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AFFÄREN Die Stimme

Der Juso-Vize Dr. Strasser kann nach Meinung des West-Berliner Senats nicht Beamter werden -- weil er hin und wieder Dr. Schneider war.
aus DER SPIEGEL 44/1973

Maria Meyer*, 17. Friseurlehrling aus Mainz-Gonsenheim, erschien pünktlich um 20 Uhr zum vereinbarten Rendezvous. Der »Doktor Schneider«, der sich am Vortag um 17.10 Uhr telephonisch mit ihr zu einem Treff am Mainzer Theater verabredet hatte, wartete schon am Gutenberg-Denkmal.

Der Mann »mit dem weißen Trenchcoat« zu dem Mädchen im schwarzen Cape: »Sind Sie das Fräulein, das ich gestern angerufen habe?« Maria Meyer nickte, schlug vor, ins Theater zu gehen statt zum Hähnchenessen ins »Wienerwald«, und hielt dabei diskret Ausschau nach dem Kriminalbeamten Gunter Frey, der mit drei Kollegen im Hintergrund bereitstand.

Noch ehe der Herr im Trenchcoat die neue Bekanntschaft so recht taxieren konnte, baten hinzutretende Polizisten den »Doktor Schneider« um den

* Namen der Zeugen von der Redaktion geändert.

Personalausweis: Doktor Johano Roberto Strasser -- damals 30 und Habilitand an der Mainzer Universität. heute 34, stellvertretender Juso-Chef und verhinderter Hochschullehrer in Berlin -- wurde abgeführt.

Das war am 9. Oktober 1969. Die junge Friseuse habe, so die Polizei. einen damals lange Zeit gesuchten Telephon-Erotiker aus der Anonymität gelockt, der in Mainz und Umgebung gerne »zu Damen« sprach. »wenn ich Selbstbefriedigung mache«.

In der ersten Instanz wurde Johano Strasser freigesprochen. In der zweiten Instanz sah eine Strafkammer des Landgerichts Mainz im Oktober 1970 fünf Fälle des Straftatbestands Beleidigung als erwiesen an, das Berufungsgericht, drei Berufsrichter und zwei Schoffen, verurteilte ihn zu 1200 Mark Geldstrafe oder ersatzweise 20 Tagen Haft. Strassers Antrag auf Revision wurde 1971 vom Oberlandesgericht in Koblenz verworfen.

Dieser längst erledigte Fall, ein Provinz-Porno ohne spektakuläre Züge, den seinerzeit weder ein Lokalblatt noch die Boulevardgazetten verzeichne ten, ist jetzt zu einem politischen Schmuddelstück geraten: Der West Berliner Senat lehnte es ab, den Hochschullehrer Strasser ins Beamtenverhältnis zu übernehmen: CSU-Chef Strauß, auch erfahren in Affären, ließ sich in der Wiesbadener Rhein-Main-Halle über »Pornographie am Telephon« aus; und selbst in höheren Juso-Zirkeln machte das Wort von der »Telephonanie« die Runde -- möglicherweise der Anfang vom Ende des Politikers Johano Strasser.

Daß die Mainzer Geldstrafe von 1200 Mark solche Spätwirkung zeitigt. hängt mit Strassers beruflichen Ambitionen zusammen. Der promovierte Philosoph wurde im März 1972 in eine AH-5-Professur (Fach: Systematische Pädagogik) an der Pädagogischen Hochschule (PH) in West-Berlin berufen. Das war freilich noch keine »Ernennung im beamtenrechtlichen Sinne. aber da die Hochschule davon ausging, die Ernennung werde, wie üblich, der Berufung bald folgen, erschien Dr. Strasser im Vorlesungsverzeichnis als »Professor« --

Die Annahme war falsch. Die Wissenschaftsverwaltung stieß nämlich bei der Prüfung der Personalakten auf An -- stößiges, das den angehenden Professor »der Berufung in das Beamtenverhältnis unwürdig erscheinen« ließ, wie das Beamtengesetz die Sachlage umschreibt. Jedenfalls sah sich Wissenschaftssenator Werner Stein aus »zwingenden rechtlichen Gründen, bei denen es keinen Ermessensspielraum« gebe. außerstande, Strasser zum Professor im Beamtenstatus zu ernennen. und ließ ihm am 31. August 1972 mitteilen, daß der zuvor ergangene Ruf gegenstandslos sei. Strasser legte Widerspruch gegen diese Entscheidung ein, doch am 24. Juli dieses Jahres erteilte ihm Schulsenator Gerd Löffler -- er vertrat den abwesenden Wissenschaftssenator Stein -- die endgültige Absage. Und seit 1. Oktober, da sein Dienstverhältnis endete, hing er »in der Luft« (Strasser).

Gegen die Gerüchte, die nun aufkamen und durch gezielte Indiskretionen aus der Berliner Senatsverwaltung und rechten SPD-Kreisen immer wieder gespeist wurden, hätte Strasser wenig ausrichten können. Doch er selber war es, der sich ins Gerede brachte, als er sich bereit fand, für das Amt des Rektors der Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (FHSS) zu kandidieren -- Futter für »Bild« ("Vorbestrafter »Professor' will Rektor werden") und eine Provokation für den Senat.

Wissenschaftssenator Stein ließ denn auch den Konzilsvorstand der Fachhochschule zehn Tage vor dem Wahltermin vorsorglich wissen, er werde eine Wahl Strassers zum Rektor nicht bestätigen. Obwohl auch Genossen aus dem Juso. Vorstand dem Pädagogik-Lehrer dringend abrieten, für das Amt zu kandidieren, ließ sich Strasser am 19. Oktober wählen (mit 24 von 36 Stimmen): der Eklat war da.

Dem Vorwurf des FHSS-Konzils. Stein begründe seine Entscheidung gegen Strasser nicht, begegnete der Senator mit dem Hinweis. Strasser habe ihn trotz Ersuchens nicht von der Verpflichtung zur Geheimhaltung entbunden. Dann, am Montag letzter Woche. forderte Stein den Juso-Vize in einem offenen Brief auf, der Veröffentlichung der Gründe zuzustimmen -- sonst werde »der Öffentlichkeit deutlich ... wie sehr Sie persönlich an der Geheimhaltung der Ablehnungsgründe interessiert sind« --

Strasser aber, der sich »gewünscht hätte. daß der Senator »den diffamierenden Angriffen gegen mich energisch entgegengetreten wäre«, sah sich weniger im Mittelpunkt eigener Verstrickungen denn als Ziel einer Kampagne, mal von dieser, mal von jener Seite. Strasser im linken »Berliner Extra-Dienst": Unter »seltsamen Bedingungen und nach merkwürdigen Prozeßumständen« sei er der Wahrheit zuwider »zum Sittenstrolch gemacht« worden -- eine »sehr intrigante Geschichte«, die seine Ehefrau Barbara erläutert: »Was da gelaufen ist, war wie bei Kafka.«

Das war den Mainzern zuviel, Juristen wie der Richter-Vereins-Präses Dietrich Felix Jung hielten den Tatbestand der »Verunglimpfung der Justiz« durch »ein Telephonferkel« für gegeben und riefen CDU-Justizminister Otto Theisen in einer Resolution um Beistand an. Und Landgerichtspräsident Max van de Sand zeigte Strasser wegen Beleidigung an, »weil er in seiner öffentlichen Kritik an dem Urteil einfach zu weit« gehe: die Ergebnisse der Beweisaufnahme seien »unbestreitbar«.

Alles zusammen. das Hin und Her in Berlin und die Kontroverse mit der Justiz. hatte den Mainzer Vorfällen von einst nun eine Dimension gegeben, die ihnen gar nicht zukommt. Und während die Mainzer Justiz »aus Gründen der Resozialisierung«, so der Vorsitzende Richter Wilhelm Herzog, sich lange Zeit strikt geweigert hatte, nähere Angaben zum Strasser-Fall zu machen. wähnte sie sich nun »zu einigen Richtigstellungen« herausgefordert.

So sah es das verurteilende Gericht in der zweiten Instanz laut Herzog seinerzeit als erwiesen an, daß Strasser einige Dutzend Male bei der Hausfrau Gerda Schmidt im Vorort Gonsenheim angerufen hatte -- mal habe er Tochter Rita, 13 ("Paß mal auf, du hast doch zwischen den Beinen ein kleines Löchlein ...") mal die Mutter in Verlegenheit gebracht.

Stets gab sich der Mann am anderen Ende als »Dr. Schneider« oder »Dr. Schreiber« aus, um 30 Jahre alt, schlank und groß, Träger eines weißen Trenchcoats.

Gesprächspartnerin Schmidt ("Moment, ich muß erst die Kinder in die Schule schicken") ging eines Morgens auf das Angebot einer Verabredung am Stadttheater ein, weil sie als Fernschreiberin im Polizeipräsidium von einer »Vielzahl anderer Fälle gehört« hatte und -- von einer Geheim-Eskorte der Kripo beschattet -- den Mann stellen wollte.

Indessen: Der Doktor Schneider gab sich am Theater nicht zu erkennen -- »vielleicht«, so Gerda Schmidt heute. »weil ich dem schon zu alt gewesen bin«. 14 Tage später hatte der Anrufer dann die 17jährige Friseuse an der Strippe, die sich auf ein Rendezvous einließ und den Dr. Johano Strasser traf -- ein Sachverhalt, der nur dann unerheblich wäre, wenn unterstellt würde, das Mädchen habe sich gar nicht mit einem Dr. Schneider telephonisch verabredet.

Dafür aber gibt es einen Zeugen, den Lehrherrn der Friseuse, der bekundet. er sei seinerzeit von dem aufgeregten Lehrling, einem »schüchternen Mädchen«. an den Apparat herangerufen worden, habe mehrmals -- schweigend -- den Hörer übernommen und so die »Sauereien« auch gehört. Er sei es gewesen. der »gewissermaßen im Hintergrund Regie geführt« und die Verabredung des Lehrmädchens mit dem »Dr. Schneider oder Schreiber« herbeigeführt habe: er verständigte auch die Kriminalpolizei.

Als Strasser gefaßt war, nahm Fernschreiberin Gerda Schmidt bei der Kripo inkognito an der Vernehmung teil. Wortlos schob sie den Beamten nach zehn Minuten einen Zettel zu: »Die Stimme ist identisch.« Es war, wie alle Zeuginnen bekundeten, eine hohe Tonlage in gebildeter Sprechweise -- und »wenn es interessant wurde, hat er gestottert«. meinte eine von ihnen.

Auf Anregung des Beschuldigten hin lasen später vier Kriminalbeamte und der Verdächtige an einem Kripotelephon nacheinander ein Stück aus dem Sportteil des Mainzer Lokalblatts vor: Jedesmal wollten die Zeuginnen an einem Hörer im Nebenraum Strassers Organ als »die Stimme« wiedererkannt haben.

Als der Beschuldigte aus der Anklageschrift erfahren hatte, wer da alles mit Namen und voller Adresse Belastendes zu Protokoll gegeben hatte, machte sich das Ehepaar zu Bittgängen auf. Mal mit Johano, mal alleine klopfte Barbara Strasser bei Zeuginnen an, gab vor, »vom Staatsanwalt geschickt worden« zu sein, und ersuchte um Rücknahme des Strafantrags: »Sie sind jetzt noch die letzte, an der Johanos Karriere hängt.«

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