»Die rote Nelke wächst überall«
SPIEGEL: Herr Craxi, nach dem Triumph der Sozialisten in Frankreich konnte auch Ihre Partei, die PSI, einen beachtlichen Erfolg verzeichnen. Bei den Wahlen in Sizilien und in vielen Städten, darunter in Rom, gewannen die Sozialisten zwischen drei und elf Prozent Stimmen hinzu. Ein Mitterrand-Effekt?
CRAXI: Nein, jedem das Seine. Die politische Situation in Frankreich ist anders als in Italien. Natürlich war der Sieg der französischen Sozialisten auch für uns ermutigend. Aber es wäre falsch, mit dem Schlagwort »Mitterrand-Effekt« die Verdienste der italienischen Sozialisten zu schmälern.
SPIEGEL: Also ein Craxi-Effekt?
CRAXI: Ich erfülle meine Aufgabe. Die Wähler erkennen die Leistungen der PSI an und unseren Willen, das Land zu ändern. Wir sind die Partei der Erneuerung Italiens. Die PSI hat als einzige Partei bei den Wahlen am 21./22. Juni überall, von Sizilien bis in die Lombardei, Stimmen hinzugewonnen. Da zeigt sich: Je mehr man versucht, uns in die Ecke zu drängen, um so energischer rücken wir vor.
SPIEGEL: Wer wollte Sie denn in die Ecke drängen?
CRAXI: Viele Parteien sind im Wahlkampf heftig gegen uns losgezogen. Sie warfen der PSI vor, die Regierungskrise Ende Mai verschuldet zu haben und die Beendigung der Krise zu verzögern. Außerdem gab es wegen der skandalumwitterten Freimaurerloge P 2 eine Hetzkampagne gegen uns ...
SPIEGEL: ... weil auch prominente Sozialisten auf der Mitgliederliste der P 2 stehen ...
CRAXI: Ja, aber ganz wenige. Deshalb versuchten unsere Gegner, uns mit Dreck zu bewerfen. Aber es nützte nichts, unser Wahlerfolg bestätigt, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Die PSI identifiziert sich, nachdem sie sich selber gründlich erneuert hat, mit der Erneuerung Italiens. Die politische Landschaft hat sich verändert.
SPIEGEL: In welchem Sinne denn? Ihre Partei ist ja, nach Christdemokraten und Kommunisten, auch weiterhin nur die drittstärkste Partei im Lande.
CRAXI: Stimmt. Aber wir haben gewaltig aufgeholt. Die rote Nelke, unser Parteisymbol, blüht und wächst überall. In Sizilien stieg unser Stimmenanteil um vier auf nunmehr 14,3 Prozent. Und in Bari, der zweitgrößten Stadt Süditaliens, schnellte unser Stimmenanteil auf 23,3 Prozent hinauf. Wir überholten damit die KPI und sind nun die zweitstärkste Partei im Stadtrat.
SPIEGEL: Bari war einst die Hochburg des Christdemokraten Aldo Moro. Ein Teil der Moro-Wähler rückte nach links, zur PSI -- aber nicht, weil sie nun Sozialisten geworden wären, sondern nur, weil ihnen die gegenwärtige DC-Führung in ihrer Stadt mißfiel und weil sie sich ärgern, daß kein Christdemokrat aus Bari Minister ist. Solche Wechsel-Wähler könnten Ihnen schnell wieder davonlaufen.
CRAXI: Nein. Der Fall Bari ist keineswegs so simpel, wie Sie ihn darstellen. Seit Jahren schon wächst unsere Anhängerschar in Bari wie auch in anderen süditalienischen Städten, weil die Wähler unseren Kurs der Unabhängigkeit und der Reform gutheißen. Die Wahlergebnisse vom 21. Juni zeigen außerdem: Die Zeit des »Bipolarismus«, als alles wie gebannt auf den Gegensatz zwischen Christdemokraten und Kommunisten starrte, geht zu Ende. Die PSI ist die neue, aufsteigende politische Kraft.
SPIEGEL: Trotz Ihres Erfolges, Herr Craxi, ist ein Machtwechsel wie in Frankreich in Italien aber noch lange nicht in Sicht. Er wird durch die starke KP blockiert, die rund ein Drittel der Wähler hinter sich hat.
CRAXI: Mag sein. Deshalb sprach man auch von einer »blockierten Demokratie«. Aber dieses in Europa anomale System wird nun, durch das Erstarken der Sozialisten und der kleineren Mittelparteien, langsam korrigiert. Mit den Sozialisten wächst die Partei der Erneuerung, der Reformen, der Rationalität. Auf diese Weise wird Italien auch ein bißchen europäischer.
SPIEGEL: Die Christdemokratische Partei wirkt nach 36jähriger Herrschaft in Rom verbraucht. Zum ersten Mal wird nun ein Nicht-Christdemokrat, der Republikaner Spadolini, Ministerpräsident. Was besagt diese Neuerung?
CRAXI: Der Wechsel im Ministerpräsidenten-Amt von einem Christdemokraten zu einem Vertreter der laizistischen Parteien ist ein wichtiges, sehr wichtiges Novum. Es entspricht dem berechtigten Wunsch nach einer neuen politischen Führung -- auch wenn ein Machtwechsel in weiterem Sinn hierzulande schwieriger ist als in Frankreich. Wir unterstützen Spadolini nach Kräften.
SPIEGEL: Italien ist das einzige westeuropäische Land, wo auf der Linken nicht eine sozialistische oder sozialdemokratische Partei, sondern die KP dominiert. Warum?
CRAXI: Das hat historische Gründe. Die relative Schwäche der Sozialisten heute ist das Ergebnis von Streitereien und Spaltungen. Aber das gehört der Vergangenheit an, seit ein paar Jahren steuert die PSI einen »neuen Kurs«, und mit unserer Partei geht es bergauf. Allerdings wird es einige Zeit dauern, bis wieder landesweit ein Gleichgewicht zwischen PSI und KPI herrscht. S.99
SPIEGEL: Kommunisten und Sozialisten verfügen gemeinsam nur über 40 Prozent der Parlamentssitze, zuwenig, um zu regieren. Also keine Chance für eine Links-Koalition?
CRAXI: Ein Alternativbündnis aus Sozialisten und Kommunisten würde, auch wenn man es mit ein paar anderen Teilnehmern würzt, nicht weit kommen. Das wäre eine Neuauflage der Volksfront, die wir vor über 30 Jahren mal hatten. So ein Bündnis wäre zum Scheitern verurteilt, deshalb legen wir keinen Wert darauf.
SPIEGEL: Gleichwohl sehen Millionen Bürger in einem Links-Bündnis die einzige wirkliche Alternative zu der jetzigen Situation. In einer solchen Allianz wäre die PSI freilich der schwächere Partner -- ist das der Grund, warum Sie Berlinguers Angebot zurückweisen?
CRAXI: Derzeit ist das Kräfteverhältnis noch ungünstig für uns, schon deshalb wollen wir unsere Selbständigkeit bewahren. Wir müssen links wieder ein Gleichgewicht herstellen, die neuen Wahlergebnisse tragen dazu bei. Bedenken Sie: Das Wählerpotential sozialistischer Orientierung übersteigt bereits 20 Prozent des Stimmenanteils. Bei den letzten Kommunalwahlen erhielten Sozialisten und Sozialdemokraten, die ja beide der Sozialistischen Internationale angehören, zusammen über 20 Prozent.
SPIEGEL: Berlinguers KP bekennt sich zum demokratischen System, zum Pluralismus und mit Einschränkungen zur freien Marktwirtschaft. Die KPI, meinen viele Beobachter, sei fast eine sozialdemokratische Partei geworden. Glauben Sie das auch?
CRAXI: Berlinguer sagt doch immer wieder: »Wir sind und bleiben Kommunisten.« Er weist den Weg des westlichen, demokratischen Sozialismus zurück und spricht von einem dritten Weg. Deshalb glaube ich, daß die KPI eine Transformation durchmacht und noch voller Widersprüche steckt.
SPIEGEL: Seit Wochen, Herr Craxi, wird Italien durch den Skandal um die Freimaurerloge P 2 erschüttert. Man hat den Eindruck, daß die politische Auseinandersetzung vor allem aus Intrigen, Erpressungen, undurchsichtigen Manövern besteht. Im Land Machiavellis finden die Mächtigen offenbar nichts schöner als geheime Absprachen und zynische Ränkespiele -stimmt dieser Eindruck?
CRAXI: Es gibt eine Degeneration im politischen Kampf, die ich nicht beschönigen und entschuldigen möchte, indem ich sage: Sie stammt von alten, historischen Untugenden her. Das ganze System muß reformiert werden, auch im Sinn einer moralischen Erneuerung; je stärker die sozialistische Partei wird, um so eher hat sie die Kraft, diese Erneuerung voranzutreiben.