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VERBÄNDE DIE SAUMENSCH-SITUATION

aus DER SPIEGEL 43/1962

Wenn heutige Verwesungs-Literaten, vielleicht besser ausgedrückt Pornographie-Equilibristen mit ihrer monströs-schwarzen Technik sexuelle Irrwische (angeblich »Romane") hervorzaubern, so meinen sie superklug-simpel, die Wirklichkeit auf die Formel »Unterleib« reduzieren zu können.

Es ist für den heutigen Menschen eine anscheinend notwendige Selbstverständlichkeit geworden - will er aktuell und intellektuell sein - sich unter zeitgültigen Striptease-Schriftstellern der animalisch-triebhaften Sphäre und der invertierten Psyche auszukennen, aus Streben nach Geltung mit zu lügen, und wenn es darum geht, ein Urteil auszulösen, nach dem nicht unbekannten »Pannemann« zu rufen, der da voran gehen soll.

Es ist höchste Zeit, die Pornographen unter den Autoren, Verlegern und Kritikern zu demaskieren und ihnen deutlich zu machen, daß sie die Grenzen des Anstandes, der Sittlichkeit und Ethik nicht bedenkenlos überspringen können. Mögen die Pornographien zeitgenössischer Literaten auch als Bestseller ihre Kunden finden, mögen sie sich mit Kriterien bedeutsamer Gewichtigkeit schmücken, weite Kreise unserer Gesellschaft werden nicht müde werden, gegen die schamlose Geschäftemacherei mit kunstverbrämtem Sex auf der Grundlage von Recht und Gesetz anzukämpfen.

Der wahre Schriftsteller und mehr noch der Dichter muß jenen Wahrheitsgriff haben, der das Leben an der Kehle packt, um es aus der Tiefe emporzuheben in das Licht der Observanz.

Die rigorose Schablonisierung »Der Teufel ist los - und sonst nichts« ist auf jeden Fall eine Verleugnung der Totalität, zugunsten der Analyse numinoser Zonen, die allein die Nachtseite schildern, ohne das lebenserweckende Erscheinen der Sonne zu registrieren.

Eine derartig fanatische Simplifizierung hat letzten Endes nur das eine Ziel: ein Realitäts-Mosaik mit möglichst dunklen Farben (kein »Weiß« bitte und »Gold« schon gar nicht) zu schaffen, das möglichst immer wieder die eine »Saumensch-Situation« darstellt.

* »Literarischer Jugendschutz in der Sackgasse?«

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