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MINISTER Die Sträter-Depesche

aus DER SPIEGEL 14/1961

Alles Scheiße stop Schlagen vor, Fortsetzung der Beratung im 'Schlüssel' stop Herzog, Stellvertretender Befehlshaber im Wehrbereich III stop Sträter, Stellvertreter des Ministerpräsidenten.«

Das Telegramm war an den Rat der Landeshauptstadt Düsseldorf gerichtet. Am Mittwoch vorletzter Woche sollte es im Düsseldorfer Stadtparlament öffentlich verlesen werden - als Corpus delicti für ungebührliches Betragen eines ehemaligen Justizministers der heute sein Land beim Bund vertritt.

Die Sträter-Depesche datiert vom 23. Januar 1961. An diesem Tag hatte der in Düsseldorf residierende Befehlshaber des Wehrbereichs III, Generalmajor Schimpf, die landeshauptstädtische Prominenz zu einem Empfang um 18 Uhr in die Reitzenstein-Kaserne gebeten. Im Offizierkasino wurden Batterien von Sektflaschen dezimiert. Nur die ebenfalls geladenen Stadtväter mußten der feuchtfröhlichen Party entsagen: Sie stritten sich im Parlament über vordringliche Kommunal-Projekte.

Die Ratssitzung tobte auch noch nach 20 Uhr als längst ein Pulk animierter Bundeswehr-Gäste aus der Kaserne in die Düsseldorfer Altstadt vorgestoßen war, um im Brauerei-Ausschank »Zum Schlüssel« weiterzuzechen.

Den alkoholseligen Arthur Sträter, der das Land Nordrhein-Westfalen beim Bundeswehr-Schoppen repräsentierte, dünkte der kommunalpolitische Eifer der Ratsherren unangebracht. Unter Assistenz des Stellvertretenden Wehrbereichs-Befehlshabers, des Obersten im Generalstab Gottfried Herzog, konzipierte der Minister sein Telegramm »an den Rat der Stadt Düsseldorf«.

Als der Landesvize und der Wehrbereichsvize ihre Order unter dröhnendem Gelächter der Zechkumpane zu Papier gebracht hatten, läuteten sie die Telegramm-Aufnahme an.

Bei der Telephonistin des Telegraphenamts indessen stießen Minister und Obrist auf ersten Widerstand: Die

Dame von der Post weigerte sich, einen derart unfeinen Text entgegenzunehmen. Selbst als die beiden Anrufer sie unter Hinweis auf ihre hohen Ämter zur Annahme zu überreden versuchten, blieb die Telephonistin standhaft.

Sträter, der als Verkehrsminister einmal gedroht hatte, er werde die Straßen-Malaise mit »brutalsten Mitteln« kurieren, begehrte nun, mit der Aufsicht verbunden zu werden. Jedoch, die Aufsichtsbeamtin stärkte ihrer Untergebenen den Rücken und wies das Telegramm ebenfalls ab: Der Inhalt sei mit den postalischen Bestimmungen* unvereinbar.

Die Widerspenstigkeit der Postalinnen brachte den angeheiterten Minister derart auf, daß er mit der Polizei drohte und schließlich eine Verbindung zum Präsidenten der Düsseldorfer Oberpostdirektion, Johannes Wosnik, verlangte. Die Aufsichtsdame hängte ein. Lamentierte Sträter, die Depesche in der Hand: »(Dafür) trage ich die Verantwortung.« Sträter befahl nunmehr dem in Zivil anwesenden Düsseldorfer Polizeidirektor Walter May, den Präsidenten der Oberpostdirektion anzuläuten: Er wollte sich über die renitenten Postdamen beschweren. So klingelte denn der Polizeidirektor May den, Post-Präsidenten Wosnik aus dem Bett. Wosnik später: »Ein Minister - wählt schließlich nicht selbst. Dem May war es furchtbar peinlich. Er hat sich bei mir entschuldigt.«

May übergab den. Hörer an Sträter, und der Minister redete auf seinen CDU-Parteifreund Wosnik ein. Ergebnis der nächtlichen Verhandlung: Die verschüchterten Telegraphier - Beamtinnen nahmen Sträters Depesche auf Order Wosniks entgegen. Das Dokument wurde dem Oberbürgermeister Becker (SPD) als Vorsitzendem des Rates der Landeshauptstadt Düsseldorf am nächsten Morgen zugestellt.

In den Morgenstunden desselben Tages startete die CDU aber auch eine Aktion mit dem Ziel, des kompromittierenden Sträter-Telegramms wieder habhaft zu werden: Daß ein derart peinliches Zeugnis christdemokratischer Amtsausübung wenige Tage vor der Kommunalwahl im Büro des SPD-Oberbürgermeisters lag, spornte hohe CDUFunktionäre an, als Bittsteller in Beckers Vorzimmer nach dem Telegramm zu fragen. Becker blieb hart. Im

Düsseldorfer Landeskabinett wurden unterdes rechtliche Konsequenzen erwogen: Sträters Druck auf die Postmenschen könne immerhin den Tatbestand der Nötigung erfüllen. Aber Parteifreund Wosnik hielt dicht.

Die erregten Gemüter der Christdemokraten beruhigten sich endgültig, als klar war, daß SPD-Stadtoberhaupt Becker das Telegramm nicht als Wahlkampf-Wunderwaffe gegen die CDU benutzen wollte.

Drei Tage vor dem Wahlsonntag beschlossen die Stadtväter mit großer Mehrheit und ohne Rücksicht auf ihre Wahlchancen, über die ihnen angetane Schmach nicht zu debattieren, weil das Telegramm »nicht geeignet (sei), der Öffentlichkeit bekanntgegeben zu werden« (Oberbürgermeister Becker).

So wurde der Text der frohen Botschaft von Militär und Minister an Düsseldorfs Parlament das bestgehütete Stadt- und Staatsgeheimnis.

* Paragraph 1 Absatz II der Telegraphen-Ordnung von 1938: Privattelegramme, deren Inhalt ... gegen ... die guten Sitten verstößt, werden zurückgewiesen oder nicht weiter übermittelt, Hierüber entscheidet das Aufgabe-, Durchgangs- oder Bestimmungsamt.«

Minister Sträter: Staatsaktion an der Theke

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