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Rudolf Augstein Die Rolle des Präsidenten

Von Rudolf Augstein
aus DER SPIEGEL 43/1976

Der Bundespräsident kommt auch dann ins Gerede, wenn er selbst nicht redet, das Amt bringt das so mit sich. Es ist ein politisch ausstrahlendes Amt, nicht so sehr, weil sein Inhaber bei der Nominierung eines neu zu wählenden Kanzlers die Auswahl hätte; die hat er noch nie gehabt.

Vielmehr, an der Neuwahl oder Wiederwahl des Bundespräsidenten selbst machen sich so viele Hoffnungen und Befürchtungen fest, daß die Parteien jeden Wahltermin ständig mit äußerstem Mißtrauen im Visier haben.

So ist es denn kein Zufall, daß Baden-Württembergs Ministerpräsident Hans Karl Filbinger präzise nach der Bundestagswahl öffentlich kundmacht, 1979 werde die CDU/CSU einen eigenen Präsidentschaftskandidaten aufstellen. Die Frage, ob er selbst dieser Kandidat sein werde, bezeichnete er als -- immerhin -- »verfrüht«. Aber er scheut sich nicht, wie Martin Bangemann, FDP-Vorsitzender in Baden-Württemberg, rügt, »schon jetzt sich selbst seine Startlöcher zu einer Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten zu graben«.

Kohl, der immer noch Kanzler werden will, erwähnte, wie die »Frankfurter Rundschau« anmerkt, »in diesem Zusammenhang auch die Bundesversammlung. die 1979 den nächsten Bundespräsidenten zu wählen hat«. Nach dem jetzigen Stand, der sich kaum nennenswert ändern wird, verfügt die Union über eine Mehrheit von 28 Stimmen, könnte also wahrscheinlich allein entscheiden.

Wir haben uns daran zu gewöhnen, daß alle jene die Unantastbarkeit des Präsidentenamtes am höchsten stellen, die am ungescheutesten damit umspringen. Adenauer machte sich da gar keine Mühe ("Heuss hat eine christliche Frau, das genügt"). Aber Herbert Wehner, der, wollte man seinen Worten glauben, immer nur die demokratische Ordnung im Auge hatte, entwickelte als erster eine Art Präsidenten-Strategie.

Lübkes Wiederwahl 1964, von der demokratischen Ordnung her nicht mehr gerechtfertigt, diente Wehner dazu, die Große Koalition 1966 zu installieren. Die Inthronisierung eines Bundespräsidenten Leber 1969 (anstatt des dann tatsächlich gewählten Bundespräsidenten Heinemann) sollte ihm dazu dienen, die Fortdauer der Großen Koalition zu sichern oder, in klassischen Wehner-Worten, »das Amt herauszuheben aus dem Koalitions-Proporz«.

Gustav Heinemanns Wahl 1969 bewies, daß die FDP keine Blockpartei der CDU/CSU war. Sonstige Rendite brachte sie nicht. Hätte die »Machtwechsel«-Mehrheit nicht gereicht, wäre die FDP ins Unionsbett gekrochen. Scheels Wahl hatte keine parteipolitischen, sondern allenfalls persönliche Aspekte. Brandt, der besser daran getan hätte, Bundespräsident zu werden, ließ den Gedanken gar nicht erst an sich heran.

Auch jetzt könnten sich die Präsidentschafts-Kalkulierer verrechnen. Erstens ist Scheel nicht so gesund, daß er unbedingt weitermachen will, und zweitens will er ohnehin nicht um jeden Preis weitermachen. Seine FDP-Freunde jedenfalls sind sich sicher, daß er gegen das Interesse seiner Partei Bundespräsident weder bleiben noch, seine Gesundheit vorausgesetzt, unbedingt aus dem Amt scheiden möchte.

Die Rechnung, auch auf seiten mancher FDP-Leute, daß ein noch nicht amtsmüder Scheel von der CDU/CSU, die auch anders könnte, im Amt bestätigt würde -- gegen eine beidseitige Koalitionszusage: diese Rechnung läßt den Wirt außer acht. Wollte die FDP aus heute noch nicht sichtbaren Gründen die Koalition wechseln, so würde sie dafür keinen Preis zahlen müssen.

Den Präsidenten, ihren früheren Vorsitzenden, im Amt zu halten. wäre ihr angesichts der ungeheuerlichen Schwierigkeiten eines Koalitionswechsels gar kein Verhandlungsgegenstand. Allenfalls könnte die Wiederwahl Walter Scheels eine heute unwahrscheinliche, 1979 aber immerhin mögliche Vereinbarung notariell beglaubigen.

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