Sozialpolitik Die Republik der Alten
Helmut Kohl reagierte, ungewöhnlich schnell, mit einem Machtwort: »Die Renten bleiben tabu.« Was FDP-Wirtschaftsminister Günter Rexrodt vorschlage, das Renten-Niveau langfristig abzusenken, komme für ihn »nicht in Frage«.
Auch Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) lehnte die »sachunkundigen Amateur-Vorschläge« des Liberalen heftig ab: »Laßt die Rentner endlich in Ruhe ihre Rente verzehren.«
Wenn es denn so einfach wäre.
Was der Liberale Rexrodt zur langfristigen Sicherung der Renten vorschlägt, ist im einzelnen zwar fragwürdig und undurchdacht (SPIEGEL 34/1993), trifft im Kern aber ein brisantes Zukunfts-Thema der Republik: Wer heute arbeitet, wird immer größere Teile seiner Einkünfte an die Sozialkassen abführen und mit immer geringeren Gegenleistungen im Alter auskommen müssen.
Und: Soll die Belastung für Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung in den nächsten 20 Jahren nicht auf 70 Prozent der Bruttoverdienste steigen, so rechnet der Sozialforscher Meinhard Miegel vor, müssen »Leistungen vermindert werden«.
Vor allem die Rentner wird es treffen.
Den Fachleuten in Regierung und Opposition ist die Misere lange schon klar. Bis ins Jahr 2015 sei die Rentenversicherung »mit Sicherheit stabil«, so der SPD-Sozialexperte Rudolf Dreßler. Danach aber wird es düster. Höhere Beiträge, längere Arbeitszeiten können auf Dauer nicht ausgleichen, was in der Wissenschaft so harmlos »demographische Entwicklung« heißt: Eine schrumpfende Gruppe junger Leistungsträger muß eine rapide anschwellende Altenschar durchfüttern.
Heute ist jeder fünfte Bewohner der vereinten Republik über 60. In etwa 30 Jahren wird ein Drittel der Gesellschaft im Ruhestand leben. Deutschland vergreist. _(* Rechts: Trude Unruh, Vorsitzende der ) _(Senioren-Partei »Die Grauen«. )
Viele Großeltern, wenige Enkel: Der Anteil der unter 20jährigen - 1970 immerhin noch fast ein Drittel - wird sich in den nächsten drei, vier Jahrzehnten halbieren.
Immer kleiner wird der Anteil derjenigen, die für Kinder und Alte aufkommen müssen. Der Bevölkerungsanteil im erwerbsfähigen Alter (20 bis 60 Jahre) wird, sagen die Statistiker, im Jahre 2030 um ein Viertel unter heutigem Niveau liegen.
Eine Hälfte der Bevölkerung muß dann die andere versorgen, mit Geld und mit Handreichungen.
Für den Gießener Sozialwissenschaftler Reimer Gronemeyer ist damit ein »Altersklassenkampf« unvermeidlich. »Age wars«, Alterskriege, sagen amerikanische Prognostiker voraus. Das Mindeste, so der Nürnberger Sozialforscher Wolfgang Klauder untertreibend, werde ein »neuer Generationenkonflikt« sein: Alt und Jung werden um die knappen Ressourcen streiten, die von der dünnen Altersmittelschicht erarbeitet werden.
Die sozialen Netze, die heute die Alten tragen - Familie und Nachbarschaft, ehrenamtliche Wohltätigkeit und Caritas für Gotteslohn -, lösen sich auf. Heute noch privat geleistete Hilfe, ahnt Wolfgang Schäuble, Fraktionschef und Kanzler-Aspirant der Union, muß öffentlich organisiert werden. Folge: Die deutsche Republik wird nicht nur älter, sondern auch kälter.
»Die Familie ist tot. Sie war ein Dach über den Generationen. Die Alten und die Kinder sind die überlebenden Waisen dieser sozialen Katastrophe«, analysiert der Soziologe Gronemeyer das Innenleben der deutschen Gesellschaft. Familie, sagt sein Münchner Kollege Ulrich Beck, wird bald nur noch eine »Verhandlungsfamilie auf Zeit« sein, »ein widerspruchsvolles Zweckbündnis zum geregelten Emotionalitätsaustausch auf Widerruf«.
Nichteheliche Lebensgemeinschaften, lockere Partnerschaften, Single-Haushalte, das ist der Trend: späte Bindung, maximal ein Kind, und im Alter wieder allein. In Ballungsgebieten und Metropolen, selbst im Flächenland Nordrhein-Westfalen lebt inzwischen jeder zweite solo.
Wo heute in amtlichen Broschüren das Ehepaar Mustermann als typisch gilt - Mann, Frau, Ende Dreißig und ein bis zwei Kinder - , ist bald ein Modellwechsel fällig: Der Durchschnittshaushalt der Zukunft ist weiblich, alleinstehend und über 60.
»Nachhaltiger und einschneidender als viele andere Prozesse, einschneidender selbst als die deutsche Einheit«, prophezeit SPD-Fraktionschef Hans-Ulrich Klose, »werden die mittelfristigen und erst recht die langfristigen Effekte des demographischen Wandels dieses Land und die Menschen verändern.« »Große Probleme« befürchtet auch sein Berufskollege Schäuble: »Unser Land altert kollektiv.«
Die sozialen Sicherungssysteme müssen reformiert werden, oder sie brechen zusammen.
Dem Senior 2020, der nur auf die Sozialrente angewiesen ist, droht eine graue Zukunft. Der Oberklasse der Alten wird es dagegen besser gehen als je einer Generation zuvor. Einkommen aus Lebensversicherungen, Zinsen und Mieten werden sie, so die SPD-Expertin Sigrid Skarpelis-Sperk, zu »einem der großen Arbeitgeber Deutschlands« machen: Was Woopies* und Wollies*, Grampies* und Selpies* verlangen, wird dann produziert.
»Wirtschaft und Gesellschaft werden gleichsam umgeknetet«, sagt Deutschlands mächtigster Industrieller, Daimler-Chef Edzard Reuter.
Vorbereitet auf diese Entwicklung ist weder die Wirtschaft noch die _(* Well-off older people - gutbetuchte ) _(Alte; Well income old leisure people - ) _(wohlhabende alte Ruheständler; Growing ) _(retired active moneyed people in an ) _(excellent state - zunehmende Gruppe ) _(begüterter, gesunder Alter; Second life ) _(people - Alte im zweiten ) _(Lebensabschnitt. ) Politik. Industrie und Handel setzen ungerührt auf den Jugendkult, Leute ab 50 sind als Konsumenten wenig interessant, als Produzenten schon gar nicht.
»Verjüngung« heißt auch das Motto in den politischen Parteien. Stolz weisen die Wahlvereine angeblich wachsende Anteile junger und weiblicher Repräsentanten aus. Obwohl ihre Mitglieder zu immer größeren Teilen aus der Alten-Generation stammen, werden die Oldies aus den Parlamenten herausgedrängt. Im Bundestag sind nur knapp zwei Prozent der Abgeordneten über 65.
Keine Partei kann es sich jedoch folgenlos leisten, die Alten zu übersehen. Die 60- bis 70jährigen stellen derzeit knapp ein Drittel aller tatsächlichen Wähler, in ein bis zwei Jahrzehnten dürften sie die Hälfte aufbieten.
Die große Gruppe der Alten in der Gesellschaft, rapide wachsend, wird immer spärlicher repräsentiert. Das geht nicht lange gut.
Nach den Prognosen der Bevölkerungsstatistiker müßten die Verteilungskämpfe zwischen den Generationen eigentlich schon begonnen haben.
Das deutsche Volk stirbt aus, tönten die beamteten Kopfzähler schon Mitte der siebziger Jahre. Wegen des »besonders niedrigen Fruchtbarkeitsniveaus«, hieß es zum Beispiel in einer Analyse des Bonner Innenministeriums, werde das westdeutsche Volk von damals 57,7 Millionen bis zur Jahrtausendwende auf 52,2 oder gar 49,2 Millionen Einwohner schrumpfen. Im Jahre 2030 werde die 40-Millionen-Grenze unterschritten sein.
Heute, wenige Jahre später, wirken die Prognosen fast lächerlich.
Auf dem Arbeitsmarkt bieten sechs Millionen Menschen ihre Dienste an - und keiner will sie haben.
Der Trend zur grauen Republik ist jedoch nicht gebrochen, nicht einmal verändert, er ist nur zeitlich leicht verschoben.
Statistik-Beamte und private Trend-Prognostiker hatten die neuen Zu- und Einwanderer nicht auf ihrer Rechnung, die das demographische Gefüge verändern - Übersiedler aus der DDR, Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion, Polen oder Rumänien, Gastarbeiter und Asylsuchende aus der Dritten Welt. Die Fremden halten die neue vereinte Mittelmacht noch ein Weilchen groß, zahlenmäßig.
»Wir sind der einzige Staat dieser Erde mit Geburtendefiziten seit über zehn Jahren«, stellte Egon Hölder, damals Präsident des Statistischen Bundesamtes, schon im Dezember 1985 fest. Geändert hat sich daran nichts. Im Durchschnitt bringen 1000 deutsche Frauen im Laufe ihres Lebens rund 1300 Babys zur Welt. Die heutige Generation wird mithin nur zu 65 Prozent ersetzt. Ein paar mehr als 2000 wären zur Erhaltung deutscher Art nötig.
Tatsächlich gleichen die Immigranten das Defizit zwischen Geburten und Sterbefällen mehr als aus. 1987 erhöhte sich die Einwohnerzahl im Vergleich zum Vorjahr zum erstenmal wieder, eine Trendwende nach 13 Jahren.
Allerdings: Nur wenn die Einwanderung anhält, bleibt die Bevölkerung Deutschlands - und noch wichtiger: die Zahl der Arbeitenden - noch ein paar Jahrzehnte konstant.
An Menschen, die gern in der Luxusrepublik leben wollen, wird es auch in absehbarer Zeit nicht mangeln. Der Wanderungsdruck in die reichen Gebiete wird wachsen, womöglich weit mehr, als den hiesigen Eingeborenen lieb ist.
Die Quantität dürfte also kein Problem werden, eher die Qualität: Dringend gebraucht werden junge und gesunde, qualifizierte, kreative und motivierte Menschen aus Osteuropa und der Dritten Welt.
Im Jahre 2010 werden - wenn denn die heutigen Annahmen zutreffen, sonst ein paar Jahre später - rund neun Millionen Menschen in Deutschland leben, die jenseits der Grenzen geboren wurden. Nicht alle sprechen Deutsch, viele haben eine andere Religion, andere Vorstellungen vom Wohnen und Kindererziehen.
Deutschland, das Land mit einem der größten Geburtendefizite der Welt, hat keine Alternative zu Heiner Geißlers »multikulturellen Gesellschaft«.
Die heute erwartete Zahl der Immigranten reicht freilich nicht einmal aus: Vor allem die Zahl der Erwerbspersonen - die 20- bis 60jährigen, die arbeiten, Steuern zahlen, Renten und Krankenkassen finanzieren - werde zwar, dank Zuwanderung, im Jahre 2010 noch um eine Million über dem Stand von 1990 liegen. Zwei Jahrzehnte weiter, so schätzt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg, werden aber neun Millionen Beitrags- und Steuerzahler fehlen.
Für eine kurze Zeit, etwa zwischen den Jahren 2000 und 2010, kann der Nachwuchsmangel womöglich sogar die Massenarbeitslosigkeit abbauen. Voraussetzung: Die Betriebe stellen Arbeitslose ein.
Die stille Reserve schmilzt jedoch schnell dahin, wenn sich die Geburtenausfälle nach dem Jahr 2000 potenzieren. Dann ist auch - nach heutigen Annahmen - der Produktivitätsspielraum der Wirtschaft schnell ausgeschöpft. Dann fehlen, so die Projektionen, Arbeitskräfte und vor allem Beitragszahler.
Da können die Frauen helfen. Wenn sie in solchen Scharen in die Arbeitswelt vordringen wie in den letzten Jahrzehnten, verschaffen sie der Wirtschaft und den Behörden mehr Arbeitskräfte als jede Zuwanderung.
Doch auch diese Entlastung auf dem Arbeitsmarkt ist nicht die Lösung des Problems. Spätestens, wenn alle Frauen jobben, können die weiter wachsenden Nachwuchs-Defizite nicht durch zusätzliche Berufseinsteigerinnen ausgeglichen werden.
Nach dem Jahr 2010 hilft kein Gastarbeiter und keine Frau mehr weiter. Dann altern jährlich rund 450 000 mehr aus dem Erwerbsleben heraus als nachwachsen, einwandern oder den Herd verlassen.
Sämtliche Zahlenreihen, sämtliche Trends weisen in dieselbe Richtung: »Alle aus heutiger Sicht plausiblen Annahmekonstellationen«, so Friedrich Buttler, Chef des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, »führen über kurz oder lang zu einem dauerhaften Schrumpfen der Bevölkerung der Bundesrepublik.«
Die Vergreisung Deutschlands ist, aus heutiger Sicht, nicht aufzuhalten. Und »alt« ist dabei keineswegs gleichzusetzen mit »arm«. Denn einem guten Teil der kommenden Rentnergeneration wird es finanziell und gesundheitlich bessergehen als der heutigen.
Im durchschnittlichen Rentnerhaushalt hat heute jedes Haushaltsmitglied deutlich mehr Geld zur Verfügung als Arbeiter- oder Bauernfamilien pro Kopf ausgeben können. Geringfügig besser als die Rentner stehen sich die aktiven Beamten und Angestellten. Weit darüber - und nur noch von den Top-Einkommen der Selbständigen zu überflügeln - rangieren die Staatsdiener im Ruhestand. Jedes Mitglied einer Ex-Beamtenfamilie konnte 1991 - im statistischen Durchschnitt - im Jahr 31 493 Mark ausgeben, 6000 Mark mehr als zu aktiven Zeiten.
Nicht allein die hohen Pensionen, von denen zudem weniger Mäuler zu stopfen sind als etwa in jungen Arbeiterfamilien, bescheren den ausgedienten Lehrern und Finanzbeamten relativen Wohlstand.
Eine wachsende Rolle spielen die Erträge aus den im Laufe der aktiven Jahre gebildeten Vermögen. Mehr als 5500 Mark flossen einem Pensionärhaushalt 1991 durchschnittlich aus dieser Quelle zu. Immerhin 4500 Mark kamen auch bei Rentnern an. Dieser Strom wird wachsen. Schon jetzt verfügen die Omas und Opas - im alten Bundesgebiet - »über ein Drittel des gesamten Geldvermögens«, hat sich SPD-Fraktionschef Klose ausrechnen lassen. Bis zum Jahr 2000 wird sich das Sparkapital, vor allem durch Erbschaften, verdoppeln. Auch das private Immobilienvermögen wird bis zur Jahrtausendwende zu einem Drittel an die Nachkommenschaft übergeben.
»Davon profitieren«, so die Hannoveraner Volkswirtin Ulrike Schneider, »zunächst die heute 55- bis 65jährigen, die selbst schon zu fast 60 Prozent Haus- und Grundbesetzer sind.«
Golden Oldies. In Zukunft werde die Rente, so SPD-Klose, »bei einem wachsenden Teil« der alten Generation »nur den Status eines Teileinkommens« haben. Mieten, Zinsen, Lebensversicherungen werden sie zu einer kaufkräftigen Truppe machen. Klose: »der einzige Wachstumsmarkt, den wir auf absehbare Zeit haben«.
In den USA haben sich ganze Wirtschaftszweige schon auf die »reifere Jugend«, wie die Konsumstrategen schmeicheln, gestürzt: Von der Rentner-Disco bis zum exklusiven privaten Pflegeheim, Traumschiff-Reisen und Oldie-TV, alles ist im Angebot.
Der Rentnerverband »American Association of Retired Persons« (AARP) hat sich mit 34 Millionen Mitgliedern zu einer der einflußreichsten Pressuregroups entwickelt: eigene TV-Programme, eigene Zeitschrift, 1600 Angestellte, 250 000 Aktivisten. Wer in der Politik »nicht spurt«, wenn AARP ruft, so der Schweizer Fachbuchautor Heiner Hug ("Die Alten kommen"), müsse »um seine Karriere fürchten«.
Soweit ist es in Deutschland noch lange nicht. Hier entdecken Unternehmensberater und Marktforscher gerade, daß ältere Menschen im Supermarkt Schwierigkeiten haben, die Verpackungen zu lesen und daß es ihnen dort manchmal zu gleißend und manchmal zu dunkel ist.
Die deutschen Unternehmen warten die »Neue Lust in reifer Schale« - so der Titel eines Referats auf einer Marktforscher-Tagung zu den »neuen Alten« - nach der Jahrtausendwende ab. Dann wird das »Selbstbelohnungsverhalten« (Marketing-Spezialist Hans-Michael Heitmüller) der Noch-Aktiven die Rentnergeneration erreicht haben.
Andere richten sich schon heute darauf ein: Das japanische Ministerium für Internationalen Handel und Industrie fördert - Projektname: »Mellow society« ("Sanfte Gesellschaft") - die Entwicklung von Alltagstechnologien für die Bedürfnisse alter Menschen, vom Kabel-TV bis zum Bildschirmtelefon. Eine medizinische Chip-Karte beispielsweise soll alle persönlichen Krankheitsdaten speichern und so im Notfall schnelle und zielsichere Hilfe erleichtern.
Die Golden-Sixties und Seventies bilden freilich nur das obere Drittel der Greisen-Gesellschaft. Im unteren Drittel - wo die erarbeitete Rente von Kleinverdienern reichen muß, und selbst die oft für zwei Geschiedene - wird es ziemlich trist. Das Einkommensgefälle der Senioren wird gewaltig. Schon jetzt »mehren sich die alarmierenden Hinweise«, so Ulrike Schneider, »auf eine Ausweitung der Armut . . . nicht zuletzt in der älteren Bevölkerung«. Mehr als eine halbe Million Rentner beziehen Sozialhilfe.
Der Armenanteil der Alten dürfte dramatisch wachsen, weil sie elementare Bedürfnisse immer weniger mit ihren Einkünften werden decken können.
»Dies wird wahrscheinlich auf den Wohnungsmarkt, vor allem aber auf den Bereich der Gesundheitsgüter und der Pflegeleistungen zutreffen«, schätzt die SPD-Expertin Skarpelis-Sperk.
Bei wenigen jüngeren und vielen älteren Menschen mit hohem Dienstleistungsbedarf, so der Experte Joachim Wilbers vor der Bundestags-Enquetekommission »Demographischer Wandel«, werde es schwierig sein, genügend qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Deshalb würden sich »die Preise für diese Leistungen erhöhen«. Die Tendenz sei in der Altenpflege schon heute erkennbar.
Damit würden »bedarfsgerechte Mindestrenten zum zentralen Problem der Rentenversicherung«, so Skarpelis-Sperk. Die Alternative: »massenhafte Altersarmut«.
Der Umverteilungsapparat, den Konservative wie Liberale gerade drastisch reduzieren wollen, wird in den kommenden Jahrzehnten tatsächlich immer wichtiger.
Denn die scheinbar so plausiblen Gegenvorschläge, etwa des Kronberger Kreises, helfen letztlich nicht weiter. Private Vorsorge jenseits einer Grundrente, so die Alternative dieser Wirtschaftswissenschaftler, sei für den einzelnen wie für die Gesellschaft insgesamt viel billiger, als ganz auf die Sozialkassen angewiesen zu sein.
Theoretisch trifft das sogar zu. Ein junger Durchschnittsangestellter, der 30 bis 40 Jahre lang eine private Lebensversicherung bedient, ist im Alter vermutlich besser und billiger versorgt als über die Rentenkasse.
Der Haken: Ein Versicherungskonzern wird keine Mark rausrücken, damit auch die im Alter leben können, die nicht zahlen wollten oder nicht genug zahlen konnten. »Mindestens 20 Prozent«, schätzt SPD-Sozialpolitiker Dreßler, »fallen aus der Privatvorsorge raus« - und damit der Allgemeinheit zur Last. Nur hätte die dann keinen Etat für die Hilfeleistung.
An der Reform der Rentenversicherung führt kein Weg vorbei, auch wenn Kanzler Kohl und Arbeitsminister Blüm noch entschieden dementieren.
Ein stabilisierendes Element für die beitragsschwache und ausgabenstarke Zukunft haben die Sozialpolitiker, in einer faktischen Großen Koalition, schon 1988 eingebaut. Schrittweise, beginnend im Jahre 2001, soll das tatsächliche an das Norm-Rentenalter herangeführt werden. Ab 2006 müssen Männer, ab 2012 Frauen wieder bis zum 65. Lebensjahr arbeiten, wenn sie ihre Rente ohne Abschläge bekommen wollen.
1997 soll der Vorsorge-Beschluß noch einmal überprüft werden, anhand der Rentenkassen, der demographischen Entwicklung und der Perspektiven am Arbeitsmarkt. Danach kommt »irgendwann«, weiß SPD-Experte Dreßler, »der Crash«. Y
[Grafiktext]
__39_ Bevölkerungsanteil d. über 65jährigen; d. unter 25jährigen
_____ Geburten und Sterbefälle im Verhältnis zueinander
_____ Ges. monatl. Nettoeink. v. Ehepaaren im Ruhestand
[GrafiktextEnde]
* Rechts: Trude Unruh, Vorsitzende der Senioren-Partei »Die Grauen«.* Well-off older people - gutbetuchte Alte; Well income old leisurepeople - wohlhabende alte Ruheständler; Growing retired activemoneyed people in an excellent state - zunehmende Gruppe begüterter,gesunder Alter; Second life people - Alte im zweitenLebensabschnitt.