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Die Rückkehr der Krieger

In Peschawar sammeln sich die alten Mudschahidin, um die Taliban zu vertreiben. Ihre Führer suchen bei den USA politische Unterstützung für eine neue Front.
Von Claus Christian Malzahn
aus DER SPIEGEL 43/2001

Nur ein fahler Halbmond scheint in Ghamshariks Garten, doch die Männer, die auf dem Rasen hocken und die bärtigen Köpfe zusammenstecken, brauchen kein Licht. Sie erkennen sich an ihren Stimmen.

Ghamsharik spricht vornehm und leise. Wenn er redet, wagt niemand das Wort zu ergreifen - nicht aus Angst, sondern aus Respekt. Hadschi Mohammed Zaman Ghamsharik, ein distinguierter Herr in den Vierzigern, ist nach fünf Jahren des Exils in Frankreich wieder auf dem Weg nach Hause. Über 5500 Kilometer ist er von Dijon nach Pakistan gereist - die letzten Meilen nach Afghanistan aber werden schwer. Sein Ziel ist Jalalabad, Sitz der Ahnen. Hier, im Garten seines Hauses in Peschawar, sammelt er Freunde für die letzte Etappe.

Das Handwerk seiner Besucher ist der Krieg. Sie nennen sich »Commander«. Ihre Hände sind derb, die Bärte schwarz, die Wangen vom Wetter zerfurcht. Sie tragen Wollmützen und Turbane und sprechen selten. Sie könnten blind eine Kalaschnikow zerlegen und wieder zusammensetzen oder eine Mine entschärfen. Aber Lesen? Kaum.

Ghamsharik ist ein groß gewachsener Mann; er antichambriert in fünf Sprachen. Trüge er nicht gerade eine Armeeweste über seinem weiten Hemd, könnte er mit seinem kurzen, grauen Bart auch als Geschäftsmann durchgehen.

Ganz angekommen ist der Exilant noch nicht in seiner alten Heimat: Im Haus behält er die feinen braunen Schuhe an, seine Männer laufen in Strümpfen über die edlen Teppiche. Der Afghane in ihm meldet sich aber schon wieder: »Ich bin gekommen, um zu kämpfen.«

Ghamsharik, Stammesfürst der im Osten Afghanistans siedelnden Khugyani, wurde 1996 von den Taliban vertrieben. Bis dahin saß er sogar im Kabinett der Mudschahidin in Kabul, als General und Kommandeur der 11. Division der Armee.

Viele Afghanen sind ihm noch immer ergeben. Zum Beispiel Kabir, der schon mit 17 gegen die Russen gekämpft hat. Kabir lebt noch immer in Jalalabad. Vor ein paar Tagen stahl er sich nachts über die Grenze, um seinen Führer zu begrüßen. »Wenn Zaman kämpfen will, kämpfe ich auch. Ich habe 180 Männer!«, sagt der 31-Jährige. Die übrigen Krieger murmeln Zustimmung in die Dunkelheit.

Zaman Ghamsharik träumt davon, dass nach 23 Jahren Krieg unter der Führung des Ex-Königs Zahir Schah nun endlich Frieden einziehen könnte in Afghanistan. Rund zwei Dutzend afghanische Oppositionsgruppen bereiten sich allein in der Grenzstadt Peschawar darauf vor, die Taliban zu beerben. Schon werden Kabinette zusammengestellt, Gebiete abgesteckt, Posten verteilt; Musiker tüfteln in Kaschemmen sogar über einer neuen Nationalhymne. Ghamsharik geht das alles zu schnell. »Erst mal müssen die Taliban besiegt werden«, sagt er, »dann brauchen wir eine Regierung der nationalen Einheit.«

Um nach den US-Bomben mit den verhassten Taliban abzurechnen, kehren zur Zeit Hunderte Mudschahidin in die Region zurück - aus Saudi-Arabien, Europa und Amerika. »Ich bin nicht allein«, sagt Ghamsharik. Vor vielen Häusern in Peschawars Afghanenviertel stehen Männer mit Kalaschnikows und bewachen ihre Commander. Denn auch die Taliban haben ihre Leute in der Stadt. Unter den afghanischen Rückkehrern gilt es geradezu als Ehrensache, auf einer Todesliste der Taliban zu stehen. »Ich bin ganz oben«, behauptet ein enger Vertrauter des Königs, »meine Frau ist auf Platz zwei.«

»Angeber«, raunzt Ghamsharik, wenn er solche Sprüche hört. Das Telefon klingelt. Am anderen Ende der Leitung spricht Abdul Haq, ein Mudschahidin, kräftig wie ein Bär, ein Held wie Ghamsharik. Die Taliban hassen ihn. Bei einem Anschlag, der ihm galt, kamen vor zwei Jahren seine Frau und eines seiner Kinder um.

Dieses Schicksal hat Abdul Haq noch dichter an Ghamsharik gebunden, den alten Kämpen aus Guerrillazeiten. Auch der Exilant aus Dijon hat einen Sohn verloren. Die Taliban hatten ihn im Sommer bei einem Geschäftsbesuch in Jalalabad erschossen. Beide Mudschahidin-Führer haben also noch ein paar Rechnungen offen in Kabul.

»Kannst du nach Islamabad kommen? Wir müssen hier wichtige Dinge besprechen«, fragt Abdul Haq seinen alten Kampfgefährten. Auch Haq ist erst seit kurzem wieder in der Region, er hatte sich lange nach Dubai abgesetzt. Die Paschtunen Haq und Ghamsharik gelten als Schlüsselfiguren einer künftigen Regierung in Afghanistan. Während Haq an der diplomatisch-politischen Front in Stellung geht und Bündnispartner sucht, scheint der Ex-General die real kämpfende Truppe zu ordnen.

»Ich kann erst später«, antwortet Zaman Ghamsharik, »ich hab doch morgen dieses Treffen hier, du weißt schon.«

Am nächsten Tag sitzen 120 Männer im Garten unter einem großen Baum. Zwischen den purpurfarbenen Blumen sieht die Versammlung aus wie eine Szene aus Tausendundeiner Nacht. Doch der Anlass der Zusammenkunft ist alles andere als romantisch. Denn hier, zwischen Hibiskussträuchern und Eukalyptusbäumen, wird gerade eine Armee gegründet - eine Armee, die den Taliban ans Leder will.

Ghamshariks Gäste sind Kämpfer wie Kabir, und unter ihnen sind auch sechs Commander der Taliban. Sie sind gerade eben übergelaufen. Die meisten Anwesenden haben jahrelang gegen die Sowjets gekämpft. Sie kennen jeden Hinterhalt, jede Höhle, jede Schlucht. Schweigend warten sie auf Plastikstühlen. Sie wollen nicht diskutieren, sie warten auf Befehle.

Viele leben in den Flüchtlingscamps bei Peschawar, aber einige sind auch über die nahe Grenze gekommen. Sie behaupten, mindestens 12 000 Kämpfer auf die Beine bringen zu können, wenn man sie nur lässt.

»Die Amerikaner können hier nicht kämpfen«, sagt Ghamsharik, bevor er die Versammlung offiziell eröffnet. Er meint das im Wortsinn: »Sie haben keine politische Erfahrung hier. Sie kennen das unwegsame Gelände nicht. Und von unseren Sitten wissen sie auch nichts.« Sein Vorschlag, den Abdul Haq zeitgleich in Islamabad bei amerikanischen und pakistanischen Gesprächspartnern vorträgt, lautet deshalb: »Wir machen das selbst.«

Bloß wie? Woher sollen Gewehre und Munition für seine Leute kommen? »Darüber reden wir, wenn es so weit ist«, sagt Ghamsharik. Doch die Zeit drängt. Die Waffenarsenale in Afghanistan sind entweder in den Händen der Taliban oder der Nordallianz - Haq und Ghamsharik müssen sich die Ausrüstung erst noch besorgen.

Der Regierung in Islamabad dürfte die Initiative der alten Kämpfer ganz recht sein. Präsident Musharraf fürchtet die Eroberung Kabuls durch die pakistanfeindliche Nordallianz. Mit der Eröffnung einer zweiten Front von Osten her hätte auch Pakistan wieder ein paar Trümpfe im Spiel.

Ohne die Exilanten von Peschawar können die USA ohnehin keinen Staat machen in Kabul - unter den 300 000 Afghanen, die allein in der nordpakistanischen Stadt auf die Rückkehr in ihre Heimat warten, sind viele Intellektuelle, Ärzte, Ingenieure. Haq und Ghamsharik sind die Ikonen dieser Leute, sie zu brüskieren wäre politisch fatal.

Die Versammlung der Mudschahidin beschließt eine Resolution. Der Terrorismus wird verurteilt - das Bombardement der Amerikaner aber auch. Taktik? Unter vier Augen sagt Ghamsharik: »Meinetwegen können die Amerikaner bomben. Aber sie dürfen keine Zivilisten treffen, das macht unsere Sache nur schwieriger.«

Die wichtigste Botschaft der 120 Commander aber geht an die Taliban: »Verschwindet aus Jalalabad. Geht zurück nach Kandahar, wo ihr hergekommen seid. Wir geben euch ein paar Tage Zeit. Wenn ihr dann nicht verschwunden seid, werden wir euch vertreiben.«

Ein alter Kämpfer mit blauem Turban schreibt die Sätze auf ein Blatt Papier. Er übergibt die Nachricht an einen jungen Mann, der mit anderen Mudschahidin noch in der Mittagshitze nach Jalalabad aufbricht, um die Nachricht zu übermitteln.

Am späten Nachmittag schaut Ghamsharik zufrieden in seinen Garten. Der Anfang ist gemacht. Um zu beten, haben seine Leibwächter die Kalaschnikows ins weiche Gras gelegt. Ein paar kleine Jungs greifen sich die Waffen und marschieren damit stolz auf und ab. Die Alten lachen darüber.

»Wir lernen früh, wie man kämpft«, sagt Ghamsharik trocken, »hoffentlich wissen die Amerikaner das noch.«

CLAUS CHRISTIAN MALZAHN

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