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»Die sehen mich hier als Orakel«

Tiraden seiner Gastgeber gegen die Sowjets brachten den Kanzler bei seinem China-Besuch aus dem Konzept. Schmidt, der sich eigentlich aus der Erzfehde zwischen Moskau und Peking heraushalten wollte, sah sich genötigt, seine Rede für das Eröffnungsbankett zu ändern, um Verbrüderungs-Szenen mit den Maoisten vorzubeugen.
aus DER SPIEGEL 45/1975

Der Vorsitzende Mao Tse-tung klagte dem Gast aus dem fernen Westen sein Leid.

Immer häufiger, so vertraute der Ober-Chinese am vergangenen Donnerstag in Peking Bundeskanzler Helmut Schmidt an, komme es vor, daß seine Lehren nicht überall genau genug beachtet würden. Bonns Regierungschef, Gast in Maos Domizil an der Tschungnan-Straße im westlichen Teil der einstmals dem gemeinen Publikum verschlossenen Kaiserstadt, empfahl dem 81 jährigen Geduld: »Steter Tropfen höhlt den Stein, Herr Vorsitzender.« Darauf der greise Chef des 800-Millionen-Volkes:., Ich allein habe nicht genug Wasser. Sie müssen Ihr Wasser dazutun, damit der Stein ausgehöhlt wird.«

Bereits am zweiten Tag seines China-Aufenthaltes war der deutsche Bundeskanzler durch die Einladung zu Mao in jene exklusive Gästeliste aufgenommen worden, in die sich bislang Politiker wie Richard Nixon, Georges Pompidou, Edward Heath, Henry Kissinger und aus der Bundesrepublik Franz Josef Strauß hatten einschreiben dürfen.

In einem Salon, möbliert mit tiefen, gelblich-grün karierten Fauteuils, vor roten Vorhängen und im Licht dreier fest installierter Fernsehlampen, hatte Mao seine Gäste -- neben Schmidt noch Bundesverkehrsminister Kurt Gscheidle, Botschafter Rolf Pauls und den Abteilungsleiter im Kanzleramt Carl-Werner Sanne -- zu einem 100-Minuten-Gespräch bei grünem Tee und schwarzen Zigaretten empfangen.

Hilfreich unterstützt von seiner Nichte und stellvertretenden Außenministerin Wang Hai-jung, die gemeinsam mit der Dolmetscherin Tang Wenscheng den deutsch-chinesischen Dialog ins Englische übersetzte, kam der Pekinger Potentat nach einem längeren Exkurs in die Philosophie bald zur Sache -- zur Rolle der Supermächte Amerika und Sowjet-Union in der Weltpolitik.

Nur eine Woche nach der verunglückten Peking-Visite von US-Außenminister Kissinger (siehe Seite 104) ließ Mao den Kanzler wissen, was den Chinesen an den Amerikanern mißfällt: In ihrem Entspannungsbemühen gegenüber Moskau sei die Ford-Regierung nicht wachsam genug. Er, Mao, befürchte sogar, daß die USA mit ihrem weltweiten militärischen Engagement überfordert seien. Anders als zu Zeiten Stalins gehe heute von Moskau mehr denn je Gefahr für den Weltfrieden aus.

Sodann suchte der Asiate den Europäer am Portepee zu fassen: Wenn sich Westeuropa in den nächsten Jahren nicht fest zusammenschließe, so prophezeite der Hausherr, werde es von der Sowjet-Union in einen Krieg gezogen. Mao: »Dann ist Europa arm dran.

Dem Kanzler kamen solche Töne -- massive Vorwürfe gegen die »Hegemonialmacht« UdSSR. die sich anschicke, Europa zu überrennen -- nicht überraschend. Noch am Abend vor dem Besuch beim Parteichef hatte der Vertreter des schwerkranken chinesischen Ministerpräsidenten Tschou En-lai, der zur Zeit regierende Vizepremier Teng Hsiao-ping, auf einem Festbankett zu Ehren Schmidts in der Pekinger »Großen Halle des Volkes« den Sowjets vorgeworfen, sie betrieben »in forcierter Weise Aufrüstung und Kriegsvorbereitung« gegen Europa und den Rest der Welt und stimmten dabei am lautesten »das Lied von Entspannung und Abrüstung« an.

Zunächst hatte Schmidt die Absicht, einer klaren Antwort auf diese Pekinger Anti-Moskau-Tiraden auszuweichen, um weder die chinesischen Gastgeber noch die sowjetischen Vertrags- und Entspannungspartner vor den Kopf zu stoßen.

Denn einerseits hatte der Kanzler schon bei seiner Moskau-Reise vor einem Jahr und dann wieder in Helsinki dem KPdSU-Chef Leonid Breschnew versichert, daß die deutsche China-Politik nicht zu Lasten der Ost-West-Entspannung gehen werde. Und auch in einer vertraulichen Expertise des Bonner Außenamtes war Schmidt Vorsicht angeraten worden: »Heute ist es vor altem die Pflege unserer Beziehungen zur Sowjet-Union. die wir nicht durch ein zu breites Eingehen auf chinesische Vorstellungen in Frage stellen können.«

Andererseits schien es dem deutschen Regierungschef geboten, den Chinesen bei seinem Antrittsbesuch in Peking nicht offen zu widersprechen, denn die Volksrepublik China ist seit langem einer der lautesten Fürsprecher der Bonner Deutschlandpolitik, der Integration Westeuropas und der Bemühungen um ein starkes westliches Verteidigungsbündnis. Vizepremier Teng: »Wir unterstützen das deutsche Volk ... in seinem Kampf gegen die Schikane, Einmischung und Bedrohung seitens der Hegemonisten.«

Auch wenn sich die Bundesregierung durchaus darüber klar ist, daß Chinas Interesse an Deutschland, Europa und der Nato primär Folge der Pekinger Anti-Rußland-Politik ist, mißt sie -- und daran ließ auch China-Besucher Schmidt keinen Zweifel -- der Stimme des volkreichsten Landes der Erde inzwischen entscheidende Bedeutung bei; Maos Volksrepublik ist nicht nur ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, sondern hat zudem große Aussicht, UN-Sprecher der Entwicklungsländer zu werden.

Angesichts der lauten Moskauschelte der Chinesen hielten es die Bonner dann doch aber für richtig, der Gefahr von Verbrüderungs-Szenen mit den Maoisten vorzubeugen. Noch auf dem Flug nach Peking hatte der Kanzler eine Seite aus seinem vorbereiteten Redetext für das Eröffnungsbankett gestrichen, weil ihm der Text »einfach zu lang« geraten schien. Unter dem Eindruck der chinesischen Attacken gegen die Sowjets sagte er später aber -- gleichsam als Entwarnungssignal für Moskau -- den Chinesen doch, was er eigentlich als selbstverständlich unter den Tisch hatte fallen lassen wollen: Zur Bonner »Gleichgewichtspolitik« zählten nach seiner Ansicht »unsere Verträge mit unseren Nachbarn in West und Ost, auch mit der Sowjet-Union«.

Seinen Gesprächspartner Teng, mit dem er außer bei der Mao-Audienz zweimal zu Gesprächen über Weltpolitik und Weltwirtschaft zusammengetroffen war, wies Schmidt dann noch einmal ausdrücklich darauf hin, wie er sich das künftige Verhältnis zwischen Bonn und Peking vorstelle: »Keiner will dem anderen seinen Standpunkt aufzwingen, aber jeder hört mit großem Interesse zu, was der andere zu sagen hat.«

Als dann am Freitagnachmittag vergangener Woche Vizepremier Teng dem gerade von einem Besuch an der chinesischen Mauer und den Gräbern der Ming-Kaiser zurückgekehrten Bonner Regierungschef abermals schon der Genosse Mao Tse-tung so richtig gesagt hat« (Teng) -- mit Zweifeln an der Standfestigkeit und Wachsamkeit der Amerikaner gegenüber den Russen kam, reagierte Schmidt sogar cm wenig gereizt. Erstens, so belehrte er den Chinesen, habe Deutschland genügend eigene Erfahrungen mit den Sowjets sammeln können, denn schließlich hätten die Russen Deutschland geteilt. Zweitens stehe außer Frage, daß auf Leute wie US-Präsident Ford, Verteidigungsminister Schlesinger und Außenamtschef Kissinger voller Verlaß sei.

Zufrieden mit sich, ließ sich Schmidt nach dem Teng-Dialog in der Bonner Peking-Botschaft zu Bier und Eiscreme nieder: »Ich habe den Eindruck«, bekundete er sichtlich geschmeichelt, »die sehen mich hier als ein Orakel für die Weltwirtschaft an. Eigentlich müßte hier jedes Jahr ein politisch versierter Mann von uns hinfahren.«

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