»Die Stasi hat mich bedrängt«
SPIEGEL: Herr Minister Krause, in der Volkskammer galten Sie noch als völlig unbelastet. Inzwischen wird bekannt, daß es 154 Seiten Stasi-Akten unter Ihrem Namen gibt, daß es in Wismar einen Führungsoffizier für Sie gab. Haben Sie für die Stasi gearbeitet?
KRAUSE: Nein. Das Ministerium für Staatssicherheit hat wohl versucht, wie ich im Nachhinein erfahre, mich als Mitarbeiter zu gewinnen, allerdings ohne Erfolg, wie meine Akte ausweist.
SPIEGEL: Aber Sie hatten Kontakte zur Stasi?
KRAUSE: Meiner heutigen Kenntnis nach hatte ich in Verbindung mit einer Dienstreise im Jahre 1987 einen ersten indirekten Stasi-Kontakt. Ich wollte im Dezember 1987 für eine Woche an der Freien Universität in West-Berlin als Gastwissenschaftler im Zusammenhang mit meiner Habilitation als Informatiker arbeiten. Zum Schluß des sehr aufwendigen Dienstreise-Auftragsverfahrens in das nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet wurde ich durch das Ministerium für Hochschulwesen mit der Fragestellung konfrontiert, ob ich bereit sei, neben meinen beruflichen Aufgaben auch andere Aufgaben mit zu lösen. Das habe ich abgelehnt.
SPIEGEL: Warum?
KRAUSE: Mir wurde damals auch ein Zettel vorgelegt, auf dem sinngemäß stand: Ich erkläre mich bereit, auch außerhalb meiner beruflichen Tätigkeit Aufgaben während der Dienstreise mit zu übernehmen. Ich bin nach Hause gefahren, habe mich mit meiner Frau beraten, ich war damals gerade ehrenamtlicher Kreisvorsitzender der Ost-CDU geworden. Wir hatten Angst, später mit solch einer Verpflichtungserklärung erpreßt werden zu können. Niemand hatte mir bei der Dienstreisebelehrung sagen wollen, welche Tätigkeiten außerhalb meiner beruflichen Tätigkeit das sein sollten. Also, ich habe instinktiv richtig reagiert, ich habe nicht unterschrieben und habe deshalb die Dienstreise nicht antreten dürfen.
SPIEGEL: Ahnten Sie nicht, wer da an Sie herangetreten war?
KRAUSE: Ich hatte bei der Dienstreisenangelegenheit vordergründig gar nicht an Stasi gedacht. Ich weiß inzwischen aus einem mir zugesandten Bericht der Behörde Gauck, daß es ein erster Stasi-Kontakt war. Im übrigen schreibt Gauck, »Professor Krause sollte mit dem Ziel geworben werden, die Sektion Mathematik/Naturwissenschaften der Technischen Hochschule Wismar politisch-operativ zu durchdringen und abzusichern. In diesem Bereich gab es eine unzureichende inoffizielle Basis zur umfassenden Einschätzung der politisch-operativen Lage unter den Wissenschaftlern. Kenntnis über das Anliegen eines IM-Vorlaufes und die Bearbeitung seiner Person mit dem Ziel der Werbung als Inoffizieller Mitarbeiter Sicherheit hatte Professor Krause nicht«. Im übrigen wird darauf verwiesen, daß meine Vorlaufakte 154 Seiten umfaßt und zum großen Teil Materialien der Sicherheitsüberprüfung zur Betätigung als Reisekader für das nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet aus dem Jahre 1986/87 enthält.
SPIEGEL: Das heißt noch nicht unbedingt, daß Sie nicht mitgearbeitet haben.
KRAUSE: Hier steht: »sollte mit dem Ziel geworben werden«. Also bin ich nicht geworben worden. Ich hatte von den Werbeversuchen keine Kenntnis, es liegt keine Unterschriftsleistung oder etwas anderes vor.
SPIEGEL: Aber es ist doch in Wismar, wo Sie an der Technischen Hochschule tätig waren, ein Stasi-Offizier mit Ihnen in Verbindung getreten.
KRAUSE: Das stimmt. Das kam so: Im Juni 1989 ist einer meiner Assistenten, ein Spezialist für künstliche Intelligenz, von einer Dienstreise nach Hamburg nicht zurückgekehrt. Er hat mir per Telefon mitgeteilt, daß er seinen Dienst nicht wieder antrete, weil er in Hamburg bleibe. Er hat darauf hingewiesen, daß er mit mir vernünftig zusammengearbeitet habe und auch weiterhin mit mir gerne zusammenarbeiten wolle. Gemäß der Hochschulvorschrift, jegliche Telefonate aus der Bundesrepublik samt Stichwortprotokoll sofort in der Personalabteilung zu melden, habe ich darüber berichtet. Ich wurde als direkter Vorgesetzter zur Volkspolizei vorgeladen - der Assistent hatte auch Unterlagen und Disketten mitgenommen - und darüber informiert, daß die Ermittlungen durch das Ministerium für Staatssicherheit selbst übernommen würden. Deswegen ist ein Herr des MfS auf mich zugekommen. Er hat mich gebeten, ich solle mich mit ihm in einer konspirativen Wohnung über dem Theater-Cafe in Wismar treffen. Das habe ich abgelehnt.
SPIEGEL: Wissen Sie noch den Namen dieses Führungsoffiziers?
KRAUSE: Nein, er hat sich mir vorgestellt als ein Mitarbeiter der MfS-Dienststelle Wismar, aber ich habe ein schlechtes Namensgedächtnis. Es war ein untersetzter Typ, der stets in einer braunen Wildlederjacke durch die Lande lief und eine Teilglatze hatte. Ich habe ihm gesagt, er könne mich entweder zu Hause in Anwesenheit meiner Frau zu den Problemen befragen oder bei mir am Arbeitsplatz. So ist das dann auch geschehen. Er war erst bei mir im Büro und später in der Wohnung. Er forderte mich auf, eine Aussage zu machen, daß die Ehefrau meines Mitarbeiters, die auch an der Hochschule beschäftigt war, davon gewußt hätte, daß ihr Mann nicht aus Hamburg zurückkehren wollte. Ich habe das abgelehnt. Der Stasi-Mann hat mich darauf hingewiesen, daß ich mir genau überlegen sollte, daß meine künftige Karriere an der Hochschule auch davon abhänge, wie ich mich in einer solch kritischen Situation verhalte. Ich sei ja auch Mitglied der CDU, und die CDU bekenne sich ja zu dem Staat der DDR und der sozialistischen Gesellschaft. Ich habe mich dennoch geweigert und ihm erklärt, daß ich eben genau die Grenze zwischen Wahrheit und Nichtwahrheit kennen würde.
SPIEGEL: Aber es hat weitere Stasi-Treffs gegeben.
KRAUSE: Im August wurde ich wieder angesprochen, wieder von demselben Mann. Er forderte mich auf, ich solle meinen Resturlaub nehmen und nach Hamburg fahren, um meinen Assistenten zur Rückkehr zu überreden. Ich habe das abgelehnt, auch weil ich die Wahrscheinlichkeit als sehr gering eingeschätzt hätte, daß der Mann zurückgekommen wäre. Der Assistent war Leistungssportler, und Leistungssportler haben ja einen eisernen Willen.
SPIEGEL: Da muß das MfS einiges Vertrauen in Sie gesetzt haben, daß Ihnen eine solche Mission angetragen wurde.
KRAUSE: Das kann ich nicht beurteilen. Aber vermutlich haben die mir getraut, nachdem wir im Sommer zuvor in Ungarn in Urlaub waren und dennoch in die DDR zurückgekehrt sind. Aber im übrigen hatten wir vorher Schwierigkeiten, die Visa-Stempel für mich, meine Frau und meine drei Kinder zu bekommen.
SPIEGEL: Hatten Sie Kontakte zu anderen Stasi-Leuten?
KRAUSE: Nicht bewußt. Derselbe Stasi-Mann hat sich im September 1989 noch einmal bei mir gemeldet. Diesmal ging es ihm um einen anderen meiner Assistenten, der Mitglied des Neuen Forums war. Der Stasi-Mitarbeiter hat mich bedrängt, eine Aussage zu machen, daß dieser Assistent aus konterrevolutionären Gründen Mitglied des Neuen Forums sei. Auch das habe ich abgelehnt. Ich habe versucht, dem Stasi-Mann zu erläutern, daß die Zeit reif sei, bestimmte Probleme zu verändern, und daß nicht das Verbot des Neuen Forums, sondern das Tolerieren der Verbesserung, vor allem der Ideen zum Verbessern, das Gebot der Zeit sei.
SPIEGEL: Wie Sie das schildern, waren Sie vorbildlich im Kampf gegen die finsteren Mächte des alten Systems.
KRAUSE: Das würde ich nicht sagen. Ich konnte mir nur einiges erlauben, weil die DDR nicht viele Wissenschaftler im Fachgebiet Informatik hatte. Im übrigen ist in den Akten ja auch festgehalten, daß man mich werben wollte, ohne daß ich dies merken sollte. Es steht ja drin, daß ich als Person nichts von den Versuchen einer Werbung als Informeller Mitarbeiter wußte.
SPIEGEL: Sie haben als Wissenschaftler in jungen Jahren eine steile Karriere gemacht und waren dann in einem sensiblen Bereich als Kader tätig. Und dies alles ohne Kontakt mit der Stasi?
KRAUSE: Jetzt sind wir genau an dem Punkt, unter dem jeder im Osten leidet. Es wird einem etwas vorgehalten und man muß seine Unschuld beweisen. Hier wird eine Umkehr der Beweislast praktiziert. Ich habe, nachdem ich davon hörte, daß auch in meiner Vita herumgestochert wird, selbst um eine nochmalige Überprüfung durch die Behörde Gauck gebeten. Das Ergebnis ist eindeutig aus der Akte herauszulesen. Ich habe sie selbst nicht gesehen. Ich will sie auch nicht lesen, weil ich nicht wissen will, wer dem MfS zugearbeitet hat. Ich möchte nicht, daß jemand, zu dem ich jetzt das gleiche Vertrauen habe wie früher, mir in dem Augenblick, wo wir gemeinsam eine Zukunft aufbauen wollen, durchleuchtet gegenübertritt.
SPIEGEL: Warum stimmen Sie nicht einfach der Veröffentlichung Ihrer Akte zu? Die Namen der Denunzianten könnten ja geschwärzt werden.
KRAUSE: Ich hätte nichts dagegen, aber das geht derzeit aus rechtlichen Gründen nicht. Wem nützte das auch. Ich muß im übrigen auch nicht auf Dauer Verkehrsminister bleiben, ich klebe nicht an dem politischen Amt. Ich habe einen ordentlichen Beruf, den ich gerne mag. Ich möchte aber erst mal dazu beitragen, im Schlüsselbereich der Verkehrspolitik den Aufschwung in der DDR in Gang zu setzen.