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DIE SITUATION IST DA

aus DER SPIEGEL 23/1956

Meine verehrten Herren! Ich bin, trotzdem ich wußte, daß ich hier in eine etwas geladene Atmosphäre kam, gern hierhin gekommen, weil es auch mir am Herzen liegt, zur Klärung beizutragen. Deswegen bin ich Ihnen, Herr Präsident Berg, besonders dankbar für die Offenheit, mit der Sie gesprochen haben. Denn Offenheit ist immer die unumgangliche Voraussetzung, um möglichst der Wahrheit nahezukommen.

Ich kann diese Offenheit nicht in allen Teilen Ihrer Rede, aber doch in einem großen Teil Ihrer Rede um so mehr begrüßen, als ich - ich mochte das, meine Herren, sehr nachdrucklich betonen - unbeteiligt bin an den Beschlüssen, die in Frankfurt gefaßt worden sind Und ich möchte, meine Herren - namentlich tue ich das, weit ich gesehen habe im Gespräch mit Tischgenossen, daß über das Verhältnis zwischen Bundesregierung und der Bank deutscher Länder, dem Zentralbankrat, keine Klarheit besteht

Der Zentralbankrat, meine verehrten Herren, ist vollkommen souverän gegenüber der Bundesregierung. Er ist natürlich verantwortlich gegenüber sich selbst Aber wir haben hier ein Organ, das niemandem verantwortlich ist, auch keinem Parlament, auch nicht einer Regierung Um so größer, meine Herren, ist noch meiner Meinung die Verantwortung, die ein jedes Mitglied eines solchen Organs vor sich selbst zu tragen hat.

Ich bin, ich sage das in aller Offenheit, heute abend noch nicht in der Lage, mir ein definitives Urteil zu bilden über die Einzelheiten der Beschlüsse, die da gefaßt worden sind. Aber eines weiß ich schon jetzt: Es Ist der deutschen Konjunktur ein schwerer Schlag versetzt worden...

Ich habe für morgen abend eine Kabinettssitzung anberaumt, in der wir uns mit diesen Fragen beschäftigen werden und in der namentlich auch der Wirtschaftsminister und der Finanzminister, die an den Beratungen des Zentralbankrates teilgenommen haben, uns darüber Rechenschaft geben werden, warum und was sie dort vorgeschlagen haben

Meine verehrten Herren, ich möchte eins hier sehr betonen, und zwar gegenüber der gesamten Öffentlichkeit. Die deutsche Währung ist in keiner Weise gefährdet. Die deutsche Währung ist eine der härtesten und besten Währungen der Welt. Ich halte es für notwendig, das zu betonen, weil ich die Unruhe fühle, die in die gesamte deutsche Bevölkerung plötzlich hineingedrungen Ist ..

Meine Herren, die außenpolitische Lage in der Welt Ist noch niemals in den letzten sieben Jahren - ich glaube, man kann noch weiter zurückgehen - so schwierig, so verworren und so unsicher gewesen wie jetzt Und Ich halte mich verpflichtet, darüber etwas der deutschen Öffentlichkeit heute zu sagen Und zwar halte Ich mich verpflichtet, damit die deutsche Öffentlichkeit sich darüber klar wird, daß wir nicht berechtigt sind, nur an uns zu denken, jeder an sich Und ich halte mich auch für verpflichtet, das zu sagen, weil Ich

der Auffassung bin, daß unter Umständen Maßnahmen, wie sie in den letzten Tagen getroffen worden sind, auf die außenpolitische Lage der Bundesrepublik erheblich einwirken werden ...

Es ist mir zwar gesagt worden, meine Damen und Herren, als ich unlängst geäußert habe, in Frankfurt verstehe man etwas wenig von Politik, daß deswegen diese Leute, die wenig von Politik verstünden, beim deutschen Volke um so angesehener und so willkommener seien. Und das, meine verehrten Herren, hat ein sehr angesehenes Blatt geschrieben. Ich hab's zweimal gelesen, weil es so bemerkenswert dumm gewesen ist. Denn, meine Herren, Wirtschaft und Politik sind in unserer Zeit untrennbar miteinander verbunden. Wenn die Wirtschaft nicht stabil ist, kann man keine stabile Politik treiben, und wenn die Politik nicht stabil ist, kann die Wirtschaft auch nicht stabil sein ...

Es wird davon gesprochen, Rußland sei

so viel stärker geworden. Ich weiß es nicht, meine Herren. Ich muß hier ganz offen bekennen, daß allen Ländern in der Welt die inneren Verhältnisse Rußlands weitgehend unbekannt sind, daß wir da mit ganz unbekannten Faktoren rechnen müssen.

Ich weiß zum Beispiel nicht, haben diejenigen recht, die sich mit russischen Dingen befassen, die sagen, die russische Bevölkerung nimmt ab? Oder haben diejenigen recht, die sogen, sie nimmt im Durchschnitt jährlich um 1,5 Millionen zu? Oder haben diejenigen recht, die sagen, sie nehme jährlich um drei Millionen zu? Kein Mensch weiß es, meine verehrten Herren. Und so ist es mit sehr vielen Dingen aus Sowjetrußland. Und daher stehen wir dieser ganzen Welt, die doch, im Grunde genommen, unser Todfeind ist, mit der größten Achtsamkeit und Behutsamkeit gegenüber.

Aber, meine verehrten Herren, ich hatte heute eine Besprechung mit einem amerikanischen Zeitungsherausgeber aus dem mittleren Westen, einem angesehenen Mann, und ich habe mich sehr offen und freimütig mit ihm unterhalten. Und ich möchte im wesentlichen das wiedergeben, was Ich mit ihm besprochen habe

Wie sieht es denn, meine Herren, in Europa aus? Nehmen Sie unser Land mal zunächst, in dem systematisch von der Opposition die Wehrhaftmachung, des deutschen Volkes verzögert wird. Glauben Sie, meine verehrten Herren, daß das die Achtung vor dem deutschen Volke und den Willen, dem deutschen Volke weiterzuhelfen, sehr stärkt? Ich glaube es nicht.

Wie überhaupt, meine Herren, die Deutschen sich doch einmal darüber klar sein sollen, daß wir alles andere als beliebt sind im Ausland und daß wir deswegen alles, was wir tun, sehr sorgfältig uns überlegen müssen. Und wir sollen namentlich uns auch darüber klar sein, daß unser wirtschaftlicher Aufstieg viele eher erschreckt vor uns, als mit Liebe zu uns erfüllt ...

Je stärker wir wirtschaftlich sind, desto stärker, meine Herren, sind wir auch außenpolitisch. Je schwächer wir wirtschaftlich sind, je mehr wir wirtschaftlich drohen, einem Niedergang anheimzufallen, desto schlimmer ist es mit unserer Stellung in der Außenpolitik bestellt.

Und nun, meine verehrten Herren, wollen wir die Situation, wie sie nun einmal entstanden ist - und sie-ist noch meiner Meinung, ich sage das in aller Offenheit hier, entstanden, weil man die Probleme, die mit einer Vollbeschäftigung naturgemäß verbunden sind, nicht mit der nötigen Kaltblütigkeit betrachtet hat. Nun müssen wir sehen, meine verehrten Herren, das Beste daraus zu machen. Und ich glaube, es wird auch notwendig sein, daß Vertreter von Ihnen, Vertreter der Landwirtschaft, Vertreter des Mittelstandes, Vertreter der Gewerkschaften, alle das ihrige dazu sagen. Denn es ist eine Aufgabe, die uns allen gemeinsam anvertraut ist ...

Ich kann mir natürlich, meine verehrten Herren, nicht jedes Wort der Kritik über Steuerpolitik und über Abschreibungen und so weiter, was Herr Präsident Berg gesagt hat, zu eigen machen. Es war manches Wahres dran. Gebe ich ohne weiteres zu. Und wenn ich heute - nein, gestern war es - von einem meiner Söhne zugeschickt bekomme die neueste Einkommensteuererklärung und der mich darauf aufmerksam macht, daß sie 125 Fragen enthält, dann meine ich, meine verehrten Herren, alle wir miteinander, Sie und wir, sollten zuerst uns einmal bemühen, eine Vereinfachung des ganzen Steuersystems herbeizuführen.

Meine Herren, Ich bin sogar so vermessen, zu sagen - ich weiß, es ist nicht ohne Risiko - : Das scheint mir vielleicht doch wichtiger zu sein als eine lineare Steuersenkung Wenn jeder weiß noch verhältnismäßig kurzem Studium der ganzen Geschichte, was er zu versteuern hat, und wenn er nicht zu allen möglichen Hilfsmitteln - in Anführungszeichen gesprochen- zu greifen gezwungen wird, meine verehrten Herren, dann, glaube ich, können wir alle eine solche Vereinfachung nur begrüßen.

Also wir wollen auch mal versuchen, zu rationalisieren. Wir haben's verdammt nötig. Ich gebe es ganz offen zu. Wir haben's viel zu sehr verfeinert bei der Bürokratie. Wir sollten, meine verehrten Herren, einfacher denken. Das sage ich ganz offen und ehrlich. Je einfacher denken, ist oft eine wertvolle Gabe Gottes. Und diejenigen, die so verdreht denken, das sind nicht immer die klügsten Männer. Wobei ich natürlich hinzusetze, ich habe niemanden damit gemeint.

Aber nun, ich komme zum Schluß und möchte nochmals das sagen, was ich eben gesagt habe: Die Situation ist da. Die Situation ist auch nach meinem Gefühl ernst Und es handelt sich um soziale Fragen allerersten Ranges dabei. Und deswegen wollen wir gemeinsam mit aller Ruhe, aber auch mit allem Ernst an die Lösung des Problems herangehen, das jetzt zu plötzlich vor uns getreten ist Ich weiß, daß Sie helfen werden. Ich bin überzeugt, daß auch andere Verbände, die Ich eben genannt habe, auf demselben Standpunkt stehen. Und seien Sie überzeugt davon, daß ich den Standpunkt teile.

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