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BUNDESTAG Die Reise nach Bangkok

aus DER SPIEGEL 44/1956

Die gleiche überlegene Distanz, mit der

das offizielle Bonn am 17. Juni 1953 dem blutigen Aufstand der Sowjetzonen-Bevölkerung zusah, wurde von der bundesrepublikanischen Prominenz am Rhein auch in der vergangenen Woche geübt, als der Sturmwind der Geschichte in Osteuropa ein Freiheitsfeuer entfacht hatte, dessen Auswirkungen für die Wiedervereinigung Deutschlands noch nicht abzusehen sind.

Es schien wie ein Symbol, daß ausgerechnet in dieser Situation die außenpolitischen Experten und Wiedervereinigungs -Streiter in Bonn ihre Koffer packten, um Ambitionen im Fernen Asien nachzugehen. Unter den Reisenden waren Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier, die Vorsitzenden des außenpolitischen Parlamentsausschusses, Kurt-Georg Kiesinger und Carlo Schmid, fünfzehn weitere Bundestagsabgeordnete, SPD-Chef Erich Ollenhauer und der Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten, Walter Hallstein.

Der stets reiselustige Staatssekretär hat die Gelegenheit einer Unesco-Konferenz in Neu-Delhi, auf der er eine Delegation von etwa anderthalb Dutzend Außenamts-Diplomaten anführen wird, dazu genutzt, gleich eine Konferenz der deutschen Botschafter in Asien nach Neu-Delhi einzuberufen. Vor Ende nächsten Monats wird er nicht am Rhein zurückerwartet.

Länger noch wird der SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer fern der Heimat bleiben. Er brach am letzten Sonntag mit dem Flugzeug zur asiatischen sozialistischen Konferenz nach Bombay auf. Gespräche mit Ministerpräsident Nehru sind vorgesehen. Weitere Stationen seiner asiatischen Reise: Ceylon, Burma, Indonesien, Japan, Thailand, Pakistan und zum Schluß Israel.

Erich Ollenhauer, der zeitweilig von Niedersachsens ehemaligem Ministerpräsidenten Hinrich Wilhelm Kopf begleitet wird, führt in seinem Gefolge einen Sekretär des Parteivorstandes mit sich und einen Schweif sozialistischer Berichterstatter. Außenminister Heinrich von Brentano hat es sich nicht nehmen lassen, alle betroffenen deutschen Auslandsvertretungen anzuweisen, den SPD-Vorsitzenden gerade so zu behandeln, als ob er, der Außenminister, in höchsteigener Person bei ihnen zur Visite vorspräche.

Auf dieses seltene harmonische Einvernehmen von Regierung und Opposition fiel nur ein schwacher Schatten, als sich Erich Ollenhauer außerstande erklärte, seinerseits einen Wunsch des Außenamtes zu erfüllen. Brentanos Diplomaten hatten ihn gebeten, auf seiner Rückreise aus außenpolitischen Gründen doch nicht nur in Israel haltzumachen, sondern mit Rücksicht auf die empfindlichen arabischen Gemüter auch einem der Gegnerstaaten Israels im Vorderen Orient einen Besuch abzustatten.

Der Sozialdemokrat lehnte mit Bedauern ab. Seine Zeit lasse das nicht zu. Seine siebenwöchige Reise sei so terminiert, daß er gerade noch vor Weihnachten wieder daheim bei Frau Martha sein werde.

Trägt diese Überschneidung der Einzelaktionen von Staatssekretär Walter Hallstein und Sozialisten-Führer Erich Ollenhauer noch den Charakter des Zufälligen, so wirkt die Anziehungskraft heißer Zonen doch etwas überraschend, wenn man weiß, daß in der gleichen Zeit auch eine vielköpfige Bundestagsdelegation vom Reisefieber gepackt ist. Achtzehn Bundestagsabgeordnete und drei Bundestagsbeamte machen sich unter Führung ihres Präsidenten -Eugen Gerstenmaier in dieser Woche zu einer Tagung der Interparlamentarischen Union in Bangkok auf.

Obgleich die Konferenz nur vom 15. bis zum 23. November dauert, wollen die zweiundzwanzig Parlamentsreisenden insgesamt fünf Wochen fernbleiben, um ihren weltpolitischen Horizont zu erweitern. Damit wird praktisch bis Weihnachten die Arbeit des Außenpolitischen Ausschusses lahmgelegt sein, von dem gleich ein Dutzend Mitglieder und Stellvertreter mit von der Partie sind.

Außerdem gehören der Delegation auch die Vorsitzenden und Stellvertretenden Vorsitzenden von vier weiteren Bundestagsausschüssen an, nämlich SPD-Bundestagsabgeordneter Fritz Erler (Verteidigungsausschuß), SPD - Bundestagsabgeordneter Walter Menzel (Ausschuß zum Schutze der Verfassung), SPD-Bundestagsabgeordneter Heinz Kühn (Ausschuß für Presse, Funk und Film) und SPD-Bundestagsabgeordneter Erwin Schoettle (Haushaltsausschuß).

Dennoch waren sich die Fraktionen und besonders die Beteiligten in ungewöhnlicher interfraktioneller Gemeinsamkeit darüber einig, daß die Reise von zu großem politischem Gewicht ist, als daß sie durch so geartete Überlegungen verkürzt oder die Teilnehmerzahl verringert werden könnte. Nur der Vorsitzende des Außenpolitischer Ausschusses, Kurt-Georg Kiesinger, sah sich zeitweilig herber Kritik seiner CDU-Parteifreunde ausgesetzt, weil er die Rudimente seines Ausschusses für die Zeit seiner Abwesenheit ausgerechnet dem Einfluß des erbittertsten Kanzlergegners, des SPD-Bundestagsabgeordneten Herbert Wehner, überläßt, der als einer der wenigen wahren Wiedervereinigungsmatadore zu Hause bleibt.

Wie bei einer Sternfahrt werden die zweiundzwanzig Parlamentsreisenden auf drei verschiedenen Fluglinien nach Bangkok vorstoßen. Da sie als Volksvertreter mit ihrem Spesensatz von täglich achtzig Mark Ministerialdirektoren gleichgestellt sind, wird die westdeutsche Delegation, abgesehen von den Fahrtkosten und Repräsentationsaufwendungen, die Bundesrepublik täglich über 1700 Mark kosten. Indes, auch diese Zahlen hielten einer sorgfältigen Überprüfung stand. Sagt CSU-Bundestagsabgeordneter Max Freiherr Riederer von Paar: »Sparen wäre hier am falschen Platz.«

Siebzig Länder werden etwa 700 Vertreter nach Bangkok entsenden. Die zweitstärkste Weltmacht, die Sowjet-Union, ist nur mit vierzehn Köpfen vertreten. Allein, so plädierte Professor Carlo Schmid für die Entsendung einer zweiundzwanzigköpfigen deutschen Delegation, »wir können nicht zulassen, daß dort nur Leute in Turban und Fez zusammenkommen«. Er setzte sich darum auch bei befreundeten europäischen Parlamentariern ein, ebenfalls starke Gruppen nach Bangkok zu entsenden. Seinen Mitreisenden verdarb er aber alle Vorfreude auf ein lockeres Touristenleben: »Wir werden harte Arbeit leisten müssen. Wir sollen uns nur nicht einbilden, wir könnten nach Belieben Tempel und Pagoden besichtigen.«

Die harte Arbeit der deutschen Delegation wird sich vornehmlich darauf-konzentrieren, eine Aufnahme der Ostblockstaaten in die Interparlamentarische Union zu unterbinden. Eine offizielle Presse-Erklärung des Deutschen Bundestages tat schließlich noch ein übriges, um alle Kritiker der Parlamentsreise zum Verstummen zu bringen: »Da Deutschland bis jetzt nicht Mitglied der Vereinten Nationen ist, sind die Verhandlungen in der Interparlamentarischen Union für die Bundesrepublik von steigendem Interesse... Der Bundestag ist verpflichtet, bei jeder Gelegenheit die Wiedervereinigung auch als eine Aufgabe der weltpolitischen Entwicklung mit Nachdruck zu vertreten.«

Der unternehmungslustige Delegationsführer Eugen Gerstenmaier hat über das asiatische Programm hinaus noch eigene Vorstellungen, wie er dieser Aufgabe gerecht werden kann. Er will seinen Rückweg um die andere Hälfte der Erdkugel nehmen und dabei in Amerika Station machen. Der offizielle Anlaß ist - wie schon zuvor so oft bei seinem Kanzler - die Annahme einer Ehrendoktorwürde. Die amerikanische Universität Springfield will sie ihm verleihen.

Wenn Gerstenmaier in den Vereinigten Staaten eintrifft, wird der neue US-Präsident gewählt sein. Und mit ihm hofft er zusammenzutreffen, Um diesen Gesprächen besonderen Nachdruck zu verleihen, hat er die Vorsitzenden des Außenpolitischen Ausschusses, Kurt-Georg Kiesinger und Carlo Schmid, gebeten, ihn bei seinem »round the world«-trip zu begleiten. Im SPD-Parteivorstand löste diese Absicht erregte Debatten aus. Man empfahl dem Genossen Schmid, sich nicht auf dieses außenpolitische Amateur-Stück einzulassen.

Aber bisher widersetzte sich der Sozialisten-Troubador den Wünschen seiner Partei. Sein Flugticket ist nach Washington und New York ausgestellt.

Eugen Gerstenmaier nun hat einen besonderen Anlaß, mehr auf Reisen zu sein, als es für einen Parlamentspräsidenten üblich ist: Er will an der Spitze der Bundestagsdelegation, die nach Moskau fährt, im Kreml handfeste und einschneidende Verhandlungen führen und möchte sich dafür schon heute bei den Amerikanern Wohlwollen, Unterstützung und Rückendeckung in direktem Gespräch mit dem neuen US-Präsidenten verschaffen.

Außenpolitiker Schmid, Kiesinger: Reise zu Leuten mit Turban und Fez

Reisender Parlamentschef Gerstenmaier

Gespräche in Washington und Moskau

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