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DIE SAAR BLEIBT FRANZÖSISCH

aus DER SPIEGEL 12/1954

Seit wir stehen können, und auch als wir noch nicht stehen konnten, besteht und bestand unsere Politik darin, den Westmächten ihren Willen zu tun um Europas willen. Was immer von uns verlangt wurde, wir haben es vorgeleistet, sobald das französische Parlament nur düster zu grummeln begann. Unser eigenes Parlament war in allen außenpolitischen Fragen nahezu bedeutungslos, die fremden Herren gewöhnten sich daran, nicht mit dem Bundestag zu rechnen, und sie taten recht daran*).

Auch in der Saarfrage nahm der Regierungschef die Entschließungen des Bundestags nicht zur Notiz. Er, der Kanzler, wußte von Anfang an, daß in Frankreichs Europa-Konzept die Abtretung der Saar an die französische Wirtschaft obenan stand. Der Schuman-Plan, das muß man fairerweise zugeben, basiert auf dieser Prämisse. Alle Welt, außer den deutschen Parlamentariern, ist sich darüber von je im klaren gewesen.

Der Kanzler vor allem ist sich darüber klargewesen. Er hat die De-facto-Abtrennung der Saar hingenommen, und er konnte vom Standpunkt seiner Politik auch nichts anderes tun. Er hat darauf gesetzt, Europa aus dem Mittel zwischen amerikanischer Strategie und französischer Diplomatie entstehen zu lassen. Ob er der Sache Europas damit einen Dienst erwiesen hat, ob sich Europa ohne europäische Politik verwirklichen läßt, darüber zu urteilen ist jetzt noch zu früh.

Es war also töricht, über den Verlust der Saar zu wehklagen, wo doch sonnenklar zutage lag, daß wir sie unter den gegenwärtigen Umständen nicht wiederkriegen können. Es ist auch nicht sicher, daß die Saarländer zu uns zurück wollen. Das war die praktische Seite. Jetzt aber hat sich das Blatt gewendet. Frankreich will seit geraumer Zeit den Segen der Bundesrepublik für die Abtrennung der Saar, und seit dem Pariser »Blitzbesuch« hat Deutschlands Öffentlichkeit die Gewißheit, daß der Kanzler auch zu diesem Opfer - dem letzten, dem vorletzten? - um der EVG willen bereit ist.

Nun ist unumstritten, daß die Bundesrepublik über die Saar nicht verfügen kann, weder politisch noch rechtlich. Sie kann dulden, was dort geschieht, aber sie kann der Abtrennung nicht zustimmen. Sie kann es schon einmal aus staatsrechtlichen Erwägungen nicht, denn sie kann einer Friedensregelung mit Gesamtdeutschland nicht vorgreifen; aber sie kann es, zuerst und zuletzt, kraft ihrer gesamtdeutschen Verpflichtung

*) Am Saar-Barometer kann die FDP am besten ablesen, warum sie bei den Wählern verloren hat. Wieder und wieder hat sie sich erst streitbar gebärdet und dann vorzeitig die Segel gestrichen, bis es nichts mehr zu streichen gab. Auch nach den Bundestagswahlen hat Dr. Dehler den Rücktritt der FDP-Minister für den Fall einer ungünstigen Saar-Regelung angedroht. Niemand glaubt der FDP mehr, daß sie ihre Minister zurückziehen wird. Sie hat jetzt taktisch nur noch eine Chance: stille zu sein bis zu dem Moment, wo sie eine wichtige Frage auf Biegen oder Brechen durchzukämpfen entschlossen ist. Die Partei sollte die Saar-Frage zum Anlaß nehmen, aus der Regierung auszusteigen, wenn sie keine Garantien hinsichtlich des neuen Wahlgesetzes bekommt; jene Garantien, ohne die sie in die Regierung keinesfalls hätte eintreten dürfen. gegenüber dem deutschen Osten nicht.

Es geht hier weniger um die Saar. Vielmehr: Unsere Aussichten, ein Stück Land jenseits der Oder-Neiße auf einer Friedenskonferenz wiederzubekommen, sinken mit der jetzt in Aussicht genommenen Abtretung der Saar auf den absoluten Nullpunkt. Wenn die Westmächte eine künftige Friedenskonferenz mit festen Vor-Abmachungen betreten - Abtrennung des Saargebiets - , haben auch die Sowjets einen Grund, an ihren Abmachungen zwischen Polen und der SED festzuhalten. Sicher wird das wieder einmal im Sinne aller vier Mächte sein.

Man kann sich ausmalen, wie die Auguren lächeln werden. Die Sowjets werden die Abtrennung des Saargebiets anfechten. Bitte schön, werden die Westmächte sagen, die Bundesrepublik als treuhänderischer Nachbar der Saar hat »beigestimmt«, wie es im Naters-Plan so schön heißt. Dann werden die Westmächte die Oder-Neiße-Grenze anfechten, der sie als einer »Verwaltungsgrenze« genau so zugestimmt haben wie der Saar-Grenze. Aber, aber, werden die Sowjets sagen, wir haben uns Polen und der DDR gegenüber verpflichtet, für die Oder-Neiße-Grenze einzutreten. Solche Vor-Absprache ist doch im Falle der Oder-Neiße genau so verbindlich wie bei der Saar-Grenze, oder? Und dann behält jeder, was er hat.

Man verzeihe uns, daß wir in derart hektischer Folge Artikel schreiben, die doch zu nichts nütze sind. Aber der deutsche Ausverkauf wird bald zu Ende sein, und dann ist Ruhe. War es nötig, dabei mitzuhelfen? Wenn die Westmächte das Saargebiet abtrennen wollten, konnten sie es ja kraft Gewalt tun, kraft Statut. Wir wären nicht mit Sensen angerückt, und die europäische Einigung hätte davon nicht abgehangen. Aber wir haben uns geradezu gedrängt, die Abtrennung unter dem falschen Etikett »Europäisierung« zu sanktionieren.

Nicht die Franzosen hatten im Zusammenhang mit der EVG als erste auf eine endgültige Saar-Lösung gedrungen, sondern der Bundeskanzler. Er hat die Franzosen erst darauf gebracht, die Saar-Barriere in die Bahn der EVG zu schleppen. Er hätte als Treuhänder Gesamtdeutschlands von Anfang an klarmachen müssen, daß die Bundesrepublik weder politisch noch rechtlich über die Saar verfügen kann. Das Gegenteil hat er getan. Er hat die »Europäisierung«, in einem nicht bestehenden Europa, angeboten. Es ist heute nicht mehr opportun, am Kanzler Kritik zu üben, aber man wird wohl sagen dürfen, daß diese Politik, gelinde gesagt, unglaublich war.

Es tut schmerzhaft gut klarzusehen. Wir stehen im Begriff, sehr viel mehr aufzugeben als die Saar. Wir schaffen augenblicklich die Gewißheit, daß wir ohne Krieg von den Gebieten jenseits der Oder-Neiße nicht einen Fetzen mehr zu erwarten haben. Unnötig zu sagen, welcher Verlust für uns schwerer zu tragen ist. Aber wir wollen es uns energisch verbitten, daß demagogische Politiker den aus ihrer Heimat Vertriebenen jetzt noch Hoffnungen machen, die nicht einmal in unserer eigenen Politik begründet sind. Durfte, darf eine deutsche Regierung so handeln? Wehe nun, wenn Europa nicht wird!

Jens Daniel
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