DIE RUSSEN IN BERLIN 1945
4. Fortsetzung
Sein Ziel, körperlich spurlos zu verschwinden, bevor der sowjetische Sieger sich näherte, erreichte Adolf Hitler nicht. Der Tote war von den Flammen angegriffen, aber nicht zerstört worden. Eva Hitlers Leiche hatte das Feuer stärker beschädigt. Vor allem war die Zerstörung ihres Kopfes weiter fortgeschritten.
Alle künstlichen Zähne waren verbrannt, die natürlichen jedoch noch teilweise erhalten. Die dünne Schuttschicht, die von einem SS-Kommando am Tage von Hitlers Selbstmord - am 30. April 1945 - über die beiden Körper im Bombentrichter geworfen worden war, isolierte sie nur höchst mangelhaft gegen Witterungseinflüsse. Sie gingen alsbald in Verwesung über.
Kaum aber waren die Sowjets ab 2. Mai 1945 unbeschränkte Herren in Berlin, da begannen sie eine sorgfältige Suche nach dem deutschen Diktator.
Millionenmal war der Name Hitlers in Sowjetrußlands pathetischen Befehlen und Kriegsaufrufen, in Presse und Rundfunk genannt worden; in ihm war der Feind personifiziert, der die Sowjet-Union bis zum Kaukasus zerstört hatte. Jetzt hatten die Russen seinen letzten Schlupfwinkel besetzt, jetzt mußte ihnen daran gelegen sein, mit einer jeden Zweifel ausschließenden Gewißheit festzustellen, ob die Auskünfte über seinen Tod richtig waren.
Schon in dem ersten Gespräch, das Heeres-Generalstabschef Krebs am 1. Mai mit dem sowjetischen General Tschuikow führte, fragte der Russe: »Wo ist Hitlers Leiche?«
Krebs: »In Berlin. Sie ist getreu dem Testament verbrannt worden. Am heutigen Tag.«
Tschuikow (einen Telephonhörer in der Hand, der ihn mit Marschall Schukow verband) meldete seinem Oberkommandierenden weiter: ».. ist in Berlin verbrannt worden. Ziemlich schwer zu glauben. Aber der General behauptet das. Er brachte einen Brief von Goebbels und Bormann . »
Hegten die Sowjets bei einem Gefangenen auch nur den leisesten Verdacht, er wisse Einzelheiten über die letzten Tage der Reichskanzlei und den Tod Hitlers, dann stellten sie tagelang, wochenlang, sogar jahrelang die immer gleichen Verhöre an.
Hitlers Pilot Hans Baur, bevorzugtes Ziel sowjetischen Verhöreifers, erinnert sich: »Man bot mir Geld, eine Stellung in Chile, ich könne sogar in Rußland leben, wenn ich mich in Deutschland nicht sicher fühle, nur solle ich sagen, wo Hitler sich jetzt aufhalte Es war eine irrsinnige Zeit.«
Seit Monaten hatte Moskau, dessen minutiöse Planungen für den Fall des Sieges um so eindrucksvoller waren, als sie in scharfem Kontrast zu der völligen Planlosigkeit der westlichen Sieger standen, Suchkommandos bestimmt, die den Auftrag hatten, Hitler lebendig oder tot sicherzustellen. Eines dieser Suchkommandos stand unter dem Befehl des Oberstleutnants Iwan Klimenko.
Ihm war der Erfolg beschieden, die beiden Leichen im Bombentrichter vor dem Führerbunker zu finden. Klimenko schrieb später darüber einen Bericht (SPIEGEL 19/1965), der allerdings nicht in allen Punkten zuverlässig ist.
So berichtet er über eine Begegnung mit dem »Arzt von Goebbels« und gibt dessen angebliche Schilderung vom Ende der Goebbels-Kinder wieder: Der Arzt habe gemeinsam mit Magda Goebbels den »mit Morphium eingeschläferten Kindern die Münder aufgesperrt und die Giftampullen zerdrückt. Goebbels trieb sie zur Eile an«. Jener Arzt, der die sechs Goebbels-Kinder am 1. Mai tötete, war Dr. Stumpfegger, den Klimenko deshalb nicht treffen konnte, weil er wenige Stunden später mit der Bormann-Gruppe ausgebrochen und dabei umgekommen war.
Die Giftampullen wurden auch nicht in den Mündern der Kinder zerdrückt, die Kinder nahmen das Gift in Form von Bonbons ein.
Zunächst bekamen sie in einem Getränk ein Betäubungsmittel verabreicht. Dann erst, wenige Augenblicke bevor sie einschliefen und ihr Wille gelähmt war, ließ sie der Arzt die Bonbons nehmen, die entweder sofort nach dem ersten Aufbeißen oder erst dann wirkten, als sie sich im Mund oder im Magen auflösten.
Dr. Stumpfegger hatte auch die Bonbons vorbereitet. Frau Goebbels nahm nicht an der Tötung teil. Verzweifelt und erstarrt harrte sie im Flur vor dem Raum aus, in dem sich der sechsfache Kindermord zutrug, bis Dr. Stumpfegger heraustrat und ihr stumm zunickte. Darauf brach sie ohnmächtig zusammen. SS-Männer trugen sie in ihr Zimmer.
Klimenkos Bericht über die Auffindung der Leichen trifft jedoch zu. Er Wird von Jelena Rschewskaja bestätigt, die dem Suchtrupp Klimenko als Dolmetscherin beigegeben war und ihre Berliner Erlebnisse in dem romanhaften Buch »Frühling in Uniform« verwertete. Die heute 45jährige Moskauerin weiß die sowjetoffizielle Kriegsgeschichtsschreibung, die bisher den Leichenfund nicht anerkannt hat, ebenso zu korrigieren wie die Angabe Klimenkos, sein Suchkommando habe den Leichenfund in einem Protokoll festgehalten.
Frau Rschewskaja zum SPIEGEL: »Das ist kein Protokoll über die Auffindung der Leiche. Es stellte nur fest, daß die Stelle, an der wir die Leichen ausgegraben hatten, identisch war mit der Stelle, an die uns der SS-Mann Mengeshausen führte und von der er sagte: »Hier haben wir die Leichen vergraben.«
Mengeshausen gehörte zu dem Kommando, dem Bormann befohlen hatte, die angekohlten Körper aus dem »Splittergraben« herauszuholen und zu beerdigen. Der Aussage Mengeshausens kommt deshalb entscheidende Bedeutung zu, weil damit für das Suchkommando die Identität Hitlers bewiesen war
Denn: Man kann schwerlich annehmen, daß - was unzweifelhaft feststeht - Adolf und Eva Hitler zwar in Bombentrichter beerdigt wurden, aber das Kommando Klimenko in eben diesem Bombentrichter vier Tage später zwei andere Leichen ausgrub.
Daß Klimenko Hitlers Leiche nicht sofort erkannte, als Soldat Tschurakow zum erstenmal in den Bombentrichter hinabgeklettert war und die Schuttschicht von den Leichen »eines Mannes und einer beinahe nackten Frau« entfernt hatte, läßt sich einfach erklären: Der Oberstleutnant glaubte an jenem Abend des 3. Mai, den toten Hitler schon gefunden zu haben. Aber es war der falsche Hitler, der da in wirkungsvoller Pose neben dem riesigen, herabgestürzten Marmoradler der Reichskanzlei photographiert worden war.
Erst als Koch Wilhelm Lange und Garagenmeister Karl Schneider mit Bestimmtheit behaupteten, der Tote sei nicht Hitler, beschloß Klimenko, die Leichen im Trichterloch genauer zu untersuchen. Sie wurden am 4. Mai ausgegraben, in zwei große Kisten gelegt und mit einem Militär-Lkw nach Buch bei Berlin gefahren, ins Hauptquartier derjenigen Armee, dem das Suchkommando Klimenko unterstand.
Frau Rschewskaja kann sich allerdings nicht mehr erinnern, wo die beiden Leichen in Buch niedergelegt wurden. Klimenkos ehemalige Dolmetscherin vermochte nur zu sagen: »Es war nicht in einem Wohnhaus, sondern in einem Schuppen.«
In der märkischen Stadt Buch befindet sich eine der größten Krankenanstalten Berlins, in deren einem Flügel Ende April 1945 der sowjetische Armeestab eingezogen war. In dem mauerumzogenen Gelände der Krankenanstalt liegen einige schuppenartige Gebäude, und in einem von ihnen wurden die Kisten mit den Leichen deponiert.
Kaum hatte Klimenko das Ergebnis seiner Nachforschungen dem Armeestab vorgelegt, da zeigten die hohen Militärs wenig Lust, sich weiter mit dem toten Hitler zu beschäftigen.
In aller Deutlichkeit trat jetzt ein Widerspruch zutage zwischen dem Eifer, mit dem die Sowjets später Hitlers Spuren über den 30. April hinaus verfolgten, und der Gleichgültigkeit der obersten Truppenführung, solange die Leiche noch vorhanden war.
Man kann heute bei Moskauer Sachkundigen eine einleuchtende Erklärung für diesen Widerspruch bekommen: Stalin war darüber verärgert, daß Hitler nicht lebend in seine Hände gefallen war. Stalins Zorn genügte, die Fahndungen der militärischen Führung in Berlin nach dem toten Hitler einschlafen zu lassen.
So wird auch der widersinnig beharrliche Eifer verständlich, mit dem bald darauf in sowjetischen Gefängnissen und Gefangenenlagern nach Hinweisen auf Hitlers Überleben geforscht wurde: Offenbar hegte Stalin den Wunsch, sein deutscher Gegenspieler möge nicht tot sein. Noch im Juli sagte Stalin auf der Konferenz der Alliierten in Potsdam zu dem US-Politiker Harry Hopkins, er sei davon überzeugt, Hitler lebe noch.
Und der Kammerdiener Linge wurde aus der Tiefe Rußlands nach Berlin in den Führerbunker zurückgeführt, um Hitlers Blutspuren auf dem Teppich und am Sofafuß zu zeigen, und dies gegenüber einer Untersuchungskommission, die bestritt, daß Hitler tot sei.
Bevor jedoch die Leichen aus Buch verschwanden, wurden sie von sowjetischen Kriminologen identifiziert - nicht zuletzt an Hand der Röntgenaufnahmen von Hitlers Gebiß.
Adolf und Eva Hitler wurden am 8. Mai im Operationssaal der Krankenanstalt obduziert. Frau Rschewskaja kann den Zustand der Leichen, in dem sie sich acht Tage nach dem Todesdatum in Buch befanden, nicht genau beschreiben: »Wissen Sie, der Anblick war zu gräßlich, ich habe mich nicht in die Nähe getraut.«
SPIEGEL: »Hat auch eine chemische Untersuchung stattgefunden?«
Rschewskaja: »Ja, natürlich.«
SPIEGEL: »Worauf ist nach dem Obduktionsergebnis Hitlers Tod zurückzuführen?«
Rschewskaja: »Er hat sich vergiftet.«
SPIEGEL: »Woraus wurde das damals geschlossen?«
Rschewskaja: »Der Körper wies keine Schußverletzungen auf. Es gab Verletzungen auch am Kopf, aber sie rührten vom Feuer her.«
SPIEGEL: »Sind Sie dessen sicher?«
Rschewskaja: »Ich kann nicht sicher sein, ich habe es nicht gesehen, und ich bin kein Arzt. Aber ich bin sicher, daß ich das Ergebnis der Untersuchung richtig wiedergebe.«
Dieser Version aber widersprechen die Aussage des ehemaligen Kammerdieners Linge, der Tod Hitlers sei durch einen Schläfenschuß eingetreten, und die Auskunft, die Goebbels dem Führer-Piloten Baur gegeben haben soll.
Baur: »Ich fragte, ob er sich erschossen habe. Goebbels: Jawohl, er hat sich in die Schläfe geschossen und lag am Boden. Eva Braun hat Gift genommen und saß auf dem Sofa, wie wenn sie schliefe !'«
Schon wieder neue Unstimmigkeiten! Goebbels sah seinen Führer auf dem Boden liegen; Linge aber beschreibt, Hitler habe in seiner Sofaecke ordentlich gesessen, die Hände auf den Knien.
Wahrscheinlich hat Goebbels den toten Hitler erst gesehen, als Linge und die SS-Männer schon dabei waren, den Führer auf dem Boden in Decken einzuschlagen. Daher könnte man die Goebbels-Bemerkung als eine Bestätigung dafür ansehen, daß außer Linge, seinen Gehilfen und Bormann niemand den toten Hitler in seiner originalen Stellung nach dem Selbstmord erblickt hat.
Derartige Widersprüche erlauben nicht mehr, die Frage zu entscheiden, ob Adolf Hitler durch eine Pistolenkugel oder eine Giftkapsel umgekommen ist.
Die Männer um den Führer hatten ein Interesse daran, den Abgott des Dritten Reiches männlich durch einen Pistolenschuß sterben zu lassen. Die Sowjets waren gleichermaßen interessiert, ihn feige durch Gift sterben zu lassen. Beide Seiten haben triftige Gründe, die Wahrheit zu verschleiern. Die beiden Leichen waren am 8. Mai obduziert worden, wenige Tage später verschwanden sie, ohne eine Spur zu hinterlassen. Alle Indizien sprechen dafür, daß Adolf und Eva Hitler, ebenso wie die Familie Goebbels, irgendwo in der Gegend von Buch verscharrt worden sind.
Wie Hitler auch immer gestorben und verschwunden sein mag - sein Tod sollte noch einmal die Entwicklung der letzten Tage in Berlin beeinflussen.
Innerhalb der Tragödie, die das späte Ende des Dritten Reiches für die Millionen Menschen in den Kellern bedeutete, wurde nun eine Komödie gespielt, deren Hauptdarsteller ein Minister, ein Reichsleiter und eine Reihe hoher Offiziere waren.
Kampfkommandant Weidling konnte sich noch am 29. April abends in seinem Gefechtsstand im Hochbunker des OKW-Blockes an der Bendlerstraße nicht entscheiden: Sollte er, durfte er, mußte er gegen Hitler handeln, um mit den verbliebenen Truppenresten aus dem Einschließungsring auszubrechen?
Assistiert von einigen Divisionskommandeuren, die sich zu ihm durchgeschlagen hatten, faßte Weidling endlich zögernd am 30. April vormittags den Entschluß zum Ausbrechen. Termin: 30. April, 22 Uhr. Die Abschnittskommandeure kehrten mit dem Befehl in der Tasche unter Bomben- und Granatfeuer zu ihren Gefechtsständen zurück.
Es war 13 Uhr, als sich ein SS-Spähtrupp unter Leitung eines SS-Sturmbannführers aus der Reichskanzlei bei Weidling meldete. Für den Weg, den ein Fußgänger normalerweise in 15 Minuten zurücklegen kann, hatten die SS -Männer zwei Stunden gebraucht.
Sie brachten den letzten Führerbefehl geschrieben auf Hitlers privatem Briefpapier mit einem goldenen Reichsadler auf lorbeerumkränzten Hakenkreuz links oben und darunter gleichfalls in erhabenem Gold, der Name Adolf Hitler in Blockschrift.
Der Befehl war auf der Führer -Maschine mit übergroßen Buchstaben geschrieben und von Hitler handschriftlich unterzeichnet:
»An den Befehlshaber des Verteidigungsbereiches Berlin. General der Art. Weidling. Im Falle des Munitions- und Verpflegungsmangels bei den Verteidigern der Reichshauptstadt gebe ich mein Einverständnis zum Ausbruch. Es ist in kleinsten Gruppen auszubrechen und Anschluß an die noch kämpfende Truppe zu suchen. Wo dieser nicht gefunden wird, ist der Kampf in kleinen Gruppen in den Wäldern fortzusetzen. Adolf Hitler.«
Hitlers Befehl ließ Weidling erleichtert aufatmen. Hatte er bis dahin in schwerem Ringen mit seinen Vorstellungen von Gehorsamspflicht die Ausbruchsvorbereitungen ohne Wissen seines Führers und des Heeres-Generalstabschefs betrieben, so durfte er jetzt annehmen, daß seine Pläne von höchster Stelle gutgeheißen wurden.
Die Verbindung zwischen den einzelnen Befehlsstellen im noch unbesetzten Berlin war derart schwierig geworden, daß einige Kommandeure der Ausbruchsbefehl, der bereits gegen zehn Uhr vormittags beschlossen worden war, erst am späten Nachmittag erreichte. Auch der Zoo-Bunker, wo eine ganze Anzahl von Befehlsstellen zusammengezogen worden war (insgesamt 4000 Soldaten, Verwundete und Zivilisten), hatte erst gegen 18.30 Uhr Drahtverbindung mit dem Kampfkommandanten.
Um diese Zeit saßen im L-Turm des Zoo-Bunkers, dem Gefechtsstand der 1. Flakdivision, die Generale Sydow und Rauch mit Artilleriekommandeur Wöhlermann zusammen, als von der Bendlerstraße ein Gespräch durchkam, das Rauch abnahm.
Er erfuhr es sei jedem Soldaten gestattet, Berlin auf eigene Faust zu verlassen, falls er hoffen könne, Anschluß an deutsche Truppen außerhalb Berlins zu bekommen. Richtung (über Spandau -Neu-Ruppin) und Termin (nicht vor Dunkelheit) nannte der Befehl, der praktisch das Ende der militärischen Ordnung und Disziplin bedeutete.
Wöhlernann berichtet: »Nach einigen Sekunden fassungslosen Schweigens debattierten wir bald lebhaft über diesen in den Annalen des deutschen Heeres wohl noch nicht dagewesenen Befehl, woran sich auch der gerade anwesende Kommandeur des Artillerie-Regiments der 18. Panzer-Grenadier-Division, Oberst von und zu Gilsa, beteiligte.«
Gilsa nutzte seine Chance. Er verließ sofort die Runde, ging zu seinem Stab, der auch in der Betonburg des Zoobunkers domizilierte, und alarmierte seine Soldaten: »Los, Jungs, wir hauen ab, wir dürfen!« Wenige Minuten später rückte er ab.
Die anderen Herren waren nicht so schnell und sollten bald ihre langsame Reaktion bereuen. Inzwischen war, was sie nicht wußten, ihr Führer gestorben. Prompt erschien jener SS-Sturmbannführer, der Hitlers Brief in die Bendlerstraße gebracht hatte (und danach zur Reichskanzlei zurückgekrochen war), gegen 18 Uhr wiederum bei Weidling und händigte ihm einen Befehl aus, der alles umwarf.
Der Befehl war von Krebs unterschrieben und besagte, Weidling habe sich sofort in die Reichskanzlei zu begeben, alle für den Abend vorgesehenen Ausbruchsmaßnahmen hätten zu unterbleiben.
Die neue Order wurde, so weit noch möglich, an die Kommandeure weitergeleitet, aber die erhebliche Verzögerung, mit der Hitlers Ausbruchsbefehl im Zoo-Bunker angekommen war, brachte es mit sich, daß der Krebs-Befehl Wöhlermann, Rauch und Sydow kaum eine halbe Stunde nach dem ersten Befehl erreichte.
Weidling machte sich unverzüglich auf den Weg in den Führerbunker. »Dort wurde ich«, schreibt er, »sofort in das Zimmer des Führers geführt. Hier befanden sich Reichsminister Dr. Goebbels, Reichsleiter Bormann und General Krebs.«
Goebbels und Bormann überließen es dem Generalstabschef des Heeres, dem Kameraden Weidling die nötige Aufklärung zu geben. Er erfuhr, Hitler sei tot, sein Leichnam verbrannt: über beide Vorgänge sei strengstes Stillschweigen zu bewahren. Weidling: »Ich wurde persönlich verpflichtet, bis zur weiteren Entwicklung der Geschehnisse das Geheimnis nicht preiszugeben.«
Dann aber gab Krebs die wichtigste Neuigkeit preis: Der Abschnittskommandant von »Zitadelle« habe bereits Befehl, mit dem gegenüberliegenden Sowjetkommandeur darüber zu verhandeln, wo und wann Krebs über die Linie gehen könne, um sich zum sowjetischen Oberkommando zu begeben.
Er, Krebs, werde dem Sowjet-Oberkommando den Selbstmord des Führers, den Inhalt des Hitler-Testaments und die Ministerliste der dort bestimmten neuen Reichsregierung (Reichspräsident: Großadmiral Dönitz, Reichskanzler: Dr. Goebbels, Außenminister: Seyß -Inquart) mitteilen.
Außerdem wolle er um Waffenstillstand bitten, damit die neue Regierung in Berlin zusammentreten und dann mit den Sowjets Verhandlungen über die Kapitulation Deutschlands führen könne.
Weidlings Kommentar: »Ich war tief erschüttert. Dies war also das Ende!«
In der Tat: Goebbels glaubte ernsthaft, als Reichskanzler von den Siegern anerkannt zu werden, Bormann meinte, ein möglicher Verhandlungspartner für sie zu sein.
Um Geheimhaltung aber waren die Männer im Führerbunker deshalb so bemüht, weil sie fürchteten, der »Verräter« Himmler werde dasselbe Spiel mit den Westmächten treiben und seinerseits eine Regierung bilden - ohne Rücksicht auf Hitlers Testament, das ohnedies in seinem aktuell-politischen Teil unter den Einflüsterungen von Goebbels und Bormann zustande gekommen war.
General Weidling fühlte sich für die Regierungsbildung nicht zuständig, aber er war Soldat; ihm erschien es unwahrscheinlich, daß mit den Sowjets in Berlin noch etwas anderes auszuhandeln sei als ein Termin der bedingungslosen Kapitulation. Sie müsse man anbieten, will er den Herren »im Zimmer des Führers« geraten haben; nur dann bestünde vielleicht die Chance, »dank dem Entgegenkommen der russischen Führung die vom Führer legalisierte Regierung in Berlin« zusammentreten zu lassen, damit sie »diesen irrsinnigen Kampf« beende,
So jedenfalls rekonstruiert Weidling die Szene in seinen Aufzeichnungen, die er in sowjetischer Gefangenschaft schrieb. Wie immer man die Nuancen eines Berichts bewertet, dessen erste Leser die sowjetischen Gefangenenbewacher waren - Weidlings Vorschlag stieß auf schärfsten Widerspruch: »Dr. Goebbels lehnte kategorisch jeden Gedanken an eine Kapitulation ab.«
Weidling gehorchte, ebenso sein Stabschef, Oberst von Dufving. Der Oberst wurde an diesem Abend von der Bendlerstraße in den Reichskanzleibunker befohlen, wo er - begleitet vom Ia des LVI. Panzerkorps. Major Knappe, einem, Gefechtsschreiber, zwei Meldern und dem Fahrer eines Schützenpanzers - gegen 22 Uhr ankam, nachdem er unterwegs im Dunkeln beinahe das Opfer eines Verkehrsunfalls geworden wäre.
Getreu seiner Verpflichtung zur Geheimhaltung, zog Weidling ihn beiseite, teilte ihm das Nötigste mit (Dufving hörte dabei auch von der Hochzeit mit der ihm bis dahin sogar dem Namen nach unbekannten Eva Braun) und erklärte ihm, er sei als der älteste noch verfügbare Generalstabsoffizier ausersehen, den Generalstabschef des Heeres zu Verhandlungen mit dem sowjetischen Oberkommando zu begleiten.
An diesem Tag, dem 30. April, befand sich das Oberkommando der, Wehrmacht mit Jodl und Keitel noch in Richtung Norden »unterwegs« und hatte Dobbin in Mecklenburg erreicht. Während Reichskanzler Goebbels die neue Regierung in Berlin konstituieren wollte, wußte der neue Reichspräsident, Großadmiral Dönitz, noch nichts von seiner Ernennung.
Ihn hatte um 18.35 Uhr ein verwirrender Funkspruch Bormanns erreicht: »Anstelle des bisherigen Reichsmarschalls Göring setzt der Führer Sie, Herr Großadmiral, als seinen Nachfolger ein. Schriftliche Vollmacht unterwegs. Ab sofort sollen Sie sämtliche Maßnahmen verfügen, die sich aus der gegenwärtigen Lage ergeben.«
Da das Testament die Funktionen des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers auf zwei Personen, Dönitz und Goebbels, verteilt hatte, gab es keinen Nachfolger des Führers. Das wußte Bormann, als er Dönitz diese falsche Information gab.
Warum gab er sie? Wieder bestimmte das Gespenst des »Verräters« Himmler die Handlungsweise der Eingeschlossenen im Reichskanzleibunker.
Hätten sie Dönitz mitgeteilt, daß er nur Reichspräsident sei, hätten sie ihm also erklären müssen, wer die Regierung führe, nämlich Goebbels, so wäre Himmler, der sich im Gegensatz zu Goebbels frei bewegen konnte, leicht auf den Gedanken gekommen, gemeinsam mit Dönitz, aber ohne Goebbels eine Regierung zu bilden. So logen Goebbels und Bormann dem Großadmiral vor, er sei der neue Führer mit dessen praktisch unbegrenzten Vollmächten: Sie wollten ihn daran hindern, die Macht mit Himmler zu teilen.
Dönitz konnte freilich aus dem Funkspruch nur indirekt schließen, daß dem Führer etwas zugestoßen sei. Daß Hitler tot sei, wagte er nicht zu denken. So sandte er an den toten Führer, dessen angekohlte Leiche um diese Zeit bereits in einem Bombentrichter verscharrt war, um 1.22 Uhr am Morgen
des 1. Mai per Funk eine Ergebenheitsadresse:
»Mein Führer, meine Treue zu Ihnen wird unabdingbar sein. Ich werde daher weiter alle Versuche unternehmen, um Sie in Berlin zu entsetzen. Wenn das Schicksal mich dennoch zwingt, als der von Ihnen bestimmte Nachfolger das Deutsche Reich zu führen, werde ich diesen Krieg, so zu Ende führen, wie es der einmalige Heldenkampf des Deutschen Volkes verlangt.«
Der einmalige Heldenkampf des deutschen Volkes verlangte in diesem Augenblick von dem Generalstabschef des Heeres, daß er sich hinter einer weißen Fahne auf die Seite des Feindes begab und verhandelte.
Um Mitternacht rief General Krebs seinem Begleiter im Reichskanzleibunker zu: »Los, Dufving, wir gehen. Haben Sie einen Ausweis?«
Dufving: »Einen Sonderausweis für Verhandlungen? Nein!«
Der Ausweis wurde schnell ausgestellt. Reichskanzler Dr. Goebbels unterschrieb ihn. Er und Reichsleiter Bormann hatten auch den Brief an Generalissimus Stalin unterschrieben, den Krebs zusammen mit anderen Reichspapieren mit sich führte.
SS-Brigadeführer Mohnke geleitete die Gruppe, bestehend aus General Krebs, Oberst von Dufving, Sonderführer-Dolmetscher Neilandis und zwei Soldaten, aus dem Bunker auf die Straße, die sie einzeln übersprangen, um wiederum in einem Schacht zu verschwinden. Durch einen U-Bahn-Stollen erreichten sie den Gefechtsstand der »Zitadelle«.
Dort fanden sie , den Abschnittskommandeur, Oberstleutnant Seiffert. Er hatte den Weg des Generals Krebs zum Gegner vorgebahnt. Die Sowjets waren bereits auf den deutschen Besuch vorbereitet.
Armee-General Tschuikow war am Abend des 30. April von der Politabteilung des Armeestabes zum Essen eingeladen worden. Er fand außer den Offizieren eine Runde von Intellektuellen vor, darunter den Schriftsteller Wischnewski, den Liederdichter Dolmatowski, dessen Leib-Komponisten Matwej Blanter und einen weiteren Musiker namens Tichon Chrennikow.
Während der Tisch gedeckt wurde, setzte sich zunächst Chrennikow an den Flügel und spielte ein Lied aus einem Film, dann intonierte Blanter den Walzer »In einem Walde an der Front«.
Als die Gastgeber ihren hohen Besuch zu Tisch baten, wurde Tschuikow vom Kommandeur des IV. Korps, Generalleutnant Glasunow, telephonisch verständigt ("mit erregter und etwas feierlicher Stimme«, wie sich Tschuikow erinnert), beim 102. Gardeschützenregiment der 35. Division sei ein deutscher Oberstleutnant namens Seiffert mit einer weißen Fahne und einem großen Briefumschlag aufgetaucht, in dem sich eine Vollmacht des deutschen Oberkommandos befinde. Er bitte anzugeben, wo und wann der Chef des deutschen Heeres-Generalstabes, General der Infanterie Krebs, die Frontlinie überschreiten könne.
»Klar«, rief Tschuikow ins Telephon, »wir sind bereit, Parlamentäre zu empfangen.« Die Details wurden ausgemacht, dann kehrte Tschuikow animiert zum Tisch zurück und deutete an, was er eben gehört hatte.
Dolmatowski und Wischnewski hörten, wie Tschuikow der Tischrunde erläuterte, er denke, die Deutschen würden wahrscheinlich am frühen Morgen eintreffen. Er werde sie auf seinem vorgeschobenen Gefechtsstand in Tempelhof empfangen, in einem prächtigen Haus am Schulenburgring Nr. 2, das »einen Saal mit schwarzen Säulen« besitze. Tschuikow sah die dritte Nacht vor sich, in der er nicht ins Bett kam.
Nach diesen Präliminarien der Begegnung konnte Oberstleutnant Seiffert dem Generalstabschef Krebs melden, die Passierstelle sei mit den Sowjets vereinbart, an dieser Stelle werde beiderseits jetzt nicht geschossen.
Krebs trug einen Ledermantel, im Kragenausschnitt hing das Ritterkreuz. Das Gesicht des Generals war nicht mehr verbunden, aber noch voller frischer Narben, Spuren der Scherben, die ihm bei einem Luftangriff auf das Hauptquartier Zossen im März die Haut zerschnitten hatten.
Da Dufving aus der Bendlerstraße ohne Mantel aufgebrochen war, lieh er sich jetzt einen von einem SS-Führer. Man machte sich auf den weiteren Weg.
Dufving: »Ich kletterte über eine Mauer und war plötzlich umringt von Russen, die mich anleuchteten, freundlich grinsten, mir auf die Schulter klopften und auf mich einredeten, als ob wir alte Freunde wären.«
Die Russen wollten den Deutschen in einem Keller die Pistolen abnehmen aber Krebs sagte: »Einem tapferen Gegner überläßt man während der Verhandlungen die Waffe.« Sie durften sie behalten.
Sie durften auch ein Auto besteigen, das sie nach Tempelhof brachte. Zehn Minuten vor vier Uhr am Morgen des 1. Mai 1945 trafen die Deutschen vor dem Haus Schulenburgring Nr. 2 ein. Es war dunkel, die Sonne war noch nicht aufgegangen. Statt ihrer beleuchteten Brände die schuttgefüllten Straßen. Die Stadt branntet an allen Ecken.
Tschuikow wartete seit eineinhalb Stunden auf seine Besucher. Vorher hatte er noch Telephongespräche geführt, darunter mit dem Schriftsteller Wischnewski, der ihn bedrängte, bei den Verhandlungen dabeisein zu dürfen. Tschuikow gab die Erlaubnis.
Bald mußte freilich der General erkennen: »Schriftsteller sind nie allein unterwegs.« Wischnewski brachte Dolmatowski und sogar den Komponisten Blanter mit. Blanter wie auch Wischnewski waren erst seit der Oder-Offensive dabei, während Dolmatowski schon die Kapitulation in Stalingrad mit Tschuikow erlebt hatte. Den Komponisten nannten alle, auch der General, »einfach und freundschaftlich Motja«.
Auch die Schriftsteller und der Komponist trugen Uniform, denn sie waren Kriegsberichterstatter im Offiziersrang. Dufving erzählt: »Ein sowjetischer Offizier fiel mir besonders auf, weil er eine dunkelblaue Uniform - ich hielt sie für eine Marineuniform - trug. Später wurde mir dieser Offizier als Dichter, gemeint war wohl Schriftsteller, bezeichnet.«
Tatsächlich war der Blaue ein Dichter, denn die blaue Uniform trug Dolmatowski. Er hatte einige der populärsten sowjetischen Soldatenlieder des Zweiten Weltkriegs geschrieben. Am Nachmittag dieses 1. Mai fuhren die Intellektuellen zu der seltsamsten Dichterlesung der modernen Kriegsgeschichte.
Vor dem Brandenburger Tor reckte ein schwerer Panzer seine Kanone über den Pariser Platz. Es wurde dort nicht mehr geschossen. Soldaten standen tatenlos herum. Poet Dolmatowski stieg auf den Panzer und sprach einige seiner Lieder und Gedichte.
In wenigen Minuten hatte sich ein Kreis von Soldaten um ihn gebildet. Die Szene wurde photographiert. Es entstand eines der berühmtesten Symbolbilder dessen, was Sowjethistoriker den Großen Vaterländischen Krieg nennen.
Während Dolmatowski mit hallender Stimme seine Verse vom Panzer herunter vortrug, schlenderte vom Brandenburger Tor her, unter dem deutsche Elendsgestalten Barrikaden entfernten, der sowjetische Wochenschau-Reporter Karmen heran.
Aus seinem Uniformkragen schaute der Rand eines weißen Verbandes heraus - seit einer Woche plagte ihn ein Furunkel im Nacken. Sonst war er mit seiner Arbeit sehr zufrieden. Mit der 16mm-Kamera, die ihm an einem Riemen über die Schulter hing, hatte er soeben den brennenden Reichstag aufgenommen, Szene des letzten Kampfes.
Er hörte seinem Freund Dolnatowski zu. Als der Dichter vom Panzer wieder heruntergeklettert war, meinte Karmen zu ihm: »Sag mal, wo ist denn hier die Straße Unter den Linden?« Dolmatowski deutete auf die baumlose Schlucht zwischen brennenden Ruinen.
Karmen erläuterte seinem Freund: »Weißt du, als ich 1941 vor Moskau an der Front war und alles so richtig schlimm stand, da hatte ich mir geschworen, wenn ich eines Tages in Berlin sein würde, ein Straßenschild mit nach Hause zu nehmen, und zwar von der einzigen Berliner Straße, deren Namen ich kannte: Unter den Linden.«
Indes, es hingen keine Straßenschilder mehr an den Kreuzungen. Schließlich fand Karmen an entlegener Stelle einen eisernen Mast, an dem ein zerschossenes Schild »Unter den Linden« hing. Karmen lieh sich bei einem Fahrer eine Zange und machte das Schild los. Er nahm es mit nach Moskau.
Die lebhafte Anteilnahme der Schriftsteller an militärischen Ereignissen sollte sich als nützlich erweisen - die Geschichtsschreibung verdankt den Sowjetintellektuellen wertvolle Aufschlüsse über die ersten Kapitulationsgespräche im Hause Tschuikows anm Schulenburgring. Ohne sie wüßte man nicht, was damals gesprochen wurde.
Wischnewski und Dolmatowski führten, ohne Auftrag und ohne Beherrschung der Stenographie, abwechselnd und zeitweise auch gemeinsam Protokoll. Später warfen sie ihre Notizen zusammen und arbeiteten sie aus. Wischnewski veröffentlichte dieses Protokoll im fünften Band seiner gesammelten Werke. Tschuikows Gäste haben zeitgeschichtliche Arbeit geleistet.
Zunächst mußten sie schier endlos warten, bis die Deutschen kamen. Die Zeit wollte nicht vergehen. Eine Unterhaltung kam nicht in Gang. »Wir saßen wie auf Nadeln«, schreibt Wischnewski. Und Tschuikow: »Alle rauchten erbarmungslos, gingen hinaus in den Saal mit den schwarzen Säulen, maßen mit gleichmäßigen Schritten die Sekunden der unermeßlich langen Minuten.«
Irgendwo in Berlin wurde noch Krieg geführt, soweit er nicht an Schwäche einerseits, Vorsicht andererseits bereits ganz abgestorben war. Die Sowjets besetzten die Gedächtniskirche. Die Division Müncheberg, noch ein paar Mann stark, verlegte ihren Gefechtsstand aus dem Hotel Eden in das Aquarium des Zoologischen Gartens.
Aus dem Hotel Eden vertrieb die Soldaten russisches Feuer und Ekel vor einem Stab höherer Polizeioffiziere, die mit Frauen, Ballettdamen und Filmnachwuchs Abschied vom Leben feierten, bis das Treiben auf höheren Befehl eingestellt wurde.
Es war kein Krieg mehr, aber auch noch keine Kapitulation. Den Anblick der Stadt kann man sich nicht »kriegerisch« genug vorstellen, sie sah aus wie ein Schlachtfeld. Aber der Kampf auf diesem Schlachtfeld war nicht mehr ausgetragen worden. Und nun ging es um die Form des Endes.
Bei den Russen erschienen endlich die deutschen Unterhändler. »Die Tür geht auf«, erinnert sich Tschuikow, »und ins Zimmer tritt ein deutscher General mit einem Ritterkreuz am Hals und einem Hakenkreuz an der Uniform. Ich sehe ihn mir aufmerksam an: von mittlerem Wuchs, untersetzt, glattrasierter Kopf, Schrammen im Gesicht. Mit der Rechten erweist er den faschistischen Gruß, mit der Linken reicht er mir seine Legitimation - das Soldbuch.«
Hinter dem General Krebs treten auch Dufving und der Dolmetscher ein. Bereits bevor er in das Zimmer kommt, hat Krebs den sowjetischen Offizier, der ihn am Hauseingang empfängt, um eine vertrauliche Unterredung mit dem bevollmächtigten sowjetischen Verhandlungsleiter gebeten.
Der Offizier übermittelt Tschuikow die Bitte, doch der Sowjetgeneral entscheidet: »Er soll hereinkommen. Wir sind unter uns.«
Jetzt steht Krebs im Zimmer. Er hat einen großen Tisch vor sich, an dem
etwa ein Dutzend sowjetischer Offiziere sitzen. Auf dem Tisch; in Griffnähe des Generals, erblickt er zwei Feldtelephone in nagelneuen, ledernen Behältern. Der eine Apparat verbindet Tschuikow mit der Armee-Nachrichtenvermittlung, der andere mit dem Oberkommandierenden, Marschall Schukow.
Noch bevor eine Frage an ihn gestellt wird, erklärt Krebs wiederholt und nachdrücklich: »Ich habe etwas zu sagen, was bislang niemand weiß. Ich möchte mit Ihnen allein sprechen.« Krebs weiß in diesem Augenblick noch nicht, wen er vor sich hat.
Krebs spricht deutsch,aber er könnte auch russisch sprechen. Er wird es zuweilen im Verlauf der Verhandlungen tun. Er war vor dem Kriege stellvertretender Militärattaché der Deutschen Botschaft in Moskau und stand am 1. Mai 1940 auf der Ehrentribüne des Roten Platzes, über den die große Parade der Sowjetarmee rollte. Was Krebs auf deutsch sagt, übersetzt der Sonderführer Neilandis, den Krebs als Major - in
Wirklichkeit besitzt der Sonderführer keinen Offiziersrang - eingeführt hat.
Tschuikow antwortet und läßt durch seinen Dolmetscher übersetzten: »Teilen Sie dem General mit, daß hier lediglich mein Kriegsrat anwesend ist. Er kann sprechen.«
Nun vergeht eine halbe Stunde mit Formalitäten. Krebs legt seine Verhandlungs-Vollmacht vor und versucht immer wieder, ein Gespräch mit Tschuikow allein zu erreichen. Dufving: »Alle Versuche prallten wie an einer Mauer ab.«
Als Krebs einsieht, daß er so nicht weiterkommt, macht er sich so wichtig wie möglich und sagt mit Vibrato in der Stimme: »Ich habe etwas zu sagen, was bislang noch niemand weiß. Sie sind der erste Ausländer, dem ich mitteile, daß Hitler am 30. April freiwillig von uns gegangen ist, indem er seinem Leben selbst ein Ende setzte.«
Dann legt Krebs eine große Pause ein. Tschuikow glaubt, dem Mienenspiel des Generals entnehmen zu dürfen, daß, er sich von dieser Mitteilung eine starke Wirkung versprochen hat. Er verdirbt ihm die große Szene: »Ich antworte in aller Ruhe: Wir wissen das.« Der sowjetische General blufft. Er hat bis zu diesem Augenblick keine Ahnung, daß Hitler nicht mehr lebt. Und die Deutschen merken, daß er blufft.
Aber diese Erkenntnis hilft ihnen nichts. Krebs muß nun zu verstehen geben, worüber er eigentlich verhandeln will: über die Kapitulation, aber nicht die bedingungslose Kapitulation, auch nicht die sofortige Kapitulation, sondern erst über einen Waffenstillstand, damit die neue Regierung in Berlin zusammengerufen werden könne; dann erst sollten Kapitulationsverhandlungen mit den Sowjets eröffnet werden.
Das ist das Konzept. Es ist im Grunde für die Sowjets unannehmbar, weil Krebs nicht für das ganze Rest-Reich militärisch verhandeln will, sondern nur für Berlin, und weil die Sowjets keine Separatabmachungen ohne ihre westlichen Verbündeten treffen wollen, obwohl sie argwöhnen, daß die anderen Alliierten bereits Separatverhandlungen führen.
Diese Verhandlungen sind zum Scheitern verurteilt, das Konzept von Goebbels, Bormann und Krebs ist irreal. Aber es ist jetzt erst fünf Uhr, die Morgendämmerung erhebt sich über den Brandwolken, die Berlin verdunkeln, und es wird Mittag werden, bis das Gespräch mangels eines erkennbaren Zweckes abgebrochen wird.
Noch ist Krebs sich nicht darüber im klaren, daß er nichts in der Hand hat, was die Sowjets bewegen könnte, ihm auch nur einen halben Schritt in prinzipiellen Fragen entgegenzukommen. Er legt den Brief an Stalin vor, den Goebbels und Bormann geschrieben und unterschrieben haben. Diesem Brief ist eine Liste der neuen deutschen Regierung beigefügt; das Schreiben beginnt mit fast den gleichen Worten, die Krebs zur Eröffnung der mündlichen Verhandlung verwendet hat: »Herr Marschall, Ihnen als erstem Nichtdeutschen teilen wir mit ...«
Die mündlichen und schriftlichen Nachrichten des Generals Krebs veranlassen Tschuikow alsbald, Schukow anzurufen und ihn ins Bild zu setzen. Der Gefechtsstand der Ersten Weißrussischen Heeresgruppe befindet sich an diesem Morgen in Strausberg in einigen Bunkern, die von einer Pionierabteilung des Stabes angelegt worden sind.
Dieses erste, während der Verhandlung zwischen Tschuikow und Schukow geführte Telephongespräch findet vor den Ohren der deutschen Unterhändler statt!
Da er am Telephon nur wiedergibt, was er selbst erfahren hat, sieht Tschuikow keinen Anlaß, das Zimmer für das Gespräch mit dem Oberkommandierenden zu verlassen.
Er liest Schukow auch die Liste der Mitglieder der Regierung Goebbels am Telephon vor. Auf ihr steht an 18. und letzter Stelle als »Leiter der Deutschen Arbeitsfront und Mitglied des Kabinetts« Dr. Robert Ley. Schukow ordnet an, ihm die Dokumente nach Strausberg zu schicken.
Kaum ist das Gespräch 'zu Ende, da läßt Schukow in Strausberg seine Dolmetscher wecken und zu sich befehlen. Es ist ungefähr sechs Uhr früh Berliner Zeit, als die Dokumente in Schukows Hand sind. Es handelt sich um etwa sieben bis neun Blätter, Format DIN A 5, die mit der Führer-Schreibmaschine beschrieben sind. Den meisten Raum nimmt die Aufzählung der neuen Minister ein.
Schukow befiehlt dem Dolmetscher B., die Dokumente zu übersetzen. B. liest den ersten Satz des Briefes an Stalin: »Ihnen als erstem Nichtdeutschen teilen wir mit ...« Bei dem Ausdruck »Nichtdeutschen« stockt B.
Im Russischen hätte dieses im Dativ stehende Wort gelautet: Nje Njemzu. B. schreckt vor dieser häßlichen und überdies unrussischen Formulierung zurück, findet aber nicht sofort ein gleichzeitig genaues und besseres Wort; er fragt Marschall Schukow, ob er sich die Übersetzung einen Augenblick überlegen dürfe.
Ärgerlich befiehlt Schukow, B. möge auf der Stelle übersetzen. Der Marschall hat inzwischen die Verbindung mit Moskau auf der direkten Leitung herstellen lassen, deren System die Sowjets mit dem Abkürzungswort »Weschtschte« bezeichnen. Im Kreml steht der General vom Dienst an der Berliner Weschtschte -Leitung.
Schukow gibt seinem Stabschef, Generaloberst Malinin, den Hörer in die Hand und sagt: »Diktiere das durch!«
Wort für Wort, Satz für Satz spricht Malin den von B. im Stegreif übersetzten Text der deutschen Dokumente Ins Telephon. In Moskau wird mitgehört und mitgeschrieben. 20 Minuten später kann Stalin lesen, was ihm Goebbels zu sagen hat. Er kann sich über die Wichtigtuerei und die phantastischen Selbsttäuschungen der letzten Paladine des braunen Führers nur wundern.
Während die Texte nach Moskau durchgegeben werden, unterhält sich Schukow wieder mit Tschuikow, vor dessen »Kriegsrat« der deutsche Unterhändler Krebs steht.
Schukow: »Will er Frieden machen?«
Tschuikow: »Frieden? Nein, davon hat er noch nichts gesagt. Ich werde ihn fragen: (Zu Krebs:) Der Marschall möchte wissen, ob Sie die bedingungslose Kapitulation anbieten wollen?«
Krebs: »Nein, es gibt andere Möglichkeiten. Wir müssen erst eine Regierung bilden.«
Tschuikow (nun in den Apparat zu Schukow): »Er sagt, für die Herstellung des Friedens gäbe es andere Möglichkeiten. Wie? Nein, es ist die andere Regierung, die die Verbindung mit den Alliierten aufgenommen hat und eine andere Lösung sucht.« Tschuikow spielt auf Himmlers Verhandlungen an. Schukow: »Ist das Krebs bekannt?«
Tschuikow: »Ich glaube nicht. Sie haben hier keine Verbindung mit den Alliierten. Krebs ist ermächtigt, mit der Sowjet-Union allein zu verhandeln.«
Schukow: »Ich will mit Moskau sprechen.«
Tschuikow: »Ich warte am Telephon. Ja, ich verstehe. Nein, Krebs ist nicht bevollmächtigt zu kapitulieren; aber er ist bevollmächtigt zu verhandeln.«
Nach diesem Gespräch, in dessen Verlauf sich Schukow Weisungen von Moskau holt' sagt Tschuikow zu Krebs: »Wir können mit Ihnen nur verhandeln, wenn es sich um eine bedingungslose Kapitulation vor der Sowjet-Union, vor den Vereinigten Staaten und vor England handelt.«
Damit sind die Positionen klar; da Krebs über eine bedingungslose Kapitulation weder verhandeln will noch verhandeln darf, hätte das Gespräch an diesem Punkt abgebrochen, hätten die Parlamentäre zurückgeschickt und hätte der Krieg noch ein paar Stunden fortgesetzt werden können.
Das aber geschieht nicht. Die Verhandlungspartner setzen sich jetzt gleichsam auf ein Karussell und fahren in endlosen Wiederholungen um die immer gleichen Probleme herum, Stunde um Stunde. Wenn Krebs nicht mehr weiterweiß, spricht er russisch.
Zwischendurch führt Tschuikow Krieg in Berlin. Er bekommt Meldungen von seinen Divisionen, Meldungen von dem letzten Kampf um den Reichstag.
Tschuikow: »Wie ist die Lage? Der Widerstand hat aufgehört? Wie ... Sind die Parlamentäre noch nicht eingetroffen? Aber gewiß, so ist es.« Tschuikow legt den Hörer auf und wendet sich wieder Krebs zu: »Es sieht so aus, als ob Ihre Garnison die Waffen streckt.«
Krebs: »Wo?«
Tschuikow: »Überall.«
Krebs: »Ohne Befehl?«
Tschuikow: »Ganz einfach, unsere Soldaten dringen vor - die Ihren ergeben sich.«
Krebs: »Wahrscheinlich sind das Einzelfälle.«
Tschuikow: »Das glaube ich kaum.« Man kommt auf die allgemeine Lage zu sprechen. Tschuikow läßt die letzten Ausgaben sowjetischer Zeitungen kommen, die über Himmlers Verhandlungen mit den westlichen Alliierten berichten.
Damit trifft der Sowjetgeneral den neuralgischen Punkt seines Gegners. Wovon ist seit Tagen im Bunker gesprochen worden? Von Himmlers »Verrat«! Und wovon seit Hitlers Tod? Von der Möglichkeit, Himmler könne Goebbels und Bormann ausmanövrieren und eine Regierung mit Dönitz bilden!
Krebs gibt dem Gegner Einblick in diesen inneren Kampf der NS-Führung. Er empört sich: »Himmler war zu diesem Schritt nicht ermächtigt. Das haben wir befürchtet. Aber Himmler ist vom Selbstmord des Führers noch nicht unterrichtet.«
Tschuikow ist erstaunt: »Aber die deutschen Sender funktionieren doch?« »Ach?«, sagt Krebs.
Tschuikow: »Ja, Himmler hat sein Angebot von Sonderverhandlungen über den Rundfunk gemacht.«
Das Gespräch erhält kurzfristig eine andere Wendung, weil in diesem Augenblick die Meldung hereingebracht wird, Hitler halte sich im Tiergarten versteckt.
Krebs: »Das ist eine Lüge.«
Tschuikow: »Kein Wind weht von ungefähr.«
Und wieder verlangt der Sowjetgeneral die bedingungslose Kapitulation, wieder protestiert Krebs: »Dann können wir unsere Regierung nicht mehr bilden.«
An dieser Stelle übersetzt Sonderführer Neilandis nicht nur die Worte von Krebs, sondern setzt aus eigener Initiative hinzu: »In Berlin entscheidet sich das Schicksal ganz Deutschlands...« Krebs fällt ihm sofort zornig ins Wort: »Ich spreche selber russisch. Sie haben nur zu übersetzen, was ich sage.«
Aus diesem Anlaß wird Neilandis kaltgestellt. Die Gesprächspartner einigen sich darauf, daß künftig Tschuikows Dolmetscher für beide übersetzt. Er macht seine Sache gut.
Die Herren fangen an, etwas freundlicher miteinander zu reden. Tschuikow tröstet Krebs geradezu, als er begriffen hat wie sehr Krebs, Goebbels und Bormann sich vor einer Sonderaktion Himmlers fürchten. Er sagt zu Krebs: »Die Aktionen unserer Regierungen sind aufeinander abgestimmt. Himmlers diplomatischer Winkelzug bleibt ohne Erfolg.« Krebs fragt dagegen: »Liegt nicht die Bildung einer neuen deutschen Regierungin Ihrem Interesse?«
Tschuikow: »Was können Sie hoffen? Die populärste deutsche Regierung wird jene sein, die eine Kapitulation unterzeichnet.«
Krebs: »Unsere Aufgabe besteht darin, die Regierung zu bilden und Frieden zu schließen - und zwar in erster Linie mit der Siegermacht, der Sowjet-Union.«
Tschuikow: »Wir und unsere Verbündeten verlangen die bedingungslose Kapitulation. Verstehen Sie das nicht?«
Das sowjetische Protokoll vermerkt an dieser Stelle: »Pause«. In diese Pause hinein erscheint Wladimir Semjonow, Berater des Obersten Kriegsrates. Alle erheben sich, Tschuikow meldet und flüstert Semjonow ins Ohr: »Das ist Guderians Stellvertreter.«
Als solcher hat sich Krebs bezeichnet, obwohl Generaloberst Guderian in aller Form von Hitler als Generalstabschef des Heeres abgelöst und Krebs ebenso in aller Form mit der Wahrnehmung dieses Amtes beauftragt worden ist. Tschuikow erkundigt sich nach Guderian, und Krebs erzählt ihm, Guderian sei seit dem 15. März krank.
Nun wird über die Karriere von Krebs geplaudert. Tschuikow fragt: »Wo waren Sie zur Zeit der Operationen in Stalingrad?«
Krebs: »Im Mittelabschnitt, in der Nähe von Rschew.«
Tschuikow: »Alles in allem, Stalingrad war nicht gerade angenehm.«
Krebs: »Es war grauenvoll. Dort begann unser Unglück. Waren Sie Korpskommandeur bei Stalingrad?«
Tschuikow: »Nein, Befehlshaber einer Armee.«
Krebs: »Ich habe ein Buch über Stalingrad gelesen. Wer sind Sie?«
Tschuikow: »Ich bin Tschuikow.«
Krebs: »Tschuikow? Ach - Tschuikow! Oh...«
So erfährt der Generalstabschef des deutschen Heeres endlich, mit wem er verhandelt. Jetzt schlägt Tschuikow vor: »Passen Sie auf, General, wir machen es vielleicht so, damit wir weiterkommen: Wir lassen Sie telephonisch von hier aus mit Dr. Goebbels verbinden.«
Krebs: »Das würde mich sehr freuen. Jawoll, dann könnten Sie auch mit Dr. Goebbels sprechen.«
Tschuikow führt ein langes Gespräch und macht Eintragungen auf dem Berliner Stadtplan, der vor ihm auf dem großen Tisch liegt. Die Offiziere seiner Begleitung beugen sich über den Tisch, denn was Tschuikow einzeichnet, sind die neuesten militärischen Fortschritte bei der Besetzung Berlins.
Dann telephoniert er wieder mit Schukow und berichtet ihm die letzten Vorgänge im Abschnitt seiner Armee.
Den Hörer aus der Hand legend und aufblickend, glaubt er zu bemerken, daß Krebs vor Kälte zittert. Krebs zittert vor Übermüdung.
Tschuikow: »Frieren Sie nicht, General? Wollen Sie nicht Ihren Mantel umhängen? »
Krebs: »Nein.«
Während der nächsten Stunde geht es wieder um Himmlers Verrat. Krebs versucht mit allen Mitteln, Tschuikow davon zu überzeugen, daß nur Goebbels und Bormann, die er, Krebs, als Unterhändler vertrete, die legitime Regierung Deutschlands darstellen.
Dufving notiert: »General Krebs brachte zum Ausdruck, daß die Sowjets durch Rundfunk und Verkehrsmittel die deutsch-sowjetischen Verhandlungen fördern und etwaige Verhandlungen anderer, wie die Verhandlungen Himmlers, unterbinden könnten.«
All dies interessiert Tschuikow nur wenig. Nach einigen Stunden wird eine Art Drei-Punkte-Programm verabredet, das praktisch nur die Prozedur der Verhandlung, nicht aber deren Gegenstand betrifft:
- Das Oberkommando will in Moskau weitere Direktiven einholen;
- Dufving soll zu Goebbels in den Bunker zurückkehren, dort einen Zwischenbericht geben und weitere Anweisungen für Krebs erbitten;
- die Sowjets wollen eine direkte Drahtverbindung zwischen Schulenburgring und Reichskanzleibunker herstellen.
Als sich später die Verhandlungenhinziehen, schlägt Schukow vor, man möge Dufving wieder zurückschicken. Tschuikow sagt zu Krebs: »Der Marschall empfiehlt Ihnen, jemand zurückzuschicken, damit sich die dort Ihretwegen keine Sorgen machen, solange Sie sich bei uns aufhalten.«
Schukow läßt Krebs auch durch Tschuikow sagen - vielleicht auf Anregung aus Moskau hin -, Krebs oder Goebbels sollten das Testament Hitlers über den Rundfunk dem deutschen Volk bekanntgeben, sie bekämen dafür die technische Möglichkeit. Krebs ist über diesen Vorschlag entsetzt.
Krebs: »Das ist nicht erwünscht. Es käme für Dönitz unerwartet. Er weiß vom Testament auch jetzt noch nichts. Wir haben versucht, uns an die Sowjet-Union zuerst zu wenden. Wir wollen keine andere illegale Regierung, die sich für eine Sondervereinbarung mit den Vereinigten Staaten und England entscheiden würde. Wir ziehen Verhandlungen mit Rußland vor.«
Tschuikow: »Aha, so also müssen wir Ihre Aktion hier verstehen.«
Inzwischen läßt der sowjetische General Tee und einen kleinen Imbiß kommen. Alle sind erschöpft, alle haben nächtelang nicht geschlafen.
Bevor sich Dufving abmeldet, bittet er Krebs um eine schriftliche Mitteilung an Goebbels. Er hält dem General zu diesem Zweck sein aufgeschlagenes Notizbuch hin. Krebs schreibt, er wolle für Berlin einen sofortigen Waffenstillstand erreichen, um dann den Zusammentritt der neuen Regierung besprechen zu können.
Nachdem Oberst von Dufving gegangen ist, wird Krebs gebeten, in einem anstoßenden Zimmer Platz zu nehmen. Dolmatowski begleitet und unterhält ihn. Ein hoher Offizier aus dem Armeestab gesellt sich dazu.
Das Radio überträgt Marschmusik aus Moskau, wo die Feiern zum 1. Mai auf dem Höhepunkt stehen. Krebs, in Erinnerung an den Tag vor fünf Jahren und im Bemühen, den sowjetischen Herren etwas Freundliches zu sagen, wirft auf russisch die Bemerkung hin: »Es muß heute am 1. Mai schön sein in Moskau.«
Der sowjetische Offizier entgegnet: »Und wie fühlen Sie sich heute in Berlin, Herr General?«
IM NÄCHSTEN HEFT:
Kampfkommandant Weidling kapituliert und spricht selbst seinen Kapitulationsbefehl auf Schallplatte - Die Berliner kriechen aus den Kellern hervor - Die Gruppe Mikojan greift ein
Falsche Hitler-Leiche: Zwei Tote in zwei Tagen
Bormann-Brief an Dönitz
Zwei Nachfolger in einer Woche
Hitler-Fahnder Klimenko
Den Abgott des Reiches. .
... im Bombentrichter entdeckt: Fundstelle der Hitler-Leiche
Reichskanzler Goebbels, Ehefrau Magda: Ohnmacht auf dem Flur
Vergiftete Goebbels-Familie*: Tod im Bonbon
Berlin-Verteidiger Dufving
Mantel vergessen
Berlin-Verteidiger Wöhlermann
Befehl widerrufen
Zerstörter Führerbunker: Auf dem letzten Befehl ein Name in Gold
Sowjetische Dichterlesung am Brandenburger Tor: »Schriftsteller sind nie allein«
Kriegsberichter Karmen in Berlin 1945
Den Schwur einer dunklen Stunde...
... nach vier Jahren eingelöst: Karmen in Moskau, Berlin-Souvenir 1965
Unterhändler Krebs, Sowjet-Offizier: »Etwas sagen, was noch niemand weiß«
Berlin-Eroberer Tschuikow (o.), Schukow
»Frieren Sie nicht, General?«
Gefallene Soldaten in Berlin: »Der Kampf ist in den Wäldern fortzusetzen«
* Neben den sechs Kindern Magda Goebbels (2. v. r.), Joseph Goebbels (im Hintergrund auf der Bahre) und General Krebs (3. v. r.), der nach Rückkehr von den Kapitulationsverhandlungen ebenfalls Selbstmord beging. - Dieses Photo und andere Bilder der Serie wurden von der Moskauer Presse-Agentur Novosti zur Verfügung gestellt.
* Auf dem Panzer (r.) Dolmatowski