»Die sind doch immer falsch«
Axel Springers »Bild« meldete es auf der Frontseite: Für die Freien Demokraten sehe es »schwarz aus bei den nächsten Landtagswahlen«. Denn -- nicht näher bezeichnete -- »Umfragen« kündigten an, daß die FDP »in Bayern und Niedersachsen vielleicht unter fünf Prozent fällt, in Hessen knapp fünf Prozent kriegt«. Selbst in Hamburg (wo die Liberalen 1974 auf 10,9 Prozent gekommen waren) werde es, zitierte »Bild« in einem anderen Artikel Allensbachs Elisabeth Noelle-Neumann, diesmal »gefährlich für die FDP«.
Drohen den Freidemokraten in den vier Landes-Wahlen dieses Jahres gleich vier Niederlagen, eine so vernichtend wie die andere? FDP-Offizielle in Bonn wie in den Ländern geben sich gelassen: Sie schätzen den Wert von Prognosen seit langem als »äußerst gering« ein; was die Wahlaussichten der Freidemokraten betreffe, meint ihr Mainzer Sprecher Walter Strutz, seien demoskopische Voraussagen »doch immer falsch«.
In der Tat tun sich Westdeutschlands Wahlforscher bei keiner anderen Partei, insbesondere vor Landtagswahlen, so schwer wie bei der FDP: Mal wurden den Liberalen zu Unrecht rauschende Erfolge prophezeit -- wie 1974 in Bayern, als der Mannheimer Professor Rudolf Wildenmann sie auf 10,1 Prozent taxierte und sie bei 5,2 Prozent landeten, ihrem bislang zweitschlechtesten Bayern-Ergebnis.
Mal wiederum schienen die Blau-Gelben halbwegs vernichtet: Vor der Hessen-Wahl 1970 war die FDP manch einem allenfalls für 5,7 Prozent gut; der SPIEGEL hörte das »Sterbeglöcklein« der Partei schon bimmeln, »ganz silberig und unüberhörbar«. Die Totgesagte schaffte 10,1 Prozent.
Sechs Wochen vor der 1963er Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus kamen den Liberalen, wie sich ein Funktionär erinnert, vertrauliche Zahlen »mit einer Zwei vor dem Komma« auf den Tisch. Die Partei-Oberen taten gut daran, die Prognose »an sich zu nehmen. wegzuschließen und niemandem zu zeigen": Die FDP kassierte 7,9 Prozent.
Zum Teil nur lassen sich derlei Fehlprognosen mit branchenüblichen Toleranzen erklären: Bei 2000 Interviewten macht die gängige Fehlermarge plus/minus zwei Prozent-Punkte aus; bei Befragungen von nur 600 Wählern muß, so das Münchner »Infratest«-Institut, sogar mit »Abweichungen von plus! minus 5 Prozent« gerechnet werden. Solche Fehlerspannen beeinträchtigen naturgemäß insbesondere den Wert von Aussagen über Kleinparteien wie die FDP.
Vor allem aber wird die Arbeit der Demoskopen durch den Umstand erschwert, daß der Stimmen-Stamm der Freidemokraten gerade drei bis vier Prozent der Gesamtwählerschaft ausmacht. Die FDP ist mithin, um überleben zu können, wie keine andere Partei auf Wechselwähler angewiesen -- die sich bei Umfragen lange in der Gruppe der »Unentschiedenen« verstecken.
Stets dann, wenn die politische Szenerie nur wenig polarisiert worden ist, sind die »floating votes« noch kurz vorm Wahltermin im Fluß -- so daß die FDP gerade in den Bundesländern regelmäßig damit rechnen kann, daß es zusätzlich zu den unbereinigten Umfrage-Ergebnissen »aus dem Bereich der Unentschiedenen für uns noch eine kräftige Zugabe gibt« (Berlins Parteigeschäftsführer Heinz Kaschke).
Vor Bundestagswahlen hingegen, bei hohem Polarisierungsgrad, entscheiden sich die zunächst Unentschlossenen relativ früh, sind FDP-Prognosen folglich weniger riskant. So kamen die Bielefelder »Emnid«-Demoskopen 1976 mit einer FDP-Prognose von 8,0 Prozent haarscharf an das Zweitstimmen-Ergebnis der Partei (7,9 Prozent.) heran.
Eine zusätzliche Unbekannte in der Demoskopen-Rechnung sind bei den bevorstehenden Wahlen in Hamburg und Niedersachsen die Umweltschützer, die am 4. Juni erstmals landesweit antreten und insbesondere mit den Liberalen konkurrieren. Weil den Meinungsforschern über das Stimmverhalten potentieller Grün-Wähler kaum Zahlenmaterial vorliegt, ist die FDP mehr denn je »für jede Überraschung gut« (Kaschke).
Angesichts all dieser Unwägbarkeiten haben die meisten FDP-Verbände, wie Parteisprecher Strutz verrät, bislang »keine Lust« verspürt, selber Meinungsumfragen in Auftrag zu geben. Abgesehen davon, daß die Liberalen, so Strutz, »für so was auch überhaupt kein Geld haben«.