem Entwurf für vereinbar hielt.
Die reichen Aristokraten, belastet durch die Pflicht, den respektablen Schloßfassaden baufreudiger Ahnen ihren Glanz zu erhalten, verfallen nicht auf die Idee, ihre Generation durch wagemutige Stahlkonstruktionen zu manifestieren. Jedoch, sich schöpferisch und mehrend am ererbten Gut zu bewähren, daran haben in den Jahrzehnten nach dem deutschen Nullpunkt sogar Erbfolger einen zunehmenden Gefallen gefunden, denen ein Überfluß an Schaffenskraft genealogisch nicht verbürgt gewesen wäre.
Georg Fürst von Waldburg zu Zeil, Eisenhändler, Großgrundbesitzer und Zeitungsherr in Schwaben, der Herzog von Croy als Großgrundherr und Coca -Cola-Abfüller, der Großagrarier und Brauerei-Unternehmer Joachim Egon Erbprinz zu Fürstenberg hängen sich mit Reiseflugzeug, Hubschrauber, Ferrari und unternehmerischem Elan an den Eilschritt der industriellen deutschen Oberschicht, wenngleich es ihrer Erziehung vorerst noch widerspricht, sich überarbeitet zu geben.
»Es ist für die Deutschen eine Prestige-Frage, keine Zeit zu haben«, spottet der generalbevollmächtigte Prinz Johannes von Thurn und Taxis, ein Bankier, Brauerei-Chef und Großgrundherr, der immer noch Zeit hat, obwohl er nebenbei in der brasilianischen Provinz Matto Grosso 55 000 Hektar Urwald mit Bulldozern und Ankerketten rodet. Um die endlosen Restaurierungsarbeiten an den 20 Familienschlössern kümmert sich allerdings sein Onkel Franz Joseph, der regierende Fürst - soweit ihn das Jagdfieber freigibt.
Auf die in der Luft liegende Idee, am Erfolg des Unternehmens die Arbeiter unmittelbar und rechtsgültig teilhaben zu lassen, verfiel bisher nur ein namhafter Eigentümer mit letzter Konsequenz: der Hildener Textilfabrikant Gert P. Spindler, Jahrgang 1914. Er schlug vor 15 Jahren 2500 getreue Lohnempfänger zu Mitunternehmern, indem er ihnen einen »Partnerschaftsvertrag« vorlegte. Kaum hatten sie unterschrieben, geriet der Betrieb in die widrigen Winde eines Konjunkturumschwunges, und die kleinen Kapitalisten erfuhren die unangenehmsten Seiten des Unternehmer-Risikos an ihrem Portefeuille: Auch Verluste sollen bei Spindler von allen getragen werden.
Schließlich konnte ihrer aller Unternehmen sie nicht mehr alle ernähren, und natürlich gingen nicht Herr Spindler und die Direktion, sondern 1500 Arbeiter nach und nach über Bord, denen man die Mitbeteiligung teils erst wieder auszureden hatte.
Nun scheint die Firma zu florieren, doch so weit, daß die vertraglich festgesetzte Mindesteinlage eines Monatsgehaltes überschritten und an eine Ausschüttung von Gewinn zu denken wäre, ist man noch nicht.
Spindler lauscht ein wenig auf die Zierfische in seinem düsteren Fabrikbüro und gesteht es ganz offen, was weniger teilungsfreudigen Besitzern nicht über die Lippen geht: »An Altruismus oder so was habe ich nicht gedacht.« Es ging ihm darum, Neues aus dem Kapitalismus herauszudestillieren, nachdem er zuerst vergeblich versucht hatte, mit einer politischen Wochenzeitung namens »Fortschritt« (Auflage 60 000) und einer Wiedererweckung des,
»Bauhauses« für seinen Tatendrang das Passende zu finden.
Die Aussicht, in der dritten Generation die Fabrik zu erben und den im Foyer verewigten Ahnen auf ihrem ausgetretenen Pfad nachzufolgen, hatte ihn wenig erbaut, bis er entdeckte, daß man mit dem eigenen Werk ja durchaus Experimente und von sich reden machen konnte. Nun wird er, ein Neuerer, an deutschen Akademien gerne auf das Vortragsprogramm gesetzt.
Wenn Vater auch reformiert und sich freut, daß schon mehr als 200 kleinere Unternehmer ähnliche Projekte wälzen, wird der Sohn in akademischen Studien und Auslandsexkursen darauf präpariert, wohl oder übel ein Textil -Erbe zu sein.
Die Arbeiter Spindlers aber sind gerade dabei, sich mit der dritten, verbesserten Neufassung ihres Beteiligungsvertrages zu beschäftigen. Noch zwei Drittel von ihnen sind jetzt bereit, sich dem kapitalistischen Risiko zu überantworten. Die anderen wollen, was andere Unternehmer mit weniger revolutionärem Aufwand immer noch besser verbreiten: Geborgenheit, Geborgenheit, Geborgenheit.
Ende
Die Serie erscheint in Kürze im Verlag Bärmeier & Nikel, Frankfurt/M., als Buch.
Industrieller Krupp, Mitarbeiter: Nach 50 Jahren eine Tasse Tee beim Unternehmer
Flick-Sohn Friedrich Karl
Die Zugehörigkeit zur Gründersippe ...
Krupp-Sohn Arndt
... ist keine Garantie ...
Siemens-Großneffe Peter
... für sicheren Aufstieg
Quelle-Herr Schickedanz, Betriebs-Fasching
Ein bißchen Abraham ...
Unternehmer Rosenthal beim Frühsport
... ein bißchen Oberlehrer
Rosenthal-Gast Armstrong
Hinter den sieben Bergen ...
Rosenthal-Gast Igor Oistrach
... das Programm einer Weltstadt
Lackfabrikant Herberts
Für das innerste Menschsein ...
Körber-Fabrik-Neubau*
... Glockenspiel und Gymnastik
Voith-Lehrlings-Schule in Heidenheim: Der Unternehmer läßt massieren ...
Lehrherr Voith
... und schickt Helfer in den Haushalt
Lackfabrikantin Ellen Wiederhold: 3:2 gegen volkseigene Fleischfabrik
Hühner-Griller Jahn, Familie:
Betriebsausflug nach Israel
Dompteur Burda: »Ich bin der Patriarch«
Ballspieler Burda
»Meine Leute lassen sich ...
Musikant Burda
... für mich rädern und vierteilen«
Textilfabrikant Spindler
Verluste mit den Arbeitern geteilt
Eisenhändler von Waldburg zu Zeil
Zeitmangel ist stilwidrig
Die Welt
»Du sollst es mal leichter haben, Junge, du bleibst Angestellter«
* Unter einem Körber-Entwurf.