SPD Die Teufel
Selten ist führenden Sozialdemokraten die Suche nach den Schuldigen für eine Wahlniederlage so leichtgefallen wie nach der Landtagswahl vom vorletzten Sonntag in Hessen: Der Feind steht links, in den eigenen Reihen.
Zwei Tage nach dem Verlust der absoluten SPD-Mehrheit im Wiesbadener Landtag deutete Parteichef Willy Brandt vor der SPD-Bundestagsfraktion in Bonn die Richtung zwar nur an: Künftig dürfe das Bild der Godesberger SPD »nicht verwischt und nicht verdunkelt werden«.
Aber andere Spitzen-Genossen erklärten offen, wer das bürgerliche Image der Sozialdemokraten gefährdet habe. Verkehrsminister Georg Leber, Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Frankfurt 1: »Den Jungsozialisten und den linken Genossen muß nun bewußt werden, daß man mit radikalen Parolen die sozialdemokratischen Wähler nicht mobilisieren kann.«
Sein Parlamentarischer Staatssekretär Holger Börner, Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Kassel und von 1961 bis 1964 Bundesvorsitzender der Jungsozialisten, über die vermeintlichen Schuldigen: »Die Jusos von heute sind doch politische Wiedertäufer, ins Politische abgeglittene Bibelforscher.«
Und Bundestags-Vizepräsident Hermann Schmitt-Vockenhausen, Abgeordneter des Wahlkreises Groß Gerau: »Das kommt davon, wenn man jedes dumme Geschwätz laufen läßt, weil man sich mit den jungen Herren nicht anlegen will.«
Hessens SPD-Rechte gründen ihre Anklage auf die Wahlergebnis an Südhessen: In dem traditionellen Links-Bezirk der westdeutschen Sozialdemokratie, vor allem in der vom Links-Genossen Walter Möller regierten Stadt Frankfurt, waren die Stimmenverluste der SPD am größten.
Zwei Jungsozialisten, darunter Juso-Chef Karsten Voigt, verloren sichere sozialdemokratische Wahlkreise an kaum bekannte CDU-Kandidaten (siehe Seite 38).
In der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion breitete sich Hexenjagd-Stimmung aus. Gelegenheit zur Abrechnung bot die alljährliche Neuwahl des Fraktionsvorstandes am Dienstag letzter Woche. Der stellvertretende Vorsitzende Hans Apel gab die Parole aus: »Die Linken müssen gebügelt werden.«
Links-Kandidat Hans Matthöfer aus Hessen Süd, im vergangenen Jahr nur mit drei Stimmen unterlegen, landete nun abgeschlagen auf dem vorletzten Platz. Die »Kanalarbeiter«, eine vom Innerdeutschen Minister Egon Franke angeführte Mittel- und Hinterbänkler-Gruppe, setzten Ihre Liste unangefochten durch.
Vergebens versuchten die Jungsozialisten, die Schuld an dem schlechten Abschneiden der hessischen SPD von sich zu weisen. Der Rückschlag sei vor allem dadurch entstanden, so Karsten Voigt, daß die Partei ihre Politik zuwenig an den Interessen der Arbeitnehmer ausgerichtet habe -- mit dieser Behauptung war Voigt freilich nicht weniger oberflächlich als die Vertreter der Partei-Rechten: Die Ausrichtung der SPD auf die Arbeitnehmerinteressen findet derzeit in Bonn ihre Grenzen in der Abhängigkeit der Sozialdemokraten von der FDP.
In einer Mitteilung an Ihre Mitglieder wetterten die hessischen Jusos: »Einige Prozente weniger für die SPD. Wer ist schuld? Ganz klar! Die »Dogmatiker«! Die Teufel mit den 4 Buchstaben. Es tönt vom Land, es tönt aus Bonn. Die Schuldigen heißen JUSO!«
Polemisch fragten die Jung-Genossen: »Haben die Jusos den Konjunkturzuschlag eingeführt? Haben die Jusos die Versprechung »Weniger Steuern!« nicht gehalten? Haben die Jusos die Mieten erhöht?«
Der Gründungsrektor der Bremer Universität, Juso-Vize und habilitierte Wahl-Forscher Thomas von der Vring rechnete die hessischen Ergebnisse durch. Sein Befund: In allen städtischen Wahlkreisen hat die SPD Wähler an die FDP abgeben müssen; ob der Kandidat Juso oder Alt-Genosse war, spielte dabei keine Rolle.
Welche Motive den Wählerwechsel zur FDP tatsächlich bewirkt haben, ob die Hergabe von SPD-Leihstimmen oder die Angst vor Jusos, möchte SPD-Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Wischnewskl nun durch Untersuchungen und Wählerbefragungen in hessischen Städten ermitteln lassen.
Doch bevor der Auftrag überhaupt vergeben ist, wissen forsche Chef-Genossen schon heute, daß die Jungsozialisten in jedem Fall geduckt werden müssen.
Fraktions-Vize Martin Hirsch plädiert für vorbeugende Härte: »Leute wie der Voigt müssen eins draufkriegen, sonst werden das so Versager wie der Dahrendorf.«
Bereits letzte Woche zeichnete sich ein schärferer Kurs ab. Der parteioffizielle SPD-Pressedienst wies einen Artikel des Vorstands-Referenten Günter Grossmann zurück, der um Verständnis für die Jusos werben sollte. Grossmann im unveröffentlichten Manuskript: »Wenn (die Sozialdemokraten) sich auseinanderdividieren ließen und ein Scherbengericht über junge Politiker veranstalteten, hätte der Konservatismus in Deutschland wieder einmal einen Bremserfolg zu verzeichnen.«
Am Donnerstag zog das Parteipräsidium ein bereits gedrucktes Plakat ein, auf dem die Jusos mit einer geballten Faust für ihren Lehrlingskongreß Ende November in Düsseldorf werben wollten. Die SPD-Oberen ließen das Plakat konfiszieren, obwohl sie Anfang des Jahres den Jusos ausdrücklich organisatorische Handlungsfreiheit zugesichert hatten.
Zugleich bereitete das Präsidium einen Beschluß des Parteirats vor, der allen Mitgliedern verbieten soll, mit Kommunisten »gemeinsame Veranstaltungen durchzuführen, gemeinsame Publikationen herauszugeben, gemeinsame Aufrufe, Flugblätter, Einladungen usw. zu unterzeichnen«.
Ein solches Verbot träfe vor allem die Jusos, die bisher einer »punktuellen Kooperation« (Juso-Vize Norbert Gansel) nicht aus dem Weg gehen wollten. Gansel: »Bei den Jusos ist zur Zeit durchaus Bereitschaft zur Selbstkritik vorhanden. Jetzt macht das Präsidium mit seinem irrationalen Getue alles kaputt.«